Im Hintergrund eine gezeichnete Uhr - davor ein orangenes Rollenklemmengehäuse mit Schlauch. Das orangefarbene Rollenklemmengehäuse als Bestandteil des Intrafix Safeset für Infusionsgeräte für Druck- und Schwerkraftinfusionen wird beim Medizintechnik-Produzenten B. Braun über das Jahr in millionenfacher Auflage produziert.

Das orangefarbene Rollenklemmengehäuse als Bestandteil des Intrafix Safeset für Infusionsgeräte für Druck- und Schwerkraftinfusionen wird beim Medizintechnik-Produzenten B. Braun über das Jahr in millionenfacher Auflage produziert. (Bild: B. Braun)

Das Rollenklemmengehäuse ist Bestandteil des Intrafix Safeset und muss eine hochpräzise und gleichzeitig komfortable Tropfenrate bei der Infusionstherapie sicherstellen. Das Kunststoffbauteil verlässt jährlich in millionenfacher Auflage fertig montiert und verpackt das Werk von B. Braun in Melsungen. Der Fertigungsprozess des Produkts wird seit Sommer 2023 über Inline-Regelungen selbstständig im Prozessfenster geregelt. Konkret über das Assistenzsystem IQ Weight Control auf einer Spritzgießmaschine E-Mac – beide vom österreichischen Spritzgießmaschinenhersteller Engel kommend. „Vor allem der Wunsch, die Robustheit des Prozesses zu erhöhen, diesen also stabil zu gestalten“, so Andreas Wettlaufer-Ganz, Teamleiter Projekt-/Prozessbetreuung Einzelteile bei B. Braun, war hierbei ausschlaggebend. Damit konnte das manuelle Nachregeln durch den Maschinenbediener an der Spritzgießmaschine deutlich reduziert werden. Bei IQ Weight Control handelt es sich um eine softwarebasierte Produktionsunterstützung, die Prozessparameter in Echtzeit noch während des laufen-den Spritzgießzyklus anpasst. So wird eine konstant höhere Qualität des Rollenklemmengehäuses sichergestellt. Der Spritzdruck über der Schneckenposition wird von dem Programm mit einer Referenzdruckkurve verglichen. Gleichzeitig detektiert es Abweichungen von Einspritzvolumen und Viskosität des Materials in nur Bruchteilen von Sekunden. Umschaltpunkt und Nachdruck werden jeweils Schuss für Schuss automatisch angepasst. Dafür wurden die Grenzwerte für jeden einzelnen Fertigungsprozess, insbesondere der Umschaltpunkt und die Nachdruckhöhe als Parameter validiert. „Das Regeln in jedem einzelnen Schuss durch das Assistenzsystem von Engel schafft uns eine höhere Wiederholgenauigkeit im Prozess und macht das Regeln im Nachhinein entbehrlich“, beschreibt Wettlaufer-Ganz den Vorteil für eine stabile Serienfertigung, bei dessen Unterstützung der Ausschuss zudem deutlich verringert wird. „Der Trend für die Digitalisierung in der kunststoffverarbeitenden Industrie ist tatsächlich kein Trend mehr, sondern heutzutage ein Muss.“ Im Rahmen der geplanten Neuinvestition in den Maschinenpark wurde intern die Vorbereitungen für die Nutzung der digitalen Assistenzsysteme diskutiert. „Es nutzt mir nichts, wenn die Maschine etwas kann, es aber in der Praxis nicht zur Anwendung kommt.“

Die Engel-Spritzgießmaschine E-Mac: Für B. Braun war der geringe Platzbedarf ein wichtiges Kriterium bei der Investition.
Die Engel-Spritzgießmaschine E-Mac: Für B. Braun war der geringe Platzbedarf ein wichtiges Kriterium bei der Investition. (Bild: B. Braun)

Einbinden in die Prozessvalidierung

ein Spritzgießwerkzeug mit blauen und roten großen Schläuchen. Die Erhöhung der Kavitätenanzahl im Spritzgießwerkzeug unterstützt Engel mit einem erweiterten Angebot von Spritzgießmaschinen mit deutlich höheren Schließkräften für die Reinraumproduktion.
Die Erhöhung der Kavitätenanzahl im Spritzgießwerkzeug unterstützt Engel mit einem erweiterten Angebot von Spritzgießmaschinen mit deutlich höheren Schließkräften für die Reinraumproduktion. (Bild: B. Braun)

Für Produkte, die in der Medizin verwendet werden, fordern die EN-ISO respektive die Medical Devices Regulation (MDR) für Europa und die FDA-Verordnung für die USA detaillierte Dokumentationen während der gesamten Prozessplanung und der Fertigungsphase. Nachzulesen ist dort, dass Produktionsprozesse, deren Ergebnis nicht durch nachfolgende Überwachung oder Messung verifiziert wird, validiert werden müssen. Beim Einbinden des Assistenzsystems in die notwendige Prozessvalidierung kam vor der Praxis erst einmal die Theorie. Denn die eigentliche Herausforderung ergibt sich aus der dynamischen Prozessregelung, die es in den Validierungsablauf einzubinden gilt. Der Schlüssel zum Erfolg liegt hier in der Definition von Prozessfenstern. „Für uns war es wichtig, dass das Prozessfenster durch das IQ Weight Control nicht reduziert wird. Also wir mussten nicht unseren Prozess an IQ Weight Control anpassen. Wir haben es nur dafür genutzt, dieses in den bereits fest definierten Grenzen einzustellen“, klärt Wettlaufer-Ganz auf. „Unser System passt sich zu 100 Prozent dem Produkt an, und an dem eigentlichen Prozess muss nichts verändert werden“, ergänzt Norman Buls, Medicalspezialist und Vertrieb von Medicalmaschinen am Engel-Standort Hannover.

Im Wesentlichen durchläuft dieser Prozess der Validierung in Melsungen nach einem etablierten Verfahren mit insgesamt vier Schritten ab, damit schlussendlich der Prozess die Ergebnisanforderungen permanent erfüllt. In der DOE (Design of Experience) werden im Vorfeld der Prozessvalidierung diese Grenzen in einem statistischen Versuchsplan – bei diesem Projekt umfasste dieser 20 Punkte – abgefahren. Basierend darauf bildete man anschließend Grenz-werte als Worst-Case-Kombination, mit denen immer noch Gutteile in einem zulässigen Toleranzbereich produziert werden, hinterlegt als Parameter für definierte Prozessgrenzen in der CC300-Steuerung der Spritzgießmaschine E-Mac mithilfe von IQ Weight Control. Die IQ (Installation Qualification) als Qualifizierungsschritt konnte in diesem Prozess außen vor bleiben, weil dieser bereits beim Start der Produktion ohne das Assistenzsystem durchgeführt wurde. In der Operational Qualification (OQ) stehen die zuvor definierten Grenzen des Prozesses im Fokus. Geprüft wurden diese Werte in Versuchen mit den vorgeschriebenen Prüfmengen. „Diese werden dann bestätigt, um mit den theoretischen Werten der Worst-Case-Einstellungen aus der DOE immer noch spezifikationsgerechte Teile produzieren zu können“, erklärt Wettlaufer-Ganz, der dabei auch die Aspekte der zuvor durchgeführten Risikoanalyse mit einfließen lässt. In dem Schritt der Performance Qualification (PQ) geht es dann in einem letzten Validierungsschritt darum, die Ergebnisse über einen längeren Zeitraum zu testen. „Hier haben wir 24 Stunden am Stück produziert.“ Währenddessen werden dann mehrfach Produktproben entnommen, die dann noch einmal separat auf eine valide spezifikationsgerechte Teilequalität hin überprüft werden. Ganz wichtig sind in dieser Phase stabile Prozessabläufe, die es dann kontinuierlich zu erreichen gilt. „Vor dem eigentlichen Validierungsprozess haben wir eigene Versuche gefahren. Einmal mit dem Einsatz des Assistenzsystems im direkten Vergleich zur Produktion ohne dessen Einsatz. Von der relativen Streuung der Ergebnisse ließ sich bereits ableiten, dass es sich lohnen wird, den Validierungsprozess bei uns im Hause anzuschieben“, sagt Wettlaufer-Ganz. Er ergänzt: „Der Prozess der Validierung in der Spritzgießtechnik läuft intern immer nach demselben Schema ab.“

Drei Männer mit weißen Lanharmhemden und Brillen. Der Mann in der Mitte trägt einen Bart. Andreas Wettlaufer-Ganz (Bildmitte), Teamleiter Projekt-/Prozesssteuerung in der Einzelteilfertigung bei B. Braun sowie Stefan Witt und Norman Buls (von links), Medicalspezialisten am Engel-Standort Hannover.
Andreas Wettlaufer-Ganz (Bildmitte), Teamleiter Projekt-/Prozesssteuerung in der Einzelteilfertigung bei B. Braun sowie Stefan Witt und Norman Buls (von links), Medicalspezialisten am Engel-Standort Hannover. (Bild: Bilder: B. Braun)

Vorteile in der Serienfertigung

Seitens Engel wurde der Einfluss des Assistenzsystems auf das konstante Bauteilgewicht hin untersucht. Gefertigt wurde das Produkt auf einer hauseigenen Spritzgießmaschine. In der Voruntersuchung wurde in einer Schicht, also mit acht Produktionsstunden, gemessen. „Wir können hier nachweislich von einer erfolgreichen Integration von IQ Weight Control sprechen“, wie Stefan Witt konstatiert. Es wurden bei der gemessenen Abweichung mit dem Assistenzsystem im Vergleich zur Produktion ohne Unterstützung spürbare Verbesserungen erzielt. Das Einspritzvolumen korreliert mit dem Bauteilgewicht, sodass Einspritzvolumen und Viskositätsänderung als zuverlässige Überwachungsgrößen genutzt werden können. Auch Hersteller in der Medizintechnik stehen unter Kostendruck. Die Erhöhung der Kavitätenanzahl zur Steigerung des Outputs ist ein Trend, der auch vor der Medizintechnik nicht Halt macht, um wettbewerbsfähige Stückkosten zu erreichen. Das kann auch Wettlaufer-Ganz bestätigen. Engel unterstützt diesen Trend bereits mit dem Angebot von Spritzgießmaschinen mit deutlich höheren Schließkräften für die Reinraumproduktion. „Vor dem Hintergrund steigender Preise müssen wir effizienter produzieren“, sagt Wettlaufer-Ganz und nennt Faktoren wie Energie, Material oder Reinraumfläche der Klasse D als Kostentreiber. Produziert wird bei B. Braun aktuell an sechs Tagen im Drei-Schicht-Betrieb. „Mengensteigerungen können wir dann im Idealfall am einfachsten über die Erhöhung der Kavitätenanzahl im Werkzeug abfangen“, verrät Wettlaufer-Ganz und fügt hinzu: „Ich denke, dass dieses Assistenzsystem auch bei einem Werkzeug mit wenig Kavitäten seine Vorteile ausspielt“ und spielt dabei auf die angedachte Umsetzung für andere Produkte aus dem Portfolio des Unternehmens an. Im Engineering-Team von B. Braun hat man die einzelnen Assistenzsysteme von Engel bereits im Blick.

Quelle: Engel Austria, B. Braun

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