Links drei grüne Pfeile im Kreis - dahinter Plastiktüten und zwei Plastikflaschen. Rechts fünf bunte Legosteine aufeinander und nebeneinander gebaut. Verschiedene Rohmaterialien und enge technische Vorgaben des Kunden.

Verschiedene Rohmaterialien und enge technische Vorgaben des Kunden. (Bild: Citrine Informatics)

Das Recycling von Kunststoffen ist wichtig. Je mehr recycelt wird, desto weniger natürliche Ressourcen werden benötigt. Die meisten Chemieunternehmen haben inzwischen Nachhaltigkeitsziele und versuchen, nachhaltige Produkte zu produzieren. OEMs geben Nachhaltigkeitskriterien vor und in den verschiedenen Märkten gibt es inzwischen Gesetze, die das Recycling fordern. Die Motivation ist groß, herauszufinden, wie Kunststoffe effizient zu hochwertigen Werkstoffen recycelt werden können.  

Warum das schwierig ist

Die Rezyklate, die als Rohstoffe für Compounds verwendet werden, unterscheiden sich deutlich, da sie verschiedenen Quellen entstammen. Recycelte Polymere haben verschiedene Molekulargewichte und Dichten. Durch schlechte Trennung kann es zu Verunreinigungen kommen, beispielsweise durch die Beimischung anderer Polymere oder durch Farbstoffe. Diese Zusatzstoffe können die mechanischen und funktionellen Eigenschaften des recycelten Endmaterials beeinflussen. Die Kunststoffverarbeiter hingegen haben strenge Anforderungen und wollen einen Werkstoff mit gleichbleibenden Eigenschaften, um ein hochwertiges Produkt zu erzeugen. Um diese Aufgabe zu bewältigen, müssen die Hersteller von Rezyklatmischungen ihre Formulierungen ständig an die Eigenschaften und die Beschaffenheit der eingehenden Rezyklate anpassen. Je schneller die Hersteller mit möglichst wenig Experimenten neu formulieren können, desto rentabler ist das Unterfangen.

Wie kann KI helfen?

Nachfolgendes Beispiel zeigt, wie dieser flexible Neuformulierungsprozess funktioniert. Annahme: Es soll ein Schutzhelm hergestellt werden. Hierfür werden wegen ihrer relativ hohen Schlagzähigkeit ABS-Kunststoffe verwendet. Jedoch wird die Schlagzähigkeit durch das mechanische Recycling verringert. Für den Helm wird eine ABS-Rezeptur mit einer Schlagzähigkeit von mehr als 0,4 kJ/m² sowie weitere Eigenschaften und Kostenvorgaben benötigt. Außerdem soll die Rezeptur mindestens 20 % einer neuen Charge von recyceltem Material enthalten, das gerade beim Compoundeur neu angeliefert wurde. Alle möglichen Rohstoffe – verschiedene Arten von ABS, Additive und Füllstoffe – werden nun mit ihrem Namen, ihrer Bezeichnung wie Flammschutzmittel und ihren Eigenschaften, einschließlich chemischer Formeln, sofern bekannt und im Fall von ABS mit ihrem Butadiengehalt in die KI-Plattform eingegeben. Der Arbeitsablauf bereits hergestellter ABS-Rezepturen ist in die Plattform integriert: Die Anteile jedes Inhaltsstoffs, die Verarbeitungsschritte, die zum Herstellen der Proben verwendet wurden, die Parameter dieser Prozesse und die Bedingungen während der Verarbeitung sind ebenso enthalten wie die Ergebnisse der Probenprüfung, die Bedingungen während der Prüfung und die eingehaltenen Normen. Auf diese Weise wird eine vollständige Materialhistorie dokumentiert. Das Sammeln und Speichern dieser Informationen mit grafischen Darstellungen der Daten macht komplexe Prozesse leicht verständlich und wiederverwendbar. Durch die Codierung des gesamten Formulierungsprozesses können KI-Modelle die besten Formulierungen und die entsprechenden Verarbeitungsschritte vorhersagen, die eine hohe Wahrscheinlichkeit für das Herstellen eines erfolgreichen Compounds bieten. Die Daten können sehr einfach, zum Beispiel über eine Excel-Tabelle, in die Plattform eingespielt werden. Weiterhin können für die Daten Pipelines eingerichtet werden, die von Prüfgeräten erzeugt und in Datenspeichern gesichert wurden. Die Plattform ist so konzipiert, dass sie prüft, ob genügend Daten vorhanden sind, um die gewünschten Eigenschaften abzudecken. Wenn es sich bei einem Datenpunkt um einen Ausreißer handelt, wird dies deutlich sichtbar angezeigt, sodass hier nochmals eine Überprüfung erfolgen kann.  

Ein gelber Bauhelm. Ein Bauhelm dient als Beispiel für die Fallstudie.
Ein Bauhelm dient als Beispiel für die Fallstudie. (Bild: Citrine Informatics)

Wie das KI-Modell entsteht

Für die Erstellung der KI-Modelle sind weder Programmier-Codes noch besondere Informatikkenntnisse erforderlich. Die Plattform prüft die bereitgestellten Daten und schlägt ein erstes KI-Modell vor. Dieses erste KI-Modell kann dann durch Ankreuzen und Abwählen von Kästchen bearbeitet werden, um festzulegen, welche Eingangseigenschaften der Rohstoffe für die vorherzusagenden Eigenschaften des Endprodukts wichtig sind. Wenn Werkstoffentwickler an dem KI-Modell arbeiten, wird ihre Erfahrung mit integriert und die Modelle dadurch weiter optimiert. Dieses im KI-Modell gespeicherte Fachwissen kann dann in Zukunft wiederverwendet werden. Die Vorhersagegenauigkeit des KI-Modells kann visuell geprüft werden. Die Plattform erstellt Diagramme mit den vorhergesagten und den tatsächlichen Ergebnissen und zeigt auf, welcher Eingangsparameter den größten Einfluss auf die Vorhersage der relevanten Eigenschaften hat.

Schaubild/Grafik: Liegen die Werte außerhalb der Toleranz, so wird die Materialcharge nicht in Betracht gezogen.
Liegen die Werte außerhalb der Toleranz, so wird die Materialcharge nicht in Betracht gezogen. (Bild: Citrine Informatics)

Erste Charge Rezyklat – und nun?

Die Basisdaten sind erfasst, das Modell erstellt und validiert und es wird eine Charge ABS-Rezyklat angeliefert. Diese neue Materialcharge kann nun charakterisiert werden. Die molekulare Zusammensetzung einschließlich des Butadiengehalts, die Dichte, der Aschegehalt, die mechanischen Eigenschaften und andere können ermittelt und ein Profil „Recycelte Charge A“ erstellt werden. Wie viele Tests durchgeführt werden, ist eine Abwägung zwischen den Kosten der Tests und der Genauigkeit der KI-Vorhersagen. Die Daten des neuen Inhaltsstoffs werden der KI-Plattform hinzugefügt, die ihr Eigenschaftsprofil mit dem anderer, bereits bekannter Inhaltsstoffe vergleicht. Die Plattform kombiniert die bisherigen Daten mit neuen Inhaltsstoffen, um Vorhersagen über die Eigenschaften eines Materials zu treffen, das diesen neuen Inhaltsstoff enthält. Die Fähigkeit, die Leistung einer neuen Formulierung mit einem völlig neuen Rohstoff in einem Material auf diese Weise vorherzusagen, ist für die Werkstoffentwicklung von entscheidender Bedeutung. Als Nächstes muss die Plattform auf die Suche nach den besten praktischen Formulierungen ausgerichtet werden. Auch hier ist Materialkenntnis gefragt. Die Menge eines bestimmten Inhaltsstoffs oder seine Art kann durch einfaches Ziehen und Ablegen eines Schiebereglers eingegrenzt werden. Es könnte zum Beispiel wichtig sein, dass weniger als 10 % Kevlarfasern oder weniger als 20 % aller Fasern in der gesamten Formulierung enthalten sind. Um die Komplexität zu verringern, lässt sich auch die Gesamtzahl der Inhaltsstoffe begrenzen. In diesem Fall sollte festgelegt werden, dass mindestens 20 % von „Rezyklat Charge A“ die Nachhaltigkeitsziele für diese neue Formulierung erreichen sollen.  

Das Ziel klar definieren

Der letzte Schritt vor der Anwendung des KI-Modells ist die Festlegung von Zielen: Was sind die Ziele für die neue Formulierung? Im Fall des Schutzhelms sollen nur Rezepturen mit einer vorhergesagten Schlagzähigkeit von über 0,4 kJ/m² angezeigt werden. Die Formulierungskandidaten können auch gleichzeitig auf andere Eigenschaften wie Biegemodul und spezifisches Gewicht eingeschränkt werden. Wenn das KI-Modell durch den Suchbereich führt, entstehen Formulierungskandidaten, die dann geprüft werden können. Diese werden nach ihrer statistischen Wahrscheinlichkeit, die Zieleigenschaften zu erreichen, geordnet und in Diagrammen dargestellt, um Kompromisse zwischen den Eigenschaften leicht erkennbar zu machen. Sieht ein Kandidat vielversprechend aus, so können seine Formulierungs- und Verarbeitungsparameter und die Wahrscheinlichkeit, die gewünschten Eigenschaften zu erreichen, geprüft werden. Hierzu wird eine Probe hergestellt und zum Beispiel die Schlagfestigkeit getestet. Die ermittelten Daten können in die Plattform eingegeben werden, wodurch das KI-Modell neu trainiert und weiter optimiert wird. Mit diesem iterativen Prozess wird in der Regel das Ziel um 50 bis 75 % schneller erreicht, als wenn nur auf Basis von Erfahrung und Intuition gearbeitet wird oder klassische statistische Methoden angewendet werden. Bei jeder Charge oder benötigter Eigenschaft kann das Ziel angepasst und das Modell und die Daten wiederverwendet werden. Die Plattform ist so konzipiert, dass sie in großem Umfang in allen Produktentwicklungsabteilungen eingesetzt werden kann und dass Daten und Fachwissen gemeinsam genutzt werden können. Der Softwareanbieter Citrine Informatics arbeitet unter anderem mit Unternehmen wie Lyondellbasell, Braskem und Eastman zusammen. Denn mit der Plattform können Compoundeure Millionen möglicher Formulierungen auswerten und sich dann auf einige wenige beschränken, die die höchste Wahrscheinlichkeit haben, die vorgegebenen Materialanforderungen zu erreichen. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Compoundeure auf wirklich neuartige Formulierungen mit außergewöhnlichen Eigenschaften stoßen und verringert gleichzeitig das Risiko von Investitionen in neue Experimente.  

Schaubild: Arbeitsweise der KI-Plattform zur Entwicklung der Rezy-klatcompounds.
Arbeitsweise der KI-Plattform zur Entwicklung der Rezy-klatcompounds. (Bild: Citrine Informatics)

Wie die Software bei der Compoundentwicklung unterstützt

Ein Anwender nutzt die Plattform, um potenzielle Formulierungen mit Tausenden von möglichen Inhaltsstoffen zu analysieren und dadurch seine Materialkosten zu senken. Die von der KI-Plattform vorgeschlagene Rezeptur folgt einem völlig neuen Ansatz. Die Materialentwickler hatten zuvor nie in diese Richtung gedacht, da solch eine Formulierung zu riskant gewesen wäre, um in das Durchführen von Experimenten zu investieren. In einem anderen Fall gelang es, die gewünschten Leistungswerte zu erreichen und gleichzeitig die Kosten zu senken. Die Plattform schlug vor, eine kleine Menge eines teuren Inhaltsstoffs zu verwenden, was zur Folge hatte, dass die Mengen anderer Inhaltsstoffe entsprechend reduziert werden konnten. Die Beispiele zeigen, dass die KI Compoundeuren mehr Flexibilität bieten kann, indem sie die Anzahl der nötigen Versuche reduziert, um die gewünschten Eigenschaften zu erreichen. Außerdem wird es möglich, ein Produkt mit gleichbleibenden Eigenschaften trotz verschiedener Input-Materialien herzustellen. Somit kann die KI den Übergang zu nachhaltigen Kunststoffen beschleunigen.

Quelle: Citrine Informatics

Kunststoffrecycling: Der große Überblick

Mann mit Kreislaufsymbol auf dem T-Shirt
(Bild: Bits and Splits - stock.adobe.com)

Sie wollen alles zum Thema Kunststoffrecycling wissen? Klar ist, Nachhaltigkeit hört nicht beim eigentlichen Produkt auf: Es gilt Produkte entsprechend ihrer Materialausprägung wiederzuverwerten und Kreisläufe zu schließen. Doch welche Verfahren beim Recycling von Kunststoffen sind überhaupt im Einsatz? Gibt es Grenzen bei der Wiederverwertung? Und was ist eigentlich Down- und Upcycling? Alles was man dazu wissen sollte, erfahren Sie hier.

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