Prüfkörper für Zug- und Druckversuche. Links die gebogene Armierung. Rechts zwei umspritzte Varianten mit unterschiedlicher Anzahl Armierungen.

Prüfkörper für Zug- und Druckversuche. Links die gebogene Armierung. Rechts zwei umspritzte Varianten mit unterschiedlicher Anzahl Armierungen. (Bild: 1A Autenrieth-Kunststofftechnik)

Wie so oft ist ein Irrtum Grundlage für eine neue Idee. Als Ronald Müller vor knapp zehn Jahren an einem Fiber-Placement-Verfahren mit Robotereinsatz forscht, erkennt er, dass diese für den industriellen Einsatz in Großserien ungeeignet sind. Auf der Suche nach Alternativen kommt dem Luft- und Raumfahrtingenieur die Idee, thermoplastische Faserverbund-Profile herzustellen und diese in vorgegebene, lastpfadorientierte Formen zu biegen. Weil Pultrusion, auch Strangziehverfahren genannt, mit Thermoplasten damals selbst noch unausgereift war, gibt es keine oder kaum Entwickler, die sich mit der (Biege)-Umformung endlosfaserverstärkter thermoplastischer Profile beschäftigen oder gar Erfahrungen besitzen. Ronald Müller, jetzt Vertriebsmitarbeiter 1A Autenrieth, setzt auf beide Verfahren und will sie entwickeln. Er gründet zusammen mit einem Maschinenbauer und einem Ingenieurbüro 2018 im schwäbischen Plochingen das Start-up Carbon Armors. Doch wie bei mancher Gründung während der Corona-Pandemie und den daraus resultierenden Sparrunden bei interessierten Firmen, platzt die Finanzierung der kostenintensiven Entwicklung. 2021 schließt das Start-up. Das 2020 begonnene Projekt Drift (Drahtförmige Inserts zur lastgerechten Faserverstärkung spritzgegossener Thermoplastbauteile), welches das BMBF unter dem Aspekt Materialforschung förderte, wird von 1A Autenrieth Kunststofftechnik fortgeführt. Gemeinsam mit den Projektpartnern (Carbon Armors, Brose, Porsche, Fraunhofer IGCV, Kube, Wadios) schließt das Unternehmen ein knappes Jahr später das Projekt ab. Die Heroldstätter haben zusammen mit dem Konsortium die Serienfähigkeit der Prozessschritte und die Wirksamkeit durch Demonstratorbauteile für die Automobilindustrie nachgewiesen.

Das steckt hinter der Technologie

Fasern aus Carbon oder Glas sind leicht und werden wegen ihrer mechanischen Eigenschaften gerne als Verstärkungsmaterialien eingesetzt. Voraussetzung: Die Fasern sind entlang des Kraftflusses im Bauteil eingebettet. Aus dieser Vorgabe ergeben sich Aufgaben für das Verfahren, wie die gleichmäßige (unidirektionale) Anordnung der Fasern. Bei der Pultrusion werden Fasern durch ein Harzbad gezogen und beim Durchlaufen in einer Form ausgehärtet. Gängige Harzsysteme sind Vinylester oder Epoxid. Der Nachteil an diesen Harzen ist, dass diese duroplastisch sind und nach dem Aushärten nicht mehr durch Hitze plastifiziert und damit nicht mehr umgeformt werden können. Um umformbare Profile herzustellen, musste der Pultrusionsprozess für den Einsatz mit Thermoplasten weiterentwickelt werden. Entstanden ist das Rebar Reinforcement, bei dem durch (mehrfaches) Biegen anwendungsspezifische Profile entstehen, die dem Kraftfluss folgen. Aufgebaut wird auf dem Prinzip der konventionellen Draht- und Rohrbiegetechnik. Wobei das zusätzliche Beheizen sowie das faser- und laminatschonende Umformen herausfordernd sind. Die Profile besitzen folgendes Eigenschaftsprofil: Rebar Reinforcement ist lokal im Bauteil einsetzbar; die Taktzeiten sind kurz, da die Armierungen einfach zu handhaben und einzulegen sind; individuelle Biegeformen entfallen, was das Verfahren flexibel macht. Der Rohstoffeinsatz wird laut Hersteller effizienter, weil Fasern sparsam eingesetzt werden und der Prozess nahezu verschnittfrei ist. Zudem lassen sich die Bauteile aufgrund der thermoplastischen Matrix recyceln.

Sorgt für Festigkeit und Stille

Das Verfahren dient der lokalen Verstärkung von spritzgegossenen Bauteilen. Lastgerecht geformt – also dem durch äußere Kräfte resultierenden inneren Kraftfluss folgend – trägt die Armierung aus Endlosfasern dazu bei, dass hochbelastete Bereiche im Bauteil verstärkt werden können. „Und zwar weit über die Leistungsfähigkeit des unverstärkten Kunststoffes hinaus“, erklärt Steffen Autenrieth, Geschäftsführer 1A Autenrieth. Deutlich wird dies bei Schraubenlöchern oder Lagern. Sie sind in jedem Bauteil aufgrund der Bindenähte eine Schwachstelle – vor allem bei faserverstärkten Kunststoffen. Mit Rebar Reinforcement können diese Bereiche durch Schlaufenelemente verstärkt und so Lasten besser eingeleitet werden. „Die Technologie hat daher das Potenzial, Aluminium zu substituieren“, ist sich der Ronald Müller sicher. Auch im Bereich NVH (Noise, Vibration and Harshness) eignet sich diese Technologie. Denn die Armierungen aus Endlosfasern sind durch ihre Einbettung bauraumneutral und führen zu keiner Massezunahme. Durch die so erzeugte Steifigkeit lassen sich Eigenfrequenzen erhöhen. Beispielsweise führt bei einem Ventildeckel für eine variable Nockenwellenverstellung die Zusatzmasse durch Stellmotoren zu Schwingungsproblemen. Die lokale Armierung im Befestigungsbereich der Motoren versteift gezielt das Bauteil – ohne zusätzliche Masse. Die Eigenfrequenzen werden bis zum Eigenmode von +28 Hz angehoben, wodurch sie im Wageninneren eliminiert sind.

Kunststoff für die CO2-Bilanz

Wer bisher einen Motorträger fertigen will, greift derzeit auf Metall zurück. Denn aktuell existieren keine im Spritzguss verarbeitbaren Kunststoffe, welche die von der Industrie geforderte Festigkeit mitbringen. Durch die gebogenen Armierungen können hochbelastete Bereiche so verstärkt werden, dass Kunststoffbauteile einsetzbar sind. Bei dieser Anwendung ist das lokal armierte Bauteil rund 30 % belastbarer als Vergleichsbauteile aus Aluminium. Aluminium wird aus CO2-Sicht zunehmend zum K.o.-Kriterium – Kunststoff schneidet besser ab. Allerdings müssen die geforderte Steifigkeit und Festigkeit beim Einsatz eines Alternativwerkstoffs garantiert sein. Bauteile mit hauptsächlich einachsigem Spannungszustand (Zug-Druck) erreichen durch die Technologie ähnliche Steifigkeiten wie Aluminium – im Fall der untersuchten Spurstange mit 25 % weniger Gewicht und einem rund 20 % geringeren CO2-Fußabruck. Die im Förderprojekt Drift ermittelten Kennwerte führen dazu, die Simulationsmodelle zu verbessern und somit Anwendungen „virtuell“ auf ihr Potenzial zu bewerten. „Wenn immer mehr Entwickler die Technologie kennen und verstehen, wird sich ein Bedarf entwickeln“, vermutet Autenrieth. Er gibt zu, dass nicht jedes Bauteil gleichermaßen geeignet sei und die Entwicklung von Hybridbauteilen aufgrund vieler Wechselwirkungen – mechanisch und prozessseitig – sei komplex, deshalb erhalten interessierte Unternehmen Hilfestellung.

Quelle: 1A Autenrieth Kunststofftechnik

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