Von auf den ersten Blick unscheinbaren Kunststoffzylindern hängt das Leben von zweieinhalb Millionen Menschen mit chronischem Nierenversagen ab: Die Dialysatoren sind das zentrale Element der Dialysemaschinen, den so genannten künstlichen Nieren. Bei genauerer Betrachtung haben es die Blut-wäschekartuschen der FX-Class-Serie von Fresenius Medical Care in sich. Sie beinhalten bis zu 20.000 haarfeine Hohlfasern mit mikroskopisch kleinen Poren, über die bei der Hämodialyse Toxine, Harnstoff, überflüssige Salze und Wasser aus dem Blut entfernt werden. Vier Stunden dauert der Prozess. Drei Mal in der Woche müssen die Patienten an die Maschine angeschlossen werden. Jede FX-Class-Filterkartusche braucht sechs Thermoplastkomponenten, die Fresenius Medical Care SMAD in L’Arbresle, rund 20 km nordwestlich von Lyon, im Spritzguss produziert: Darunter das durchsichtige zylindrische Gehäuse und die blauen Verschlüsse, die den Zylinder mit dem Hohlfaserbündel nach unten und oben abschließen und die Anschlüsse für die Dialyseflüssigkeiten bereithalten.
36 Millionen Kartuschen pro Jahr
Fresenius Medical Care ist nach eigenen Angaben der Weltmarktführer in der Behandlung von Nierenleiden. „Bei jeder zweiten Dialyse, die weltweit durchgeführt wird, ist mindestens ein Produkt von Fresenius Medical Care beteiligt“, erklärt Alain Philibert, Projektmanager, beim Rundgang durch das Produktionswerk. „Aktuell produzieren wir hier in Frankreich 36 Millionen Kartuschen pro Jahr.“ L’Arbresle ist einer von 44 Produktionsstandorten weltweit und der einzige in Frankreich. Das Werk ist stetig gewachsen, hervorgegangen aus dem Unternehmen SMAD, das von Fresenius übernommen wurde. Als Standortbezeichnung ist der Name SMAD geblieben. Mehr als 500 Menschen arbeiten bei SMAD. Am Standort arbeiten ausschließlich vollelektrische Spritzgießmaschinen der Hochleistungsbaureihe E-Motion von Engel. 2014 wurde die ursprünglich outgesourcte Spritzgießproduktion zurück ins eigene Haus geholt und 2018 deutlich erweitert. „Die Zahl der Spritzgießmaschinen hat sich verdoppelt“, sagt der Technische Direktor Thibaud Robin-Rivoire. Inzwischen stehen 26 E-Motion Spritzgießmaschinen – jeweils mit 2.200 kN Schließkraft – im Reinraum. Sie alle arbeiten 24/7 mit einer Auslastung von weit über 90 %. „Wir müssen uns auf die Reproduzierbarkeit der Maschinen verlassen können, brauchen höchste Präzision und absolute Sauberkeit“, begründet Laurent Branchereau, Leiter der Spritzgießerei am Standort, die Maschinenwahl. Alle vier Stunden werden Stichproben der Bauteile visuell geprüft und die kritischen Maße vermessen.
Warum Polypropylen eingesetzt wird
Besonders anspruchsvoll sind die zylindrischen Filtergehäuse. Sie werden in einem 4-fach-Werkzeug aus Polypropylen (PP) gespritzt. Die Wanddicke liegt durchgehend bei 1,5 mm, aber die filigranen Strukturen an den Enden mit jeweils einem rundlaufenden Hinterschnitt erfordern ein ausgeklügeltes Einspritzprofil, um vollständig gefüllt zu werden. Angespritzt wird von zwei Seiten in der Zylindermitte. Pro Kavität gibt es zwei Kernzüge, die zum Entformen jeweils nach links und rechts ausfahren. „Die E-Motion Maschinen sichern uns eine hohe Maßhaltigkeit über alle Kavitäten“, so Branchereau. „Das ist deshalb so wichtig, weil wir die Kartuschen vollautomatisiert montieren.“ Eine Herausforderung besteht zudem im Material, denn PP weist viel Schwindung auf. Dafür bietet es an anderer Stelle Vorteile. Werden Filtergehäuse oft aus Polycarbonat produziert, setzt Fresenius Medical Care bewusst auf Polypropylen, weil es deutlich leichter ist und damit sowohl die Logistik als auch das Abfallmanagement effizienter macht.
Temperierwasserüberwachung für mehr Prozesssicherheit
„Mit der Produktion im eigenen Haus sind wir flexibler“, sagt Robin-Rivoire Thibaud. „Wir können sehr leicht die Produkte an die Anforderungen unserer Kunden anpassen, zumal sich diese immer mal wieder ändern.“ So steigt auch bei Dialyseprodukten der Preisdruck an. Vor allem die neuen Märkte sind preissensitiv“, wie Philibert berichtet. Die Optimierung der Zykluszeit ist hier ein wichtiger Hebel, und auch dieses Argument sprach für die Hochleistungsmaschinen der E-Motion Baureihe. Die vollelektrischen Antriebe stellen sehr kurze Einspritzzeiten sicher. Einen weiteren Beitrag leistet das Werkzeugdesign. Alle Kernzüge werden elektrisch angetrieben und können sich gleichzeitig mit der Öffnungsachse der Maschine in Bewegung setzen.
Für die Produktion der Zylinder sind in L’Arbresle aktuell sechs Werkzeuge aktiv, für drei unterschiedliche Zylinderdurchmesser. Insgesamt gibt es die FX-Dialysatoren in fünf Größen. Welche Version zum Einsatz kommt, richtet sich nach der Körpergröße und dem Gewicht des Patienten. Mindestes einmal pro Woche steht ein Werkzeugwechsel an. Bei der Auslegung der Maschinen wurde das bereits berücksichtigt. Die elektronischen Temperierwasserverteiler E-Flomo beispielsweise wurden außerhalb des Werkzeugbereichs montiert, um unterschiedlich große Werkzeuge flexibel aufspannen zu können. Jedes Werkzeug hat eine andere Anzahl an Kühlkreisläufen. „E-Flomo hilft uns, schnell zu reagieren, wenn der Durchfluss in einem Kreislauf stockt“, sagt Branchereau. „Das gibt uns viel Sicherheit, vor allem in der Nacht, wenn weniger Maschinenbedienpersonal Dienst hat.“ Auch die Fokussierung auf eine Maschinenbauart trägt dem Ziel einer maximalen Produktionssicherheit Rechnung. „Das macht es für die Maschinenbediener und Instandhalter einfacher“, sagt Branchereau. „Die CC300 Steuerung der Engel Maschinen mit ihrem großen Display ist intuitiv zu bedienen“, unterstreicht Eric Biguet, der als Einrichter für einen reibungslosen Produktionsbetrieb verantwortlich ist. „Die einfache Navigation der CC300 hilft uns, eine hohe Prozessstabilität zu erreichen. Am Ende führt das zu einer besseren Qualität.“
Wie IQ-Assistenzsysteme unterstützen
„Unser Ziel ist es, das Qualitätspotenzial, das die Engel Maschinen bieten, in Zukunft noch umfangreicher auszuschöpfen“, betont Robin-Rivoire. Evaluiert werden derzeit unter anderem digitale Lösungen wie die IQ-Assistenzsysteme aus dem Inject-4.0-Programm. „IQ Clamp Control ist für uns besonders interessant“, nennt Philibert ein Beispiel. Das Assistenzsystem ermittelt die für den jeweiligen Spritzgießprozess optimale Schließkraft. In den meisten Fällen liegt die optimale Schließkraft niedriger als der Wert, der manuell eingestellt wird. Mit der Schließkraftkorrektur wird dann nicht nur die Qualitätskonstanz erhöht, sondern auch Energie eingespart. Der Trend zu mehr Nachhaltigkeit ist längst auch in der Medizintechnik angekommen und nicht erst mit den rasant steigenden Energiepreisen.
Die Energie-, aber auch Materialeffizienz ist ein Schwerpunkt in der kontinuierlichen Produktentwicklung bei Fresenius. Ein Beispiel hierfür findet sich, wenn man den Weg der frisch spritzgegossenen Dialysatorgehäuse weiterverfolgt. Nach einer kurzen Zwischenlagerung werden sie mit den Hohlfasern, die ebenfalls am Standort produziert werden, befüllt und mit gelben Deckeln aus Polyurethan dicht verschlossen. Erst nach der Dampfsterilisation werden die gelben Deckel gegen die blauen Polypropylen-Funktionsverschlüsse ausgetauscht. Die Polyurethan-Deckel sind Einweg-Teile, und genau das soll sich ändern. „Wir haben neue Verschlüsse mit einem Kern aus glasfaserverstärktem Polypropylen entwickelt“, berichtet Alain Philibert. „Diese sind so robust, dass wir sie bis zu 50 Mal wiederverwenden können.“
Quelle: Engel