Mann bei Rede auf Bühne

„Lassen Sie uns zwei Tage lang Mobilität völlig neu denken“, begrüßte Gastgeber Dr. Stefan Engleder, CEO der Engel Gruppe, zu Beginn der Mobility Days 2023 die Gäste im Design Center in Linz. So unterschiedlich die diskutierten Mobilitätskonzepte und deren Einsatzbereiche auch sind, sie haben ein gemeinsames Ziel: Mobilität nachhaltiger zu gestalten. (Bild: Engel)

Die ersten Engel Mobility Days zeigten aus verschiedenen Blickwinkeln auf, wie wir uns beziehungsweise was uns in Zukunft fortbewegen wird: Autonomes Fahren, Flugtaxis, Mikromobilität gehören dazu. Ob neue Antriebskonzepte oder autonomes Fahren: Die Trends verändern grundlegend die Anforderungen an die Mobilität und erfordern zum Teil völlig neue Material- und Herstellungskonzepte. Hieraus ergeben sich große Chancen für die Spritzgießindustrie. „Kunststoffe spielen in der Mobilität der Zukunft eine noch deutlich größere Rolle als heute“, betont Franz Füreder, Leiter der Business Unit Automotive & Mobility von Engel. „Polymere Materialien sind per se Leichtbauwerkstoffe und unterstützen den schonenden Umgang mit Energie und Rohstoffen. Sie lassen sich sehr effizient im Spritzguss verarbeiten, was innovative Technologien für den Massenmarkt zugänglich macht.“ Michael Fischer, Head of Business Development Technology, ergänzt: „Das autonome Fahren ist eine große Chance für den Kunststoffspritzguss. Effizienter als jede andere Methode der Kunststoffverarbeitung erlaubt es das Spritzgießen, Sensorik und elektronische Funktionalität mit einem ästhetischen Design zu verbinden.“

Ein Weckruf für die Automobilbranche, aber auch für andere Branchen, waren die Präsentationen des ersten Vortragsblocks Marktausblick Mobilität. Dr. Mario Herger, Technology Trend Researcher und Autor, Beatrix Frisch, Director Business Develpment & China Projects beim Center of Automotive Research (CAR) sowie Michael Becker und Christopher Fritz von Mc Kinsey machten dem Publikum ganz deutlich klar, dass sich die Mobilität grundlegend verändern wird. Mario Herger sprach beispielsweise vom Ende des privaten Autos, da elektrische Robotaxis, wie dies im Silicon-Valley gelebte Praxis ist, die Menschen von A nach B bringen werden. Im Silicon-Valley seien bereits größere Taxiflotten zahlreicher Fahrzeughersteller unterwegs, jedoch ohne deutsche Beteiligung. Bei der Umsetzung der Klimaziele könnte Deutschland von China lernen, ist Beatrix Frisch überzeugt. Es gelte die aktuellen Werte zu überdenken und gemeinschaftlich in die Zukunft zu gehen. Michael Becker konstatierte, dass in der Automobilindustrie die Karten derzeit neu gemischt werden und sich dadurch neue Chancen ergeben. Die Globalisierung hat dafür gesorgt, dass die Gewinne der Automobilindustrie sich künftig zu je einem Drittel auf Europa, China und die USA verteilen werden. Laut Christopher Fritz hat dies zur Folge, dass sich die Lieferketten verändern werden. So unterschiedlich die Vortragsinhalte auch waren, einig waren sich die Referenten in dem Punkt, dass die deutschen und europäischen Unternehmen Netzwerke zu amerikanischen sowie chinesischen Unternehmen der Mobilitätsbranche aufnehmen müssen, um den Anschluss nicht völlig zu verlieren.

Leichter, steifer, kompakter

Motorradsitzbank
Das Gewicht des mit der Tape-Sandwich-Technologie hergestellten Sitzbankbodens ist um rund 26 % reduziert und der dafür benötigte Bauraum um 66 %. Die Technologiepartner bieten diese Technologie gemeinsam an und entwickeln für anderen Unternehmen der Mobilitätsbranche anwendungsspezifische Lösungen. (Bild: Redaktion)

Zum Erreichen der Klimaschutzziele kommt dem Leichtbau eine zentrale Rolle zu. Mit einem eigenen interdisziplinären Technologiezentrum für Leichtbau-Composites am Produktionsstandort St. Valentin in Österreich entwickelt Engel seit mehr als zehn Jahren gemeinsam mit Partnerunternehmen innovative Composite-Lösungen. Oberstes Entwicklungsziel sind integrierte und automatisierte Prozesse für eine kosteneffiziente Großserie. Ein Fokus der Entwicklungsarbeiten liegt auf dem Einsatz thermoplastischer Faserverbundmaterialien. „Gründe hierfür sind zum einen die sehr effizienten Prozesse zum Verarbeiten von Thermoplasten und zum anderen die höhere Nachhaltigkeit“, sagt Füreder. Ein konsequent thermoplastischer Materialansatz ebnet einem späteren Recycling der Bauteile den Weg.

Die neueste Entwicklung entstand mit KTM Technologies und wurde auf den Mobility Days vorgestellt: Ein Motorradsitzbankboden, der mit dem neuen Tape-Sandwich-Verfahren hergestellt wird. Damit ist es den Entwicklungspartner möglich, Sitzbankböden mit einer Dicke von lediglich 2,5 mm statt bisher von bis zu 9 mm herzustellen.

4 Männer vor einem Roll-up
Michael Fischer, Hans Lochner, Franz Füreder und Stefan Engleder (v.l.) nach der Präsentation der neuen Tape-Sandwich-Technologie. (Bild: Redaktion)

„Aufgrund der spezifischen mechanischen Eigenschaften des Sandwichaufbaus können wir im Falle der Motorradsitzbankböden bereits mit einem einlagigen UD-Tape die erforderliche Steifigkeit erfüllen. Damit benötigt das Tape-Sandwich-Verfahren deutlich weniger Energie und eine einfachere Anlagentechnik als herkömmliche Verfahren der Faserkunststoffverbundverarbeitung. Die Produktionskosten können somit deutlich reduziert werden," führt Franz Füreder aus. Der Sandwich-Aufbaus ermöglicht, dass Standardthermoplaste in mechanisch hochbeanspruchten Bauteilen zum Einsatz kommen können, da die Leistungsfähigkeit des Bauteils ausschließlich über die Tape-Struktur in den Randschichten von Ober- und Unterseite gesteuert wird. Die Verstärkungslagen werden in die Werkzeughälften eingelegt und die Schmelze dazwischen eingespritzt. Die notwendige Energie für den Stoffschluss von Tape und Matrix kommt ausschließlich aus der Schmelze, sodass keine weitere Engergiezufuhr notwendig ist. Der neue Sandwich-Aufbau, bei dem die Verstärkungsfasern einen möglichst hohen Abstand zur neutralen Faser haben, bietet eine maximale Steifigkeit bei gleichzeitiger Minimierung der notwendigen Fasern“, so Hans Lochner, Team Leader Material & Application bei KTM Technologies. In dem Sitzbankboden befinden sich wenige Gramm Glasfasern an der richtigen Stelle und es ist möglich Rezyklat für das Bauteil zu verwenden, ohne mechanische Einbußen.

Für die Anwendung wurden unterschiedliche Spritzgießmaterialien getestet: herkömmliches PP aus fossilen Quellen, biobasierte und rezyklierte PP-Typen. Für die unterschiedlichen Materialkombinationen wurde jeweils das Treibhauspotenzial (Global Warming Potential, GWP) ermittelt. Im Vergleich zum Serienstand – eine vollständig aus fossilem PP hergestellte Sitzbank – wird mit der Tape-Sandwich-Technologie beim Einsatz von ebenfalls fossilem PP der GWP-Wert um 27 % reduziert. Dieser Wert wird ausschließlich durch die Materialreduzierung erreicht. Mit Polypropylen aus nachwachsenden Quellen sinkt der GWP-Wert um 85 %. Zur Reduktion der Treibhausgase trägt in der Gesamtbetrachtung zudem der konsequente Monokunststoffansatz bei. In Kombination mit Tapes mit einer PP-Matrix entstehen Bauteile, die sich am Ende ihrer Nutzungsdauer recyclen lassen. Hans Lochner ergänzt, dass KTM Kunden Geschwindigkeit, Leistung und Rennen gewinnen wollen und der Zweiradhersteller diese Anforderungen mit nachhaltigen Materialien und Prozessen erfüllen möchte.

Die Partner haben die Tape-Sandwich-Technologie für die Breite entwickelt. Der Sitzbankboden sei das Befähigungsbauteil für KTM aber auch für alle weiteren interessierten Bauteilhersteller. Hans Lochner sagt, dass Engel und KTM helfen möchten nachhaltige Werkstoffe in den Markt zu bekommen, sowie kostengünstige Bauteile durch die Nutzung intelligenter Anlagentechnik und cleverem Designs ermöglichen. Er wies weiter darauf hin, dass solche Projekte nur von langjährigen Partner realisiert werden können. Hierzu gehören auch das belgische Werkzeugbauunternehmen Feronyl sowie dem österreichischen Netz an Materialzulieferern.

 

Alle Facetten der Mobilität

Die angeregten Unterhaltungen in den Netzwerkpausen haben gezeigt, dass die Vorträge und Podiumsdiskussionen anwesenden Personen angesprochen haben – unabhängig der Mobilitätsbranche, in der sie tätig sind. Die unterschiedlichen Exponate der begleitenden Ausstellung zogen das Interesse ebenfalls auf sich, sodass die ersten Mobility Days, die von Engel und KTM Technologies gemeinsam organisiert worden waren, bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die aus 30 Ländern nach Linz gereist waren, nachklingen werden.

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