Das Bewusstsein für Nachhaltigkeit hat einen Wendepunkt erreicht. Klare Indikatoren dafür sind der gestiegene gesellschaftliche Fokus auf Nachhaltigkeit und die Einführung von Gesetzen wie der „Corporate Sustainability Reporting Directive“ (CSRD) [1] und der „Ecodesign for Sustainable Products Regulation“ (ESPR) [2]. Im Rahmen dieser Gesetze werden auch die Umweltauswirkungen von Produkten immer wichtiger. Denn über die Berechnung von Umweltauswirkungen ihrer Produkte können Unternehmen Informationen entlang der Wertschöpfungskette austauschen und untereinander teilen. Dabei liegt der Fokus aktuell eindeutig auf dem „Product Carbon Footprint“ (PCF), zu Deutsch „CO2-Fußabdruck eines Produkts“. Dessen Berechnung und seine anschließende Verringerung stellt viele Kunststoffverarbeiter aktuell vor Herausforderungen, bringt aber auch ungemeine Chancen mit sich.
Wichtige Punkte für die PCF-Berechnung
Um den CO2-Fußabdruck von Produkten zu berechnen, sind drei Bestandteile ausschlaggebend: Als Erstes die notwendige Expertise, um die Ergebnisse zu berechnen, zu verstehen und geschickt zu kommunizieren. Dies können Kunststoffverarbeiter erreichen, indem sie sich die methodischen Grundlagen und Berechnungsvorschriften nach ISO 14067 aneignen. Hier können Trainings und Workshops genutzt werden, um nicht nur eigene Experten auszubilden, sondern auch in verschiedenen Abteilungen von Einkauf über Vertrieb bis zum Engineering ein Grundverständnis zu schaffen. Zweitens, sobald die Grundlagen vorhanden sind, kann die Berechnung in einer geeigneten Software oder mithilfe eines externen Dienstleisters begonnen werden. Hierbei gibt es vielfältige externe Anbieter und verschiedene Softwarelösungen. In diesen Softwaretools müssen für die Berechnung des PCF die Emissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette erfasst und berechnet werden. Häufig wird die Wertschöpfungskette bei produzierenden Unternehmen „Cradle-to-Gate“; von der Wiege bis zum Werkstor des Kunststoffverarbeiters betrachtet. Eine Cradle-to-Gate-Betrachtung bedeutet, dass die Emissionen von der Rohmaterialextraktion bis zum Herstellungsprozess der Kunststoffprodukte zusammengetragen werden. Dies birgt jedoch eine besondere Herausforderung für die Kunststoffverarbeiter und führt zum dritten Bestandteil: Informationen und Daten. Neben Daten zu den eigenen Prozessemissionen müssen auch Daten über die Emissionen der vorgelagerten Wertschöpfungskette mitbetrachtet werden. Die Wichtigkeit dieser Wertschöpfungskette wird auch in der Literatur besonders deutlich. Vorangegangene Studien haben gezeigt, dass üblicherweise bis zu 77 % des CO2-Fußabdrucks eines Kunststoffproduktes aus der Bereitstellung des Rohmaterials und damit der vorgelagerten Wertschöpfungskette resultiert [3, 4]. Die Wertschöpfungskette ist jedoch für Kunststoffrohmaterialien aufgrund ihrer globalen Produktion und Vielfalt an Quellen wie Erdöl, Erdgas, Biopolymeren und recycelten Materialien äußerst komplex. Jede Quelle bringt eigene Herausforderungen in Beschaffung, Verarbeitung und Transport mit sich. Der Herstellungsprozess von Kunststoffen ist zudem mehrstufig und international vernetzt, wobei verschiedene Länder und Unternehmen involviert sind [5, 6]. Die unterschiedlichen Herstellungsrouten und -verfahren für Kunststoffarten wie Polyethylen und Polyamide beeinflussen aber maßgeblich den PCF der finalen Produkte. Vor diesem Hintergrund kann die Wissensaneignung, wie auch die Analyse der Wertschöpfungskette für Kunststoffverarbeiter zeitintensiv und aufwendig werden [7]. Deshalb stellt der dritte Bestandteil, die Beschaffung adäquater Daten für die vorgelagerte Wertschöpfungskette, oft den aufwendigsten Arbeitsschritt dar.
Es gibt mehr Daten als gedacht
Um die notwendigen Daten über die vorgelagerte Wertschöpfungskette zu erarbeiten, müssen die Firmen aber nicht bei null starten. Ein erster Schritt kann das Nutzen regionalisierter Ökobilanzdatenbanken sein, die die Wertschöpfungskette für Basischemikalien und Kunststoffe bereits analysiert haben [8]. Diese Datenbanken bieten einen Überblick über die verschiedenen Umweltkategorien wie den CO2-Fußabdruck von verschiedenen Rohstoffen. Durch die geeignete Auswahl der Rohstoffe können die Unternehmen ihren CO2-Fußabdruck berechnen und diesen gegebenenfalls sogar reduzieren. Ein anschauliches Beispiel für die aktuelle Datenverfügbarkeit von Rohmaterialien ist Polyethylen (HDPE). Die Grafik zeigt, dass der PCF für die Produktion von 1 kg HDPE in CO2-Äquivalenten pro kg produziertem HDPE-Granulat länderspezifisch ist. Der dargestellte Wert spiegelt den nationalen Konsummix wider. Dieser fasst die nationalen produktionsgewichteten Volumina sowie den Import und Export aus verschiedenen Regionen für ein spezifisches Land und für 1 kg produziertes HDPE-Granulat zusammen. Für HDPE sind beispielsweise alle Emissionen entlang der Wertschöpfungskette erfasst – von der Rohmaterialextraktion über den Transport bis zum jeweiligen Herstellungsprozess. Explizit dargestellt sind die Werte für China, Deutschland und die USA sowie die produktionsgewichteten Durchschnittswerte für die EU-27-Mitgliedsstaaten als auch der globale Durchschnittswert. Diese Gegenüberstellung zeigt, dass der CO2-Fußabdruck für ein in China hergestelltes HDPE rund 23 % höher ist als der für ein in Deutschland hergestelltes. Die Abweichung zwischen den Ländern ist auf unterschiedliche Herstellungstechnologien und -routen zurückzuführen. So beeinflusst die Wahl des verwendeten Energieträgers – Erdöl, Erdgas, Kohle – den CO2-Fußabdruck des hergestellten Granulats [8]. Vor diesem Hintergrund ist nicht nur die Berechnung des eigenen PCF möglich, sondern auch dessen Reduktion durch die Auswahl entsprechend produzierter Granulate. Wie aus der Grafik zu erkennen ist, sind die CO2-Äquivalente in einigen südamerikanischen Ländern sogar noch geringer als in Deutschland.
Diese Chancen bieten sich Unternehmen
Neben der Auswahl der Rohstoffe gibt es weitere Strategien, um den CO2-Fußabdruck zu reduzieren. Eine Möglichkeit ist die Verwendung verschiedener Kohlenstoffquellen, einschließlich Biomasse oder CO2 [10, 11]. Vielversprechend ist auch das Recycling, wobei neben dem mechanischen auch das chemische Recycling, wie die Pyrolyse, zu Emissionsreduktionen führen kann [12, 13]. Diese Maßnahmen erfordern finanzielle und strategische Investitionen wie den Ausbau von erneuerbaren Energien und Recyclinganlagen [11]. Allerdings könnten diese Investitionen zu wirtschaftlichem Erfolg führen, denn nachhaltige Produkte können oft mit einem Preisaufschlag verkauft werden [13]. Für Kunststoffverarbeiter ergibt sich aus den neuen Regularien nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine Chance. Indem sie sich frühzeitig mit dem Thema der Umweltauswirkungen beschäftigen, können sie eine führende Marktposition aufbauen und sich strategisch als Vorreiter der Nachhaltigkeit positionieren.
Quelle: Carbon Minds
Literatur
[1] Corporate Sustainability Reporting. https://finance.ec.europa.eu/capital-markets-union-and-financial-markets/company-reporting-and-auditing/company-reporting/corporate-sustainability-reporting_en.
[2] Ecodesign for Sustainable Products Regulation. https://commission.europa.eu/energy-climate-change-environment/standards-tools-and-labels/products-labelling-rules-and-requirements/sustainable-products/ecodesign-sustainable-products-regulation_en.
[3] Hesser, F.; Mihalic, M.; Paichl, B.; Wagner, M. Injection Moulding Unit Process for LCA: Energy Intensity of Manufacturing Different Materials at Different Scales. Journal of Reinforced Plastics and Composites 2016, 36. https://doi.org/10.1177/0731684416674565.
[4] Roy, U.; Li, Y. Sustainability Assessment of the Injection Molding Process and the Effects of Material Selection; 2014. https://doi.org/10.1115/DETC2014-35205.
[5] Siltaloppi, J.; Jähi, M. Toward a Sustainable Plastics Value Chain: Core Conundrums and Emerging Solution Mechanisms for a Systemic Transition. Journal of Cleaner Production 2021, 315, 128113. https://doi.org/10.1016/j.jclepro.2021.128113.
[6] Gerassimidou, S.; Lovat, E.; Ebner, N.; You, W.; Giakoumis, T.; Martin, O. V.; Iacovidou, E. Unpacking the Complexity of the UK Plastic Packaging Value Chain: A Stakeholder Perspective. Sustainable Production and Consumption 2022, 30, 657–673. https://doi.org/10.1016/j.spc.2021.11.005.
[7] Kiemel, S.; Rietdorf, C.; Schutzbach, M.; Miehe, R. How to Simplify Life Cycle Assessment for Industrial Applications—A Comprehensive Review. Sustainability 2022, 14 (23), 15704. https://doi.org/10.3390/su142315704.
[8] Menges, G. Werkstoffkunde der Kunststoffe. In Werkstoffkunde der Kunststoffe; De Gruyter, 2011. https://doi.org/10.1515/9783110881820.
[9] LCA Database for Chemicals and Plastics - Carbon Minds. https://www.carbon-minds.com/lca-database-for-chemicals-and-plastics/ (accessed 2024-01-03).
[10] Karduri, R. Carbon Footprint Reduction Strategies in Manufacturing Industries; 2018. https://doi.org/10.13140/RG.2.2.36359.78249/1.
[11] Meys, R.; Kätelhön, A.; Bachmann, M.; Winter, B.; Zibunas, C.; Suh, S.; Bardow, A. Achieving Net-Zero Greenhouse Gas Emission Plastics by a Circular Carbon Economy. Science 2021, 374 (6563), 71–76. https://doi.org/10.1126/science.abg9853.
[12] The climate impact of chemical recycling technologies. Quantis. https://quantis.com/report/the-climate-impact-of-chemical-recycling-technologies/ (accessed 2024-01-03).
[13] Hermanns, R.; Kraft, A.; Hartmann, P.; Meys, R. Comparative Life Cycle Assessment of Pyrolysis – Recycling Germany’s Sorted Mixed Plastic Waste. Chemie Ingenieur Technik 2023, 95 (8), 1259–1267. https://doi.org/10.1002/cite.202300041.
[14] Sustainable Market Share IndexTM - NYU Stern. https://www.stern.nyu.edu/experience-stern/about/departments-centers-initiatives/centers-of-research/center-sustainab
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