Drei Männer sitzen an einem Tisch im Gespräch.

Das Gespräch fand im Showroom von Faurecia Innenraumsysteme in Hagenbach statt. (Bild: Redaktion)

Die Mobilität der Zukunft manifestiert sich ja nicht nur in der Elektrisierung der Antriebstechnik. Es geht auch  um Aspekte wie autonomes Fahren, was dann heißt, der Pilot wird mehr und mehr zum passiven Fahrgast, der unterhalten werden möchte – das Cockpit wird also immer mehr zur Infotainment-Zentrale. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?
Sebastian Wandtke: Ja, das beschreibt genau die Herausforderung, mit der wir uns aktuell beschäftigen. Und wir reden dabei nicht über die Zukunft in einigen Jahren, wenn Autos vielleicht wirklich komplett selbstständig fahren. Sondern vom hoch automatisierten Fahren, wie es heute bereits Realität ist: Denken Sie beispielsweise an Bereiche wie Stop-and-go-Verkehr oder auch wenn Sie einmal länger unterwegs sind und keinen Zeitdruck haben – mit den entsprechenden Abstandssensoren können Sie in solchen Situationen das Fahrzeug quasi von alleine Gas geben und bremsen lassen. Hinzu kommt beim Thema elektrische Antriebe noch etwas, nämlich die signifikant längere Zeit, die ein Ladevorgang dauert als der schnelle Stopp an der Tanksäule. Wir gehen zwar davon aus, dass sich das Aufladen der Autobatterie künftig auf 15 Minuten reduzieren lässt, bis 80 % Ladestand erreicht sind – aber das sind eben noch immer 15 Minuten, vielleicht auch eine halbe Stunde, die es zu überbrücken gilt. Das heißt, die Parksituation kann auch ein interessanter Fall sein. Was macht man dann eigentlich? Damit haben wir uns schon sehr lange beschäftigt. Es geht vor allen Dingen darum, dass im wahrsten Sinne des Wortes eine neue Position in der Fahrgastzelle eingenommen wird, also wahrscheinlich eine deutlich nach hinten positionierte Sitzsituation, damit der Fahrer ein wenig Abstand zum Lenkrad gewinnt, vielleicht auch noch eine stärkere Lehnneigung nach hinten und damit rücken die Eingabemöglichkeiten, also die direkten physischen in der Instrumententafel, eigentlich außerhalb des ergonomischen Bereichs. Nun gibt es zwar wesentliche Weiterentwicklungen im Bereich der Spracheingabe – das ist aber nicht jedermanns Sache und kann auch in bestimmten Situationen zu Bedienfrustrationen führen. Deswegen gehen wir davon aus, dass wir entscheidende Bedienelemente und Ablagen für Dinge, die ich mit ins Auto bringe und gegebenenfalls auch während der Fahrt nutzen möchte, künftig in mehreren Positionen verfügbar machen müssen. Die Mittelkonsole der Zukunft beispielsweise wird gut verstellbare, bewegliche Bereiche haben, um eine optimale ergonomische Nutzbarkeit der Features für verschiedene Situationen und Personengrößen zu ermöglichen. Essen, Trinken, Nutzen von Unterhaltungs- und Kommunikationsmedien – die Aktivitäten sind hier im Grunde wie zu Hause, wenn man auf dem Sofa sitzt. Wir benötigen also Ablagesysteme, die nicht stören, aber da sind, wenn man sie braucht. Im Grunde also einen Tisch im vorderen Bereich der Fahrgastzelle. So etwas war aus Sicherheitsgründen bisher nicht denkbar, ist jetzt aber gefragt. Solche neuen Anforderungen zu erkennen und die entsprechenden Lösungen zu entwickeln, ist eine Kernaufgabe hier bei Forvia Faurecia.

 

Mann mit weißen Haaren, weißem Hemd und schwarzer Jacke steht vor einigen Ausstellungsstücken.
Sebastian Wandtke vor einigen Ausstellungsstücken. (Bild: Redaktion)

Über Sebastian Wandtke

Sebastian Wandtke ist bei Forvia Faurecia seit 1996 und leitet seit 2017 als Senior Manager Innovation das Innovation-Team am R&D Standort Hagenbach bei Karlsruhe und ist unter anderem für Vorentwicklungsprojekte mit allen deutschen OEMs zuständig.

Die klassischen Druckknöpfe wurden im Pkw-Innenraum in den vergangenen Jahren immer weniger, stattdessen zogen Displays ein, mit denen direkt interagiert werden kann. Werden Schalter in der Zukunft komplett als eigenständige Einheit verschwinden und durch intelligente Oberflächen ersetzt werden?
Wandtke: Zumindest ist davon auszugehen, dass sich diese Entwicklung weiter fortsetzen wird. Weshalb wir unsere Kompetenzen bei Elektrik und Elektronik weiterentwickelt haben. Ziel ist es, Sensoren und Elektronik miniaturisiert integriert in Oberflächen zu bringen und idealerweise so, dass sie die Stoffströme beim Recycling nicht verunreinigen. Aber wenn wir bereits über Digitalisierung reden: Das Thema hört für uns ja nicht mit dem Innenraum auf, sondern geht in der Produktgestaltung und Fertigung weiter. Wir haben aktuell Pilotprojekte laufen, um in mehreren Werken alle Maschinen in einem Netzwerk zusammenzuschließen. Spannend ist dabei nicht nur, was wir hier in Sachen Effizienz, Downtimes, Zykluszeiten und Ausschuss erreichen konnten – auch wenn das natürlich sehr wichtige Aspekte sind. Aber worauf wir momentan ein Hauptaugenmerk legen, ist der Energieverbrauch. Durch die Vernetzung kann in Echtzeit erfasst werden, wenn vor Ort jemand an einer Maschine Parameter verändert und ob diese Änderungen positive oder negative Auswirkungen auf die Effizienz des Prozesses haben. Das ist deshalb so spannend, weil wir mittlerweile mehr noch als in der Vergangenheit den Verbrauch betrachten und optimieren, um teuren Ressourcenverbrauch zu reduzieren auf dem Weg zur CO2-Neutralität in der Produktion. So setzen wir sukzessive den Einsatz von Photovoltaik auf den ungenutzten Flächen unserer Werke um. Hierdurch erzeugen wir vor Ort dann recht große Mengen an Strom, die allerdings nicht 100 % des Bedarfs abdecken. Deshalb führen wir seit Jahren hochenergieeffiziente Maschinen und Prozesse in unsere Produktion ein, bei einer zeitgleichen Renewal Kampagne zur Reduzierung von älterem Equipment mit hohem Energieverbrauch; und das werden wir noch ganz massiv verstärken. Ein Schlüsselelement dafür sind vernetzte Maschinen, die die entscheidenden Daten für Energieverbräuche liefern als Basis für ständige Optimierungen.

Über Forvia

Forvia ist ein Automobiltechnologiekonzern, der im Zentrum einer intelligenteren und nachhaltigeren Mobilität steht. Der Konzern bündelt seine Kompetenzen in den Bereichen Elektronik, umweltfreundliche Mobilität, Beleuchtung, Innenraum, Sitze und Lebenszykluslösungen, um den Wandel in der Automobilindustrie voranzutreiben. Mit einer Geschichte, die mehr als ein Jahrhundert zurückreicht, handelt es sich um den siebtgrößten Automobilzulieferer weltweit, der mehr als 157.000 Mitarbeiter in mehr als 40 Ländern beschäftigt. Die Technologie des Unternehmens ist in etwa in jedem zweiten weltweit produzierten Fahrzeug zu finden. Firmenziel ist es, Pionierarbeit zu leisten, um den Menschen ein Mobilitätserlebnis zu bieten, das ihnen wichtig ist.

Energieeffizienz spart nicht nur Kosten, sondern zahlt auch ins Thema Nachhaltigkeit mit ein – und damit wären wir auch schnell beim Stichwort Rezyklat. Was bedeutet das für Faurecia?
Wandtke: Der von den OEMs immer stärker geforderte Einsatz von Rezyklat stellt uns natürlich vor Herausforderungen. Denn diese erfordern nicht nur andere Prozessparameter, sondern diese variieren häufig sogar noch einmal innerhalb einer einzigen Charge. Konstante Rezyklat-Stoffströme zu gewährleisten, ist eine große Herausforderung, die wir gemeinsam mit den Lieferanten meistern.
Jochen Klos: Als Verarbeiter wissen wir, dass ein hoher Rezyklatanteil starke Auswirkungen auf die Viskosität haben kann. Und wenn wir Viskositätsschwankungen haben, müssen wir den Prozess nachjustieren, was wiederum Manpower bindet oder Ausschuss bedeuten würde. Digitalisierung sei Dank konnten wir uns für eine dritte Version entscheiden, und so hat mittlerweile jede Maschine, die wir heute bei Engel kaufen, IQ Weight Control installiert, das unterschiedliche Viskositäten ausgleichen kann. Daneben ist auch IQ Clamp Control fester Bestandteil unseres Maschinenparks, um sicherzustellen, dass wir nicht mehr Zuhaltekraft applizieren als notwendig. Dies schont zum einen Werkzeuge, zum anderen profitieren wir von der zusätzlichen Energieeinsparung dieser Funktion. Dass wir speziell IQ Weight Control bei jeder Neumaschine ordern, ist für uns vor allem auch eine Frage der Zukunftssicherheit, denn Spritzgießmaschinen erfordern schließlich einen hohen Invest und werden sicherlich mehr als ein Jahrzehnt im Einsatz sein. Bereits heute setzen wir Materialien mit Rezyklatanteil ein und wir sind überzeugt, dies wird in den kommenden Jahren deutlich zunehmen, daher müssen wir bereits heute in Technologien investieren, die uns eine effiziente Fertigung auch mit Rezyklaten ermöglicht.

Zwei Männer unterhalten sich vor einem Tisch. Der eine hat ein weißes und der andere ein dunkles Hemd an.
Klaus Hof, Engel, und Jochen Klos (rechts), Forvia, im Gespräch. (Bild: Redaktion)

Wandtke: Ich glaube auch, dass wir gerade an dieser Stelle bald eine der größten Herausforderung haben werden: Wie sieht das Rezyklat der Zukunft aus? Die Anforderungen an Maschinenhersteller wie Engel werden meiner Ansicht nach noch steigen, was das Thema Entgasung angeht, aber auch Reinigung, um die aktuellen Emissions- und Geruchsstandards zu halten, die auch weiter steigen werden. Im chinesischen Markt auf jeden Fall, aber auch hierzulande.
Klos: Darum fanden wir es auch spannend, als wir auf der K im vergangenen Jahr bei Engel den ersten Prototypen des Zwei-Stufen-Prozesses sehen konnten. Ich war wirklich überrascht über das Level der Verunreinigungen, mit denen das System zurechtkommt. Es ist ja wirklich so, dass ich den Inhalt einer Gelben Tonne direkt als Mahlgut in den Trichter einer solchen Maschine reinschütten kann – und erhalte am Ende ein emissionsfreies Produkt.
Klaus Hof: Was unsere Techniker da entwickelt haben, ist wirklich genial: Das Plastifizieren und das Einspritzen wird in zwei voneinander unabhängige, aufeinander abgestimmte Prozessschritte aufgeteilt. In der ersten Stufe wird das Rohmaterial erst einmal aufgeschmolzen. Dann wird die Schmelze an eine zweite Schnecke übergeben, um sie in die Kavität einzuspritzen. Abhängig vom Material oder der Anwendung können wir zwischen Plastifizier- und Einspritzaggregat dann noch ein Schmelzefilter und eine Entgasungseinheit integrieren. Damit können Verarbeiter auch aus verunreinigten Kunststoffabfällen hochwertige Produkte produzieren.


 

Ein Zeigefinger zeigt auf ein braunes Material. Anders als in der Vergangenheit wollen Kunden sehen können, dass ein nachhaltiges Material verwendet wurde.
Anders als in der Vergangenheit wollen Kunden sehen können, dass ein nachhaltiges Material verwendet wurde. (Bild: Redaktion)

Eine weitere spannende Entwicklung der Kunststoffindustrie für mehr Nachhaltigkeit ist der Schaumspritzguss. Die Technologie hält mittlerweile im Automotive-Bereich Einzug, so auch bei Faurecia. Können Sie uns Beispiele aus der Praxis nennen, welche Einsparungen bei Material- und Energieeinsatz möglich sind?
Klos: Wenn wir mit dem Produkt anfangen, dann sind wir im Mittel bei einer erzielten Einsparung von rund 20 %. Ich würde mal sagen, die Werte liegen zwischen 15 bis hin zu 35 %, abhängig vom Anwendungsfall. Handelt es sich beispielsweise um eine einfache Verkleidung, die wenig oder keine Funktion hat, dann sind die erzielbaren Einsparungen recht hoch. Reden wir aber von einem Instrumententafelträger oder einer Tür, die eine zentrale Funktion erfüllen muss, dann kann ich hier natürlich nicht beliebig viel Material abspecken, sondern muss im Auge behalten, dass nach wie vor alle Eigenschaften komplett erfüllt werden.

Über Jochen Klos

Jochen Klos ist seit 1997 im Unternehmen und seit vielen Jahren als Manager eines globalen Teams im R&D für Spritzgießen zuständig. Als „Group senior expert“ ist er auch Ansprechpartner für alle Business-Gruppen bei Forvia.

Hof: Auf der K 2022 hatten wir am Stand von Engel ja auch einmal gemeinsam das Potenzial der Technologie anhand einer sehr anspruchsvollen Oberflächenstruktur gezeigt, dabei kam auch das von Faurecia entwickelte Microject Advanced Verfahren zum Einsatz. Damit ist es möglich, Sichtbauteile in Leichtbauweise mit einer wirklich hochwertigen Class-A-Oberfläche zu erzeugen.
Klos: Genau. Und was an dieser Stelle vielleicht wichtig hervorzuheben ist: Der Schaumspritzguss selbst reduziert die Dichte von Kunststoff in einem Bereich zwischen 5 und 8 %, je nach Anwendungsfall und eingesetztem Material. Der aus unserer Sicht eigentlich maßgebliche Vorteil des Verfahrens ist ein ganz anderer.  Wenn wir eine Schmelze mit Gas beladen, verbessert sich die Fließfähigkeit des Kunststoffes während der Füllung, dies wiederum reduziert den Einspritzdruck, welcher maßgeblich die notwendige Zuhaltekraft bestimmt. Mithilfe des Schaumspritzgusses können wir so die notwendigen Zuhaltekräfte um circa 35 % reduzieren, das heißt auch, dass die Zuhaltekraft nicht mehr maßgeblich ist bei der Maschinengrößenbestimmung. Selbstverständlich benötigen wir immer noch recht große Maschinen aufgrund der Bauteilgröße, jedoch können die Maschinen in Zukunft wesentlich schlanker und leichter gebaut werden, das ermöglicht nicht nur schnellere Bewegungen aufgrund der geringeren Masse, auch der Energieverbrauch und die CO2-Emmi-sionen sinken. Die Freiheiten, die der Schaumspritzguss offeriert, nutzen wir auch, um bisherige Designlimits über Bord zu werfen, um damit wesentlich schlankere, leichtere Bauteile zu gestalten. Mit anderen Worten, wir nehmen dort Masse raus, wo sie nicht benötigt wird, und wir verstärken Eigenschaften punktuell dort, wo sie gefordert sind. Mit intelligenten und bionischen Designs können wir so Gewicht in Bauteilen reduzieren, ohne deren Produkteigenschaften negativ zu beeinflussen. Natürlich gibt es auch Nachteile zu bewältigen, die der Schaumspritzguss mit sich bringt, in erster Linie sind das auftretende Schaumschlieren, die eine raue Ober-fläche generieren und so den Einsatz für Sichtbauteile enorm einschränken.

Zitat

Durch den Schaumspritzguss können wir die bisherigen Einschränkungen komplett eliminieren.

Durch unsere neue Technologie ist es nun jedoch möglich, geschäumte Bauteile mit hervorragender Class-A-Oberfläche darzustellen. Wir können sogar Oberflächen-Texturen generieren, die bislang mittels herkömmlicher Narbtechniken nicht möglich waren, damit ist der Weg geebnet, um das Schaumspritzgießen uneingeschränkt einzusetzen. Es ist sogar so, dass Oberflächendefekte, die normalerweise bei Spritzgussteilen auftreten, wie beispielsweise Zusammenfluss-linien oder Glanzgradunterschiede, komplett eliminiert werden, auch der Einsatz von Kunststoffen mit hohem Rezyklatanteil ist so für Sichtanwendungen möglich. An einem Beispiel einer Türinnenverkleidung hat Faurecia all diese Vorteile umgesetzt und validiert. Das Gewicht des Bauteils wurde um 23 % reduziert, indem wir die Designfreiheiten, die uns der Schaumspritzguss bietet, ausgenutzt haben. Anstatt ursprünglichen 2,5 mm Wandstärke sind wir bei 1,8 bis 2,0 mm angelangt, etwaige Einbußen von mechanischen Kennwerten wurden mit rückseitigen Strukturen ausgeglichen. Die Fertigung des Bauteils erfolgte auf der neuen Engel Maschinengeneration zum physikalischen Schäumen, die all diese Vorteile beinhaltet und ein inertes Gas unter permanentem Staudruck in der Schmelze löst und so auch den sonst üblichen Nachdruck obsolet macht. Verglichen mit der normalerweise eingesetzten Serienmaschine konnten wir so 50 % Energie einsparen. Dank Microject Advanced-Technologie sind die Türverkleidungen nicht nur leicht und frei von Oberflächenfehlern, sondern es wird auch der emittierte CO2-Ausstoß massiv reduziert, um die Teile herzustellen. Das reduzierte Produktgewicht trägt ebenfalls dazu bei, unsere als auch die Nachhaltigkeitsziele unserer Kunden zu erfüllen. Die Microject Advanced-Technologie ist ausgereift und wird bei uns bereits in Serienentwicklungen eingesetzt.

Quelle: Engel, Faurecia

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