Auf einem Glastisch stehen zwei Gläser mit Granualt und davor liegen viele Holzspatel. Innerhalb des Projektes wurde der Einfluss des bioziden Additivs auf die mechanischen und prozesstechnischen Eigenschaften des Kunststoffs untersucht, ebenso wie die biozide Wirksamkeit selbst.

Innerhalb des Projektes wurde der Einfluss des bioziden Additivs auf die mechanischen und prozesstechnischen Eigenschaften des Kunststoffs untersucht, ebenso wie die biozide Wirksamkeit selbst. (Bild: Granula Polymer)

Keime sind etwas ganz Natürliches. Sie sind im menschlichen Organismus auf Schleimhäuten oder der Haut beheimatet, oder sorgen im Darm für eine gesunde Verdauung. Kurz gesagt, sie liefern einen wichtigen Beitrag zur Gesunderhaltung des Körpers. Es gibt aber auch schädliche Keime, die Krankheiten verursachen. Einer der häufigsten Übertragungswege sind Gegenstände des tagtäglichen Gebrauchs, wie Telefongehäuse, Türklinken oder Toilettendeckel. Durch den unvermeidbaren Kontakt des Menschen mit diesen Gegenständen werden Keime aufgenommen und übertragen. Hygienische Maßnahmen unterstützen grundsätzlich die Eindämmung der Übertragungswege. Die Gemeinnützige KIMW Forschungs-GmbH (KIMW-F) in Lüdenscheid hat gemeinsam mit verschiedenen Partnern in dem Forschungsprojekt „Entwicklung innovativer biozider Nanopartikel zur Anwendung in der Kunststofftechnik (CAP-BNP)“ einen industriellen Ansatz als Beitrag zur Eindämmung untersucht.

Wer an dem Projekt partizipiert hat

Festnetztelefon in einer Telefonstation. Das Gehäuse des Gigaset E290 besteht aus ABS mit bioziden Additiven.
Das Gehäuse des Gigaset E290 besteht aus ABS mit bioziden Additiven. (Bild: Gigaset)

An diesem Projekt waren insgesamt sechs Projektpartner beteiligt. Unter anderem galt es ein Compound mit bioziden Additiven als elementaren Bestandteil für das Herstellen eines Telefongehäuses mittels thermoplastischer Spritzgießtechnik des Herstellers Gigaset Communications zu entwickeln. Diese Aufgabe übernahm als weiterer Projektpartner Granula Polymer. „Wichtig war an dieser Stelle, dass ein Gehäuse, was jeden Tag Berührung mit der Gesichtshaut hat, biokompatibel ist“, skizzierte Geschäftsführerin Dr. Eva-Maria Langhammer die wesentlichen Herausforderungen vor dem Projektstart. Gleichzeitig sollte das neue Compound biozid gegen Keime wirken. Für die promovierte Chemikerin ein Balanceakt „hier den richtigen Mittelweg zu finden“. Im Projektverlauf wurden viele verschiedene Metall-oxide und Compoundmischungen ausprobiert. Der Projektpartner der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz hat dazu Nanopartikel bereit gestellt, bei denen eine biozide Wirkung validiert ist und in deren Auflistung auch exotische Materialien wie Ceroxid aufgeführt wurden. „Wir haben im Vorfeld die gesamte Bandbreite an biozid wirkenden Metallen und Metalloxiden durchgetestet. Entwickelt wurden Masterbatches, die teils stark biozid und teils biozid und gleichzeitig biokompatibel wirken.“ Am Ende der vielen Untersuchungen gab es ein Compound zur Herstellung schwarzer Kunststoffgehäuse, die aus Acrylnitril-Butadien-
Styrol-Copolymer (ABS) mit bioziden Additiven gefertigt wurden, bei denen es zudem keine Farbunterschiede zum Serienmodell gab. „Mittlerweile können wir sogar Material zur Herstellung weißer Kunststoffteile anbieten“, wie Dr. Eva-Maria Langhammer ergänzt.

Welche Bakterien im Projektfokus standen

Hinsichtlich der bioziden Wirkung wurden drei verschiedene Bakterienstämme von der Uni-Klinik in Jena gemäß ISO 22196 untersucht, die am häufigsten vorkommenden Bakterien Staphylococcus aureus, Pseudomonas aeruginosa, und Escherichia coli. Dr. Eva-Maria Langhammer ergänzt: „Gegen Ende des Projektes haben wir dann sogar noch einen Hefe-Stamm, Candida albicans, dazu genommen.“ Gerade an dieser Stelle offenbarte sich die Komplexität des Themas, denn eine Rezeptur, die gegen einen Bakterienstamm sehr gut wirkte, verlor seine Wirkung bei einem anderen Bakterien-Stamm. „Unsere Aufgabe bestand vor allem darin, eine Mischung zu entwickeln, bei der für alle untersuchten Bakterienstämme ein Effekt messbar wird.“ Je nach Anwendung können daher gezielt Compounds für eine starke bis leichte antibakterielle Wirkung produziert werden. Zu der Frage der Haltbarkeit des bioziden Effekts liefert die Chemikerin Antworten: „Wir arbeiten mit Mischungen aus Metallen und Metalloxiden, die in dem Kunststoff eingearbeitet sind und dort verbleiben. Es handelt sich hierbei nicht um organische, leichtflüchtige Substanzen, die herausmigrieren können. Über den Produktlebenszyklus eines Kunststoffteils ist auch deren biozide Wirkung gegeben.“

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Auf die biozide Wirkung hin, wurden Bakterienstämme gemäß ISO 22196 analysiert.

Formteilgeometrien von Gigaset

Schwarzes Kunststoffgehäuse eines Telefons. Links sieht man die Vorderseite und rechts daneben die Rückseite. Die spritzgegossenen Gehäuseschalen aus dem bioziden ABS-Compound lassen sich auch im industriellen Maßstab ohne Einschränkungen produzieren.
Die spritzgegossenen Gehäuseschalen aus dem bioziden ABS-Compound lassen sich auch im industriellen Maßstab ohne Einschränkungen produzieren. (Bild: Gigaset)

Entscheidende Bedeutung kommt in einem Forschungsprojekt immer der industriellen Verwertbarkeit zu. Zielsetzung ist, die Forschungsergebnisse mit einem Produkt als innovative Nutzengestaltung zu vermarkten. Gigaset Communications ist ein deutscher Hersteller von Kommunikationslösungen und als Projektpartner oblag es dem Unternehmen, die seriennahe Anwendung zu überprüfen. Zuvor hatte die KIMW-F die system- und prozesstechnischen Erfordernisse mit den Projektpartnern abgewickelt und geeignete Prüfverfahren evaluiert. Zugstäbe und Schwindungsplatten wurden von der KIMW-F als Bauteile zur Evaluation des Einflusses der Additive auf die mechanischen und prozesstechnischen Eigenschaften sowie für die Analyse der bioziden Wirksamkeit ausgewählt und entsprechend wurden zur Herstellung die compoundierten Granulate verarbeitet. Auf Basis des gemeinsam im Projekt erarbeiteten Lastenheftes wurden die Demonstratoren optimiert und an seriennahe Bedingungen angepasst. Gigaset hat dazu größere Mengen ABS beschafft, das von Granula entsprechend compoundiert wurde. Nun galt es, das entwickelte Material auf einer Spritzgießmaschine von Engel zu verarbeiten. Als Produktvorlage diente das Mobilteil des Gigaset Erfolgsmodells E290. Auf der 400 Tonnen-Spritzgießeinheit wurde die Werkzeugform des Serienteils gerüstet. Im automatisierten Prozess wurden gleich mehrere hundert Mobilteil-Gehäuse mit dem bioziden ABS-Compound gespritzt. Der Beweis für die Verarbeitbarkeit des Granulates war erbracht. Im Vergleich der Spritzgießprozessparameter offenbarten sich in der direkten Gegenüberstellung keine signifikanten Unterschiede. Das Zeitfenster der Zykluszeit war identisch mit der aus dem Serienprozess gemessenen und protokollierten Dauer. „Durch Gigaset wurden auf der Basis der hergestellten Gehäuse anschließend Komplettgeräte auf den automatisierten Montagelinien aufgebaut“, wie Klaus Göring, Head of Tool Design bei Gigaset, erläutert. Diese Komplettgehäuse gingen dann ins Umweltlabor, um Belastungsprüfungen, klimatische Tests, Oberflächentests und Medienprüfungen durchzuführen. Belastungen wie Schock, Vibration und Freifallen wurden bestanden. Bei den klimatischen Erfordernissen, hier wurden praxisrelevante Bedingungen wie Lagerung, Transport und Temperaturwechsel simuliert, gab es ebenfalls keinerlei Beanstandungen. Wichtig sind in diesem Zusammenhang die Reaktionen auf bestimmte Medien, denn so ein Gehäuse kommt zwangsläufig mit Hautschweiß, Reinigungsmitteln oder Hautcremes in Berührung. „Auch bei diesen sensiblen Prüfungen wies das Produkt die notwendigen Eigenschaften auf“, wie Klaus Göring bestätigt. Das bekräftigte auch die vom KIMW-F gemeinsam mit der Hautklinik in Jena durchgeführte abschließende Bewertung.

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Produkte mit dem bioziden ABS-Compound sind bereits in der Vorentwicklung.

Wettbewerbsvorteile bei industrieller Serienproduktion

Das Fazit, was aus den Projektergebnissen abzuleiten ist, wird von den Projektpartnern sehr positiv bewertet. „Es war eine zielführende Zusammenarbeit mit den Projektpartnern. Und für uns als Forschungseinrichtung ist es besonders interessant, wenn die erarbeiteten Ergebnisse in marktreifen Produkten münden,“ erklärt Vanessa Frettlöh von der KIMW-F. Unter dem geschützten Namen Granabac wird Granula künftig kundenspezifische Masterbatches mit biozider und wahlweise biokompatibler Wirkung anbieten. Hierbei kann der thermoplastische Basiskunststoff gezielt auf den Kunden und seine Anforderungen angepasst werden. Eine Übertragung der bioziden und biokompatiblen Wirkung von ABS auf gängige Thermoplaste wie Polyolefine oder Polyamide ist bereits erfolgreich getestet. Aus der Perspektive von Gigaset kommt eine industrielle Verwertung des mit Additiven versetzten ABS von Granula Polymer in Frage und ist bereits konkret in der Vorentwicklung eines Produktes. Klaus Göring: „Wir sehen hier einen hohen Nutzen und einen erheblichen Wettbewerbsvorteil.“ Erste Bedenken wurden hier noch bei der Aufskalierung der Projektergebnisse gesehen. Das liegt vor allem an der Tatsache, dass bislang nur geringe Mengen des innovativen Materials im Rahmen der Projektversuche verwertet werden konnten. Im Verhältnis zu rund 900 Tonnen ABS-Material, die bei Gigaset aktuell den Jahresverbrauch für die Herstellung von Schnurlosgeräten widerspiegeln, müssen zwangsläufig andere Wege bei der Herstellung des Materials gegangen werden. Unter der Moderation der KIMW-F wird nun bei Granula an der Herstellung großer Mengen des Compounds gearbeitet. Klaus Göring: „Diese Compounds könnten für eine Sonderedition von Schnurlostelefonen mit biozid wirkender Gehäuseoberfläche verwendet werden. Bei der angedachten Umsetzung in Serie dürften die ersten Schnurlostelefone von Gigaset mit biozider Wirkung in Krankenhäusern oder Arztpraxen zum Einsatz gelangen.“

Quelle: Gemeinnützige KIMW-F, Granula Polymer, Gigaset Communications

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