Orangefarbenes und grünes Granulat in einem Glas

Chemisches Recycling und Massebilanzen tragen maßgeblich zur Defossilisierung der Kunststoffproduktion bei. (Bild: Plastics Europe Deutschland)

Chemisches Recycling ist im Verbund mit mechanischem Recycling ein Schlüsselfaktor für die Kunststoffindustrie, um einen entscheidenden Beitrag zur Erfüllung der Klima- und Kreislaufwirtschaftsziele der EU zu leisten. Darüber hinaus kann chemisches Recycling zur Emissionsreduktion, zur Lösung des Plastikmüllproblems, zur Rohstoffsicherheit und perspektivisch zum Verzicht auf die Nutzung fossiler Rohstoffe beitragen.

Obgleich Anfang 2023 weltweit 140 Projekte im Bereich des chemischen Recyclings identifiziert wurden, und auch in Deutschland erste Anlagen in Betrieb sind, steht die Technologie noch am Anfang. Dies bedeutet, dass in den nächsten Jahren der Anteil von Sekundärrohstoffen aus chemischem Recycling noch vergleichsweise gering ausfallen wird, im Verhältnis zum Einsatz von fossilen Rohstoffen. Um den Anteil von chemisch recycelten Rohstoffen in der Kunststoffproduktion möglichst schnell zu erhöhen, sind transparente, standardisierte und auditierfähige Massenbilanzen erforderlich; auch um den Einsatz der Sekundärrohstoffe in Produkten nachprüfbar zu erfassen und zu dokumentieren.

Kunststoffrecycling: Der große Überblick

Mann mit Kreislaufsymbol auf dem T-Shirt
(Bild: Bits and Splits - stock.adobe.com)

Sie wollen alles zum Thema Kunststoffrecycling wissen? Klar ist, Nachhaltigkeit hört nicht beim eigentlichen Produkt auf: Es gilt Produkte entsprechend ihrer Materialausprägung wiederzuverwerten und Kreisläufe zu schließen. Doch welche Verfahren beim Recycling von Kunststoffen sind überhaupt im Einsatz? Gibt es Grenzen bei der Wiederverwertung? Und was ist eigentlich Down- und Upcycling? Alles was man dazu wissen sollte, erfahren Sie hier.

Was sind Massenbilanzen?

Bei Massenbilanzen handelt es sich um einen buchhalterischen Ansatz, mit dem eine Stoffeigenschaft eines Rohstoffs (zum Beispiel Rezyklateigenschaft) in der vorliegenden Menge einem Endprodukt innerhalb einer Organisation nach definierten Regeln zugeordnet wird, wenn der Stoff einen fossilbasierten Rohstoff bei der Herstellung ersetzt. Entsprechende Massenbilanzansätze sollten für alternative Rohstoffe wie CO2, Biomasse und Sekundärrohstoffe aus dem chemischen Recycling gleichermaßen Anwendung finden können. Im Folgenden wird sich auf Sekundärrohstoffe des chemischen Recyclings fokussiert.

Wie funktionieren Massenbilanzen?

Auf absehbare Zeit wird der Anteil an Sekundärrohstoffen (das heißt rezyklierten Rohstoffen) gegenüber fossilen Rohstoffen vergleichsweise gering sein. In Bild 1 beträgt beispielsweise der Anteil der rezyklierten Rohstoffe, die in die Produktionsanlage – in diesem Fall ein „Steam-Cracker“ – eingeht, 5 %. Massenbilanzen ermöglichen, den eingehenden Anteil an rezykliertem Rohstoff den Produkten, die in der Steam-Cracker-Anlage entstehen, zuzuordnen.

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Bild 1: Proportionale Zuordnung mittels Massenbilanz (Bild: Plastics Europe Deutschland)

In Bild 1 wird jedem entstehenden Produkt der jeweilige Anteil an rezykliertem Rohstoff in einem Verhältnis zugeordnet, die dem Verhältnis des eingehenden Rohstoffmixes entspricht, das heißt 5 % Anteil vom rezyklierten Rohstoff. Dieser Anteil ist jedoch zu gering, um die Erwartungen des Marktes und die Regulierungsziele zu erfüllen. Beispielsweise bewegen sich die Rezyklateinsatzziele im vorliegenden Entwurf der Europäischen Verpackungsverordnung bei bis zu 35 % für das Jahr 2030.

Damit chemisches Recycling bereits jetzt signifikant zu einer Kreislaufwirtschaft mit Kunststoffen beitragen und in den nächsten Jahren ausgebaut werden kann, bedarf es vom proportionalen Ansatz abweichender Massenbilanzansätze.

Massenbilanz mit freier Allokation

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Bild 2. Massenbilanzansatz mit freier Allokation. (Bild: Plastics Europe Deutschland)

Mit einem Massenbilanzansatz mit freier Allokation können eingesetzte rezyklierte Rohstoffe den daraus erzeugten Produkten frei zugeordnet werden (Bild 2). Wohlgemerkt: jede Tonne eingesetzten recycelten Rohstoffs wird nur einmal ein Produkt zugeordnet. Im abgebildeten Beispiel werden die gesamten eingesetzten 50 kt rezyklierten Rohstoffs vollständig Produkt A zugeordnet. In der Folge sind Produkt A 25 % Anteil rezyklierter Rohstoff bilanziell zugeordnet, während den anderen Produkten bilanziell 0 % zugeordnet werden.

Zielmodell der Kunststofferzeuger: „Fuel Use Exempt“

Der Ansatz der freien Allokation berücksichtigt jedoch auch Anteile von rezyklierten Rohstoffen, die in die Erzeugung von Brennstoffen fließen. Da die Brennstofferzeugung aus Sekundärrohstoffen gemäß der Definition der EU-Abfallrahmenrichtlinie [1] und des Kreislaufwirtschaftsgesetzes [2] nicht dem Recycling zuzuordnen ist, muss ausgeschlossen werden, dass Anteile rezyklierter Rohstoffe, die in die Brennstofferzeugung fließen, anderen Produkten zugeordnet werden. Dies wird erreicht, in dem Recyclingrohstoffe Brennstoffprodukten proportional zugeordnet werden (Bild 3).

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Bild 3. Massenbilanzierung mit einer Zuordnung gemäß „Fuel Use Exempt“. (Bild: Plastics Europe Deutschland)

Wie in Bild 3 zu sehen, werden hierbei Recyclingrohstoffe proportional zu erzeugten Brennstoffen zugeordnet („Produkt D“ 5 %), während die Zuordnung zu anderen Produkten analog zur freien Allokation erfolgt. Im abgebildeten Beispiel werden die frei zuordenbaren Anteile des Recyclingrohstoffs vollständig „Polymer A“ zugeordnet. Eine Zuordnung gemäß Fuel Use Exempt wird von den Kunststofferzeugern unterstützt, da diese abfallrechtlich kompatibel, nachvollziehbar sowie im Kontext industrieller Kreislaufwirtschaftspfade ökonomisch gangbar ist.

Mit einer Zuordnung gemäß „Fuel Use Exempt“ tragen Massenbilanzen maßgeblich dazu bei, die Nachfrage nach Produkten auf der Grundlage recycelter Rohstoffe zielgenau im Markt zu bedienen, beispielsweise zum Erfüllen der Zielvorgaben für den Rezyklateinsatz, wie sie die vorliegenden Entwürfe der Verordnung für Verpackungen und Verpackungsabfall sowie für Altfahrzeuge vorsehen.

Was ist die Alternative zu Massenbilanzen gemäß „Fuel Use Exempt“?

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Bild 4. Segregierte Wertschöpfungskette mittels separater Anlagen („Segregierte Anlage“). (Bild: Plastics Europe Deutschland)

Eine Zuordnung rezyklierter Sekundärrohstoffe ohne die Möglichkeit einer geeigneten massenbilanziellen Allokation in ausgewählten Zielprodukten könnte derzeit nur durch separate kleinskalige (sogenannte segregierte Anlagen) und damit mindereffizienten Produktionsanlagen erreicht werden (Bild 4). Durch die damit einhergehenden wirtschaftlichen und ökologischen Nachteile sowie den zusätzlichen Ressourcenverbrauch würde ein Skalieren des Einsatzes rezyklierter Sekundärrohstoffe als Beitrag zu einer möglichst vollständigen Kreislaufführung von Kunststoffen erheblich erschwert. Der Grund, weshalb die Kunststoffhersteller eine massebilanzielle Zuordnung gemäß „Fuel Use Exempt“ bevorzugen, ist die Vermeidung von segregierten und damit mindereffizienten Produktionsinfrastrukturen.

Massenbilanzen gemäß „Polymer Only“ Ansatz nicht zielführend?

Eine weitere Zuordnungsmöglichkeit folgt dem „Polymer Only“ Ansatz. Diese entspricht dem „Fuel Use Exempt“ Ansatz, jedoch wird über den letzteren Ansatz hinaus eine freie Zuordnung ausschließlich hinsichtlich polymerer Produkte ermöglicht. Bild 5 illustriert diesen Ansatz: Sowohl nicht-Polymere („Produkt C“) als auch Brennstoffe („Produkt D“) müssen proportional zugordnet werden, während die dann noch zuordenbaren Recyclingrohstoffe Polymeren frei zugeordnet werden können (Produkte A und B). Im abgebildeten Beispiel wird die frei allokierbare Menge vollständig „Produkt A“ zugeordnet.

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Bild 5: Im „Polymer Only“ Ansatz werden nicht-polymeren Produkten (zum Beispiel Pharma und Fuels) nicht in den Recyclingzielgrößen, wie Rezyklateinsastzquoten, für Kunststoffe berücksichtigt. (Bild: Plastics Europe Deutschland)

Grundsätzlich werden Steam Cracker und auch andere Produktionsanlagen nicht ausschließlich für die Polymerproduktion eingesetzt. Die Anlagen werden beispielsweise auch für die Produktion von Brennstoffen, Waschmitteln und Medikamenten genutzt. Da aber im Zuge der Transformation perspektivisch alle chemischen Erzeugnisse auf die Grundlage nicht fossiler Rohstoffe gestellt werden müssen, ist es erforderlich, dass Massenbilanzansätze auch eine freie Zuordnung von Sekundärrohstoffen und anderen nicht fossilen Einsatzstoffen (biomasse-, CO2-basiert) auf nichtpolymere Produkte zulässt. Andernfalls würde die Transformation verteuert und verlangsamt. Der „Polymer Only“ Ansatz ist deshalb keine zielführende Alternative zum „Fuel Use Exempt“-Ansatz.

Massenbilanzieller geographischer Transfer

Aus Effizienzgründen weisen großskalige Industrieproduktionen häufig einen Verbund auf europäischer Ebene auf, mit auf spezifische Polymere oder Rohstoffbasen spezialisierten Standorten. Daher ist zu erwarten, dass es in der Initialphase des chemischen Recyclings, erst einmal nur eine geringe Anzahl von chemischen Recyclinganlagen in Europa geben wird. Deshalb ist die Möglichkeit eines massenbilanziellen geographischen Transfers der Rezyklateigenschaft zwischen den Standorten eines Unternehmens – ohne bestehende physische Verbindungen oder Materialflüsse - unter definiert begrenzten Rahmenbedingungen notwendig. Dadurch können physische Transporte von rezyklierten Rohstoffen oder Abfällen und damit verbundene Treibhausgasemissionen vermieden werden. Durch die geographische Transferoption können insbesondere Industriestandorte verstärkt in eine Kreislaufwirtschaft integriert werden, an denen rezyklierte Rohstoffe entweder noch nicht verfügbar sind oder diese noch nicht gehandhabt werden können.

Qualitätssicherung von Massenbilanzansätzen und Verbraucherkommunikation

Insbesondere bei NGOs und Umweltverbänden besteht die Sorge, dass Massebilanzen für Greenwashing missbraucht werden könnten. Um dieses von Beginn an auszuschließen, muss durch externe Auditierung die normkonforme und transparente Anwendung der Massenbilanzierung gem. ISO 22095, zur Rückverfolgbarkeit von Lieferketten - Allgemeine Terminologie und Modelle, sichergestellt und beispielsweise Doppelzählung ausgeschlossen werden.

Eine massenbilanzielle Zuordnung wird bereits routinemäßig in mehreren Gebieten angewendet, beispielsweise bei Fair Trade-Handel, Nutzung nachwachsender Rohstoffe und analog im Zuge der Grünstromkennzeichnung, und ist im Rahmen internationaler Zertifizierungsvorgaben von den jeweiligen Zertifizierungsstellen anerkannt (beispielsweise ISCC [3], RSB [4]).

Massenbilanzielle Zuordnung in anderen Bereichen

Strukturelle Unterschiede zum mechanischen Recycling, insbesondere die Erzeugung von Rezyklateinsatz mittels recycelter Sekundärrohstoffe wie Ölphasen, Synthesegas oder Monomere, legen nahe, die ökologische Vorteilhaftigkeit des chemischen Recyclings Kunden und Verbrauchern gegenüber anders nachzuweisen, sodass auf eine produktbezogene Rezyklateinsatzquote gegenüber Konsumenten für einen Übergangszeitraum (8 – 10 Jahre, danach Evaluierung) verzichtet werden könnte. An deren Stelle sollten innerhalb dieses Übergangszeitraums Informationen über die Einsparung beim Einsatz fossilen Materials treten.

 

Quellen

[1] Art. 3 Nr. 17 Richtlinie 2008/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008

[2] § 3 Abs. 25 Kreislaufwirtschaftsgesetz (KRWG)

[3] ISCC System – Solutions for sustainable and deforestation free supply chains (iscc-system.org) (Abruf 28.11.2023)

[4] RSB certificates – RSB (Abruf 28.11.2023)

Quelle: Plastics Europe Deutschland

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