Am SKZ in Würzburg werden Produktionsanlagen wie dieser Laborextruder einem Retrofit unterzogen.

Am SKZ in Würzburg werden Produktionsanlagen wie dieser Laborextruder einem Retrofit unterzogen. (Bild: SKZ)

In der Regel steht irgendwann die Entscheidung an, ob eine Produktionsanlage durch eine neuwertige ersetzt oder einem Retrofit unterzogen werden soll. Bis vor einigen Jahren wurde diese Entscheidung dringlich, wenn Ersatzteile für die elektrotechnischen Komponenten rar und immer teurer wurden. Ausfälle können dann zu ungeplanten Stillständen mit nicht vorhersehbarem Ausmaß führen. Seit ungefähr einem Jahrzehnt spielt zusätzlich die Digitalisierung ganzer Maschinenparks eine wachsende Rolle. Neuere Maschinen verfügen über moderne Kommunikationsschnittstellen, wodurch die Produktions- und Prozessdaten zwischen Maschine und beispielsweise übergeordneten Softwaresystemen ausgetauscht werden können. Für eine ganzheitlich transparente Produktion müssen aber auch die Daten älterer Anlagen aus dem Maschinenpark einbezogen werden. Dies erfordert häufig einen tiefen Einstieg in die vorhandene Technik, eine Anpassung der Elektroplanung und -dokumentation sowie den Austausch von Elektronik- und SPS-Hardware.

So werden Maschinen fit für die Zukunft

Speziell im Bereich der Extrusion liegt ein großer Teil der Innovationen in den letzten 20 Jahren im Bereich der Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnik. Da der Stahl der Maschine in den meisten Fällen noch gut in Schuss ist, muss hier nur die Elektronik ausgetauscht werden. Der Tausch der veralteten Elektrotechnik, kann auch die Planung und den Bau eines gänzlich neuen Schaltschrankes bedeuten. Es ist hierbei hervorzuheben, dass für die bestehende Schnecke-Zylinder-Kombination inklusive Heiz-Kühl-Kombinationen, Einzugstemperierung und gegebenenfalls weiterer Hardware die Prozessparameter aus der Vergangenheit bekannt sind, um das notwendige Produktportfolio mit dieser Maschine zu produzieren. Dadurch kann man sich Zeit- und materialaufwendige Versuchsreihen, welche häufig zum Einfahren gänzlich neuer Maschinen erforderlich sind, sparen. Neben den entfallenden Versuchsreihen existieren noch diverse weitere Faktoren, welche die Nachhaltigkeit eines Retrofits gegenüber der Neuanschaffung einer neuen Maschine erhöhen. Bei einer Neuanschaffung wird die grundsätzlich noch funktionsbereite Anlage häufig verschrottet. Dies gilt sowohl für den Stahl als auch für sämtliche noch funktionsfähige Elektronikkomponenten. Beides kann bei einem Retrofit erhalten werden. Vor dem Hintergrund eines nachhaltigen Umgangs mit Ressourcen ist der Retrofit gegenüber einer Neuanschaffung deutlich zu bevorzugen.

Motivation für den Retrofit am SKZ

Am SKZ werden diverse Extrusionsanlagen betrieben und in Forschungsprojekten sowie für Schulungs- und Ausbildungszwecke eingesetzt. Hieraus ergeben sich unterschiedliche und stetig steigende Anforderungen an die Maschinentechnik, die von einem Laborextruder des Unternehmens Dr. Collin mit Baujahr 2003 nicht mehr erfüllt werden konnten. Hierzu zählten beispielsweise:

  • Im Rahmen von F&E-Projekten sollen/müssen sämtliche Prozessdaten kontinuierlich aufgezeichnet werden.
  • Einige relevante Prozessdaten (beispielsweise Ist-Drehzahl der Extruderschnecke) standen im ursprünglichen Set-up nicht zur Verfügung.
  • Für zukünftige F&E-Projekte sollte ein bidirektionaler Datenaustausch über moderne Schnittstellen und Protokolle möglich sein.
  • In Schulungssituationen sollte eine intuitive Bedienung des Extruders auf einem großen und übersichtlichen Touchdisplay möglich sein.

Aus den Anforderungen ergaben sich zwei Möglichkeiten:

  • Anschaffung eines neuen Laborextruders.
  • Maßgeschneidertes Retrofit der Anlage, um sämtliche Anforderungen abzudecken.

Bei der Abwägung zwischen den beiden Varianten zeigte sich schnell, dass die speziellen Anforderungen bei einer Neuanlage nicht zum Standard gehören und individuelle Anpassungen entsprechende Aufpreise mit sich bringen. Beispielsweise ist es unüblich, einen Laborextruder mit einem großen Touchdisplay auszustatten. Wenn am SKZ in Schulungssituation aber bis zu zehn Schulungsteilnehmer an der Anlage stehen, macht es durchaus Sinn, die Bedienoberfläche der Anlage möglichst groß und übersichtlich zu visualisieren.

 

Schaubild: Ein Retrofit spart Ressourcen ein und minimiert den Aufwand für die Inbetriebnahme.
Ein Retrofit spart Ressourcen ein und minimiert den Aufwand für die Inbetriebnahme. (Bild: SKZ)

Wie wurde der Retrofit umgesetzt?

Jeder Extruder-Retrofit wird in folgendem Ablauf durchgeführt:

  • Anforderungsdefinition und -beschreibung
  • Elektroplanung
  • Abstimmung Bedienoberfläche und Funktionen
    Umsetzung:
         ∙ SPS-Programmierung inklusive
           Iterationsschleifen     für die Visualisierung
         ∙ Schaltschrankbau und Verdrahtung
         ∙ Mechanische Anpassungen
           (etwa Halterung des Panels)
  • Vor-Inbetriebnahme
  • Inbetriebnahme
  • Produktionsbegleitung/Schulung

Im Rahmen der Anforderungsbeschreibung und Elektroplanung wurde deutlich, dass ein großer Teil der Elektronikkomponenten erhalten bleiben kann. Dies betrifft beispielsweise auch die gesamte Leistungselektronik und Antriebstechnik inklusive Stromrichter. Durch die weitere Verwendung des Bestands können Aufwände und Kosten reduziert sowie die Nachhaltigkeit des Umbaus erhöht werden. Da es sich um einen Laborextruder handelt, konnte er für die Umsetzung problemlos vom Kunststoff-Zentrum nach Dinslaken zu SHS transportiert werden. Dieses Vorgehen ist hocheffizient, da viel Reisezeit und somit auch Kosten eingespart werden. Auch bei größeren Anlagen ist dieses Vorgehen sinnvoll, allerdings verlängert sich hierdurch die Zeit, in der die Anlage nicht genutzt werden kann. Erfahrungswerte zeigen, dass für einen am Produktionsstandort durchgeführten Retrofit eine Downtime der Produktion von einer Woche eingeplant werden sollte. Dieser Zeitraum verlängert sich auf mindestens vier Wochen, wenn die Anlage gänzlich abgebaut und extern einem Retrofit unterzogen wird.

Nach der Umsetzung stehen sämtliche Variablen der SPS-Steuerung via OPC-UA etwa zur Verwendung in übergeordneten Softwaresystemen zur Verfügung. Die Speicherung und Nutzung/Analyse der Prozessdaten ist nicht nur im Produktionsumfeld anzuraten. Auch im F&E- und Schulungsbetrieb kann die vollständige Prozesstransparenz gewinnbringend genutzt werden. Versuchsauswertungen sind hierbei ebenso relevant wie das gezielte Sammeln von Trainingsdaten für Anwendungen im Umfeld des maschinellen Lernens. Für das letztgenannte Themenfeld ist eine stark steigende Nachfrage zu verzeichnen, weshalb SHS Plus nicht nur den Extruder-Retrofit durchgeführt, sondern auch das virtuelle Assistenzsystem Vipra am SKZ installiert hat. Letzteres ist eine Softwareplattform, die im lokalen Netzwerk des Kunststoff-Zentrums auf einem Server installiert wurde und die kontinuierlich sämtliche Prozessdaten der angebundenen Maschinen aufzeichnet. Zusätzlich zu dem überholten Laborextruder werden zukünftig auch weitere Anlagen aus den Technika des SKZ an das Assistenzsystem angebunden. Neben der Speicherung von Prozessdaten stehen insbesondere auch Live-Analysen der Prozessdaten im Fokus. Bereits während der Produktion können die Prozessdaten einer Live-Analyse unterzogen werden, um Optimierungspotenziale hinsichtlich der Produktqualität oder Ressourceneffizienz des Prozesses zu identifizieren. Auch diese Funktion soll im Schulungsbetrieb Anwendung finden, um den Teilnehmern den Umgang mit wissens- und datenbasierten Entscheidungshilfen an Kunststoffverarbeitungsmaschinen zu vermitteln.

Quelle: SKZ

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