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Stefan Dräger, Vorstandsvorsitzender der Drägerwerke, lies in seinen Ausführungen keinen Zweifel daran, dass es bei einem generellen PFAS-Verbot keine Zukunft für die Drägerwerke geben wird. (Bild: Drägerwerke)

Die Stoffgruppe der Per- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS) ist für die industrielle Fertigung von enormer Bedeutung, weil diese Stoffe auch unter extremen Temperaturen oder in aggressiven Umgebungen – wie zum Beispiel Säureprozessen – kaum Verschleiß zeigen. Damit sind PFAS für viele Produktionsschritte etwa in der Herstellung medizintechnischer Geräte, von Halbleitern oder in Reinräumen quasi unverzichtbar, weil es keine alternativen Stoffe gibt, die ähnliche Qualität oder Sicherheit aufweisen.

Selbstverständlich ist ein sehr sorgfältiger Umgang mit gefährlichen Stoffen notwendig, um Mensch und Umwelt bestmöglich zu schützen. Doch ebenso selbstverständlich notwendig ist eine differenziertere Betrachtungs- und Vorgehensweise sowie eine genaue Abwägung zwischen Nutzen und Risiken, die bei der Verwendung dieser Stoffe auftreten können. Die Hersteller medizintechnischer Produkte, Halbleiter oder anderer High-Tech-Geräte sind auf den Einsatz von PFAS-Komponenten angewiesen – und entsprechend besorgt, dass ein von
der EU geplantes Generalverbot aller rund 10.000 PFAS erheblichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schaden anrichten würde.

Die zuständige europäische Behörde Echa hatte Unternehmen bis zum heutigen 25. September die Möglichkeit gegeben, ihre Bedenken zum geplanten Verbot zu äußern. Diese Möglichkeit haben Firmen aus der Medizintechnik sowie dem Maschinen- und Anlagenbau in großer Zahl genutzt. Ungefähr jede zweite Firma hat sich am Konsultationsverfahren beteiligt, wie eine aktuelle Umfrage der beiden Branchenverbände Spectaris und VDMA unter ihren Mitgliedsfirmen ergeben hat. Das zeigt die enorme Betroffenheit von einem solchen Verbot.

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Es gibt verschieden Gründe weshalb sich Unternehmen nicht am Konsultationsverfahren beteiligt haben. Einer davon ist, dass sich die Firmen mit dem Aufwand überfordert fühlen, ein anderer, dass sie nicht ausreichend Fachpersonal haben. (Bild: VDMA/Spectaris)

Was Sie über PFAS wissen müssen

Übersichtsgrafik zu PFAS.
Wissenswertes zu PFAS finden Sie in unserem Übersichtsartikel. (Bild: Francesco Scatena – Stock.adobe.com)

Fluorpolymere und weitere fluorhaltige Substanzen sollen verboten werden. Eine ihrer herausragenden Eigenschaften – die Beständigkeit – könnte ihr Verbot bedeuten. Für Sie haben wir das Thema PFAS aus verschiedenen Blickwinkeln während der Widerspruchsfrist beleuchtet und halten Sie künftig zu PFAS-Alternativen auf dem Laufenden. Alles, was Sie zum Thema wissen sollten, erfahren Sie hier.

Die Umfrage zeigt aber auch, dass nur ein Teil der Anwendungen durch das Konsultationsverfahren erfasst worden sind. Etwa ein Drittel aller Firmen ist mit seinen Produkten zwar betroffen, sieht sich aber aufgrund der schwierigen Datenlage nicht in der Lage, Ausnahmen einzureichen. Auch für diese Fälle sieht die Echa ein pauschales Sofortverbot analog zu Bratpfannen und Regenmänteln vor, was die Überlebens- und Innovationsfähigkeit deutscher Hightech-Unternehmen massiv gefährdet, sich letztlich aber auch auf die Versorgung der Bevölkerung mit essentiellen Produkten auswirkt.

Anwendungen werden nur teilweise in der Konsultation erfasst

In einem Pressegespräch in Frankfurt erläuterten die beiden Unternehmer Stefan Dräger, Vorstandsvorsitzender Drägerwerk, und Dr. Stefan Rinck, Vorstandsvorsitzender Singulus Technologies und Vorsitzender des Ausschusses für Forschung und Innovation im VDMA, die möglichen Auswirkungen eines generellen PFAS-Verbots für ihre Unternehmen und Branchen.

Stefan Dräger: „Die Beständigkeit, die als Argument für die breite Beschränkung herangezogen wird, ist genau die wesentliche Eigenschaft, welche diese Werkstoffe so unentbehrlich macht. Deswegen wird jeder Ersatzstoff das gleiche Problem bekommen. Zudem wäre die Entwicklung und Zulassung von Alternativen, wenn es sie denn überhaupt gäbe, in den vorgeschlagenen Fristen nicht machbar, weil deren klinische Validierung und Biokompatibilitätsprüfung sehr zeitaufwendig sind, nicht zuletzt aufgrund der hohen regulatorischen Anforderungen an die Medizintechnik.“

 

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Dr. Stefan Rinck: „Die Realisierung der Energiewende und der Aufbau einer heimischen Halbleiterindustrie sind ohne PFAS schlichtweg unrealistisch! Ein Großteil der Schlüsselindustrien in Europa sind auf den Einsatz von PFAS angewiesen. Wir sprechen uns keineswegs gegen die Regulierung gefährlicher Substanzen aus. Allerdings müssen derartige Vorschriften die unterschiedlichen Anwendungen differenziert betrachten." (Bild: Singulus Technologies)

Fluorpolymere aus dem Verbot grundsätzlich herausnehmen

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Dr. Sarah Brückner, Abteilungsleiterin Umwelt und Nachhaltigkeit des VDMA, setzt sich dafür ein, dass die 38 unter die PFAS-Regulierung fallenden Fluorpolymere aus dem Verbotsverfahren herausgenommen werden. Denn der VDMA geht davon aus, dass nahezu jedes Maschinenbauunternehmen von dem Verbot betroffen sein würde und der Maschinenbau nicht über Ausnahmen vom Verbot möglich ist. (Bild: VDMA)

Die Echa will die Eingaben der Unternehmen in den kommenden Monaten prüfen und dann mit einem konkreten Regulierungsvorschlag an das EU-Parlament und den Europäischen Rat herantreten. Obwohl die rahmengebende Chemikalienverordnung REACH einen risikobasierten Ansatz vorschreibt, wurde das PFAS-Beschränkungsverfahren ohne diese Maßgabe auf den Weg gebracht. Der daraus resultierende Verwaltungsakt findet ohne angemessene politische Güterabwägung statt. Die beiden Verbände fordern daher, dass zumindest Fluorpolymere die sogenannten „Polymers of low concern“, die nachweislich keine Gefahr für Menschen und Umwelt darstellen, von dem geplanten Verbot grundsätzlich und unbefristet ausgenommen werden. Der industriell-gewerbliche Einsatz von PFAS-Komponenten in geschlossenen Systemen ist außerdem gegenüber einfachen Verbrauchsartikeln besser zu stellen. Und essentielle Produkte für die Gesellschaft, die für die medizinische Versorgung, die Chip-Produktion oder die Energiewende benötigt werden, müssen auch künftig in Europa hergestellt und in Verkehr gebracht werden können. Der von der Echa empfohlene Weg über Einzelausnahmen wird diesen Anforderungen angesichts komplexer Lieferketten, nicht vorhandener und unzulässiger Alternativen in keiner Weise gerecht. Im Gegenteil: Die europäische Industrie wendet sich vom heimischen Standort ab.

Die beiden Verbände fordern nun schnelle Signale aus der deutschen und europäischen Politik: Hochleistungswerkstoffe aus und mit PFAS und insbesondere Fluorpolymeren müssen unserer Gesellschaft auch künftig zur Verfügung stehen.

 

Für diese politischen Handlungsempfehlungen sprechen sich die Verbände aus

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"Bei der Persistenz handelt es sich um eine Zeitangabe, die erst einmal nichts über die Bedenkglichkeit von Stoffen sagt", erläuterte Jörg Mayer, Geschäftsführer Spectaris im Zuge der Vorstellung der ausgearbeiteten Handlungsempfehlungen. (Bild: Spectaris)

1. Nur PFAS verbieten, von denen ein Risiko ausgeht

  • PFAS sind eine sehr heterogene Stoffgruppe von 10.000 Substanzen. Sie verbindet lediglich ihre „Persistenz“, jedoch nicht ihr Risiko.
  • Die maßgebende REACH-Verordnung schreibt vor, dass nur bei unannehmbaren Risiken ein pauschales Beschränkungsverfahren gewählt werden darf – dieses Prinzip wurde verletzt.

2. Stand der Wissenschaft anerkennen und unbedenkliche PFAS für die gesamten Wertschöpfungskette ausnehmen

  • Die Industrie benötigt unbefristete Gruppenausnahmen für (langkettige) „PFAS of low concern“, zumindest jedoch für „Fluorpolymers of low concern“, da diese für Mensch und Umwelt nachgewiesen unbedenklich sind.
  • Derzeit 18 Fluorpolymer-Stoffgruppen gemäß OECD-Kriterien als unbedenklich eingestuft.
  • Fluorpolymere können in üblichen Verbrennungsanlagen sicher und PFAS-frei verbrannt werden.* (Studienergebnisse des KIT)
  • Fluorpolymer-Hersteller haben sich bereits verpflichtet, ihre Emissionen unter den geforderten Grenzwert zu drücken.
  • Andere Staaten, beispielsweise USA, Großbritannien oder Australien, nehmen Fluorpolymere nicht in ihre Beschränkungsverfahren auf oder planen diese Differenzierung.
  • Sofern wissenschaftlich als notwendig erachtet, können statt eines Pauschalverbots die Entsorgung und geschlossenen Stoffkreisläufe strenger reguliert werden.

3. Verwendung in geschlossenen Systemen und essentiellen Produkten freistellen

  • Wir benötigen eine Freistellung für den industriell-gewerblichen Einsatz von PFAS-Komponenten in geschlossenen Systemen.
  • Wir benötigen eine Freistellung von essentiellen Anwendungen zum Beispiel für Medizinprodukte, die Chip-Produktion oder die Energiewende. (Pharma, Pflanzenschutzmittel, Biozid-Produkte sind bereits ausgenommen)
  • Wir benötigen deshalb Gruppenausnahmen, weil Einzelausnahmen der Komplexität des PFAS-Einsatzes in Komponenten, in Lieferketten und Produktionsprozessen, in Ersatzteilen und den erforderlichen Innovationsspielräumen für künftige Anwendungen nicht gerecht werden.
    • Nur jedes zweite Unternehmen unserer Verbände hat Echa-Eingaben gemacht, ein Drittel sah sich trotz Betroffenheit dazu nicht in der Lage.
    • Berichtspflichten wären für den Anfang besser als das Rasenmäherprinzip mit großen Flurschäden – so machen es die USA.

4. Alternativen erforschen, nicht erträumen. „Übergangsfristen“ nur bei möglichem „Übergang“

  • Das besondere an den PFAS-Hochleistungswerkstoffen ist die einzigartige Kombination ihrer zahlreichen widerstandsfähigen Eigenschaften.
    • Dominiert werden die PFAS-Ketten von Fluor, das im Periodensystem mit einem Wert von 3,98 die höchste „Elektronegativität“ aller Elemente erzielt, was seine einzigartige Stellung beschreibt und erklärt, warum es keine naheliegenden Ersatzmaterialien gibt.
  • Alternativen müssen darauf geprüft sein, ob sie funktional gleichwertig einsetzbar sind. Zudem müssen sie auf ihre Verwendung angesichts vieler anderer, bereits bestehender Vorschriften (zum Beispiel Brandschutz, Effizienzvorgaben, Sicherheitsstandards) geprüft worden sein, um Widersprüche zu anderen Regulierungen zu verhindern.
  • Eine jüngst vom Thinktank „Industrielle Ressourcenstrategien“ durchgeführte KI-gestützte Untersuchung in über 35.000 wissenschaftlichen Quellen ergab für 420 eingesetzte Materialien ausgewählter industrieller Anwendungen kein adäquates Substitut mit allen benötigten Produkteigenschaften.
  • Die genannten Übergangsfristen sind vor dem Hintergrund einer überwiegenden Alternativlosigkeit nicht nur unrealistisch, sondern kommen schon heute einem Sofort-Verbot gleich.

5. Das politische Verfahren konsens-orientiert anlegen und deutlich positive Signale an Industrie und Investoren senden!

  • Komitologie-Verfahren sieht keine angemessene politische Güterabwägung vor, obwohl die industrielle, technologische und gesellschaftliche Tragweite von pauschalen Beschränkungsverfahren immens sind.
  • Ein Konsensverfahren, das über die fachlichen Urteile zweier REACH-Committees hinausgeht, ist dringend erforderlich. Die Bundesregierung benötigt eine abgestimmte Position und nicht nur eine rein umweltpolitische.
  • Die deutsche und europäische Politik muss schnell signalisieren: Hochleistungswerkstoffe aus und mit PFAS müssen unserer Gesellschaft auch künftig zur Verfügung stehen.
    Fortschritt, Standort und technologische Souveränität sind unverzichtbar.

Quelle: VDMA, Spectaris

 

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