Mittels rotierendem Werkzeugkern lassen sich Fasern beim Spritzgießen umorientieren.

Mittels rotierendem Werkzeugkern lassen sich Fasern beim Spritzgießen umorientieren. (Bild: Hochschule Osnabrück)

Aufgrund guter mechanischer Eigenschaften und kostengünstiger Spritzgussverfahren werden immer mehr metallische Bauteile durch faserverstärkte Kunststoffe (FVK) ersetzt. Hierbei kommen vor allem bei innenhochdruckbelasteten Bauteilen oftmals Kunststoffe wie Polyphthalamid (PPA) oder Polyphenylensulifd (PPS) mit Faserverstärkung vor, um beispielsweise die im Automobilbereich notwendigen Gewichts- und Kosteneinsparungen zu erreichen. Für eine möglichst hohe Materialeffizienz von faserverstärkten Kunststoffteilen sollte hierbei der Großteil der Fasern entlang des Lastpfades orientiert sein. Langgestreckte, rotationssymmetrische Bauteile unter Innendruckbelastung werden aus fertigungstechnischen Gründen in der Regel in axialer Richtung gefüllt, sodass die meisten Fasern in dieser Richtung orientiert sind. Aufgrund des Fließverhaltens der Kunststoffschmelze entsteht hierdurch eine Faserorientierung, bei der die Fasern in den Randschichten entlang der Fließrichtung und die Fasern in der Mittelschicht senkrecht zur Fließrichtung orientiert sind [1, 2]. Die Innendruckbelastung führt jedoch zu Spannungen in tangentialer Richtung, was zu Folge hat, dass sich die Faserorientierung in den Randschichten von der Hauptbelastungsrichtung unterscheiden. An dieser Stelle wurde an der Hochschule Osnabrück ein neuartiges Spritzgießverfahren weiterentwickelt, indem durch eine Relativbewegung im Spritzgießwerkzeug eine Rotation des Werkzeugkernes hervorgerufen werden kann, um die Faserorientierung von axialer – in tangentialer Ausrichtung zu überführen. Diese Umorientierung führt zu einer erheblichen Verbesserung der Berstdruckfestigkeit innenhochdruckbelasteter Kunststoffbauteile (siehe Bild 1). Hierbei können nahezu unabhängig von der Wanddicke des Bauteiles Steigerungen der Berstdruckfestigkeit von bis zu 100 % bei innendruckbelasteten Bauteilen erzielt werden. In einem an [3] anschließendem Forschungsprojekt wurde die neuartige Technologie gemeinsam mit dem Unternehmen Werkzeugbau Sundermeier, Hüllhorst, und dem Compoundeur RIA-Polymers, Zimmern o.R., weiter optimiert. Hierbei wurden unter anderem eine variotherme Werkzeugtemperierung implementiert.

Grafik mit 5 verschiedenfarbigen Kurven.
Bild 1: Steigerung der mechanischen Eigenschaften (hier Berstdruckfestigkeit) durch rotatorische Relativbewegung beim Spritzgießen bei steigender Drehzahl und Variation der Wanddicke bei einem Polypropylen mit 50 Gew.-% Langglasfasern (PP LGF50). (Bild: Hochschule Osnabrück)

Entwicklung einer variothermen Werkzeugtemperierung

Im Rahmen der neuartigen Werkzeugtechnik entsteht bei der Drehbewegung des Werkzeugkerns eine Relativbewegung zwischen den Kavitätsoberflächen und eine damit verbundene Scherung der Kunststoffschmelze, wodurch Fasern während des Einspritzvorgangs umorientiert werden. Am Ende der Einspritzphase erstarren die beiden Randschichten an den Kavitätswänden außen und Kern zu einer gemeinsamen festen Randschicht. Eine weitere Relativbewegung der beiden Randschichten zueinander, beispielsweise in der Nachdruckphase würde zu einem Bruch des Kunststoffes im Bereich der Abstreiferplatte führen (siehe Bild 2).

Schematische Darstellung der Kavitätsfüllung während – sowie am Ende der Einspritzphase. Aufgrund von bereits eingefrorenen Randschichtbereichen steht dieses Problem der lokalen Relativbewegung und einhergehenden Veränderung der Faserlage entgegen.
Bild 2: Schematische Darstellung der Kavitätsfüllung während – sowie am Ende der Einspritzphase. Aufgrund von bereits eingefrorenen Randschichtbereichen steht dieses Problem der lokalen Relativbewegung und einhergehenden Veränderung der Faserlage entgegen. (Bild: Hochschule Osnabrück)

Um diesem Effekt entgegenzuwirken, bedarf es der Entwicklung eines Konzeptes, bei dem einzelne Bereiche abseits der beweglichen Werkzeugelemente aufgeheizt und abgekühlt werden können. Hierbei sollen gezielt vom Zeitpunkt des Einspritzens bis zur Beendigung der Relativbewegung die notwendigen Gebiete mithilfe eines geeigneten Temperaturkonzeptes schmelzeflüssig gehalten werden, um so eine lokale Erstarrung der kritischen Randschichtbereiche hinauszuzögern. Hierfür wird als Lösungsansatz die Einbringung einer variothermen Werkzeugtemperierung untersucht. Das Ablaufdiagramm (siehe Bild 3) zeigt deutlich, wie die variotherme Werkzeugtemperierung in den Spritzgussprozess integriert wird. Nach dem Schließvorgang des Werkzeuges wird die Rotation des Werkzeugkerns parallel zur Einspritz- und Nachdruckphase durchgeführt. Die genaue Dauer der Drehzeit kann hierbei frei gewählt werden. Es besteht die Möglichkeit, den Werkzeugkern nur während der Einspritzphase (Variante 1) oder auch in die Nachdruckphase hinein rotieren zu lassen (Variante 2). Zur Anwendung der variothermen Steuerung erfolgt die Heizphase unmittelbar nach Schließen des Werkzeuges und läuft bis zum Start der Restkühlzeit. Sobald die Heizphase beendet ist, schaltet das Temperiersystem von Heizen auf Kühlen um und kühlt die beheizte Bauteilzone bis zum Zyklusende wieder ab.

Ablaufdiagramm für das Spritzgießen mit drehendem Kern und integrierter variothermer Werkzeugtemperierung.
Bild 3: Ablaufdiagramm für das Spritzgießen mit drehendem Kern und integrierter variothermer Werkzeugtemperierung. (Bild: Hochschule Osnabrück)

Für die Umsetzung der variothermen Werkzeugtemperierung wurde das vorhandene Spritzgießwerkzeug durch den Werkzeugbau H. Sundermeier mit einem elektrischen Heizkörper der Firma Hotset, Lüdenscheid, ausgestattet und peripher um den Werkzeugkern herum in der Abstreiferplatte verbaut. Mittels eines ergänzten Kühlkreislaufes kann anhand von einem angesteuerten Magnetventil durch ein extra Temperiergerät Wasser fließen, um die beheizten Bereiche nach dem Heizprozess zu kühlen und die Schmelze im Randschichtbereich zum Erstarren zu bringen. Zur Analyse des Heiz-/Kühleinflusses wird ein Thermofühler an der Position der höchsten Wärmeentstehung (zwischen dem Heizkörper innerhalb der Rotationsführungsbuchse) verbaut. Ergänzend zu dem Spritzgießprozess wird wie in Bild 4 dargestellt ein elektronischer Schaltaufbau erzeugt, durch welchen die Ansteuerung des elektronischen Heizkörpers ermöglicht wird. Der Aufbau der elektronischen Schaltung setzt sich dabei aus der Reglereinheit, einer Siemens Logo Power sowie einem Solid state relais (SSR) und einem Zeitrelais zusammen. Durch das verbaute Zeitrelais kann die Heizzeit manuell für den Zeitbereich von 0 bis 99 s eingestellt und über den Thermofühler die vorliegende Temperatur während des Spritzgießzyklus auf dem Maschinendisplay angezeigt werden. Über einen am Spritzgießwerkzeug verbauten Endschalter wird der Mechanismus zum Aufheizen des elektrischen Heizkörpers nach dem Zusammenfahren der beiden Werkzeughälften aktiviert.

Schematisch dargestellter Aufbau der variothermen Werkzeugtemperierung.
Bild 4: Schematisch dargestellter Aufbau der variothermen Werkzeugtemperierung. Hierbei setzt sich die elektronische Schaltung aus Punkt 1.-3., die Werkzeugauslegung aus Punkt 4.-7. und Kühlzufuhr aus Punkt 8.-9. zusammen. (Bild: Hochschule Osnabrück)

Welches Potenzial die variotherme Werkzeugtemperierung eröffnet

Anhand von [3, 4, 5] konnte bereits gezeigt werden, dass sich die Faserorientierung durch einen rotierenden Werkzeugkern von einer axial – zu einer tangentialen Ausrichtung überführen lassen kann und sich hierdurch die mechanischen Eigenschaften des idealisierten Demonstratorbauteiles verbessern. Zur Untersuchung der eingebrachten variothermen Werkzeugtemperierung ist wie in Bild 5 dargestellt in Anlehnung an die ASTM 2290 [6] anhand von Ringzugprüfungen die scheinbare Zugfestigkeit von gedrehten, unbeheizten Probekörpern ermittelt worden sowie von Proben, welche bei einer laufenden Heizzeit von 50 bis 99 s hergestellt worden sind. Hierbei erfolgt die Prüfung an Probekörpern, welche aus drei unterschiedlichen Positionen (Angussfern, Mitte, Angussnah) des Bauteiles heraus entnommen wurden, um primär den variothermen Effekt an der beheizten Bauteilzone zu untersuchen und den Einfluss auf andere Bauteilbereiche zu betrachten. Durch den verbauten Heizkörper in der Nähe von der angussfernen Position kann hier der größte Effekt der Variothermie durch eine signifikante Steigerung der Ringzugfestigkeit bei bis zu 70 s Heizzeit vermerkt werden. Dabei hat sich eine Steigerung der scheinbaren Ringzugfestigkeit im angussfernen Bereich von 101,7 bar auf 118,6 bar (Steigerung von +17 %) ergeben. In der mittleren Position kam es ebenfalls zu einem Anstieg der Festigkeitswerte von 101,24 bar auf 109,53 bar (+8 %).

Schematische Darstellung der Ringzugprüfung.
Bild 5: Schematische Darstellung der Ringzugprüfung nach ASTM 2290 und der geprüften Bereiche des Demonstratorbauteils (links); Steigerung der mechanischen Eigenschaften durch rotierende Werkzeugbewegung beim Spritzgießen mit eingebrachter variothermer Werkzeugtemperierung für Heizzeiten von 0 bis 99 s für ein Polypropylen mit 50 Gew.-% Langglasfasern (PP-LGF 50) (rechts). (Bild: Hochschule Osnabrück)

Fazit

Ein Werkzeugsystem mit rotierendem Kern ermöglicht eine signifikante Beeinflussung der Faserorientierung im Bauteil und eine deutliche Steigerung der Berstfestigkeit von innendruckbelasteten Bauteilen. Um durch die Relativbewegung entstehende Beschädigungen von bereits kristallisierten Randschichtbereichen zu vermeiden, wurde die Einbringung einer variothermen Werkzeugtemperierung in dem Spritzgießprozess untersucht. Hierbei ist es durch die Entwicklung eines geeigneten Temperaturkonzeptes möglich, eine Produktion von variotherm beheizten Kunststoffbauteilen zu gewährleisten und die lokale Erstarrung in kritischen Randschichtbereichen hinauszuzögern. Im Falle des hier untersuchten
PP-LGF50 konnte gezeigt werden, dass mit steigender Heizzeit von bis zu 70 s eine Steigerung der Ringzugfestigkeit von insgesamt 17 % in dem angussfernen Bereich des Bauteiles erzielt werden konnte.

Dank

Das Projekt (FKZ: ZF4153410TA9) wurde vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) im Rahmen des Programms „Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM)“ gefördert.  Die zugrundeliegenden Untersuchungen wurden auf einer vom Unternehmen Arburg, Loßburg, zur Verfügung gestellten Spritzgießmaschine durchgeführt. Die untersuchten Kunststoffe wurden von folgenden Unternehmen zur Verfügung gestellt: RIA-Polymers, Zimmern o.R., Techno Compound, Bad Sobernheim, EMS-Chemie, Domat/Ems, Schweiz, Akro-Plastics, Niederzissen. Das Projektteam dankt den genannten Unternehmen sowie den direkten Kooperationspartnern Oliver Seeburger und Katrin Sundermeier (H. Sundermeier), Uwe Becker (Ingenium Tooling), Timo Schuler (Ria Polymers), Thilo Stier, Frank Budde und Cyprian Golebiewski (Akro-Plastics) sowie Holger Plegge und Michael Sperling (Arburg), für die Unterstützung der Forschungsarbeiten. Weiterer Dank gilt Philipp Land (ehemaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hochschule) für die geleisteten Vorarbeiten in dem Forschungsprojekt. Zuletzt danken wir der Internationalen Gesellschaft für Kunststofftechnik / Society of Plastics Engineers (SPE) Central Europe für die Auszeichnung des Projektes mit dem SPE Innovation Award in dem Bereich Enabler Technology.

Literatur

[1]

Schmachtenberg, E., Brandt, M., Menning, G. et al: Faserverstärkung richtig simulieren. Kunststoffe 5/2004, pp. 94-99 (2004).

[2]

Johannaber, F., Michjaeli, W.: Handbuch Spritzgießen. 2nd edn. Hanser, München (2014).

[3]

Krumpholz, T., Jetscho, S., Oudehinken, H. et al.: Spritzgießen mit drehendem Kern – Enorme Festigkeitssteigerungen innendruckbelasteter faserverstärkter Thermoplastbauteile. Kunststoffe 7 (2019), S. 44-47.

[4]

Krumpholz, T., Land, P.: Targeted manipulation of fibre orientation through relative movement in an injection mould. Advances in Polymer Processing 2020 - Proceedings of the International Symposium on Plastics Technology 2020. Springer Vieweg, Berlin (2020).

[5]

Krumpholz, T., Land, P., Bothur, L., Hausmann, J.: Gezielte Beeinflussung der Faserorientierung durch Relativbewegungen im Spritzgießwerkzeug – Entwicklung einer Auslegungsmethodik. Plastverarbeiter 08/2021 (2021).

[6]

ASTM 2290: Standard Test Method for Apparent Hoop Tensile Strength of Plastic or Reinforced Plastic Pipe by Split Disk Method. ASTM International, West Conshohocken, USA (2003).

Quelle: Hochschule Osnabrück

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