Herr Stark, kommt den Kunststoffverpackungen aufgrund des Coronavirus plötzlich eine neue Position zu?
Herr Stark: Ja! Deren Bedeutung hat sich plötzlich ins Positive gewandelt, denn sie gewährleisten Hygiene. Aktuell fragt der Verbraucher nicht, ob eine Gurke mit oder ohne Kunststofffolie angeboten wird. Ich bin mir sicher, dass dieser Tage alle Verbraucher zuallererst nach der verpackten Gurke greifen. Denn man muss ja „hamstern“ und es ist unbestritten, dass ein in Barrierefolie verpacktes Produkt auch eine längere Mindesthaltbarkeit besitzt. Das Coronavirus ist damit das allerbeste Argument, Kunststoffverpackungen einzusetzen. Die Welt hat jetzt ein neues, herausforderndes Thema abseits von Umweltverschmutzung, Plastic Bashing und Klimawandel bekommen, dessen globale Auswirkungen welcher Art auch immer sie sein mögen, noch nicht absehbar sind.
Vor der Coronapandemie waren Lebensmittelverpackungen aus Kunststoff ein regelrechtes Schreckgespenst. Warum sind Kunststoffverpackungen aus Ihrer Sicht notwendig?
Herr Stark: Ohne Kunststoffverpackungen ist es unmöglich, die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren, denn ohne die Verpackungen aus Kunststoff würden zu viele Lebensmittel verderben. Das ist ja sogar jetzt schon der Fall. Nach Berechnungen des WWF gibt es in Deutschland rund 18 Mio. Tonnen und in Europa circa 100 Mio. t Lebensmittelverluste pro Jahr. Somit ist die Schutzfunktion der Verpackung ihre wichtigste Eigenschaft. Zudem vereint sie noch Kriterien wie Garantie (MHD), Dienstleistung (Information, Vorratsgefäß), gute Verarbeitung, ist Werbeträger, verbraucherfreundlich, nachhaltig und soll platzsparend zu lagern sowie gut zu laden und zu transportieren sein. Außerdem muss sie noch DIE Zusatzfunktion Recyclingfähigkeit erfüllen. Und nun sagen Sie mir, wie alle diese Anforderungen OHNE Kunststoffverpackung zu realisieren sind?
Ohne Kunststoffverpackungen ist es unmöglich, die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren, denn ohne die Verpackungen aus Kunststoff würden zu viele Lebensmittel verderben.
Als Alternative werden bioabbaubare Kunststoffe ins Gespräch gebracht. Stellen diese die Lösung des Umweltproblems dar?
Herr Stark: Nein! Bioabbaubare oder kompostierbare Kunststoffe und daraus hergestellte Kunststoffverpackungen sind nicht sinnvoll und daher auch weder im Deutschen Verpackungsgesetz noch in der Europäischen Kunststoffstrategie verankert. Stattdessen wird dort auf nachwachsende Ressourcen rekurriert. In Kompostanlagen sind solche sogenannten bioabbaubaren Kunststoffe wie PLA derzeit verpönt, weil diese sich viel zu langsam abbauen und dadurch den ganzen Prozess stören.
Sehen Sie die Kreislaufwirtschaft als Chance für die Verpackungsindustrie von Lebensmitteln?
Herr Stark: Kreislaufwirtschaft ist immer das erhabene Ziel und praktisch die Lösung für alle Probleme. Die Politik geht aber leider nicht immer darauf ein und trifft – getrieben von Umweltaktivisten, Weltrettern und Klimaschützern – mitunter auch falsche Entscheidungen. So wird etwa das am besten zu recycelnde Produkt, das wegen seiner Größe deutlich höher als DIN A4 Format sehr gut sortiert werden kann und aus einem Monomaterial besteht, verboten. Oh, Sie wissen jetzt nicht, wovon ich rede? Es ist die gute alte PE-Plastiktüte. Warum wird dieses Produkt, Paradebeispiel für Kreislaufwirtschaft, nicht mehr hergestellt?
Kreislaufwirtschaft ist immer das erhabene Ziel und praktisch die Lösung für alle Probleme.
Ein hervorragend zu trennendes, sortierendes und recyclingfähiges PE-Material wird nicht mehr zugelassen, weil Tüten im Meer schwimmen. Sie gehören dort zweifelsohne nicht hin. Wir dürfen nicht vergessen, dass sie dort nicht aus eigener Kraft hingekommen sind! Das aus den Tüten gewonnene Rezyklat kann erneut zum Herstellen von PE-Tüten verwendet werden. Nun gut, verbieten wir es. Aber dann stelle ich unsere gesamte Recyclinginfrastruktur infrage. Wenn das am besten zu recycelnde Produkt untersagt wird, wie schwer muss es dann sein, alles andere, das viel schwieriger zu recyceln ist, zu erlauben?
Stichwort Design for Recycling. Können Einstoffverbunde hinsichtlich Qualität und Haltbarkeit der verpackten Lebensmittel eine wirkliche Alternative zu Mehrschichtverbunden darstellen?
Herr Stark: Nein, können Sie nicht. Aufgrund mangelnder Barrierewirkung gegen Gase würden die verpackten Lebensmittel zu schnell verderben. Der ökologische Schaden wäre immens. Denn dadurch würde sehr viel CO2 unnötig ausgestoßen und sinnlos Energie verbraucht werden. Da für das Erzeugen des Produkts ein mindestens 10- oder sogar mehr als 50-fach höherer Energieaufwand und Ausstoß von Kohlendioxid nötig ist als für das Herstellen der wenigen Gramm Verpackung. Man muss dies mit Verstand und Vernunft bewerten.
Welchen CO2-Fußabdruck hinterlassen die Verbraucher mit Verpackungen verglichen mit einer Flugreise?
Herr Stark: Herrje, nun schlachten Sie eine heilige Kuh! Lassen Sie doch um Gottes Willen den Deutschen ihre Flugreisen in den Urlaub! Weil, ICH darf ja fliegen, es können ja die anderen darauf verzichten. Lebensmittelverpackungen aus Kunststoff sind für sage und schreibe nur 0,6 % des gesamten ökologischen Fußabdrucks des Europäers verantwortlich. Verkehr, inklusive Flugverkehr, macht indes 23 % aus!
Lebensmittelverpackungen aus Kunststoff sind für sage und schreibe nur 0,6 % des gesamten ökologischen Fußabdrucks des Europäers verantwortlich. Verkehr, inklusive Flugverkehr, macht indes 23 % aus!
Für welche Lebensmittel sehen Sie keine Alternative zu einer Kunststoffverpackung?
Herr Stark: Oh, es gibt für alles Alternativen. Nur sind diese Alternativen oftmals schlimmer, weil sie ein 3,6 mal höheres Gewicht besitzen, doppelt so schwierig herzustellen sind, teurer sind, mehr Energie zu deren Herstellung benötigt wird und auch mehr Kohlendioxid (mal 2,7) ausstoßen. Man treibt den Teufel also mit dem Belzebub aus.
Aber um Ihre Frage mal allgemein zu beantworten: Je komplexer und sensibler das zu verpackende Gut ist, umso schwieriger wird es, eine Alternative für die Kunststoffverpackung zu finden. Die Verpackungen müssen nämlich dann häufig ebenso komplex sein wie das Packgut. Beispiel: Leicht verderbliche, frische Lebensmittel brauchen zum Schutz anspruchsvolle Verpackungen. Das ist wie im Privathaushalt mit Wertsachen: Je teurer das Goldkettchen, umso dicker muss der Tresor sein.
Wie sehen künftige Lösungen der Verpackungsbranche für Lebensmittel aus?
Herr Stark: Die werden sich von den derzeitigen Verpackungen nicht sonderlich unterscheiden. Man wird ein Design für Recycling vornehmen, um Verpackungen recyclingfähiger zu machen, was ja auch das Verpackungsgesetz fördern will. Gleichzeitig ist es aber wichtig, einen Markt und Einsatzzweck für die so gewonnenen Rezyklate zu haben, sonst bringt das alles nichts.
Verpackungen werden dünner werden, es wird Material gespart. Wo auf Verpackungen verzichtet werden kann, soll auch darauf verzichtet werden. Das gebietet doch schon die Vernunft. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Verpackungen mehr standardisiert werden. Vielleicht finden sich einige Verpackungen später nicht mehr, während sich andere Arten besser durchsetzen werden. Allerdings wird das globale Verpackungsaufkommen künftig selbstverständlich weiterwachsen. Sie fragen warum? Ganz einfach, weil die Weltbevölkerung auf unserem Planeten wächst. Ein Wachstum ist aber niemals nachhaltig, wenn man sich der ursprünglichen Bedeutung von Nachhaltigkeit bewusst ist: Ein Baum wird abgeholzt, ein neuer Baum dafür gepflanzt. Viele Menschen, viele Verpackungen, viel CO2 Ausstoß, viel Ressourcenverbrauch. Jede Medaille hat zwei Seiten, es ist nie alles gut und nie alles schlecht.
Vielen Dank für das Gespräch.