In der Kunststoffherstellung sind Polymerisation und Compoundierung typischerweise zwei getrennte Arbeitsschritte (Bild 1). Dabei wird die Polymerisation vieler Kunststoffe – sowohl Standardkunststoffe als auch technische Kunststoffe – in großtechnischem Maßstab, das heißt mit Anlagenleistungen von 10 bis 100 t/h durchgeführt. Demgegenüber liegen Anlagengrößen für die Modifikation von Kunststoffen mittels Compoundierung eher im Bereich von 0,1 t/h bis 5 t/h. Diese unterschiedlichen Anlagengrößen reflektieren auch die Produktstruktur, die in der Compoundierung deutlich fragmentierter ist als in der eher von Standardtypen geprägten Synthese der Polymere. In der Compoundierung werden für gewöhnlich ausschließlich Feststoffe und Flüssigkeiten als Rohstoffe eingesetzt, demgegenüber basiert die Polymerisation häufig auf gasförmigen Rohstoffen (zum Beispiel Ethylen oder Propylen). Weiterhin unterscheiden sich die typischen Prozesszeiten deutlich: In der Polymersynthese sind teilweise lange Prozesszeiten aufgrund diffusionskontrollierter Vorgänge erforderlich, wie das Entfernen von Abspaltprodukten eines mittels Polykondensation hergestellten Polyesters. Derartige Vorgänge können Verweilzeiten von 24 h oder länger erfordern. Demgegenüber liegen typische Verweilzeiten bei der zumeist in gleichläufigen Doppelschnecken erfolgenden Compoundierung deutlich unter einer Minute.
Wie die Ringöffnungs- polymerisation funktioniert
Die Klasse der Ringöffnungspolymerisationen (RoP) unterscheidet sich wesentlich von anderen Polymerisa-tionsverfahren: RoPs basieren zumeist auf bei Umgebungsbedingungen flüssigen Rohstoffen und laufen sehr schnell ab. Die hohe Reaktionsgeschwindigkeit ergibt sich einerseits aus der Ringspannung als thermodynamischem Treiber der Reaktion. Andererseits basieren RoPs auf Umlagerungen, somit sind keine aus den Polymeren zu entfernenden Abspaltprodukte vorhanden. Typische Vertreter der RoP sind die Polymerisationen von Lactamen und von zyklischen Dimeren von Hydroxycarbonsäuren; die bekanntesten mittels RoP hergestellten Polymere sind Polycaprolactam (PA6) und Polylactid (Bild 2).
Alles zum Thema Biokunststoffe
Auf dem Weg zu einer klimaneutralen Zukunft müssen verschiedenste Rädchen ineinander greifen. Doch wie schaffen wir es, die Dekarbonisierung unserer Gesellschaft umzusetzen? Biokunststoffe sind ein wichtiger Hebel um diesem Ziel näher zu kommen. Doch was wird unter einem Biokunststoff eigentlich verstanden? Wo werden diese bereits eingesetzt? Und ist "Bio" wirklich gleich "Bio"? Wir geben die Antworten. Alles, was Sie zu dem Thema wissen sollten, erfahren Sie hier.
Aufgrund ihrer besonderen Charakteristik sind Ringöffnungspolymerisationen geeignet für eine Umsetzung im Extruder. Somit können auf Basis dieser Synthesen Verfahren der reaktiven Compoundierung realisiert werden, bei denen die Polymerisation und die Compoundierung zu einem integrierten Verfahren verbunden werden. Diese Umsetzung von Ringöffnungspolymerisationen im gleichläufigen Doppelschneckenextruder ist seit langem untersucht, beispielsweise am Institut für Kunststoffverarbeitung (IKV) in Aachen und am Institut für Kunststofftechnologie (IKT) in Stuttgart. Hierbei konnte schon frühzeitig nachgewiesen werden, dass eine Polymerisation im Doppelschneckenextruder trotz der kurzen Verweilzeiten möglich ist und auch hohe Molekulargewichte erreicht werden können.
So finden sich Monomer und Kettenende
Der eigentlich diffusionskontrollierte Prozess des Zueinanderfindens von Kettenende und Monomer wird hierbei durch die Materialumlagerung im Extruder stark unterstützt. Eine grundsätzliche Schwierigkeit besteht jedoch in der Prozessführung dahingehend, dass die Polymerisation an einem bestimmten Punkt im Extruder abgeschlossen sein und danach eine vollständige Restmonomer-Extraktion mittels Entgasung erfolgen soll. Eine alternative Extruderbauart, der Planetwalzenextruder, bietet gegenüber dem gleichläufigen Doppelschneckenextruder wesentliche Vorteile zum Umsetzen von Polymerisationsprozessen: Im Planetwalzenextruder können deutlich längere Verweilzeiten erreicht werden, und aufgrund der großen geschaffenen Oberflächen ist eine bessere Temperaturführung und eine stärkere Extraktionsleistung realisierbar. Die Polymer-Gruppe in Bad Sobernheim hat sich vor zehn Jahren ausführlich mit der Herstellung von PA6 auf Basis von Caprolactam in reaktiver Compoundierung beschäftigt. Trotz technischer Erfolge beispielsweise in Bezug auf die Restmonomerextraktion wurde das Projekt 2012 aufgrund der Dynamik der Märkte für PA6 und für Caprolactam eingestellt. 2020 wurde Sobico gegründet und die Entwicklungen zur reaktiven Compoundierung im Bereich der Biokunststoffe aufgenommen.
Welches Polymer zuerst entwickelt wurde
Das Unternehmen entwickelte zunächst ein besonderes Polymer, ein Copolymer, bestehend aus Sequenzen aus Polyol und PLA. Zielsetzung war es, ein weich modifiziertes PLA zu entwickeln, das keine Problematiken bezüglich Weichmachermigration aufweist. Die Lösung dafür lag auf der Hand: Ein Polyol-Weichblock, eingebunden in PLA-Blöcke, wobei die Hydroxylgruppe des Polyols als Startpunkt für die Ringöffnungspolymerisation von Lactid dient. Nach der erfolgreichen Synthese im Labormaßstab mit dem Projektpartner Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung (IAP) erfolgte die Übertragung des Prozesses von dem Laborreaktor auf einen kontinuierlichen Extruderprozess. Ende 2022 wurde nun der erste Produktionsextruder zum Herstellen der PLA-Copolymere aufgebaut und in Betrieb genommen.
Das ursprüngliche Entwicklungsziel war es, modifizierte PLAs herzustellen, die Eigenschaften ähnlich wie LDPE besitzen, dabei aber sowohl biobasiert sind und bioabbaubar sein können oder alternativ langfristig stabilisiert sind. Dieses Ziel wurde mit dem Plactid 13.000 erreicht:
- mechanisches Eigenschaftsbild ähnlich LDPE
- transparent, siegelbar, bedruckbar
- Lebensmittelkonformität
- leichte Verarbeitbarkeit in herkömmlichen Verfahren
- recycelbar (mechanisch und chemisch)
- 80 bis 98 % biobasiert, typische CO2 Footprint-Werte von 0,5 bis 1 kg CO2eq pro kg
- bioabbaubar oder optional langfristig stabilisiert
Wodurch das breite Materialportfolio möglich ist
Neben dem LDPE-Ersatz Plactid 13.000 wurde ein breites Portfolio an Plactid-Typen entwickelt, die MFI-Werte (190 °C/2,16 kg) von 0,5 bis 50 abdecken und die hinsichtlich ihrer mechanischen Eigenschaften von steifen, PLA-ähnlichen Typen bis zu weichen LDPE-ähnlichen Eigenschaftsprofilen alles abdecken (Bild 3). Möglich wird dieses breite Spektrum einerseits durch die Variation des Polyolanteils und andererseits durch unterschiedlich große Molekulargewichte. Die Vielfalt der – untereinander verträglichen – Plactid-Typen bietet interessante Ansatzpunkte, beispielsweise zur Verpackungsgestaltung. Hier können unterschiedlich harte und weiche Materialien in einer Verpackungslösung kombiniert werden und gemeinsam einem mechanischen Recycling zugeführt werden. Die entwickelten Plactid-Copolymere können hinsichtlich ihrer Stabilität eingestellt werden, von langfristig stabilisiert bis zu biologisch abbaubar unter unterschiedlichen Umgebungsbedingungen. Generell verhalten sich die PLA-Sequenzen der Plactid-Copolymere polyestertypisch, das heißt, sie sind empfindlich gegenüber Spaltung durch Hydrolyse. Die Hydrolyse der PLA-Sequenzen ist auch der vorbereitende Schritt für einen biologischen Abbau, da Bakterien nur kleinere Bruchstücke von PLA-Kettenmolekülen verstoffwechseln können. Für eine langfristige Stabilisierung muss die Hydrolysereaktion unterdrückt werden. Hierfür wurden Rezepturen in zwei Kategorien ausgearbeitet: mit und ohne Lebensmittelkonformität. Der Erfolg der Hydrolysestabilisierung wurde überprüft anhand der Zeit, innerhalb derer die mechanischen Eigenschaften von bei 65 °C in Wasser gelagerter Probekörper auf 50 % ihres Ausgangswertes absinken. Für unstabilisiertes PLA erfolgt dies innerhalb von 130 h, wohingegen mit Stabilisierung (Lebensmittelkontakt) eine Verlängerung auf circa 300 h erreicht wurde. Bei optimaler Stabilisierung (ohne Rücksicht auf Lebensmittelkontakt) wurden sogar Werte von knapp 700 h erreicht.
Wie Plactide abgebaut werden
Eine gegensätzliche Zielsetzung wird bei der Einstellung der Bioabbaubarkeit verfolgt. Die Plactid-Copolymere benötigen ebenso wie PLA erhöhte Temperaturen von oberhalb 60 °C. Daher sind Plactide ohne zusätzliche Additivierung nur unter den Bedingungen von industriellen Kompostieranlagen biologisch abbaubar. Sobico hat verschiedene Optionen zur Verbesserung der biologischen Abbaubarkeit untersucht. Bestimmte Monomere wie Carplacton oder Glykolid, die in der Lage sind, gemeinsam mit Lactid zu polymerisieren, können die PLA-Sequenzen destabilisieren, sodass ein Abbau des Copolymers beschleunigt und bei niedrigeren Temperaturen ermöglicht wird. Auch die Auswahl der Polyolkomponente kann für die biologische Abbaubarkeit förderlich sein oder zur verbesserten Stabilisierung beitragen. Zuletzt ist es natürlich möglich, die biologische Abbaubarkeit durch Additive und Blendpartner zu beeinflussen. Es wurden verschiedene Untersuchungen zur biologischen Abbaubarkeit von Plactid durchgeführt, zuletzt auch zu einer möglichen biologischen Abbaubarkeit in Meerwasserumgebung. Dabei wurde bei Lagerung in Meerwasser bei Temperaturen von 15 °C ein vollständiger Gewichtsverlust der Plactidproben (bei nachgewiesener CO2-Freisetzung) innerhalb von 150 Tagen erreicht.
Quelle: Sobico