Vergrößerter Stent. Stents wären auch von der PFAS-Beschränkung betroffen.

Stents wären auch von der PFAS-Beschränkung betroffen. (Bild: Zarathustra – Stock.adobe.com)

Fluorhaltige Polymere werden überall dort eingesetzt, wo die Funktion dieses Eigenschaftsprofil erfordert. Sie sind unter anderem wasser-, öl- und schmutzabweisend, unter extremen Bedingungen wie Temperatur, Druck, Chemikalieneinfluss stabil, sehr gute thermische und elektrische Isolatoren, biokompatibel und werden aus diesen Gründen nahezu überall in der Medizintechnik eingesetzt. Weitere interessante physikalische Eigenschaften dieser Werkstoffklasse sind unter anderem deren Sterilisierbarkeit, UV-Beständigkeit sowie Reibungsminimierung. Verwendet werden PFAS deshalb beispielsweise als Beschichtungen von chirurgischen Instrumenten, als Additive zur Reibungsminimierung von Polymeren bei Injektionsgeräten oder auch als Dichtungen und Filter in biotechnischen Anlagen zur Medikamentenherstellung. Alles Eigenschaften, die derzeit nach Branchenangaben mit keiner anderen Polymerfamilie ersetzt werden können.

Was sind PFAS?

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat 2021 per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) neu definiert: PFAS sind fluorierte Stoffe, die mindestens ein fluoriertes Methyl- oder Methylen-Kohlenstoffatom (ohne ein daran gebundenes H/Cl/Br/I-Atom) enthalten, das heißt, mit einigen wenigen Ausnahmen ist jede Chemikalie mit mindestens einer perfluorierten Methylgruppe (-CF3) oder einer perfluorierten Methylengruppe (-CF2-) ein PFAS. [1]
[1] https://pubs.acs.org/doi/10.1021/acs.est.1c06896, abgerufen am 13.04.2023

Was würde ein Verbot der PFAS für die Medizintechnikbranche bedeuten?

Kleineres Gerät mit Monitor und Kabel und ein Stück Schlauch mit einer kleinen Lampe. Flexibles Videozystoskop zum ambulanten Untersuchen der Harnblase.
Flexibles Videozystoskop zum ambulanten Untersuchen der Harnblase. (Bild: Karl Storz)

„Der vorgelegte Beschränkungsentwurf hat extreme Auswirkungen auf die moderne Medizin. Viele Selbstverständlichkeiten werden über kurz oder lang aus der Versorgung fallen. Nischenprodukte geraten noch weiter unter Druck, für wirkliche Innovationen werden die Ressourcen fehlen und die Kosten explodieren. Bei einer Vielfalt von geschätzten 400.000 bis 500.000 verschiedenen Medizinprodukten, bei denen 150.000 PFAS enthalten, wäre selbst bei Vorliegen von Ersatzmaterialien ein Umstellungsprozess zu erwarten, der in 10 Jahren nicht abzuarbeiten wäre. Im Moment gibt es in den meisten Fällen keinen vergleichbaren Ersatz für diese Hochleistungswerkstoffe“, ist von Dr. Martin Leonhard, Vorsitzender Medizintechnik im Deutschen Industrieverband Spectaris und Bereichsleiter Technologiemanagement bei Karl Storz zu hören. Dr. Michael Schlipf, Geschäftsführer FPS sowie Vorstandsmitglied und Vorsitzender der Fachgruppe Fluorpolymere des Pro-K Industrieverband Halbzeuge und Konsumprodukte aus Kunststoff e.V., sagt, dass das PFAS-Verbot, insbesondere die Fluorpolymere betreffend, sicherlich in Bezug auf die Qualität unserer medizinischen Behandlungsverfahren und -produkte eine Katastrophe schlechthin ist. Und weiter: „Medizinerinnen und Mediziner agieren nach Prinzipien, die im ‚Eid des Hippokrates‘ formuliert wurden. Er enthält mehrere Elemente, die auch heute noch Bestandteil ärztlicher Ethik sind, wie das Gebot, Kranken nicht zu schaden. Die Verwendung suboptimaler, auf Fluorpolymere verzichtenden Behandlungsmethoden, Behandlungsverfahren oder von Implantaten minderer Qualität oder Lebensdauer bedeutet, dem Patienten die optimale Behandlung vorzuenthalten. Dadurch wird bewusst eine Verkürzung der Lebenserwartung oder Verschlechterung der Gesundheit in Kauf genommen. Die Umsetzung des PFAS-Verbotes für Fluorpolymere im Bereich Medizintechnik oder medizinischer Implantate steht somit im Widerspruch zu den Prinzipien des Eides von Hippokrates. Ist diese Tatsache Grund genug, den vorliegenden PFAS-Beschränkungs- und Verbotsvorschlag einer juristischen Überprüfung zu unterziehen?“

Einordnung der Fluorpolymere durch Dr. Michael Schlipf, Geschäftsführer FPS, Burgkirchen

Mann mit kurzen braunen Haaren und Brille. Dr. Michael Schlipf, Geschäftsführer FPS, Burgkirchen.
Dr. Michael Schlipf (Bild: FPS)

Fluorpolymere kommen immer dann zum Einsatz, wenn keine anderen geeigneten Werkstoffe zur Verfügung stehen. Das besondere Eigenschaftsprofil dieser Polymergruppe, insbesondere ihre Persistenz, basiert im Wesentlichen auf drei chemisch bedingten Struktureigenschaften:

  • Die C-F-Bindung ist die stärkste Bindung in der organischen Chemie. Sie kann durch keine andere, noch stabilere Bindung ersetzt werden.
  • Die Kohlenstoff-Kohlenstoff-Kette, das Rückgrat der Fluorpolymere, wird durch die Fluoratome sterisch ‚perfekt‘ abgeschirmt, weshalb keine Chemikalien in direkten Kontakt mit ihr treten können.
  • Die Konzentration eventuell reaktionsfähiger Endgruppen ist aufgrund des extrem hohen Molekulargewichtes der Fluorpolymere so gering, dass ihr Beitrag zur chemischen Reaktionsfähigkeit vernachlässigbar ist. Diese in der Wissenschaft allgemein anerkannten Gründe für das herausragende Eigenschaftsprofil der Fluorpolymere werden sich auch in den nächsten 6,5 oder 13,5 Jahren nicht ändern. Die Angabe von Übergangsfristen bei dem Ersatz der Fluorpolymere durch Alternativstoffe stößt somit ins Leere.

Erhard Krampe, Krampe Polymer-Consulting, pflichtet ebenfalls bei: „Ersatzwerkstoffe sind nur teilweise verfügbar, bedingen aber aufgrund der regulatorischen Zulassungsabläufe einen immens hohen Aufwand bei den dann gegebenenfalls notwendigen Neuzulassungen. Einige Medical Devices werden in dem Rahmen wohl in Zukunft nicht mehr verfügbar sein, was die Patientenversorgung einschränken wird.“ „In der Branche wird eine Beschränkung sicherlich viele Ressourcen binden. In einem ersten Schritt wird zunächst in den Unternehmen die Reichweite einer möglichen PFAS-Restriktion bewertet. Nach erfolgter Bewertung wird die Suche nach den Alternativen beginnen, gegebenenfalls werden Neuentwicklungen von Produkten oder Materialien notwendig sein. Eine Welle der Innovation könnte man sagen. Für einige Unternehmen könnte allerdings mangels Alternativen das Aus drohen“, schätzt Giuseppe Fiandaca, Geschäftsführer Polyneers die Situation ein. Anderweitig ist zu erfahren, dass sich, sollte diese weitreichenden Beschränkungen eintreten, sich die Entwicklungskapazitäten der Unternehmen in erster Linie auf den PFAS-Ersatz konzentrieren werden und sich dadurch die Innovationskraft der europäischen Industrie im Zuge des herrschenden Fach- und Arbeitskräftemangels immens verringern wird. Dies führt laut Dr. Martin Leonhard und weiteren Akteuren der Branche dazu, dass der bisher starke Medtech-Standort Europa durch die Beschränkungen im globalen Wettbewerb erheblich geschwächt wird.

Bipolares Resektoskop.
Bipolares Resektoskop, mit dem optisch kontrolliert Gewebe in der Harnblase, der Prostata oder dem Uterus entfernt werden kann. PFAS-Materialien sind an verschiedenen Stellen relevant für die Funktion des Gesamtsystems.
1: Glasfasern zur Beleuchtung mit ETFE-Ummantelung für sehr geringe Gleitreibung.
2: Beweglicher Schlitten aus PTFE-Voll-material, kein Haft-Gleit-Effekt für eine feinmotorisch präzise Schnittführung.
3: Hülsen mit PTFE-Isolierung mit einer Durchschlagsfestigkeit von 20 kV/mm. (Bild: Karl Storz)

„Die Medizintechnikbranche hat immer wieder mit nicht fertiggedachten regulatorischen Neuforderungen zu kämpfen. Jüngstes Beispiel stellt hier die Einführung der MDR – Medical Device Regulations (EU) 2017/745 – dar, welche – initiiert durch Verfehlungen einzelner Medizinproduktehersteller – für eine gesamte Branche teils nicht stemmbare Anforderungen auferlegt. Wir mussten wesentliche Bestandteile unseres Produktportfolios, welches teils über 20 Jahre am Markt war, aufgeben, da die geforderten Anforderungen in gegebener Zeit und Umfang nicht geleistet werden konnten. Letztlich wurde beschlossen, die Umsetzungspflicht der MDR zeitlich zu verschieben – auf den ersten Blick lange ersehnt, zum erfolgten Zeitpunkt aber eher eine Farce, da schlichtweg zu spät. Produkte sind bereits abgekündigt, Firmen bereits in Insolvenz und ursprünglich geplante Innovationen konnten aufgrund der regulatorischen Last bei Bestandprodukten nicht angegangen werden“, ergänzt Dr.-Ing. Thorsten Göttsche, CTO von Osypka. Und weiter: „Ein vollständiges Verbot der PFAS wird ähnliche Auswirkungen haben oder noch schlimmer sein. Mit Inkrafttreten der geplanten Richtlinie werden noch keine geeigneten Ersatzmaterialien vorliegen – somit Umstellung schön und gut, aber Umstellung worauf? Eine Umstellung auf bestehende Alternativwerkstoffe würde Stand heute mit Einbußen in Produktsicherheit oder einer Beschränkung der Implantationsdauern einhergehen. Beides ist ethisch nicht zu vertreten.“

KOMMENTAR: Unglaublich, aber wahr

Simone Fischer, verantwortliche Redakteurin
Simone Fischer, verantwortliche Redakteurin (Bild: Privat)

Deutschland kann auf seine medizintechnische Versorgung stolz sein – noch. Denn würden die Beschränkungen und Verbote der fluorhaltigen Substanzen (PFAS), die der bei der Echa eingereichte Entwurf mit sich bringen würde, greifen, so würde sich in Deutschland und Europa einiges ändern – zum Negativen. Für die Ausarbeitung der Titelstory dieser Ausgabe habe ich mit zahlreichen Akteuren der Medizintechnikbranche gesprochen. Und je tiefer ich mich ins Thema eingearbeitet habe, desto erstaunter ob des Sachverhalts bin ich geworden. In dem Restriction Proposal ist beispielsweise aufgeführt, dass die Petro- und die Minenindustrie von den PFAS-Beschränkungen für die nächsten 13,5 Jahre ausgenommen sind – die Chemieindustrie und die Medizintechnik jedoch nicht generell. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, auch dort werden die Fluorpolymere aufgrund ihrer einzigartigen Eigenschaften benötigt. Aber weshalb in der Medizintechnik nicht? Wo doch unser aller Leben von den dort hergestellten Produkten abhängen kann! PFAS werden in Europa, sofern die Beschränkungen kommen, nicht mehr eingesetzt werden können. Das bedeutet, dass es der Medizintechnikindustrie auch nicht erlaubt sein wird, ihre Geräte an einem außereuropäischen Standort zu produzieren und dann für den Gebrauch zu importieren. Das ist laut Beschränkung untersagt. Ein weiterer Punkt ist, dass die deutsche Medizintechnikindustrie stark in Konkurrenz mit der in den USA steht. Würden unsere Unternehmen Ersatzmaterialien entwickeln, um die Produkte weiterhin herstellen zu können, so wären diese Werkstoffe nicht in den FDA-Zulassungen verankert und die aus Europa gelieferten Endoskope, Sensoren, Implantate und viele Produkte mehr könnten dort nicht verwendet werden. Weiterhin gibt es Produkte, die derzeit ausschließlich in den USA produziert und nach Europa importiert werden. Da wir der „kleinere“ Markt sind, scheint es unwahrscheinlich, dass die Unternehmen PFAS-freie Ersatzwerkstoffe aufwendig entwickeln und einsetzen, damit die europäischen Patienten weiterhin versorgt werden können. Somit meinem Erachten nach alles andere als rosige Aussichten. Ich für meinen Teil kann auf meine Pfanne mit PTFE-Beschichtung gut und gern verzichten, auf die Annehmlichkeiten einer wasserdichten Regenjacke ebenso, aber bei Bedarf nicht adäquat medizinisch versorgt zu werden – das kann und möchte ich mir nicht vorstellen müssen. Und Sie?

Welche Folgen hätte ein Verbot für die medizintechnische Versorgung?

Seitens eines Medizingeräteherstellers ist zu hören, dass für seine Produkte der Vorschlag der Echa nur schwer bis gar nicht umsetzbar sei. Beispielsweise ließe sich hinsichtlich der mechanischen Eigenschaften eine Komponente, die derzeit aus PTFE gefertigt wird, zwar in EPDM ausführen. Jedoch müsste das EPDM hierfür mit Ruß gefüllt sein, dadurch wird es elektrisch leitend und damit für die Anwendung unbrauchbar. Aktuell sind keine adäquaten Ersatzwerkstoffe verfügbar für die zahlreichen eingesetzten Bauteile. „PFAS werden in interventionellen und implantierbaren Medizinprodukten in Kleinstmengen eingesetzt, überall dort, wo dauerhafte Gleiteigenschaft oder über viele Implantationsjahre hinweg (typischerweise >20 Jahre) eine biostabile und biokompatible Isolation von elektrischen Leitern gefordert ist. Biokompatibel meint, dass das eingesetzte Material keine schädlichen Einflüsse auf den menschlichen Körper hat. Biostabil meint hingegen, dass das Material und somit das gesamte Implantat seine (sicherheitsrelevante) Funktion über die gesamte Einsatz-/Implantationsdauer in der aggressiven Körperumgebung aufrechterhalten kann. Tatsächlich ist die Biostabilität hier die größere Hürde in der Nachweispflicht der Implantat-Hersteller“, berichtet Göttsche. „Die vereinzelt bestehenden Ersatzmaterialien wie Polyimide für die Leiterbeschichtungen besitzen jedoch deutliche Nachteile in Bezug auf Biostabilität über lange Zeiträume.“ Direkt betroffen von der möglichen Beschränkung wären beim Hersteller die Beschichtungen in Kathetern und Endoskopen sowie Neurostimulationsimplantate zur Behandlung von Epilepsie, Parkinson und Alzheimer, bei denen ETFE-basierte Isolationsschichten zum Einsatz kommen.

Buchse eines implantierbaren Neurokonnektors, dessen elektrische Leiter mit einer ETFE-basierten Isolationsschicht überzogen ist.
Buchse eines implantierbaren Neurokonnektors, dessen elektrische Leiter mit einer ETFE-basierten Isolationsschicht überzogen ist. (Bild: Osypka)

„Insbesondere Implantate, die vor allem bei der Herzchirurgie verwendet werden, sind in der Lage, viele Leben, vor allem auch das von Kindern zu retten und ein langes Leben sicherzustellen. Hierzu gehören Stents, eingesetzt bei Blutgefäßverengungen auch am Herzen oder auch alternative Blutgefäße, wie sie beispielsweise bei der operativen Behandlung von ‚Raucherbeinen‘ zum Einsatz kommen. Die Persistenz der Fluorpolymere ist dabei eine essenzielle Voraussetzung für den Langzeitverbleib im Körper ohne das Auftreten unerwünschter Nebenreaktionen. Die antiadhäsive Eigenschaft der Fluorpolymeroberfläche birgt ein besonders niederes Thrombosepotenzial, es treten keine zytotoxischen Reaktionen auf“, erläutert Dr. Schlipf. Von Karl Storz ist zu hören, dass die Produktpalette für die minimalinvasive Chirurgie zu mindestens einem Drittel betroffen ist. Weitere Produkte, die für funktionsfähige Operationssets erforderlich sind, seien indirekt betroffen. Die Hersteller von Orthesen stellt die PFAS-Beschränkung ebenfalls vor Hürden. Auch hier sind Fluorkunststoffe oder gleitbeschichtete Materialien im Einsatz, um beispielsweise die Reißfestigkeit zu erhöhen, die Beweglichkeit zu verbessern oder ein physiologisches Gangbild zu ermöglichen. Unsicherheit besteht auch dahingehend, ob Ersatzwerkstoffe die mechanischen Eigenschaften, die eine Orthese erfüllen muss, leisten können. Weiterhin unterliegen auch diese Produkte der MDR, sodass sie aufwendig neu validiert und verifiziert werden müssten, wodurch erhebliche Mehrkosten auf die Hersteller zukommen.

So wirkt sich das PFAS-Verbot auf Maschinen und Anlagen aus

In vielen Produktionsanlagen sorgen fluorhaltige Elemente beispielsweise für Dichtigkeit, Chemikalienbeständigkeit oder die Beweglichkeit. Diese Produkte würden beim Eintritt des Verbots nicht mehr als Ersatzteile zur Verfügung stehen, da sie in Europa nicht mehr hergestellt und auch nicht aus dem Ausland eingeführt werden dürften. Dr. Leonhard appelliert, dass die Firmen O-Ringe, Schmier- und Kühlmittel in ihren Maschinen identifizieren sollten, da für diese Produkte mit 18 Monaten die kürzesten Übergangsfristen greifen. Guiseppe Fiandaca ist aber optimistisch, dass es bei den Maschinen und Anlagen für gewisse Anwendungen kurzfristig Alternativen geben wird – denn ein Wechsel zu fluorfreien Materialien wird aufgrund der geringen Verfügbarkeit von einigen PFAS wie FEP bereits länger angestrebt. Dennoch droht über kurz oder lang vielen Produktionsanlagen das Aus, wenn keine Ersatzteile mehr verfügbar sind.

Stecker eines implantierbaren Stimulators, der im Gehirn, dem Rückenmark oder anderen therapierelevanten Bereichen in den menschlichen Körper eingesetzt wird.
Stecker eines implantierbaren Stimulators, der im Gehirn, dem Rückenmark oder anderen therapierelevanten Bereichen in den menschlichen Körper eingesetzt wird. (Bild: Osypka)

Diese Aspekte gilt es ebenfalls zu bedenken

Auf die Ankündigung, dass PFAS in Europa verboten werden könnten, hat 3M angekündigt, das Dyneon-Werk im bayerischen Chemiepark Gendorf Ende 2025 zu schließen. „Dadurch wird die Branche von Materialabkündigungen in der vorgelagerten Lieferkette betroffen sein“, prognostiziert Leonhard. „Selbst wenn für die Medizintechnik weitergehende Ausnahmen erreicht werden können, werden die vorgelagerten Lieferketten unsicher. Dieses Szenario ist sehr real, wenn nach den geplanten Beschränkungen nur Nischen ausgenommen bleiben, die für die Grundsubstanzhersteller nicht mehr wirtschaftlich zu bedienen sind.“ Auch die Formgebung der Werkstoffe ist bei einer Materialumstellung zu überdenken. Ist für den fluorhaltigen Kunststoff ein Ersatzwerkstoff gefunden, so führt dies bei spritzgegossenen Bauteilen dazu, dass aufgrund des unterschiedlichen Schwindungsverhaltens die verwendeten Spritzgusswerkzeuge angepasst werden müssen. Dies bedeutet hohe Investitionskosten und weitere Ressourcenbindung in der Wertschöpfungskette. Kritik üben die Unternehmen der Branche auch am Zeithorizont, den es einzuhalten gilt. Die hergestellten Produkte unterliegen wie bereits zuvor angeklungen mehrjährigen Qualifizierungs- und Freigabeprozessen, die bis zum möglichen Inkrafttreten der Beschränkung 2025 zuzüglich der 18-monatigen Übergangsfrist nicht einzuhalten sind.

Warum Unternehmen an der öffentlichen Konsultation teilnehmen sollten

Die öffentliche Konsultation basiert auf Art. 69 § 6 der REACH-Verordnung und dient dazu, das bei der Echa eingereichte Dossier mit der „Realität“ abzugleichen. Somit haben alle interessierten Unternehmen die Möglichkeit zur Beteiligung am Prozess, um auf diese Weise Einfluss auf den Vorschlag zur Beschränkung der PFAS zu nehmen. Denn die Industrie ist in der Bringschuld, und somit ist die Erfahrung und das Wissen der Branche gefragt, um gegebenenfalls Änderungen am Vorschlag wie beispielsweise Ausnahmen zu erreichen.
Die Einreichungsphase endet am 25. September 2023. Berücksichtigt werden alle Informationen, die über das Online-Formular bei der Echa eingehen. Die betroffenen Unternehmen sollten den Vorschlag kommentieren und darstellen, wie sich die Beschränkungen auf das Portfolio auswirken könnte. Die Einreichung sollte gut vorbereitet sein und möglichst frühzeitig erfolgen, damit eine umfassende Betrachtung der Informationen aus der Konsultation durch die Echa vor Fristende möglich ist.

Prof. Dr. habil. Svea Petersen von der Hochschule Osnabrück berichtet: „Vorliegende wissenschaftliche Daten zeigen, dass sich Fluorpolymere deutlich von anderen PFAS-Substanzklassen unterscheiden. Die Zusammenfassung aller PFAS in einer Gruppe wird daher nicht durch wissenschaftliche Daten gestützt. Fluorkunststoffe sind unter anderem in der Medizintechnik aufgrund ihrer einzigartigen Eigenschaftskombination kaum zu ersetzen. Die Neuregulierung für PFAS könnte ihren Einsatz jedoch deutlich erschweren oder sogar verhindern. Aus wissenschaftlicher Sicht sind belastbare Studien zum Leachingverhalten von Fluorkunststoffen entlang des gesamten Lebenszyklus notwendig. So kann das reale Gefährdungspotenzial von Fluorkunststoffen bewertet werden. Wo nötig, Verarbeitungsbedingungen verändert und Stabilisatoren hinzugefügt werden.“
Anstatt ein generelles Verbot einzuführen, müsste die EU-Kommission daran interessiert sein, eine differenzierte Sicht der Anwendungen zu erhalten und dabei die notwendigen Bedürfnisse der Medizintechnik stärker zu betrachten. Weiterhin könnte eine verpflichtende Regelung zum chemischen Recycling solcher Produkte eingeführt werden, wodurch die sogenannten Ewigkeitschemikalien im Kreislauf gehalten werden könnten.

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