Zwischen einem Zeigefinger und Daumen wird ein geknickter Holzlöffel gehalten. Die mechanischen Eigenschaften wurden auf die Belastungssituation von Einmalbesteck angepasst.

Die mechanischen Eigenschaften wurden auf die Belastungssituation von Einmalbesteck angepasst. (Bild: Redaktion)

Mann mit Glatze und pinkem Hoodie. Dennis Göhner ist Weiterdenker und Gründer von Pinkplastics.
Dennis Göhner ist Weiterdenker und Gründer von Pinkplastics. (Bild: Dennis Göhner ist Weiterdenker und Gründer von Pinkplastics.)

Kompostierbare Eislöffel – bekannt, rezyklierbare Pommesgabeln – sowieso, aber beides aus einem heimkompostierbaren oder rezyklierbaren Biopolymer, das ist neu. Herr Göhner, wie kamen Sie auf die Idee, dass der Markt solch ein Biocompound benötigt?
Dennis Göhner: Seit nunmehr 20 Jahren bin ich in der Kunststoffbranche tätig und somit auch mit offenen Augen im Alltag unterwegs. In dieser Zeit sind mir viele sinnfreie Produkte über den Weg gelaufen, die mich zum Grübeln gebracht haben. Ich konnte nicht immer nachvollziehen, warum viele Anwendungen nicht zu Ende gedacht werden. Wir gehen in vielerlei Hinsicht sehr unbedacht mit unseren Ressourcen um und stellen in sehr vielen Fällen die Quantität sowie Preis vor Qualität. Vor über zehn Jahren fand ich zudem großen Gefallen an Biopolymeren und war einfach immer auf der Suche nach Innovationen, um daraus mögliche Produkte zu kreieren. Da bei genauem Hinschauen jedoch viele Alternativen sich als unattraktiv herausstellten sowie die Kreislauffähigkeit nicht gegeben oder gewollt war, muss man die Dinge neu denken. Dies veranlasste mich, die Perspektive zu wechseln und mit schärferem Fokus Dinge zu beleuchten. Wir wollen Dinge hinterfragen, neu denken und anschließend sinnvoll lösen. Dies beginnt unserer Meinung nach bei der Entwicklung und somit bei der Materialauswahl. Wir treten an, um die Dinge clever umzusetzen und somit maximale Ressourceneffizienz zu gewährleisten, dies bedeutet für uns Nachhaltigkeit weiter gedacht.

Herr Beutler, Sie haben den Werkstoff Natureform Home Compost entwickelt. Wie können sich unsere Leser die Rezeptur vorstellen?
Niclas Beutler: Wir haben ein Material entwickelt, welches auf den Bestandteilen der Papierherstellung beruht – Kreide, Zellulose, Kaolin und native Stärke sind hier Hauptbestandteile. Pinkplastics hat uns zu einem frühen Zeitpunkt der Produkt-/Konzeptentwicklung kontaktiert, da sie auf der Suche nach einem neuartigen Material waren. Wir standen und stehen in ständigem Austausch, sodass Pinkplastics an der kontinuierlichen Weiterentwicklung des Werkstoffs beteiligt ist.

Was waren in der Entwicklungsphase die Herausforderungen, um die Vorgaben der Abbaubarkeit sowie dem Kreislaufgedanken zu erfüllen?
Beutler: Die richtige Materialkombination für die biologische Abbaubarkeit zu gewährleisten, aber gleichzeitig die gewünschte Mechanik und Rheologie beizubehalten. Hierfür waren einige Iterationsschleifen nötig, sie sind jedoch Teil jedes Materialentwicklungsprozesses.

Und die Hobbygärtner interessiert eine wichtige Information: Wie schnell wird der Werkstoff im Kompost abgebaut?
Beutler: Da die „Hobbygärtner“ immer die Produkte in den Händen halten, kommt es vor allem auf die Geometrie des Formteils an. Grundsätzlich ist das Material zertifiziert, jedoch besitzt nicht jeder einen nach EN DIN 13432 angelegten Heimkompost mit entsprechender Temperaturführung. Somit muss hier klar gesagt sein, dass die Abbauzeit entscheidend von der Wanddicke des Bauteils abhängt. Bei geringen Wanddicken tritt die Abbaubarkeit deutlich schneller auf. Der Abbau beginnt bereits nach wenigen Wochen. Der Eislöffel beispielsweise ist nach sechs Monaten zu 90 % abgebaut.

Wie lässt sich nun hieraus ein Ansatz bei der Auswahl eines geeigneten Biopolymers ableiten, um innovative Produkte für den gesamten Lebenszyklus zu erstellen, um somit in die Kreislaufwirtschaft zu gelangen?
Beutler: Da es am Markt verschiedene Lösungen auf stärke-, milchsäure-, zellulosebasierte Materialien gibt, sind zuerst immer die gewünschten Anforderungen zu definieren. Somit ist es hier schwer aufzuzeigen, was gut und weniger gut geeignet ist. Was uns auszeichnet, ist zudem die Individualität bei der Erarbeitung eines geeigneten Konzeptes, um die Möglichkeit der Rückführung zu gewährleisten. Dies bietet uns alle Möglichkeiten, Materialien und somit Produkte dem Markt anzubieten, die dann letztendlich auch rückführbar sind. Neben der Materialentwicklung war uns auch wichtig, ein geeignetes Konzept zu erarbeiten, mit dem die Produkte rückgeführt, sprich im Kreislauf gehalten werden können. Das Konzept sieht vor, dass Pinkplastics die Neuware von uns bezieht und die Bestecke fertigt. Im Direktvertrieb durch Pinkplastics werden diese verkauft, sodass wir wissen, wer sie bezogen hat. Auf jeder Verpackungseinheit befinden sich Informationen zum Rücknahmeangebot und der Kreislauffähigkeit. Erfolgt die Rückgabe, so wird bei der nächsten Bestellung ein Rabatt gewährt. Nach dem Waschen und Zerkleinern wird das Mahlgut von RKF regranuliert und nach erfolgreicher Prüfung mit den Materialprüfzeugnissen zurück zu Pinktplastics gesendet. Je nach Ergebnis der Qualitätsprüfung werden daraus neue Bestecke oder andere Produkte wie Dämmstoffteller für die Bauindustrie gefertigt.

Mann mit kurzen braunen Haaren und weißem Hemd hält einen hellen Kaffeebecher in der Hand. Niclas Beutler, Mitgründer und Geschäftsführer von Nature Compound, hat das Biocompound entwickelt, um beispielsweise bei Festivals die Müllentsorgung zu vereinfachen: Becher, Besteck und Teller aus einem Werkstoff.
Niclas Beutler, Mitgründer und Geschäftsführer von Nature Compound, hat das Biocompound entwickelt, um beispielsweise bei Festivals die Müllentsorgung zu vereinfachen: Becher, Besteck und Teller aus einem Werkstoff. (Bild: Nature Compound)

Herr Göhner, wie lässt sich dieser neuartige Werkstoff im Spritzguss verarbeiten?
Göhner: Grundsätzlich ist die Verarbeitung wirklich gut, jedoch bedarf es hierfür Offenheit, um in gewissen Situationen einen neuen Blickwinkel einzunehmen. Beispielsweise im sich in Geduld üben, da man oft nur mit kleinen Schritten dem gewünschten Ziel entgegengeht. Dies ist aber genau der Reiz an der ganzen Sache.
Da wir hier mit vielen natürlichen Inhaltsstoffen arbeiten, die man auch angenehm riechen kann, stellt sich automatisch eine neue Herangehensweise ein. Mit diesem Material wird auch der Begriff Kunststoff neu definiert, denn wir müssen uns viel stärker mit physikalischen Gesetzen und der Natur beschäftigen.

Stellt diese Werkstofftype spezielle Anforderungen an die Prozessführung, an das Heißkanalsystem oder das Werkzeug?
Göhner: Grundsätzlich sollte man bei der Verarbeitung gefüllter Werkstoffe auf die Verwendung eines geeigneten Heißkanals mit entsprechender Verschlussmechanik achten – so auch hier. Dies verbessert definitiv die Prozessstabilität. Bei der Auswahl der geeigneten Oberflächenstruktur, die vom Werkzeug auf die Produktoberfläche übertragen wird, sind viele möglich, jedoch haben wir hier auch schon unsere Erfahrungen sammeln dürfen, was geht oder man eher sein lässt.

Welche Zulassungen hat der Werkstoff?
Beutler: Der Werkstoff ist lebensmittelkonform und besitzt neben der Kosmetikzulassung die SVHC-Stoff-Prüfung (Substances of Very High Concern) sprich, bestand die Unbedenklichkeitsprüfung.

Weshalb ist es Ihnen wichtig, dass der Werkstoff heimkompostiert oder recycelt werden kann?
Göhner: Hinter all unserem Tun steckt unsere Philosophie – Nachhaltigkeit weiter gedacht. Somit liegt es auf der Hand, dass wir uns schon am Anfang Gedanken hinsichtlich richtigem Materialeinsatz und seiner Rückführung machen. Es wird bei uns kein Produkt konzipiert, woraus sich die gleichen Herausforderungen für die Umwelt oder die Kreislauffähigkeit ergeben, die wir heute alle genau kennen oder kennen sollten. Das Bewusstsein der Generation von heute oder auch der von morgen ist sensibilisiert und es bedarf ein einfaches Umdenken. Daher versuchen wir, mit unseren Partnern Lösungen aus sinnvollem Material zu generieren. Diese müssen oder besser gesagt, können auch nicht immer aus Biocompounds realisiert werden, daher ziehen wir hier auch Wertstoffströme (Mahlgüter, Regranulate) in Betracht, die auf Erdöl basieren. Nur so kann eine tatsächliche Kreislaufwirtschaft gelingen, um im Sinne des Nachhaltigkeitsdreiklangs aus Ökologie, Ökonomie und Sozialem zu handeln.

Alles zum Thema Biokunststoffe

Eine Hand reißt einen Papierstreifen weg. Darunter steht das Wort "Biokunststoff"
Wissenswertes über Biokunststoffe finden Sie in unserem Übersichtsartikel. (Bild: thingamajiggs - stock.adobe.com)

Auf dem Weg zu einer klimaneutralen Zukunft müssen verschiedenste Rädchen ineinander greifen. Doch wie schaffen wir es, die Dekarbonisierung unserer Gesellschaft umzusetzen? Biokunststoffe sind ein wichtiger Hebel um diesem Ziel näher zu kommen. Doch was wird unter einem Biokunststoff eigentlich verstanden? Wo werden diese bereits eingesetzt? Und ist "Bio" wirklich gleich "Bio"? Wir geben die Antworten. Alles, was Sie zu dem Thema wissen sollten, erfahren Sie hier.

Mann mi weißem Poloshirt. Benjamin Stoll ist als Bereichsleiter F&E/QM bei RKF für das Herstellen und Prüfen der Biocompounds zuständig.
Benjamin Stoll ist als Bereichsleiter F&E/QM bei RKF für das Herstellen und Prüfen der Biocompounds zuständig. (Bild: Redaktion)

Ein oft genanntes Manko von Rezyklaten ist deren geringere Eigenschaftskonstanz im Vergleich zu Neuware. Wie ist es um diese bei diesem zellulosebasierten Biocompound bestellt, Herr Stoll?
Benjamin Stoll: An dieser Stelle brauchen wir einen kurzen Exkurs über Sorten- und Typenreinheit im mechanischen Recycling. Sortenreinheit bedeutet, dass die Rezyklate aus einem Polymer bestehen wie beispielsweise PA6. Die Typenreinheit besagt, dass das Rezyklat nur aus einer bestimmten Type besteht. Zum Beispiel Ultramid B3 WG6 oder Durethan BKV 130, was zwangsläufig in einem Mengen- und auch Organisationsproblem endet, da es nicht genügend typenreine Abfälle gibt und eine einzelne Typentrennung zu aufwendig ist.
Eine Sortenreinheit bietet die Möglichkeit, verschiedenen PA6-Typen zu mischen, um genügend Menge zu erhalten, die relativ einfach gesammelt und vermahlen werden kann. Um nun eine hohe Eigenschaftskonstanz zu erreichen, benötigt man gleichbleibende, vertrauensvolle Rohstoffquellen, ein umfangreiches Analyseequipment, Know-how der Bediener, umfangreiche Prozesse zur Probenentnahme und Probenvorbereitung und zu guter Letzt: Homogenisiermöglichkeiten! Bei zellulosebasierten Biocompounds ist der Markt noch bedeutend kleiner als im Polyamid-Bereich, was die Rohstoffquellen deutlich reduziert. Hier gibt es die Chance, von Anfang an mit allen Beteiligten im Lebenszyklus eines Produkts aus Biocompound – auch den Endverbrauchern – eine echte Kreislaufwirtschaft zu etablieren, mit Rücknahmesystemen und dem Ziel, typenrein trennen zu können. Dies würde eine sehr hohe Eigenschaftskonstanz erzeugen, die man sich sonst, wie in dem Exkurs bei Polyamid beschrieben, durch viel Analyse und Aufwand erarbeiten müsste. Wo die Reise auch hingeht, die Eigenschaftskonstanz lässt sich auch bei zellulosebasierten Biocompounds realisieren.

Bisher haben Sie Rezyklatcompounds aus fossilbasierten Kunststoffen hergestellt und deren Eigenschaften geprüft. War es notwendig, für diese Werkstoffklasse neue oder zusätzliche Prüfungen einzuführen?
Stoll: Da wir bereits sehr viele Analysemethoden anwenden, war es noch nicht notwendig,  zusätzliche Geräte zu beschaffen. Ein Umdenken ist jedoch erforderlich. Denn beispielsweise ist es schwierig, einen Glührückstand zu ermitteln, wenn alle Bestandteile des Biocompounds (teilweise) verbrennen. Es ist jedoch möglich, über Dichtemessungen oder thermogravimetrische Prüfungen unter Schutzgas zum Ergebnis zu kommen. Es wird komplexer, aber in einem überschaubaren Bereich. Sollten noch weitere Analysemethoden benötigt werden, die wir hausintern nicht durchführen können, arbeiten wir mit externen Laboren oder Universitäten zusammen.

Ein Mann mit pinkem T-Shirt und schwarzem Cap und ein Mann mit weißem Poloshirt halten kleine Holzlöffel in der Hand. Die Eislöffel werden von den ersten Eisdielen bereits wieder zurückgenommen, damit der Werkstoff im Kreislauf gehalten wird.
Die Eislöffel werden von den ersten Eisdielen bereits wieder zurückgenommen, damit der Werkstoff im Kreislauf gehalten wird. (Bild: Redaktion)

Herr Stoll, wie kann der von Herrn Göhner zuvor beschriebene Materialkreislauf in der Praxis geschlossen und die für eine Aufbereitung benötigten Mengen generiert werden?
Stoll: Da mittlerweile mehrere Produkte – Eislöffel, Kaffeelöffel, Pommespieker, Mehrwegbecher, Dämmstoffteller – aus sorten- und typenreinen Materialien hergestellt werden, kann die Ausgangssituation nicht besser sein. Somit wissen wir anhand der Produkte, was zusammen gehört. Dies ermöglicht, aus Altlöffeln neue Löffel zu machen. Sollte aufgrund von Vorgaben kein neuer Löffel möglich sein, gibt es andere Produkte  wie den zuvor erwähnten Dämmstoffteller, die in geeigneter Qualität hergestellt werden können. Wir sind überzeugt, dass die benötigten Mengen durch den Direktvertrieb und die angebotene Rücknahme generiert werden können.

Welche Schritte haben Sie als nächstes auf Ihrer Agenda?
Göhner: Die bisher bestehenden Produkte dem Markt anzubieten und zu etablieren. Zudem sind wir schon fleißig am Tüfteln, auch Anwendungen im Bereich der technischen Formteile zu realisieren. Denn gerade im technischen Bereich heißt es schnell, geht nicht. Doch geht nicht, gibt’s bei uns nicht. Wir sind davon überzeugt, dass wir mit unseren Kompetenzen gemeinsamen noch viel erreichen können. Man muss nur anfangen und Impulse geben.

Quelle: Pinkplastics, RKF, Nature Compound

Fakuma 2023, Nature Compound: Halle A7, Stand 7301

 

Werden Sie Teil unseres Netzwerkes auf LinkedIn

PV-Logo

 

 

Aktuelle Informationen für Kunststoffverarbeiter - News, Trend- und Fachberichte über effiziente Kunststoffverarbeitung. Folgen Sie uns auf LinkedIn.

Sie möchten gerne weiterlesen?