Manchmal braucht es einfach Glas – etwa im Bereich der Medizintechnik. Beispielsweise bei der Messung von Gasen durch Sensoren, aber auch wenn Linsenvorsätze gebraucht werden oder wenn Bauteile für die Sterilisierung im Autoklav geeignet sein müssen. Die Transparenz von Glas und die geometrische Flexibilität von Kunststoff bilden dann ein unschlagbares Duo, allerdings auch ein nicht ganz einfaches. Glas und Kunststoff verbinden sich nicht und verfügen über ein unterschiedliches thermisches Verhalten. Außerdem weiß man von abgeplatzten Brillengläsern oder Spiegeln: Glas ist sehr empfindlich gegenüber punktueller Belastung. Das Einspritzen von Kunststoff ins Werkzeug geschieht mit Drücken von bis zu 2.000 bar. Kann ein eingelegtes Glasplättchen, das umspritzt werden soll, dies überstehen? Technisches Spezialglas wird mit steigendem Brechungsindex sogar immer spröder, ebenso wie Ausführungen mit integrierten seltenen Metallen, die für Anwendungen wie Messoptiken interessant sind.
Was es beim Umspritzen zu beachten galt
Kunststoff Helmbrechts (KH) ist es dennoch gelungen, verschieden geformte Glasplättchen so zu umspritzen, dass der Kunststoff eine Art Fensterrahmen für sie bildet und sie so in die umgebende Bauteilgeometrie integriert. Der dafür nötige Entwicklungsprozess nahm fünf Jahre in Anspruch. Die Herausforderung bestand darin, die Linsen freischwebend im Werkzeug zu platzieren, damit das vollständige Umspritzen des Randes in einem Prozessschritt möglich wurde. Das erste Fenster, mit dem man die neue Technologie entwickelte, hatte einige Millimeter im Durchmesser und war circa einen Millimeter dick. Die Fertigungstoleranz von wenigen hundertstel Millimeter galt es ebenso zu berücksichtigen wie die Tatsache, dass eine Vorspannung, mit der eingelegte Bauteile üblicherweise beaufschlagt werden, um den Spritzdruck zu kompensieren, im Fall von Glas nicht möglich war. Das Werkzeugkonzept verlangte deshalb innovative Lösungen, die das Konstruktionsteam um Michael Klar auch fand. Um den Wettbewerbsvorsprung zu sichern, können sie an dieser Stelle nicht detailliert erläutert werden. In der aktuellen Serienanwendung aus dem Medizinsektor legt ein Roboter vollautomatisch mehrere unterschiedliche Glasfenster ins Werkzeug ein, wo sie dann wie mit einem Fensterrahmen umspritzt werden. Das so entstandene Bauteil erhält in einem Folgeprozess seine endgültige Geometrie. Für die Entwicklung der Automation wurde zu Beginn des Projektes eigens ein Spritzgießwerkzeug geschaffen, um die teuren Glaslinsen durch Dummies aus Kunststoff zu ersetzen. Je näher die Lösung rückte, desto häufiger verwendete man die „echten“ Plättchen.
Keine verbindende Weichkomponente notwendig
Ein zentraler Punkt betraf die Dichtigkeit der fertigen Baugruppen nach Anwendervorgabe. Da sich die Materialien nicht stoffschlüssig verbinden, musste der Kunststoff das Glas durch seine Schwindung so fest umschließen, dass kein Luftaustritt möglich ist, durfte es aber natürlich nicht beschädigen. An anderer Stelle wurde bei Forschungsprojekten zum Thema Glasumspritzen in der Vergangenheit versucht, eine Weichkomponente als verbindende Schicht zwischen beide Materialien einzufügen. Das Vorhaben musste allerdings mangels Erfolgs beendet werden. Die Technologie von KH kommt ohne Zwischenschicht aus, das Glas ist komplett von verschiedenen Kunststoffen mit und ohne Verstärkungs- und Füllmaterialien umschlossen. Nach dem Spritzgießen erfolgen inline jeweils eine Kamera- und Dichtigkeitsprüfung. Das fertige Produkt ist für die Sterilisierung im Autoklav geeignet, allein durch das Spezialglasfenster aber vergleichsweise kostenintensiv. Für Einweg-Anwendungen, die im Rahmen des Projektes ebenfalls benötigt wurden, entwickelte das Unternehmen ein weiteres Verfahren, bei dem statt Glas eine Funktionsfolie als Fenster zum Einsatz kommt. Hier stellte der sogenannte „Froscheffekt“ die größte Herausforderung dar: Durch die Schwindung des Kunststoffs wölbte sich die hauchdünne Schicht nach oben oder unten. Deshalb nutzt man nun ein intelligentes Verbundsystem, mit dem die Funktionsfolie planparallel gehalten werden kann und das präzise Messergebnisse ermöglicht. Beide Technologien – insbesondere natürlich die mit Glas – eröffnen die Möglichkeit für neue, bisher nicht realisierbare Anwendungen. Linsen mit angespritzten Halteelementen oder Schraubgewinden sind ebenso vorstellbar wie Glaslupen, die fix und fertig aus der Maschine kommen.
Medteclive with T4M: KH Medical Halle 3C, Stand 611
Quelle: Kunststoff Helmbrechts