Links drei durchsichtige Plastikflachen verschiedener Größe. Rechts zwei Plastikflaschen mit Struktur. Grafischer Vergleich der Zellkulturoberfläche unterschiedlicher Flaschen.

Grafischer Vergleich der Zellkulturoberfläche unterschiedlicher Flaschen. (Bild: Green Elephant Biotech)

Die Kultivierung adhärenter Zellen ist Grundlage vieler fortschrittlicher, lebensrettender Zell- und Gentherapien. Im Gegensatz zu Suspen-sionszellen wie Blutzellen, die in einer Flüssigkeit kultiviert werden können, benötigen adhärente Zellen beispielsweise Gewebezellen zum Wachsen eine Oberfläche, an der sie anhaften und dann in einer Zellschicht wachsen können. Ob einige wenige oder bis zu Millionen von Zellen – heutzutage werden sie in Zellbanken, akademischen Einrichtungen und der biopharmazeutischen Produktion meist in Einweggefäßen aus Polystyrol kultiviert. Etwa 10 Mio. t an Plastikmüll aus meist nicht-erneuerbaren Rohstoffen entstehen so allein in Laboren weltweit jedes Jahr. Nach der Verwendung werden diese Einwegsysteme verbrannt und dabei viele Tonnen CO2 freigesetzt. Eine Studie von 2019 geht davon aus, dass der gesamte Gesundheitssektor für etwa 4,4 % der gesamten weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich ist. Der größte Anteil dieser Emissionen (71 %) entstehen in der Lieferkette, also bei Produktion, Transport, Nutzung und der Entsorgung der Verbrauchsgüter. Das stellt schon heute eine hohe Umweltbelastung dar. Um die Sicherheit für die Patienten und Patientinnen zu gewährleisten, ist Einwegkunststoff trotzdem nicht aus dem Labor wegzudenken. Mit steigendem Produktionsvolumen im biopharmazeutischen Bereich – Prognosen gehen von einem jährlichen Wachstum von rund 10 % aus – wird zukünftig noch mehr Einwegplastik benötigt werden. Green Elephant Biotech, Gießen, setzt als weltweit erstes Unternehmen Polylactide (PLA) für Zellkulturgefäße ein, um so den Weg für eine klimafreundlichere biopharmazeutische Produktion zu ebnen.

Zwei Nadelöhre in der biopharmazeutischen Produktion

Querschnitt durch die neuartige Zellkulturflasche.
Querschnitt durch die neuartige Zellkulturflasche. (Bild: Green Elephant Biotech)

Herkömmliche Zellkultursysteme belasten aber nicht nur das Klima: Sie benötigen viel von ohnehin knappen Labor- und Produktionskapazitäten. Denn Zellkultivierung erfordert viele manuelle Arbeitsschritte, die hohe Kosten verursachen können. Der Mangel an Laborkapazitäten ist ein entscheidendes Nadelöhr bei der Entwicklung, aber auch der Produktion von fortschrittlichen Therapien, beispielsweise gegen Krebs, chronische Erkrankungen und auch bei der Impfstoffherstellung. Zusätzlich benötigt der boomende Markt von zellbasierten Lebensmitteln wie beispielsweise kultiviertes Fleisch, Herstellungskapazitäten. Um beide Probleme – knappe Produktionskapazitäten und hohe Kohlenstoffdioxid-Emissionen – auf einmal anzugehen, hat das Biotech-Start-up Green Elephant ein neuartig aufgebautes, patentiertes Zellkultursystem aus PLA entwickelt – die Cellscrew.

Deshalb ist PLA eine zuverlässige Alternative

Im Gegensatz zu herkömmlichen Zellkulturgefäßen aus Polystyrol wird bei der Cellscrew nach der Entsorgung nur die Menge an Kohlenstoffdioxid freigesetzt, die zuvor in der Mais- oder Zuckerrohrpflanze, also dem Grundstoff von PLA, gebunden war. Neben dem geringen CO2-Ausstoß bietet der Einsatz des Biopolymers für das Zellkultursystem weitere Pluspunkte: Da PLA ungiftig und biokompatibel ist, ist es in der Medizintechnik gut erprobt und häufig eingesetzt, zum Beispiel für das Herstellen von Implantaten oder Prothesen. Diese Eigenschaften machen das Material auch für die Zellkultur nützlich. Dank der zahlreichen Aufreinigungsverfahren nach der PLA-Herstellung weisen die Produktionschargen nur eine geringe Qualitätsvarianz auf, was den Biokunststoff zu einem verlässlichen Material im biopharmazeutischen Bereich macht. Das Biopolymer kann zudem gut oberflächenbehandelt werden, um das Material für Zellwachstum und -anhaftung zu optimieren. Das Start-up macht sich bei der Cellscrew auch die gute thermische Verarbeitbarkeit von PLA zunutze.

Additive Fertigung vergrößert Wachstumsoberfläche

Denn das Besondere des Zellkulturgefäßes liegt in seiner inneren Struktur. Durch die Rotation mithilfe eines Rollergeräts transportiert eine archimedische Schraube das Zellkulturmedium durch die Flasche, während mehrere konzentrische Zylinder eine enorm große Wachstumsoberfläche für die adhärenten Zellen bilden. Mit diesem Aufbau werden für die Zellkultur wichtige Bedingungen geschaffen: Eine gute Durchmischung des Mediums und ein gründlicher Gasaustausch bei gleichzeitig geringer Scherkraft. Möglich wird diese filigrane innere Struktur durch die additive Fertigung. Im Vergleich zu herkömmlichen Gefäßen, die meist im Spritzgussverfahren hergestellt sind, kann für die gleiche Wachstumsoberfläche so bis zu 80 % an Material eingespart werden. Das Gefäß wird am Stück gefertigt, sodass nach dem Druck keine weiteren Herstellungsschritte notwendig sind. Nach dem Fertigstellen wird die Cellscrew noch TC (tissue culture) oberflächenbehandelt und durch Gamma-Bestrahlung sterilisiert. Die additive Fertigung macht die Produktion der Zellkulturflaschen für das Start-up außerdem gut skalierbar. Statt der Anfertigung teurer Spezialwerkzeuge braucht es für mehr Output lediglich zusätzliche 3D-Drucker und Filament.

Deshalb werden 133 Zellkulturflaschen ersetzt

Die patentierte Struktur des Zellkulturgefäßes soll es Forschungslaboren und der biopharmazeutischen Produktion aber nicht nur ermöglichen, ihre Klimabilanz für Einweg-Labormaterial um bis 90 % zu verbessern, sondern auch ihre Prozesse zu optimieren. Durch die große Wachstumsoberfläche in nur einem Gefäß können bis zu 133 herkömmliche Zellkulturflaschen ersetzt werden, was wiederum Platz in begrenzten Labor- und Produktionsräumen einspart. Andere auf dem Markt erhältliche Systeme mit ähnlich großen Wachstumsoberflächen sind schwerer, unhandlicher und benötigen zudem mehr Raum. Außerdem können viele manuelle Arbeitsschritte eingespart und vereinfacht werden. Bei der Kultivierung von adhärenten Zellen sind zahlreiche präzise ausgeführte Arbeitsschritte vom Fachpersonal notwendig. Daher macht es die Produktion umso aufwendiger, je mehr und je schwerer die Zellkulturgefäße sind, die verwendet werden. In einem Umfeld, in dem Fachkräfte rar sind, bietet die neuartige Zellkulturflasche mit ihrer großen Wachstumsoberfläche in nur einem Gefäß die Möglichkeit, Prozesse zu optimieren und so Produktionskapazitäten zu intensivieren. Eine weitere Herausforderung in der biopharmazeutischen Produktion ist oft die Skalierung von Prozessen: Wie können Prozesse, die im Labor funktionieren, in einen Produktionsmaßstab überführt werden? All diese Prozesse müssen genaustens überprüft, dokumentiert und eingehalten werden. Das prämierte Produkt kann über alle Entwicklungsstufen hinweg eingesetzt werden. Soll die Produktion der Zellen vom Labormaßstab auf einen Produktionsmaßstab skaliert werden, müssen die Prozesse bei der Cellscrew nur geringfügig angepasst werden, wobei die Wachstumsbedingungen für die Zellen sehr ähnlich bleiben.

Plastikflasche mir roter Flüssigkeit drin.
Mit der neuartigen Zellkulturflasche können Prozesse optimiert und die Produktionskapazitäten erhöht werden. (Bild: Green Elephant Biotech)

Alles zum Thema Biokunststoffe

Eine Hand reißt einen Papierstreifen weg. Darunter steht das Wort "Biokunststoff"
Wissenswertes über Biokunststoffe finden Sie in unserem Übersichtsartikel. (Bild: thingamajiggs - stock.adobe.com)

Auf dem Weg zu einer klimaneutralen Zukunft müssen verschiedenste Rädchen ineinander greifen. Doch wie schaffen wir es, die Dekarbonisierung unserer Gesellschaft umzusetzen? Biokunststoffe sind ein wichtiger Hebel um diesem Ziel näher zu kommen. Doch was wird unter einem Biokunststoff eigentlich verstanden? Wo werden diese bereits eingesetzt? Und ist "Bio" wirklich gleich "Bio"? Wir geben die Antworten. Alles, was Sie zu dem Thema wissen sollten, erfahren Sie hier.

PLA auch für Standard-Laborprodukte

Auch wenn PLA in der biopharmazeutischen Produktion heute noch wenig verbreitet ist, setzt Green Elephant Biotech ganz auf das Biopolymer. Neben einem patentierten, vollautomatisierten Zellkultursystem, das auf der Cellscrew basiert, wird das Produktportfolio derzeit um weitere Standard-Laborprodukte aus dem nachhaltigen Material erweitert. Dazu startet das Unternehmen demnächst in die nächste Seed-Fundraising-Runde.

Quelle: Green Elephant Biotech

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