Kreditkartenhülle

Ersatzlesebrille im Scheckartenformat (Bild: Glens)

Die Idee des estnischen Start-up-Unternehmens Glens stammt technisch gesehen aus einer Schnittmenge zwischen Optik und Medizintechnik: eine aus Kunststoff gefertigte Ersatzlesehilfe im Scheckkartenformat − in einigen Dioptrinstufen erhältlich und günstig im Online-Handel zu kaufen. Die Herstellung hochwertiger optischer Produkte erfordert jedoch sehr viel Prozess-Know-how und Fertigkeit im Umgang mit anspruchsvollen Materialien. Die Gründer von Glens suchten daher für die  Herstellung ihres Millionen-Stückzahl-Artikels einen kompetenten Partner und fanden ihn in der Firma Kläger Spritzguss. Das Unternehmen mit Sitz in Dornstetten fertigt komplexe Spritzgießteile  sowohl aus technischer Keramik als auch aus unterschiedlichen Kunststoffen. Kläger ist Experte für transparente oder transluzente Spritzteile und tritt als Systemanbieter auf.

Nach einer ersten Kontaktaufnahme durch den Produktdesigner von Glens im Juli 2015 konnten bereits im Januar 2016 erste Versuche mit einem Einfach-Prototypenwerkzeug gefahren werden. Versehen mit einem Kaltkanal und einer manuellen Angusstrennung wurden verschiedene Materialien wie zum Beispiel Makrolon, Tritan und Grilamid bemustert und getestet. Im April 2016 erhielt Kläger dann den Auftrag zum Bau des Serienwerkzeugs.

Einstellung der Dioptrinzahl direkt im Werkzeug

ZeichnungNEU

Die Rastnasen am inneren Teil des Brillenbügels werden separat geschnittene Werkzeugeinsätze ausgeformt. Die in die Werkzeugtrennung erodierten äußeren Rastnasen sind Griffhilfen zum Aufsetzen der Brille. (Bildquelle: Kläger)

Das Bauteilvolumen der Mini-Ersatzlesebrille beträgt lediglich 0,38 cm³, was ein Spritzgussteile-Gewicht von 0,45 g ergibt. Um das Schussgewicht zu erhöhen sowie eine höhere Produktivität und Flexibilität zu schaffen, wurde das Serienwerkzeug als 1+1-Werkzeug konzipiert. In den beiden Kavitäten werden also vollautomatisch zwei je 0,45 g schwere Ersatzbrillen mit unterschiedlicher Dioptrinstärke (1,5; 2,0; 2,5) in sauberer Produktionsumgebung gespritzt. Verwendet werden Wechseleinsätze auf Düsen- und Auswerferseite, um die verschiedenen Varianten produzieren zu können. Die unterschiedliche Dioptrinzahl wird direkt im Werkzeug, durch die entsprechende Krümmung des Werkzeugeinsatzes, erreicht. Hierzu waren einerseits aufwändige Berechnungen erfoderlich, die unter anderem auch die jeweilige Dichte des verwendeten Materials berücksichtigten. Andererseits mussten die formgebenden Werkzeugkavitäten sehr exakt bearbeitet werden, da die erlaubten Toleranzen im Mikro-Bereich liegen.

Spezielle Beschichtung der Kavitätenoberfläche

Die Kavitätenoberfläche wurde speziell beschichtet, da herkömmliches Erodieren und Polieren für solch hochempfindliche und exakte Oberflächengüten bei Weitem nicht ausreichend war. Dabei wurde der gehärtete Stahl mit einer nickelbasierenden Schicht überzogen und anschließend im Mikrometer-Bereich diamantbearbeitet. Um die verhältnismäßig kleinen Schussgewichte beziehungsweise Bauteilvolumina hochwertig in Serie verarbeiten zu können, musste besonders auf die Verweilzeiten der Schmelze in Spritzzylinder und Heißkanal geachtet werden: Die Zykluszeit ist daher kleiner als 10 s. Gearbeitet wird mit einer kleinen Dosierschnecke von 15 mm Durchmesser.

Ein weiteres wichtiges Kriterium war die perfekte Abstimmung zwischen Düsen- und Auswerferseite. Dies erfolgt über eine hochpräzise Agathon-Lagezentrierung, einer speziellen Rundlagezentrierung mit Kugeltonnenführung.

Material der Wahl: Tritan

Werkzeug

In dem 1+1-Serienwerkzeug mit Heißkanalsystem werden in beiden Kavitäten zwei je 0,45 Gramm schwere Ersatzbrillen mit unterschiedlicher Dioptrinstärke gespritzt. (Bildquelle: Kläger)

Nach vielen komplexen Versuchen fiel die Entscheidung zugunsten des Materials Tritan VX 351 HF, dessen Lichtbrechungswert ideal ist. Zudem besitzt es alle medizinischen Zulassungen und ist optimal im Prozess zu verarbeiten . Da die Materialverteilung im Werkzeug über ein Heißkanalsystem mit Nadelverschlussdüsen erfolgt, gibt es keine Angussverluste in der Serienfertigung, was die Herstellung auch unter wirtschafltichen Gesichtspunkten rentabel werden lässt. Jedes Bauteil wird über zwei Angussstellen mit 0,6 mm Durchmesser am Übergang zwischen Bügel und Linse mit einer separaten Nadelverschlussdüse angespritzt. Die Wahl der Angussstelle bestimmt zum einen die Qualität der Linse, muss zum anderen aber auch das kontrollierte Strömen der Schmelze bis zum Zusammenfluss gewährleisten. Der einfache Fließweg des Materials bis zur Bindenaht liegt bei jeweils rund 25 mm bei einem Bügeldurchmesser von 0,9 mm. Mittels Lasergravur sind im Werkzeugeinsatz Informationen zur jeweiligen Lesehilfe (Hersteller, Dioptrinzahl und CE-Kennzeichnung) intgeriert. Über separat geschnittene Werkzeugeinsätze werden filigrane Rastnasen am inneren Teil des Brillenbügels ausgeformt , die der Lesehilfe Halt auf der Nase des Trägers geben. Die in die Werkzeugtrennung erodierten äußeren Rastnasen sind Griffhilfen zum Aufsetzen der Brille.

Teile Fließband 1

Blick in die vollautomatische Spritzgussproduktion bei Kläger mit dem Teile-Fließband im Vordergrund (Bildquelle: Kläger)

Die vollautomatische Produktion erfolgt auf einer Arburg Allrounder 320 C. Um die Bauteile vorsichtig aus dem Werkzeug zu entnehmen, werden die filigranen Ersatzbrillen über die beweglichen Düsen in einer separat gesteuerten Bewegung gelöst, um sie mittels eines Handling-Systems über pneumatische Sauger zu entnehmen und getrennt auf einer Kühlstrecke abzulegen. „Die Nadelverschlussdüsen sind also Teil des Auswerfermechanismus, erklärt Jens Graf, der für Marketing und Vertrieb zuständige Prokurist bei Kläger. „Beim Öffnen des Werkzeuges bewegen sich die Düsen synchron mit und lösen so das Spritzteil aus der Düsenseite heraus.“

Drei Stück der Mini-Ersatzbrille sind per Internetbestellung für weniger als fünf Euro erhältlich. Das Scheckkartenetui  passt problemlos  in Hosentaschen, Smartphone-Hüllen oder Brieftaschen. Für Kläger ist die Ersatzlesebrille ein weiterer Beleg für die umfangreiche Expertise im Bereich transparenter Spritzgussteile.

Partner für komplexe Fälle

Das Unternehmen Kläger Spritzguss in Dornstetten ist Entwicklungspartner, Systemlieferant und Produzent. Neben dem Standard-Spritzgießen technischer Kunststoffe und der Herstellung keramischer Bauteile, dem Ceramic Injection Molding (CIM), hat sich das Schwarzwälder Unternehmen vor allem auf die Entwicklung von Spritzgieß-Systemlösungen aus mehrwertschaffenden Materialien spezialisiert. In der eigenen Produktion werden insgesamt über 300 unterschiedliche Materialien verarbeitet. Kläger betreut seine Kunden von der Beratung hinsichtlich Material und Werkzeug, der Produktentwicklung und den Präzisionsformenbau über die Herstellung von Kunststoff, Keramik- und hybriden Bauteilen bis hin zur gesamten logistischen Abwicklung von Spritzgießprojekten. Kläger ist Experte für transparente oder transluzente Spritzteile. Für die Medizintechnik werden zum Beispiel präzise Schaugläser, Teile für die Beatmung oder Sichtfelder gefertigt. Das Unternehmen ist ebenfalls in den Bereichen Pharmazie, Sensorik, Verpackung und Maschinenbau tätig.

ist Prokurist Marketing und Vertrieb bei Kläger Spritzguss in Dornstetten.

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Unternehmen

Kläger Spritzguss GmbH & Co. KG

Hochgerichtstraße 33
72280 Dornstetten
Germany