Mehrere Prüfstäbe. Die Zugprüfung der Prüfstäbe erfolgt automatisiert.

Die Zugprüfung der Prüfstäbe erfolgt automatisiert. (Bild: Polymaterials)

In der Forschung und Entwicklung von Compounds arbeitet Polymaterials mit einer Eigenentwicklung an projektspezifisch aufgebauten prognosefähigen Modellen, um Rezepturlösungen für die vom Anwender gesuchten Eigenschaftsprofile zu finden. Mit solchen Navigationstools kann in einem Umfeld von Lieferengpässen, neuen gesetzlichen Vorgaben, Forderungen nach mehr Nachhaltigkeit und immer komplexeren Produkt-anforderungen vergleichsweise einfach der richtige Weg gefunden werden.  

Wie das Navigationstool funktioniert

Das Unternehmen ergänzt Compoundexpertise des Anwenders mit den Inhousekenntnissen zum Erstellen von digitalen Zwillingen von Compoundpaletten und ermöglicht damit ein digitales Navigieren in der Compoundentwicklung. Ein treffender Vergleich ist die Suche nach dem richtigen Weg. Wann haben Sie unterwegs das letzte Mal einen Ortskundigen nach dem Weg gefragt? Die Frage Ortskundiger nach dem Weg war früher der Standard und ist heute aufgrund der Navigationsgeräte nahezu in Vergessenheit geraten. Bei der Suche nach einem passenden Compound ist die Frage an „Ortskundige“ aber heute noch die übliche Vorgehensweise. Bei den Materiallieferanten gibt es Fachleute, die im ihnen bekannten Portfolio weiterhelfen können. Diese Expertise wird aus unterschiedlichen Gründen allerdings immer rarer. Hierzu zählen Stellenreduzierungen, Mangel an Fachkräften, zunehmende Personalfluktuation und komplexer werdende Aufgabenstellungen. Solange die Anfragen mit bestehenden oder gering modifizierten Produkten zu beantworten sind, gibt es passende Empfehlungen. Schwieriger wird es bei abweichenden Eigenschaftskombinationen, und kaum eine Antwort gibt es, wenn es um Rezepturneuland geht.

Mehrere Dosieranlagen (Trichter) aus Metall. Pro Compound stehen bis zu acht Dosieranlagen für die Rezepturkomponenten zur Verfügung.
Pro Compound stehen bis zu acht Dosieranlagen für die Rezepturkomponenten zur Verfügung. (Bild: Polymaterials)

Zwischenzeitlich gibt es vor allem bei großen Rohstoffherstellern Ansätze, aktuelle und historische Daten mit lernfähiger Software, sprich Künstlicher Intelligenz, zu kombinieren. Hierdurch soll eine computergestützte Suche nach optimalen oder neuen Compounds aufgebaut werden. Für einige Fragestellungen ist die verfügbare Datenmenge zum validen Erfassen der Rezeptur-Eigenschaftsbeziehungen ausreichend. Um jedoch in der Forschung und Entwicklung von Compounds damit wirklich digital navigieren zu können, reicht sie derzeit häufig nicht aus. Denn historische Daten sind in der Regel geclustert, da bestimmte Fragestellungen meist mit ähnlich gelagerten Compoundrezepturen gelöst wurden. Außerdem wurden nur selten die relevanten Rahmeninformationen vollständig aufgezeichnet, sondern nur Rezepturen und Messwerte der Compounds erfasst. Polymaterials geht in der Compoundentwicklung aus diesem Grund einen anderen, eigenen Weg mit der X-Plorator-Technologie. Das Unternehmen kombiniert in den Auftragsprojekten systematische Versuchsplanung mit schneller Erzeugung von Compounds und Prüfkörpern sowie Datenneugenerierung aus den durchgeführten Prüfungen. Diese Daten werden dann zum Erstellen von spezifischen, prognosefähigen Compoundmodellen genutzt. Das Resultat sind gute Prognosen zu Rezepturen und deren Eigenschaften.

Mehrere Spritzgießmaschinen von Engel. In den Spritzgießmaschinen sind Mischaggregate integriert und es können bis zu 200 Compounds pro Woche hergestellt werden.
In den Spritzgießmaschinen sind Mischaggregate integriert und es können bis zu 200 Compounds pro Woche hergestellt werden. (Bild: Polymaterials)

Über das Unternehmen

Polymaterials, gegründet im Jahr 1999 mit Standorten in Kaufbeuren und im Chempark Leverkusen, ist ein industrieller Dienstleister für Forschung und Entwicklung in den Bereichen „neue Polymere“ und „Compoundinnovationen“. Zu den Projekten des 35-köpfigen Teams gehören beispielsweise Hochleistungs- und Funktionspolymere, Biopolymere, Polymere für den 3D-Druck, das Ersetzen fluorhaltiger Materialien durch fluorfreie Substanzen sowie Wege für leistungsfähige Kunststoffrezyklate.

Mit welchen Zielen die Modelle erstellt werden

Es gibt dabei drei unterschiedliche Zielrichtungen für die Erstellung von Modellen:

  • Das „Screening“ hat die Aufgabe, unter einer großen Auswahl an möglichen Einsatzstoffen – also dem Kunststofftyp und je nach zugehöriger Fragestellung beispielsweise Blendpartner und Modifikatoren, Füllstoffe und Fasern, Stabilisatoren und Flammschutzmittel sowie anderen funktionalen Additiven – die Auswahl auf die besten Kombinationen zu fokussieren. Derartige Modelle ergeben eine fundierte Basis, um sich bei neuartigen Compounds, die zum Beispiel aus neuen Polymeren oder neuen Additiven und Additivkombinationen entstehen sollen, zielgerichtet zu orientieren.
  • Mit einem „Targeting-Modell“ werden für den Auftraggeber Compoundrezepturen für ein angestrebtes Eigenschaftsprofil im ausgewählten Rezepturraum aus den definierten, bekannten Rezepturbestandteilen entwickelt. Diese Modelle ermöglichen schnell und effizient die besten Compounds sowohl hinsichtlich ihrer Zusammensetzung als auch ihrer Eigenschaftsprofile zu finden. Zusätzlich können sogar Rohstoffkosten und CO2-Fußabdruck als Messwerte ermittelt und die Rezepturen entsprechend angepasst werden.
  • Den größten Effekt hat aber das „Mapping“ von ganzen Compoundportfolios. Es ermöglicht eine effiziente und dauerhafte digitale Unterstützung in einer neuen Forschungs- und Entwicklungsprozesskette. Beim Mapping ist die Zielrichtung der Modellerstellung die digitale, spezifische Abbildung eines kompletten Compoundportfolios inklusive zugehöriger Einsatzstoffe und resultierender Eigenschaften im Sinne eines digitalen Zwillings. Das Ergebnis sind große, prognosefähige Computermodelle, die gleichermaßen für die Compoundentwicklung, für das technische Marketing und zur Kundenbindung eingesetzt werden können.
Fünf Spritzguss-Werkzeugeinsätze. Für das Herstellen der Standardprüfkörper sind verschiedene Werkzeugeinsätze verfügbar.
Für das Herstellen der Standardprüfkörper sind verschiedene Werkzeugeinsätze verfügbar. (Bild: Polymaterials)

Der Initialisierungsaufwand für derartige Mappingmodelle ist nicht zu vernachlässigen, seine Nutzung ist jedoch sehr vielfältig und nachhaltig. Sie beinhaltet sowohl ein mögliches „Re-Design“ der bestehenden Compoundpalette hinsichtlich Kosten und Komplexität der Rezepturen, das Ermitteln und Realisieren von Innovationen im Sinne einer verbesserten Performance der Compounds als auch beispielsweise die Möglichkeit der Substitution von Komponenten, um Vorgaben zu mehr Nachhaltigkeit zielgerichtet erfüllen zu können. Die Mappingmodelle können von jedem fachkundigen Nutzer sofort verwendet werden. Zukünftig könnte der Nutzer damit sogar den Weg gehen, diese Modelle seinen Abnehmern in Form einer Compound-Eigenschaftssuche ohne Durchgriff auf die Rezepturen zur Verfügung zu stellen. Auf diese Weise könnte der Inte-ressent direkt in den Innovationsprozess eingebunden werden.

Interview: Nachgehakt bei Dr. Jürgen Stebani, CEO, und Dr. Gerhard Maier, CTO, Polymaterials.

Mann it kurzen grauen Haaren, weißem Hemd mit Krawatte und Jackett. Herr Dr. Jürgen Stebani.
Dr. Jürgen Stebani (Bild: Polymaterials)

Herr Dr. Stebani, im Zuge der aktuellen PFAS-Verbots-Diskussion wird häufig angeführt, dass ein PFAS-Ersatz bei gleichen Leistungswerten nur schwierig bis gar nicht möglich sei. Ist dies durch Ihre Technologie möglich?

Dr. Jürgen Stebani: Fluorpolymere haben ganz spezielle Eigenschaftsprofile, die geprägt sind durch den Austausch von Wasserstoff- gegen Fluoratome in der Polymerkette. Ein Ersatz durch eine Compoundlösung wird daher nur eingeschränkt gelingen können. Wenn es aber in Teilbereichen möglich ist, sind wir mit der X-Plorator-Technologie in der Lage, schnell die richtigen Rezepturen zu finden. Hierzu ist es notwendig, mit viel Expertise vorab die passenden Rezepturkomponenten auszuwählen. Meist wird aber die direkte Substitution von fluorhaltigen gegen fluorfreie Polymere mit Compounds nicht möglich sein. Deshalb muss man grundsätzlicher mit einem polymerchemischen Moleküldesign an die Aufgabe gehen. Wir haben in der Vergangenheit zum Beispiel Brennstoffzellmem-branen von Fluorpolymeren auf kohlenwasserstoffbasierte Hochleistungspolymere umgestellt. Die Eigenschaften unserer designten fluorfreien Materialien waren besser, sowohl in der Mechanik als auch in der Stabilität und in der Leistungsfähigkeit in der Brennstoffzelle. Wir entwickeln im Kundenauftrag momentan analog fluorfreie Hochleistungsschmierstoffe. In allen Fällen legen wir Wert darauf, dass wir die Synthesen in unseren Syntheseanlagen anschließend gut in den Tonnenmaßstab skalieren können. Aktuell steigt das Kundeninteresse an einem solchen polymerchemischen Design neuer Ersatzmaterialien zugegeben sprunghaft an.

Wie lange dauert die digitale Entwicklung eines neuen Compounds?

Dr. Gerhard Maier: Wenn man ein digitales Compoundmodell erstellt hat, also die genutzten Rezepturkomponenten in ihren Konzentrationen und ihren Mischungen erfasst, die Messungen an den Compounds durchgeführt und die Daten in das Modell eingegeben hat, dann dauert die Entwicklung eines neuen Compounds immer nur wenige Tage. Unsere Experten haben sehr viel Erfahrung mit der Erstellung von Prognosen und können für diese Entwicklung zusammen mit dem Fragesteller auf Kundenseite in seinem Modell die gesuchten Eigenschaftsprofile genau definieren und die Rahmenbedingungen für die Computerprognose fragespezifisch eingrenzen. Daran schließt sich eine extrem effiziente Prozesskette an. Der Computer prognostiziert die passenden Rezepturen aus dem Compoundmodell, wir verifizieren die Prognosen durch Herstellen der Mischungen sowie Durchführung der Prüfungen und stellen dem Auftraggeber eine Mustermenge von jeder Rezeptur zur Verfügung. Für weniger als zehn völlig neue Compoundrezepturen dauert dies im besten Fall insgesamt nur zwei bis drei Tage.

Was sind die Mindestangaben, die Sie benötigen, um einen neuartigen Werkstoff, sagen wir ein Biopolymercompound, auszuarbeiten?

Maier: Wir brauchen die genaue Art des Biopolymeren, ob Polymere als Blendpartner genutzt werden, welche Additive beziehungsweise Füllstoffe hinzukommen und in welchen Konzentrationsgrenzen und Mischungen diese eingesetzt werden sollen. In den meisten Fällen ergänzen wir mit unserer Expertise in Kombination mit Informationen der Lieferanten die Blendpartner- und Komponentenauswahl unter Berücksichtigung der Zielrichtungen der gewünschten Compoundeigenschaften. Dann werden die gesuchten Zieleigenschaften fixiert und die zugehörigen Prüfungen festgelegt. Ehe der Versuchsplan für das Digitalisieren des Compoundraums erstellt wird, ermitteln wir noch relevante Einflussfaktoren der Compoundverarbeitung und nehmen gegebenenfalls zusätzlich Maschineneinstellungen an der Compoundierlinie oder an der Spritzgussmaschine mit als Variable im Versuchsplan auf.

Ihre Technologie gibt auch den CO2-Fußabdruck des entwickelten Compounds an. Welche Datenbasis liegt dieser Angabe zugrunde?

Maier: Für abgeleitete Größen, wie beispielsweise die Materialkosten oder den CO2-Fußabdruck der Compounds, benötigen wir die Herstellerangaben zu den einzelnen Materialien und Komponenten. Damit werden die Werte zu den im Versuchsplan hergestellten Compoundrezepturen errechnet und als „Messwerte“ in das Modell mit eingegeben. Ab diesem Zeitpunkt können zu jedem prognostizierten Compound die Materialkosten sowie sein CO2-Fußabdruck bestimmt werden, sodass der Auftraggeber auch diese Größen für die Compoundentwicklung berücksichtigen kann.

Wie viele Iterationsschleifen sind mit der X-Plorator-Technologie verglichen mit bisherigen Entwicklungsmethoden notwendig, um das gewünschte Resultat zu erzielen?

Stebani: Der Vergleich hinkt etwas. Herkömmlich wird bei jeder neuen Fragestellung auf Basis der Erfahrung ein mehr oder minder passender und aus Kosten- und Ressourcengründen meist zu wenig umfangreicher Versuchsplan ausgegeben und durchgeführt. Dann bekommt der Fragesteller das beste Ergebnis daraus. Ist das Compound noch nicht passend, wird iteriert, also der Prozess noch mal durchgeführt. Das ist, als ob man sich mangels Straßenkarte jeden Tag immer wieder neu einen Weg zum Ziel sucht. Wir erstellen dagegen, um im Vergleich zu bleiben, mit der X-Plorator-Technologie eine kundenspezifische, detaillierte Straßenkarte und ab da nutzt der Kunde ein Navigationssystem. Eine Iteration wie beim herkömmlichen Vorgehen ist daher nicht nötig. Wenn rezepturseitig Neuland beschritten werden soll, müssen wir dem Kunden lediglich wieder eine neue, zusätzliche Karte erstellen.

Wie wird nun navigiert?

Mann mit kurzen dunklen Haaren, Schnurrbart, weißem Hemd mit Krawatte und Jackett. Herr Dr. Gerhard Maier.
Dr. Gerhard Maier (Bild: Polymaterials)

Zentraler Kern beim Screening, Targeting und Mapping ist der Aufbau einer mathematisch systematischen Datenbasis zu einer Compound-Fragestellung unter Einsatz von Design-of-experiments (DoE)-Software. Mittels dieser werden die relevanten Variablen wie Matrixpolymer, Blendpartner, Verstärkungsstoffe, Stabilisatoren und alle weiteren Additive und Einsatzkomponenten in Art und genutzter Konzentration definiert und erfasst. Hinzu kommen die einflussnehmenden Parameter bei der Compoundverarbeitung. Dann werden Prüfkörper hergestellt, die Eigenschaften, die zugehörigen Prüfungen und Tests festgeschrieben sowie etwaige Konditionierungen von Prüfkörpern berücksichtigt. Bevor die von der DoE-Software ausgegebene Versuchsplanung umgesetzt wird, wird von Polymaterials zusammen mit dem Auftraggeber – Konzerne und zunehmend Mittelstand – in einer vorgelagerten intensiven Validierung dafür Sorge getragen, dass anhand bekannter Rezepturen und deren Eigenschaften die Compoundverarbeitung, Prüfkörperherstellung und Durchführung von Prüfungen und Tests jeweils miteinander vergleichbar sind. Dies ist die Basis, um später mit den Modellen gut arbeiten zu können. Nach dem Durchführen des Versuchsplanes und der Eingabe der erhaltenen Messwerte kann anschließend das prognosefähige Modell erstellt und für die Compoundentwicklung eingesetzt werden.

Quelle: Polymaterials

Alles zum Thema Biokunststoffe

Eine Hand reißt einen Papierstreifen weg. Darunter steht das Wort "Biokunststoff"
Wissenswertes über Biokunststoffe finden Sie in unserem Übersichtsartikel. (Bild: thingamajiggs - stock.adobe.com)

Auf dem Weg zu einer klimaneutralen Zukunft müssen verschiedenste Rädchen ineinander greifen. Doch wie schaffen wir es, die Dekarbonisierung unserer Gesellschaft umzusetzen? Biokunststoffe sind ein wichtiger Hebel um diesem Ziel näher zu kommen. Doch was wird unter einem Biokunststoff eigentlich verstanden? Wo werden diese bereits eingesetzt? Und ist "Bio" wirklich gleich "Bio"? Wir geben die Antworten. Alles, was Sie zu dem Thema wissen sollten, erfahren Sie hier.

Sie möchten gerne weiterlesen?

Unternehmen

polyMaterials AG

Innovapark 20
87600 Kaufbeuren
Germany