Eine Hand in einem hellbauen Gummihandschuh, die weiße kleine Granulatkörner in der Handinnenfläche hält.

Die keramischen Werkstoffe liegen zum Verarbeiten in Granulatform vor. (Bild: Krahn Ceramics)

Mann mir kurzen braunen Haaren, grauem Jackett und weißem Hemd.
Dr. Stefan Stolz (Bild: Redaktion)

Herr Stolz, Sie sagen, es gibt Anwendungen im Kunststoffbereich, bei denen es sinnvoll sein kann, statt Polymer Keramik einzusetzen. Welche Anwendungen bieten sich hier an? Könnten sich die beiden Werkstoffklassen auch ergänzen?

Dr. Stefan Stolz: Grundsätzlich können sich Polymere und Keramik sehr gut ergänzen. Aufgrund der sehr guten und stark unterschiedlichen Eigenschaften von Keramik, wie beispielsweise die mechanische Festigkeit, Ästhetik sowie Haltbarkeit und hohe Temperaturbeständigkeit, bieten sich eine Vielzahl von Anwendungen an, unter anderem in der Automobilindustrie. Auch im Maschinenbau und bei Verschleißanwendungen wie in der Textiltechnik, Pumpentechnik oder für Sprühdüsen kann eine Umstellung auf Keramik lohnen. Je nach den Anforderungen an ein Produkt können keramische Werkstoffe die Lösung sein. Eine intelligente Lösung wäre, Keramik da zu verwenden, wo sie unbedingt gebraucht wird und das übrige Bauteil aus Kunststoff herzustellen. Dies ist wirtschaftlich vorteilhaft. Beispielsweise können Einlegeteile aus Keramik mit Kunststoff überspritzt werden. Das erspart Assemblierungszeit und trägt zur lokalen Verstärkung bei.

Wie sind die keramischen Pulver aufgebaut, damit diese spritzgießbar sind?

Stolz: Um die Spritzgusstechnik anwenden zu können, benötigt man einen hochgefüllten Feedstock mit rund 85 % Feststoffbeladung. Dieser besteht aus keramischem Pulver, Bindemittel und Additiven. Das verwendete Bindemittel, zum Beispiel PE, Wachs, PA oder POM, richtet sich nach den jeweiligen Kundenanforderungen wie dem Prozess, der Applikation oder der Bauteilgeometrie. Ziel ist, nur so viel Binder wie nötig einzusetzen, damit das Pulver für den Spritzgießprozess fließfähig wird und gleichzeitig das Bindemittel wieder leicht entfernt werden kann. Wir verwenden häufig Bindemittelsysteme zur wässrigen Entbinderung. Dies ist auch vorteilhaft in Hinblick auf die Umwelt, denn es sind keine Lösemittel oder Säuren zur Weiterverarbeitung erforderlich.

Ausschnitt im Innern einer Spritzgießmaschine.
Die keramischen Bauteile können auf Standardspritzgießmaschinen produziert werden. (Bild: Krahn Ceramics)

Benötigt der Verarbeiter eine besondere Maschinentechnik?

Stolz: Für das Verarbeiten wird keine besondere Maschinentechnik benötigt, denn keramische Werkstoffe sind auch mit Spritzgießmaschinen aus dem Kunststoffbereich verarbeitbar. Bei sehr abrasiven keramischen Pulvern kann eine entsprechende Ceramic Injection Mold-ing (CIM) Garnitur mit Schnecke und Gehäuse aus Hartmetallausführung erforderlich sein. Zu beachten ist auch, dass das Spritzgießwerkzeug aufgrund der Einberechnung der Sinterschwindung größer ausgelegt werden muss. Denn der Aufmaß- beziehungsweise Schrumpffaktor vom Grünling zum Bauteil kann bis zu 20 % betragen. Zum Vergleich: Kunststoffe schwinden im Bereich von maximal 0,1 bis 1 %. Durch die Feststoffbeladung – also das Verhältnis zwischen Pulver, Binder und Additiven – sowie die Partikelgröße und Dichte des Pulvers, kann dieser Schwund ermittelt und eingestellt werden. Abhängig vom Bindersystem und Feststoffgehalt sind unterschiedliche Temperaturen zu beachten: Eine Massetemperatur von 150 bis 200 °C und eine Werkzeugtemperatur, die zwischen 50 und 140 °C liegt.

Weiße Kunststoff-Armbanduhr, die in einer Hand liegt.
Die Oberflächen der Keramikteile erhalten nach dem Formgebungsprozess noch das gewünschte Finish. (Bild: Krahn Ceramics)

Sind die Bauteile werkzeugfallend einsetzbar oder sind weitere Fertigungsschritte erforderlich?

Stolz: Nach dem Spritzgießen müssen die Teile noch entbindert und gesintert, und je nach Anwendungsbereich und Bedarf können diese anschließend auch poliert oder gleitgeschliffen werden. Als Projektpartner unterstützen wir die Verarbeiter entlang der gesamten Wertschöpfungskette und können diese erforderlichen Schritte in unserem langjährigen Netzwerk organisieren.

Wie zuvor ausgeführt, unterstützen Sie die Verarbeiter entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Wie lange dauert der Produktionsprozess im Schnitt?

Stolz: Hier kommt es darauf an, an welchem Punkt in der Wertschöpfungskette eingestiegen wird. Schritte, die etwas zeitintensiver sind, sind die thermischen Prozessschritte beim Entbindern und Sintern. Je nach Bauteil und Ofentechnik kann dies mehrere Tage in Anspruch nehmen.

Welche Bauteile, die auch aus Polymeren gefertigt werden könnten, werden aus Keramiken hergestellt und weshalb?

Stolz: Aufgrund der Biokompatibilität und Langlebigkeit werden Teile aus der Dental- und Medizintechnik meist aus Keramik hergestellt. Auch Bauteile in der Schmuckindustrie, wie beispielsweise Uhrengehäuse, sind dank der Ästhetik und Kratzfestigkeit häufig aus Keramik. Bei Sensoranwendungen, die hohen Temperaturen oder aggressiven Medien ausgesetzt sind, werden ebenfalls Keramiken eingesetzt. In puncto Härte hat diese Werkstoffklasse ebenfalls sehr gute Werte und reicht sogar an Diamant heran. Wie bereits gesagt, ergeben sich aufgrund dieser extremen Härte viele Einsatzmöglichkeiten bei Verschleißanwendungen, wie zum Beispiel Mahlscheiben in Kaffeemahlwerken.

Wie steht es um die Oberflächengüte der Bauteile?

Stolz: Bei technischen Anwendungen ist häufig keine Nachbearbeitung nötig, da sehr feine Pulver im Mikro- und Nanobereich zum Einsatz kommen. Diese sind für die Sinterfähigkeit von Keramik wichtig. Je nach Anwendung kann individuell entschieden werden, ob nach dem Sintern noch gleitgeschliffen oder poliert wird. Bei Uhrenteilen, Dichtscheiben oder Kugellagern ist eine Nachbearbeitung in der Regel erforderlich.

Kunststoffrecycling: Der große Überblick

Mann mit Kreislaufsymbol auf dem T-Shirt
(Bild: Bits and Splits - stock.adobe.com)

Sie wollen alles zum Thema Kunststoffrecycling wissen? Klar ist, Nachhaltigkeit hört nicht beim eigentlichen Produkt auf: Es gilt Produkte entsprechend ihrer Materialausprägung wiederzuverwerten und Kreisläufe zu schließen. Doch welche Verfahren beim Recycling von Kunststoffen sind überhaupt im Einsatz? Gibt es Grenzen bei der Wiederverwertung? Und was ist eigentlich Down- und Upcycling? Alles was man dazu wissen sollte, erfahren Sie hier.

Die Themen Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit beschäftigen aktuell nicht nur die Kunststoffindustrie. Wie sieht es diesbezüglich in der Welt der Keramik aus?

Stolz: Generell könnte man bei Keramik von einem nachhaltigen Material sprechen, da es sich gerade durch Langlebigkeit und Verschleißfreiheit auszeichnet. Häufig werden auch Produkte verwendet, die in anderer Form bereits in der Natur vorkommen – wie beispielsweise Korund. Wir haben Projekte gestartet, die das Recycling von Materialresten bei der Aufbereitung erforschen. Natürlich muss aber auch in Betracht gezogen werden, dass das Brennen beziehungsweise Sintern von Keramiken ein energieintensiver Prozess ist, für den aktuell neue Verfahren erprobt werden. Grüner Wasserstoff wird zukünftig eine wichtige Rolle einnehmen.

Wie ist das Fazit von Krahn Ceramics, nachdem sie erstmals auf einer Kunststoffmesse ausgestellt haben?

Stolz: Wir freuen uns, dass wir auf der K als Aussteller teilnehmen konnten und haben viele interessante und vielversprechende Gespräche geführt. Darunter auch einige mit Firmen, die bisher noch nicht über den Einsatz von Keramik nachgedacht haben. Zudem konnten wir neue Lösungsansätze und Ideen mit bestehenden Kunden aus dem Kunststoffbereich unseres Unternehmensverbundes in der Otto Krahn Gruppe besprechen.

Quelle: Krahn Ceramics

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