Ein Puzzle mit Teilen, die über einen Kopf fliegen.

Was mit künstlicher Intelligenz inzwischen möglich ist, beweist das TITK. (Bild: stock.adobe.com - Kien)

Die Geruchsprüfung von Kunststoffen für Anwendungen im Automobilinnenraum erfolgt derzeit nahezu ausschließlich durch die humansensorische Prüfung mit einem trainierten Sensorikpanel (zum Beispiel gemäß Standard VDA 270). Das Ergebnis dieser Prüfung ist eine Geruchsnote, die den Geruchseindruck, die Akzeptanz und die Intensität des Geruchs beinhaltet (Tabelle 1). Diese einfache, aber sehr subjektive Prüfung zeigt häufig große Streuungen in der Benotung der Proben sowohl innerhalb des Sensorikpanels als auch in unterschiedlichen Prüflaboren. Dies führt oft zu Diskussionen zwischen Kunden und Prüflabor, da die Geruchsnote über die Zulassung oder Ablehnung des Materials, Bauteils oder der Komponente entscheiden kann. Daher wird seit vielen Jahren versucht, diese Prüfung zu objektivieren. Viele verschiedene Methoden wurden untersucht, von denen sich bisher keine in der täglichen Laborpraxis zur routinemäßigen Prüfung des Geruchs von Kunststoffen durchsetzen konnte.

Tabelle mit 3 Spalten und 6 Zeilen. Tabelle 1: Notenskala zur Geruchsbewertung nach VDA 270.
Tabelle 1: Notenskala zur Geruchsbewertung nach VDA 270. (Bild: TITK)

Welcher Lösungsansatz gewählt wurde

In einer Gemeinschaftsarbeit der beiden Forschungseinrichtungen TITK und FZMB wurde ein neuer Lösungsansatz unter Verwendung von künstlicher Intelligenz entwickelt, der eine messtechnische Beschreibung des Geruchs durch die Zuweisung einer Note auf Basis von spektralen Informationen der Kunststoffprobe ermöglicht. Dazu werden die Kunststoffproben mit der GC-IMS-Analyse analysiert und aus den Spektren charakteristische Merkmale extrahiert, die als Input-Daten für eine KI-basierte Datenverarbeitung dienen. Die Zielgrößen für das überwachte Lernen der Algorithmen bilden die Geruchsnoten aus der humansensorischen Prüfung mit dem Sensorikpanel. Nach dem Training der Algorithmen mit repräsentativen Datensätzen sollen die Vorhersagemodelle die Geruchsnote für unbekannte Proben vorhersagen können, die im Erfolgsfall mit der Geruchsnote aus der standardisierten humansensorischen Geruchsprüfung übereinstimmt. Die Voraussetzung hierfür ist, dass ein funktioneller Zusammenhang zwischen den aus dem GC-IMS-Spektrum selektierten Informationen und der Geruchsnote der Probe gefunden werden kann (Bild 1).

Schaubild. Bild 1: Lösungsansatz für die Entwicklung des Messsystems zur Geruchsprüfung an Kunststoffen.
Bild 1: Lösungsansatz für die Entwicklung des Messsystems zur Geruchsprüfung an Kunststoffen. (Bild: TITK)

Welche Ergebnisse zugrunde liegen

Die Grundlagenuntersuchungen zur Umsetzung des Lösungsansatzes erfolgten zunächst am Beispiel von Kunststoffen aus Polypropylen (PP). Für ein erfolgreiches Lernen der Algorithmen müssen Datensätze, die den gesamten Notenbereich für Kunststoffe abdecken, bereitgestellt werden. Um diesen Probenpool zu erzeugen, wurden am Markt verfügbare PP-Compounds (sowohl Neuware als auch Rezyklate) mithilfe chemischer und physikalischer Methoden weiter aufbereitet, sodass am Ende ein Probenpool mit 283 Proben vermessen werden konnte (Bild 2).

Zwei Balkendiagramme. Bild 2: vermessener Probenpool (140 x Neuware, 143 x Rezyklat).
Bild 2: vermessener Probenpool (140 x Neuware, 143 x Rezyklat). (Bild: TITK)

Zur Auswertung der aus den GC-IMS-Spektren gewonnenen spektralen Informationen wurden drei verschiedene Algorithmen genutzt: Künstliche Neuronale Netze (KNN), Support Vector Machine (SVM) und Decision Trees (Random Forrest (RF)). Wie Tabelle 2 zeigt, liefern die Modelle unterschiedlich gute Vorhersagegenauigkeiten.

Tabelle 2:  Vorhersagegenauigkeit der getesteten Modelle.
Tabelle 2: Vorhersagegenauigkeit der getesteten Modelle. (Bild: TITK)

Mit der aktuell noch sehr geringen Anzahl an Datensätzen erreicht das SVM-Modell die höchste Vorhersagegenauigkeit im Test- und Validierungsset (Bild 3). Die GC-IMS-Spektren der PP-Proben weisen eine hohe Komplexität der Datenstruktur auf, weil eine große Menge an Vorhersagevariablen berücksichtigt werden muss. Das resultierende Verhältnis Anzahl der Proben / Anzahl der Vorhersagevariablen ist für KNN ungünstig. KNN benötigen für eine hohe Vorhersagegenauigkeit deutlich größere Datensätze. Mit einer perspektivisch wachsenden Datenmenge können auch KNN wie auch weitere Klassifikatoren ihre Genauigkeit und Stabilität weiter verbessern. Das ist das Ziel weiterer Forschungsarbeiten. Die Validierung des SVM-Algorithmus erfolgte mit 20 unbekannten Proben (12 x Neuware, 8 x Rezyklat). Hierfür wurden die Proben mit dem entwickelten H-GC-IMS-Messsystem vermessen und die Daten mithilfe des antrainierten Algorithmus ausgewertet. Mit einer durchschnittlichen Abweichung von nur 0,38 Geruchsnoten im Vergleich mit den Geruchsnoten, die von erfahrenen Teilnehmern des Geruchspanels ermittelt wurden, liefert das SVM-Modell eine sehr genaue Vorhersage (Bild 3). Die Abweichungen zwischen den maschinellen und den manuellen Benotungen sind damit nicht größer als die Abweichungen zwischen verschiedenen Personen des Prüfpanels beziehungsweise zwischen verschiedenen Laboren. Damit konnte nachgewiesen werden, dass eine KI-basierte Geruchsprüfung von PP-Kunststoffen über die Zuweisung einer Geruchsnote auf Basis spektraler Informationen aus der GC-IMS-Analyse möglich ist.

Zwei Grafiken. Bild 3: Trainings- und Validierungsergebnisse für das Vorhersagemodell Support Vector Machine, Probenanzahl 283.
Bild 3: Trainings- und Validierungsergebnisse für das Vorhersagemodell Support Vector Machine, Probenanzahl 283. (Bild: TITK)

Aufbauend auf dem guten Klassifikationsergebnis wurden in einem Folgeschritt zwei getrennte Regressionsmodelle für Neuware und Rezyklat erstellt. Aufgrund des dadurch verkleinerten Datensatzes (circa 50 % Anteil Neuware, circa 50 % Anteil Rezyklate) wurde auf eine Trennung der Daten in Trainings-, Validierungs- und Testdatensatz verzichtet und nur mit dem Trainingsdatensatz gearbeitet. Beide Regressionsmodelle errechnen für die Klassen „Neuware“ und „Rezyklat“ ähnlich gute Ergebnisse für die vorhergesagten Noten (Tabelle 3). Das zeigt, dass es grundsätzlich möglich ist, anhand der gemessenen Daten eine Trennung in Neuware und Rezyklat vorzunehmen und getrennte Vorhersagemodelle mit guter Genauigkeit zu berechnen. Für größere Datensätze stellt diese Vorgehensweise eine interessante Auswertungsstrategie dar, die sich zum Beispiel in der Wareneingangskontrolle beim Kunststoffverarbeiter zur Unterscheidung in Neuware und Rezyklat bei gleichzeitiger Kontrolle der Geruchsqualität nutzen lässt.

Tabelle 3: Klassifizierung von PP-Kunststoffen in  „Neuware“ und „Rezyklat“ mithilfe KNN.
Tabelle 3: Klassifizierung von PP-Kunststoffen in „Neuware“ und „Rezyklat“ mithilfe KNN. (Bild: TITK)

Nutzen für KMU

Es wurde ein neues Messsystem entwickelt, welches schnell und reproduzierbar die Geruchsnote für PP-Kunststoffproben vorhersagen kann. Es ist zudem einfach in der Bedienung, läuft mit laborüblicher Rechnertechnik und generiert innerhalb weniger Minuten eine objektive Geruchsnote. Damit können folgende Anwender adressiert werden:

  • Gerätebauer und Hersteller von Analysentechnik können ihr Produktportfolio erweitern und neue Kundenkreise aus dem Bereich der Kunststoffverarbeitung und des Recyclings erschließen.
  • Unternehmen aus den Bereichen Kunststoffverarbeitung und Kunststoffrecycling können das Messsystem nutzen, um ihre Recycling- und Verarbeitungsprozesse zu optimieren und zu überwachen, um da-rüber eine gleichbleibend hohe Produktqualität bezüglich des Geruchs zu sichern.
  • Prüfdienstleister können die humansensorische Prüfung mit der messtechnischen Prüfmethode ergänzen und erweitern, um so das steigende Prüfaufkommen an Geruchsmessungen für Rezyklate zu bewältigen. Die tägliche Probenanzahl für ein Prüfpanel zur humansensorischen Geruchsprüfung ist auf 24 begrenzt. Das entwickelte Messsystem kann derzeit mit 10 Probenröhrchen bestückt werden und misst selbstständig. In 24 h können damit 48 Proben vermessen und die Geruchsnoten ermittelt werden. Das Messsystem ist damit deutlich effizienter als das Sensorikpanel. Gleichzeitig kann die objektive Geruchsnote aus dem Messsystem als Entscheidungshilfe bei Prüfabweichungen genutzt werden.

Ausblick

Mit den erarbeiteten wissenschaftlichen und analytischen Grundlagen bestehen sehr gute Voraussetzungen für die Weiterentwicklung der Technik zu einem professionellen Prüfgerät mit vollautomatisiertem Messvorgang. Dazu wurde ein Entwicklungsteam, dem neben den Forschungsstellen TITK und FZMB ein Gerätebauer und ein Kunststoffverarbeiter angehören, gebildet. Gemeinsam sollen das vorhandene Wissen und die entwickelte Analysetechnik auf eine größere Produktpalette von Kunststoffen und Rezyklaten erweitert werden, um den Anwendungsbereich des Messsystems zu vergrößern.

Dank

Das IGF-Vorhaben 21409 BR der Forschungsvereinigung Werkstoffe aus nachhaltigen Rohstoffen e. V. (WNR) und der Forschungsvereinigung DECHEMA – Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie e. V. wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Allen Institutionen gilt unser Dank. Weiterhin danken wir allen beteiligten Industriepartnern für die Bereitstellung von Mustermaterialien und dem projektbegleitenden Ausschuss für die fachliche Unterstützung.

Quelle: TITK, fzmb

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Unternehmen

TITK e.V Thüringisches Institut für Textil- und Kunststoff-Forschung e.V.

Breitscheidstrasse 97
07407 Rudolstadt
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