Petrischalen mit Fett und Öl

(Bild: Neste)

Der Klimawandel erfordert ein Umdenken bei allen, auch in der Kunststoffindustrie. Bis heute sind die vorherrschenden Rohstoffe für die Herstellung von Polymeren fossiler Natur: Der Rohölbedarf der globalen Petrochemie liegt zwischen 10 und 15 Mio. Barrel pro Tag [1]. Treibhausgasemissionen sind mit der Produktion des als Rohstoff verwendeten Erdöls verbunden, und zusätzliche Treibhausgasemissionen können am Ende der Lebensdauer der Kunststoffprodukte entstehen, wenn sie beispielsweise zur energetischen Verwertung verbrannt werden. Im Hinblick auf die ehrgeizigen Klimaziele arbeiten Unternehmen an Möglichkeiten, fossile Rohstoffe zu ersetzen. Neben Recycling liegen große Hoffnungen auf erneuerbaren Rohstoffen. Die Unternehmen Illig, Lyondellbasell, W. u. H. Fernholz und Neste haben im Frühjahr dieses Jahres in einem Projekt gezeigt, dass der Einsatz solcher erneuerbarer Rohstoffe mit bestehender Infrastruktur nicht nur möglich ist, sondern auch ohne Einbußen bei der Qualität der Endprodukte einhergeht [2]. Gegenstand des Projekts war dabei das Herstellen eines herkömmlichen Joghurtbechers aus dem Kunststoff Polypropylen (PP) mit messbarem erneuerbarem Anteil. Das Projekt konzentrierte sich auf vier Prozessschritte entlang der Wertschöpfungskette, von denen jedes der beteiligten Unternehmen einen übernahm. Neste stellte den erneuerbaren Grundrohstoff für das Herstellen von erneuerbarem PP durch Lyondellbasell bereit. Das Granulat wurde von W. u. H. Fernholz zu Folien verarbeitet, aus denen anschließend bei Illig die Becher thermogeformt wurden. Um einen direkten Vergleich mit einem herkömmlichen PP auf Basis fossiler Rohstoffe zu ermöglichen, wurden entsprechende Folien parallel gefertigt und verarbeitet.

Durchsichtige Plastikbecher.
Kein Unterschied beim Thermoformen und Prüfen der Becher aus fossilem PP (links) und erneuerbarem PP (rechts) feststellbar. (Bild: Illig)

Wie aus Abfällen und Reststoffen erneuerbare Kunststoffe werden

Glaspipette mit brauner Flüssigkeit.
(Bild: Neste)

Als Grundrohstoff für die Machbarkeitsstudie diente 100 % erneuerbares Neste RE. Hierbei handelt es sich um Kohlenwasserstoffe, die aus Rohstoffen wie Abfall- und Restölen sowie -fetten hergestellt werden. Dazu zählen etwa bereits genutzte Speiseöle oder Reststoffe aus der Pflanzenölproduktion. Die verschiedenen Materialien werden zunächst vorbehandelt, das heißt vor allem gereinigt, je nach Ausgangsmaterialien etwa von Sand oder Salzen. Im nächsten Schritt wird Wasserstoff zugesetzt: Bei allen Ölen und Fetten handelt es sich prinzipiell um Kohlenwasserstoffketten mit Sauerstoff (O) in den Endgruppen, der durch einen katalytischen Hydrogenolyse-Prozess entfernt wird. Dabei reagiert der vorhandene Sauerstoff mit dem zugeführten Wasserstoff (H) zu Wasser (H2O) und übrig bleiben reine Kohlenwasserstoffketten. Es entstehen Produkte wie erneuerbarer Diesel, Naphtha oder Propan. Chemisch sind diese erneuerbaren Rohstoffe von fossilen nicht zu unterscheiden. Das ermöglicht einen identischen Einsatz, etwa als Rohstoff für die Kunststoff- und Chemieindustrie. Sie können in Reinform oder auch gemischt mit fossilen Kohlenwasserstoffen verwendet werden. Einen großen Unterschied gibt es beim Blick auf die Klimabilanz. Der Einsatz von erneuerbaren Rohstoffen bedeutet einen Rückgriff auf Kohlenstoff aus dem natürlichen Kohlenstoffkreislauf: So haben etwa Pflanzen, die für die Öl- und Fettherstellung eingesetzt wurden, während ihres Wachstums Kohlenstoff aus der Atmosphäre absorbiert. Das schlägt sich in der Klimabilanz nieder: Der Einsatz von 100 % erneuerbarem Neste RE senkt etwa die Treibhausgasemissionen gegenüber fossilen Rohstoffen um mehr als 85 % [3].

Kunststoffrecycling: Der große Überblick

Mann mit Kreislaufsymbol auf dem T-Shirt
(Bild: Bits and Splits - stock.adobe.com)

Sie wollen alles zum Thema Kunststoffrecycling wissen? Klar ist, Nachhaltigkeit hört nicht beim eigentlichen Produkt auf: Es gilt Produkte entsprechend ihrer Materialausprägung wiederzuverwerten und Kreisläufe zu schließen. Doch welche Verfahren beim Recycling von Kunststoffen sind überhaupt im Einsatz? Gibt es Grenzen bei der Wiederverwertung? Und was ist eigentlich Down- und Upcycling? Alles was man dazu wissen sollte, erfahren Sie hier.

So entsteht Polypropylen mit kleinerem CO2-Fußabdruck

Die erneuerbaren Kohlenwasserstoffe wurden in einem nächsten Schritt durch Lyondellbasell zum Herstellen von Polypropylen verwendet. Der Polymerhersteller verfolgt das Ziel, bis 2030 jährlich 2 Mio. t recycelte und erneuerbare Polymere zu produzieren. Seit 2021 stellt das Unternehmen im Rahmen seines Circulen-Portfolios Polypropylen und Polyethylen aus erneuerbaren Rohstoffen im kommerziellen Maßstab her. Beide Polymere sind sowohl über Massenbilanzierung als auch mit messbarem C14-Gehalt (Certified Carbon 14) verfügbar. Bei letzterem findet eine physische Trennung der Produktion mit erneuerbaren Rohstoffen statt. Bei der Massenbilanzierung werden eingesetzte Rohstoffe rechnerisch bestimmten Produkten zugeordnet – ähnlich wie beim Bezug von grünem Strom: Wer grünen Strom bestellt, erhält die Garantie, dass die verbrauchte Menge Strom aus erneuerbaren Quellen produziert wurde. Da im Stromnetz grüner mit herkömmlichem Strom gemischt wird, weiß letztlich aber niemand, ob aus der Steckdose wirklich „grüne Elektronen“ kommen. Ziel des Circulen-Portfolios ist das Erreichen nachhaltiger Lösungen, weshalb Neste RE als Ausgangsmaterial sehr gut zur Produktreihe passt. Für die vorliegende Studie wurde Circulen-Renew mit gemessenem und zertifiziertem C14-Gehalt gewählt. In der Steamcracker-Anlage in Wesseling wurden die langkettigen erneuerbaren Kohlenwasserstoffe zu kürzeren Monomeren verarbeitet und anschließend zu PP-Granulat polymerisiert. In mehreren Versuchen konnte das Unternehmen nachweisen, dass die Verarbeitung des Rohstoffs auf Basis nachwachsender Rohstoffe identisch mit der von fossilen Rohstoffen ist. Entsprechend ließen sich die Kohlenwasserstoffe auch genauso im Cracker und der bestehenden Anlageninfrastruktur verarbeiten und anschließend polymerisieren wie fossile Rohstoffe.

Maschine mit weißer Folie.
Die Folie wurde auf einer Standardextrusionslinie hergestellt. (Bild: W. u. H. Fernholz)
Zitat

Der Anteil von Abfällen und Reststoffen an den erneuerbaren Rohstoffen bei Neste lag im ersten Quartal 2022 bei 95 %.

Folienextrusion ohne Qualitätseinbußen

Im Anschluss wurde im Fernholz-Werk das PP-Granulat zu Folie verarbeitet. Beim Extrusions-Equipment handelte es sich um Anlagen vom Typ High-Speed Extruder von Battenfeld-Cincinnati und moderne Glättwerkstechnologie/Nachfolge. Die Folienproduktion erfolgte beim fossilen als auch beim erneuerbaren Granulat mit identischen Parametern. Dabei wurde Wert auf Standardprozessbedingungen gelegt, um Vergleichbarkeit mit der regulären Produktion sicherzustellen. Im Extruder wurde das Granulat bei über 200 °C aufgeschmolzen und die Schmelze zu Folie mit der Dicke von 1,2 mm und der Breite von 730 mm verarbeitet. Während der Extrusion erfolgte ein Monitoring relevanter Prozessparameter, zudem wurden die regulären QS-Prozeduren durchgeführt. Beim Verarbeiten konnten keinerlei Unterschiede zwischen Folie basierend auf fossilem PP-Granulat und PP-Granulat aus erneuerbaren Werkstoffen festgestellt werden.

Mehrere kleine Glasfläschchen mit blauem Kunststoffdeckel. Darin diverse farbige Flüssigkeiten.
Auswahl erneuerbarer Rohstoffe im Labor von Neste. (Bild: Neste)

3 Fragen an... Dr. Martin Bussmann, Renewable Polymers and Chemicals bei Neste.

Mann mit Brille.
Dr. Martin Bussmann, Renewable Polymers and Chemicals bei Neste. (Bild: Neste)

Wie hoch ist die Ausbeute beim Recycling der Öle und wie werden die Reststoffe verwertet?

Im Prozess der Vorbehandlung werden die Rohstoffe gereinigt. Alles, was den Prozess behindern würde, wird entfernt und einem anderen Nutzen zugeführt – etwa für die Herstellung von Biogas oder Kompost. Im Raffinerieprozess entsteht beispielsweise Biopropan, das verkauft oder für den Betrieb der Anlage genutzt werden kann. In allen Prozessen wird Abwasser aufgefangen und aufbereitet. 2021 hat Neste insgesamt 3,7 Mio. t an erneuerbaren Rohstoffen in rund 3,3 Mio. t erneuerbare Produkte verarbeitet – darunter Diesel, Flugzeugtreibstoff und Rohstoff für die Kunststoff- und Chemieindustrie.

 

Sie beziehen die Fette und Öle in unterschiedlichen Mengen aus verschiedenen Branchen. Um welche Quellen handelt es sich und bieten die verfügbaren Mengen Wachstumspotential?

Wir nutzen ein breites Portfolio an Abfällen und Reststoffen, was uns bei der Bedienung von Markt- und Kundenanforderungen flexibel macht. Tierische Fette, altes Speiseöl und diverse Abfälle und Reststoffe aus der Pflanzenölproduktion gehören zu den drei größten Rohstoffgruppen. Je nach Verfügbarkeit, Preis und Marktanforderungen variiert ihr Anteil von Jahr zu Jahr. Wenn es um das Wachstumspotenzial geht, ist davon auszugehen, dass die verfügbaren Rohstoffe für unsere NEXBTL-Technologie bis 2030 ein Volumen von etwa 40 Mio. t pro Jahr erreichen. Wir suchen kontinuierlich weitere Abfälle und Reststoffe, auch niedrigerer Qualität, um diese zu Kraftstoffen und Rohstoffen für die Chemie- und Kunststoffindustrie zu verarbeiten. Wir arbeiten etwa an sauren Ölen oder Klärschlamm aus der Palmölproduktion sowie an Algenölen und Lignocellulose.

 

Würden Sie Ihre Produkte als ethisch bezeichnen?

Unser Ziel ist es, bei erneuerbaren und Kreislauflösungen weltweit führend zu werden. Bereits 2021 haben unsere erneuerbaren Produkte es unseren Kunden ermöglicht, ihre Treibhausgasemissionen um 10,9 Mio. t zu senken. Bis 2030 wollen wir diese Zahl auf 20 Mio. t pro Jahr steigern. Beim Thema Nachhaltigkeit setzen wir hohe Standards, unsere Nachhaltigkeitsvision ist integraler Bestandteil der Transformation von Neste. Wir können alle erneuerbaren Rohstoffe, die wir einsetzen, bis zur Entstehung zurückverfolgen – bis zum Anbau oder der Herstellung. Zudem verpflichten wir uns zu hohen ethischen Standards. Das heißt, wir agieren transparent, verantwortungsvoll, integer und im Einklang mit unseren Werten. Zudem müssen unsere Lieferanten und Geschäftspartner sich an geltende Gesetze halten und vergleichbaren ethischen Standards folgen, wie wir sie in unserem Code of Conduct beschreiben. Wir sind überzeugt, dass wir so einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel leisten können.

 

 

 

Keine messbaren Unterschiede bei der Thermoformung

Bei der Thermoformung im Illig Technology Center in Heilbronn wurde im Anschluss für die Musterherstellung eine RDM 73K Produktionsmaschine sowie ein 30-fach Becher-Produktionswerkzeug eingesetzt (SR 45764), um einen Joghurtbecher mit 200 ml Fassungsvermögen herzustellen. Die Taktzahl lag bei beiden Folientypen bei 29 Takten pro Minute. Im Mittelpunkt der Versuchsreihe standen Thermoformbarkeit, Schwindung, Stapelhöhe, Top Load sowie die Wanddickenverteilung der Bechermuster. Die Werkzeugschwindung wurde mit einem optischen Messprüfstand vermessen, die Stapelhöhe nach interner Prüfung mechanisch ermittelt. Den Top Load führte der Maschinenhersteller angelehnt an DIN 55440 (Packmittelprüfung - Ermittlung des Stauchwiderstands - Teil 1: Prüfung mit konstanter Vorschubgeschwindigkeit) mit einer 2,5 kN Materialprüfmaschine durch. Die Wanddickenverteilung wurde mit einem Kugelmesskopf an mehreren Positionen ermittelt. Im Ergebnis ließen sich beide Folien, basierend auf erneuerbaren und fossilen Rohstoffen, mit identischen Maschinenparametern thermoformen. Die erzielten Becherkennwerte bei den oben genannten Eigenschaften waren äußerst ähnlich, sodass keine signifikanten Abweichungen messbar waren. Mit Bezug auf die Thermoformung können die beiden untersuchten PP-Typen daher als identisch betrachtet werden.

Werk von Lyondellbasell.
Am Lyondellbasell-Standort in Wesseling wurden die erneuerbaren Rohstoffe polymerisiert. (Bild: Lyondellbasell)

Erneuerbare Rohstoffe als Drop-in Lösung geeignet

Das Gemeinschaftsprojekt der vier Partner zeigt, dass sich erneuerbare Rohstoffe als sogenannte Drop-in Lösung eignen: Sie können entlang der gesamten Wertschöpfungskette in bestehenden Anlagen eingesetzt und weiterverarbeitet werden. Unterschiede bei Qualität oder Produkteigenschaften treten nicht auf. Sie bieten damit eine Möglichkeit zum Verringern von Treibhausgasemissionen mit sehr geringen Hürden beim Umsetzen. Aufgrund der identischen chemischen Zusammensetzung können Produkte aus erneuerbarem wie aus fossilem PP an ihrem Lebensende zudem recycelt werden und eignen sich damit für eine Kreislaufwirtschaft in der Kunststoffindustrie.

Die Kreislaufwirtschaft ist eines der Schwerpunktthemen auf der K Messe 2022 in Düsseldorf. Deshalb wird dieses Projekt am Stand von Illig (Halle 3/Stand A52) präsentiert.

Literatur

[1] Internationale Energieagentur (2021); World Energy Outlook 2020, IEA, Paris.
[2] Versuchsbericht: Materialvergleich von konventionellem und aus nachwachsenden Rohstoffen hergestelltem PP, März 2022; Illig, Neste, Lyondellbasell, Fernholz
[3] Life Cycle Assessment on Environmental Impacts of Neste Renewable Polymers and Chemicals (30 June 2021).

Quelle: Neste

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