Querschnitt eines gemalten Handyhalters in den Farben grün und blau.

Bild 1: Einblick in das 2K-Werkzeug des Handyhalters „Butterfly“ zeigt die kalte und warme Formhälfte im eingeschwungenen Zustand. (Bild: Sigmasoft)

Kunststoffspritzguss ist ein modernes aber mittlerweile schon altes Herstellverfahren für immer mehr verschiedene Dinge. Traditionell verläuft die Entwicklung von Spritzgusswerkzeugen und -prozessen häufig auf Basis von gemachten Erfahrungen, oder analog zu „so ähnlich wie“. Grundlegende Dinge wie Zykluszeit, Maschinenauswahl und Dimensionen werden oft schon vor der Konstruktion abgeschätzt und stellen die Weichen zum Projekterfolg – häufig in die richtige, aber nicht immer die optimale Richtung. Sobald Maschine und Werkzeug zusammenkommen gibt es im Serienanlauf häufig noch Änderungen oder dringenden Optimierungsbedarf, weil die kaufmännische Kalkulation im Prozess nicht umgesetzt werden kann oder die Artikelpräzision nicht erreicht wird. Die fünf wichtigsten Problembereiche sind:

  • Wo und wie wird das Bauteil am besten angespritzt?
  • Wie sieht die Temperaturverteilung in der Form im Prozess tatsächlich aus?
  • Ist die richtige Maschine ausgewählt?
  • Kann die geforderte Präzision innerhalb der vorgegebenen Toleranz erreicht werden?
  • Robustheit und Prozessfenster – funktioniert es direkt optimal und ohne Änderungsschleifen?

Moderne Simulationswerkzeuge wie Sigmasoft Virtual Molding ermöglichen, diese Punkte zu beherrschen, bevor in Equipment investiert wird oder auch nur Späne im Werkzeugbau fallen.

Problem 1: die Angusspositionierung

Ein schneller Start in die Welt der Simulation ist es, die Bauteilgeometrie als 3D-Datei zu importieren. Diese wird virtuell in einen „Stahlklotz“ mit idealer, homogener Temperatur eingebettet. Der ausgewählte Kunststoff liegt meist (neben Alternativen) zum Abruf in der Datenbank bereit. Nun können verschiedene Angusspositionen und deren Auswirkungen auf das Füllverhalten, Lufteinschlüsse, Bindenähte, Faserorientierung und sogar die spätere Bauteilpräzision schnell durchgespielt werden. Bild 2 zeigt ein Zahnrad aus PPS GF 40. Dieses Präzisionsteil erfordert enge Toleranzen der Verzahnung. Da das Zahnrad hauptsächlich axial schwindet, kann die Form hier relativ einfach vorgehalten werden. Radial dominieren Verzugseffekte und ein Vorhalt für die geforderte Präzision ist deutlich erschwert. MS-Schramberg hat hierzu ein Beispiel vorgestellt, bei dem der Einfluss der Angussposition und -anzahl vor dem Bau des Werkzeugs mit Sigmasoft untersucht wurde. Je nach Angusszahl ergeben sich unterschiedliche Faserorientierungen. Diese unterschiedlichen Szenarien führen jeweils zu anderen Schwindungen und einem anderen Verzug. In einer frühen Projektphase können Simulationen so helfen, Fehler zu vermeiden oder in einen unkritischen Bereich zu verschieben. Hier ist vor allem der vorhandene Zeitdruck ein wichtiges Kriterium, denn diese Arbeiten können vor Beginn des Werkzeugbaus erledigt werden.

Drei rote Zahnräder und darunter drei graue Zahnräder.
Bild 2: Zahnrad mit drei möglichen Angussvarianten (oben) und die entsprechenden Faserorientierungen (unten). (Bild: MS-Schramberg)

Problem 2: der Temperaturhaushalt

Zur besseren Prozesseffizienz und Materialeinsparung kommen immer mehr Heißkanäle (oder Kaltkanäle in der Elastomerverarbeitung) zum Einsatz. Für unerfahrene Anwender sind diese schwer einzuschätzen. Auf der einen Seite erzielen sie enorme Rohstoffeinsparungen durch den Wegfall von verlorenen Angüssen und beeinflussen die Zykluszeit positiv. Auf der anderen Seite kosten sie allerdings auch Geld, das im Laufe der Produktion wieder eingespart werden muss. Der letzte knifflige Punkt ist, dass diese Elemente den gesamten Temperaturhaushalt in der Form beeinflussen und die Lage und Durchmesser von Temperierkanälen häufig angepasst werden muss. Zur Einsparung von Energie und Verminderung von Temperaturgradienten sind Isolationsplatten außen an der Form ein gutes Mittel. Aber auch hier wäre es gut, den Erfolg zu quantifizieren, bevor zusätzlicher Aufwand, beispielsweise Kosten, zusätzliche Montage/Demontageschritte bei Formwechsel oder Reinigung, entsteht. Elmet hat hierzu mit dem Projekt „Butterfly“ (Handyhalter) ein interessantes Beispiel gezeigt (Bild 1). Auf Basis von Simulationen wurde dieses Temperaturmanagement erfolgreich umgesetzt, in dem ein 2-Komponenten-Werkzeug für Polycarbonat (Heißkanal) und Flüssigsilikon (Kaltkanal) simuliert wurde. Die Herausforderung lag hierbei nicht nur in der thermischen Ausbalancierung der beiden Formhälften (kalt versus heiß), sondern auch in der thermischen Trennung von Kalt- beziehungsweise Heißkanal sowie den jeweiligen Kavitäten. Durch Simulationen mit Sigmasoft konnte darüber hinaus eine genaue Vorhersage der Prozessparameter und eine Optimierung des Wärmebildes nach Einschwingzyklen bis zur Homogenisierung der Temperaturen gezeigt werden.

Problem 3: die Maschinenauswahl

Erfolg und Nachhaltigkeit eines Projektes sind häufig von der richtigen Auswahl der Anlage für die Großserie abhängig. Bei hoher Auslastung in der eigenen Produktion ist die Ermittlung von möglichen Alternativen wie kleineren Maschinen enorm hilfreich. Wenn eine neue Spritzgießmaschine beschafft wird, muss eine sichere Entscheidung getroffen werden im Hinblick auf Größe, Schließkraft, Einspritzdruck usw. Unternehmerisch gesehen soll die Maschine am besten klein sein mit geringem Footprint, niedrigem Energiebedarf und vor allem kleinstmöglicher Investition. Da Lieferzeit von Form und Equipment mittlerweile ähnlich lang sind, kann dieser Konflikt nicht einfach gelöst werden. Allerdings bietet hier die Simulation des Prozesses die Möglichkeit, die Parameter so genau vorherzusagen, dass Nachhaltigkeit und Projekterfolg optimiert werden können. Interessant ist auch die Analyse von „Was-wäre-wenn“-Szenarien: Was wäre der beste vorhandene Ersatz, wenn eine Maschine längerfristig ausfällt? Solche Redundanzen im Vorfeld, ohne Probeläufe, ermitteln zu können erhöht die Produktionssicherheit. Maschinenabhängige Probleme, die beispielsweise beim Abmustern im Technikum des Formenbauers auftreten, müssen nicht immer die Serienmaschine betreffen. Auch wenn die Entscheidung für die richtige Maschine nicht immer direkt beim Formenbauer liegt, hilft die Simulation an dieser Stelle, das Problem zu bewerten, bevor Zeit und Geld auf dem Spiel stehen. Ein Feedback zur Umsetzbarkeit noch bevor die Form existiert, oder die Maschine angeschafft wird, ist an dieser Stelle sehr nützlich.

Thermische Darstellung in grün, blau und rot.
Bild 3: Ursprüngliche thermische Performance (links), veränderte konturnahe Kühlung (Mitte) und veränderte konturnahe Kühlung + verändertes Material der Auswerferstifte (rechts), jeweils am Ende der Füllzeit.
(Bild: Sigmasoft)

Problem 4: Schwindung und Verzug

Für die optimale Werkzeugauslegung ist es erforderlich, sich nicht nur auf die Füllsimulation mit dem idealisierten „Stahlklotz“ zu verlassen. Diese Abschätzung liefert zwar einen ersten Eindruck, aber Virtual Molding geht viel weiter: Berücksichtigt werden alle Werkzeugteile bis hin zu jeder einzelnen Schraube, genau wie die Positionen der Heiß- oder Kaltkanäle und weitere thermische Einflüsse. Die Möglichkeit einer Multizyklusanalyse bietet tiefe Einblicke bis in den eingeschwungenen Zustand des Werkzeuges. Das hilft bei der präzisen Auslegung der Form. Problematische Stellen im Werkzeug wie Hotspots, welche im Bauteil Schwindung und Verzug verursachen können, können im Vorfeld aber auch in der laufenden Produktion identifiziert werden. Dazu können die realen Prozessparameter und Materialdaten in die Simulation übertragen werden. Sofort werden Problemstellen sichtbar, denn das Werkzeug wird so quasi durchsichtig. Sollte die Optimierung des Artikels erst während der Produktion notwendig werden, geht dies unter Einsatz von Simulation ohne langen Stillstand, denn alle Änderungen und Vergleiche können digital erfolgen. Am Beispiel einer dekorativen Wandfliese von Tailoredtile zeigt sich, wie Schwindung und Verzug im Bauteil verbessert werden können. Zusätzlich kann eine Zykluszeitreduzierung bei gleichzeitiger Prozessoptimierung durchgeführt werden. Die Fliese wird später an der Wand befestigt. Wenn das Bauteil zu stark verzieht und sich nicht mehr innerhalb der Toleranzen bewegt, liegt es nicht mehr voll an der Wand an. Zusätzlich haben die Bauteile eine zu lange Kühlzeit und die Zykluszeit soll reduziert werden. In der Simulation wurde sichtbar, dass die Auslegung des Heißkanals nicht optimal ist. Es wurden drei Varianten mit-einander verglichen, wie in Bild 3 dargestellt. Deutlich zu sehen ist, dass das Bauteil bei der bestehenden Produktion kurz vor dem gewünschten Entformungszeitpunkt zu heiß ist, was die lange Kühlzeit erfordert. Zusätzlich sind die Stellen zu erkennen, wo die Auswerferstifte sitzen, diese Stellen sind also zu warm. Die letzte Variante zeigt einen geringeren Temperaturgradienten, wodurch das Bauteil weniger Verzug aufweisen wird. Diese Änderungen wurden in der Praxis umgesetzt und das Ziel erreicht: Schwindung und Verzug bewegen sich nun innerhalb der Toleranz, die Kühl- und Zykluszeit wurden verkürzt und der Prozess optimiert. Obwohl die Zykluszeitoptimierung eher den Verarbeiter als den Werkzeugbauer betrifft, fällt eine Nacharbeit meist auf diesen zurück. Nacharbeiten wiederum bedeuten Aufwand und Kosten, die sich via Virtual Molding vermeiden lassen.

Problem 5: die Optimierung

Eine Optimierung kann auf unterschiedlichen Wegen erfolgen und verschiedene Ziele verfolgen. Wie mechanische Bauteileigenschaften durch virtuelle Prozessauslegung optimiert werden können, zeigt das folgende Beispiel. Ziel ist in der Regel immer die Bauteilanforderungen bei minimalem Kostenaufwand zu erfüllen. Hierbei können Erfahrungswerte mit virtuellen Versuchen überprüft und verbessert werden. Die so gewonnenen Erkenntnisse helfen bei der richtigen Entscheidung. Betrachtet wird ein Pedal, bei dem hohe Anforderungen an Funktion, Maßgenauigkeit, Lebensdauer, Gewicht und Preis bestehen. Um den Prozess virtuell auszulegen und zu optimieren müssen die Ziele greifbar werden, das heißt die kritische Bruchdehnung darf im Lastfall nicht überschritten, Winkel- und Ebenheiten müssen eingehalten und ein niedriger Fülldruck gewährleistet werden. Die gezielte Planung der Faserorientierung kann die mechanische Bauteilstabilität in Belastungsrichtung ermöglichen, parallel muss allerdings der Bauteilverzug gering gehalten werden. Die Faserorientierung ist abhängig vom Anspritzpunkt, somit werden unterschiedliche Anspritzpunkte als Eingangsparameter in die autonome Optimierung aufgenommen, neben zwei Nachdruckhöhen und drei Materialien mit unterschiedlichen Verstärkungsgraden. Alle Parameter gegeneinander gestellt ergeben die beste Kompromisslösung (das beste Design), mit der alle Anforderungen bestmöglich erfüllt werden.

Quelle: Sigma Engineering

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