Mit dem neuen Zentrum für vernetzte Oberflächen- und Lacktechnik will das Institut vollständig automatisierte Prozessketten für robotergeführte mobile und inline-fähige Anwendungen zum Serieneinsatz entwickeln. Vollautomatisierte und digitale Prozesse sind heutzutage das Ziel in der industriellen Behandlung und Bearbeitung von Bauteiloberflächen – insbesondere mit Blick auf Flexibilität, Prozesseffizienz und Qualitätssicherung. So lassen sich Kosten senken, die Qualität verbessern, Durchsatzraten erhöhen und Materialeinsparungen sowie Nachhaltigkeit realisieren. Nicht zuletzt wird auch die Arbeitssicherheit der Beschäftigten erhöht.
Aktuelle Herausforderung ist die digitale Vernetzung aller Arbeitsschritte in Verbindung mit der eingesetzten Technik in Oberflächenbehandlungs- und Beschichtungsprozessen. Um ein besseres Verständnis über den gesamten Prozess zu gewinnen und Entwicklungen sicher und schnell voranzutreiben, betrachten das Fraunhofer IFAM die gesamte Wertschöpfungs- und Prozesskette von der Oberflächenbehandlung bis zum lackierten Bauteil. Dabei wird die Prozesskette digital abgebildet und um Interaktionsmöglichkeiten mithilfe von Virtual und Augmented Reality (AR) ergänzt. Forschungs- und Entwicklungsziele sind beispielsweise die Realisierung digital vernetzter Oberflächentechniksysteme und -prozesse als auch die Prozess- und Qualitätsoptimierung durch maschinelles Lernen und den Einsatz von AR-/VR-Methoden.
Wie wird Virtual Reality in der Industriepraxis umgesetzt?
Virtual Reality, Augmented Reality, Internet-of-Things – digitale Tools und Methoden, die virtuelle Modelle mit realen Bauteilen verknüpfen, sind bei Oberflächenbehandlungs- und Lackierprozessen die zukunftsweisenden Anwendungen. Richtig implementiert bieten sie ein enormes Potenzial für die Produktenwicklung, Prozesseffizienz und Qualitätssicherung. Aktuelle Herausforderungen sind die Speicherung und Verwaltung relevanter Daten, eine Erstellung von zuverlässigen Modellen und belastbaren Simulationen, die korrekte Datenbereitstellung und durchgängiger Datenfluss entlang der gesamten Prozesskette, eine automatisierte Einbeziehung relevanter Daten zur Optimierung der Prozessschritte und die Integration von Schnittstellen für Mensch-Maschinen-Interaktionen. Branchenvertreter erkennen die Vorteile digitaler Tools und Methoden sofort.
Die Technologien in den eigenen Behandlungs- und Lackierprozess zu integrieren ist allerdings äußerst komplex. Genau dort setzt das neue Zentrum für vernetzte Oberflächen- und Lacktechnik an. Mit diesem ganzheitlichen, anwendungsorientierten und praxisnahen Angebot für Industrie- und Forschungspartner können Verfahren bedarfsgerecht ausgewählt und für individuelle Fertigungsbedingungen optimiert werden. Zudem können kommerzielle Beschichtungsprozesse nachgestellt und optimiert werden.
Hier wird die gesamte Prozesskette abgedeckt
Vorbehandeln mit Plasmatechnologie und Entschichten mit Lasertechniken sind Präzisionsverfahren, um Oberflächen von Bauteilen für weitere Bearbeitungen in der Prozesskette, etwa für Klebungen oder Lackierungen, vorzubereiten. Geringste Schwankungen in den Prozessparametern oder Ausgangsstoffen können schwerwiegende Folgen bis hin zum Bauteilversagen haben. Oberflächenvorbehandlungsprozesse müssen also äußerst kontrolliert erfolgen. Um Prozessschwankungen entgegenzuwirken, forscht das Fraunhofer IFAM daran, diese Prozesse mit optischen und spektroskopischen Überwachungsmethoden in Kombination mit künstlicher Intelligenz selbstjustierend zu gestalten und damit sicherer zu machen.
Insbesondere Vorbehandlungsprozesse mit selbstlernenden Algorithmen zu steuern, ist ein Ansatz. Hierbei werden im ersten Schritt mittels inline-fähiger spektroskopischer Verfahren charakteristische Emissionen dieser Prozesse, Ist-Werte der Prozessparameter und die resultierenden Produkteigenschaften erfasst. Hierzu eignet sich beispielsweise der Einsatz einer hochauflösenden Hyperspektralkamera. In einem zweiten Schritt werden diese Daten mit bestehenden Algorithmen aus dem Machine Learning Bereich sowie KI-Verfahren verknüpft und Zusammenhänge zwischen diesen Daten erlernt. Auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse lassen sich in Echtzeit Abweichungen im Prozess sicher erfassen und Gegenmaßnahmen einleiten, um schließlich auch bei variablen Eingangsgrößen, z. B. bei Prozessinstabilitäten oder variablen Ausgangszuständen, einen reproduzierbaren Oberflächenzustand zu erhalten.
Der anschließende Lackierprozess und vor allem das -ergebnis hängt neben der genannten Vorbehandlung und dem Beschichtungsmaterial von der gewählten Applikationstechnik ab. Verschiedenste Techniken von pneumatischer über Airless bis zur elektrostatisch unterstützten Lackierung sind am Markt verfügbar und führen nicht selten zu unterschiedlichen Lackierergebnissen, selbst wenn ein identisches Beschichtungsmaterial verwendet wird. Eine Aufgabe der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Zentrums wird es sein, den Einfluss der Applikationstechnik auf das Lackierergebnis zu untersuchen, um dann mit diesem Wissen übertragbare Vorhersagemodelle zu entwickeln. Für diese Aufgaben steht ein Lackierroboter zur Verfügung, der sich durch eine Reichweite von über 2.600 mm und eine Traglast von bis zu 45 kg auszeichnet, sodass er auch für lacktechnische Fragestellungen aus der Luft- und Raumfahrtbranche eingesetzt werden kann.
Zur Absicherung der Prozesse und zur schnellen Ermittlung von Material- und Fertigungsdaten werden zur Qualitätssicherung diese digitalen Lösungen für die mobile und inline-fähige Anwendung entwickelt. Hierbei liegt der Fokus auf der Entwicklung neuer Messmethoden von der Laboranwendung bis zum Einsatz unter Realbedingungen. Insbesondere berührungslose spektroskopische Verfahren im kurzwelligen Infrarotbereich und Ultraviolett-Bereich stehen hier zur Verfügung.
Durch die digitale Abbildung der gesamten Wertschöpfungskette und der Implementierung von künstlicher Intelligenz können die jeweiligen Prozessschritte besser verstanden und in physikalische Modelle überführt werden. Prozessparameter können so für verschiedene Bauteile und Oberflächenzustände bedarfsgerecht eingestellt, die Interaktionen mit nachfolgenden Prozessschritten vorhergesehen und das gewünschte Beschichtungsergebnis erzielt werden.
Quelle: Fraunhofer IFAM
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