Ein Messgerät und eine Vierpolelektrode: Die Leitfähigkeit der hochgefüllten Compounds wird über Leitfähigkeitsmessungen ermittelt.

Die Leitfähigkeit der hochgefüllten Compounds wird über Leitfähigkeitsmessungen ermittelt. (Bild: Caparol)

Kunststoffe sind von Natur aus elektrisch isolierende Materialien. Es gibt aber verschiedenste Einsatzgebiete polymerer Werkstoffe, bei denen eine elektrische Ableit- oder Leitfähigkeit gefordert ist. Die Anwendungen reichen hier von antistatischen Materialien, beispielsweise im Explosions- und Arbeitsschutz bis hin zu hochleitfähigen Compounds für Batterien und Brennstoffzellen. Um thermoplastische Kunststoffe antistatisch oder elektrisch leitend auszurüsten, wird sehr häufig mit kohlenstoffbasierten Füllstoffen gearbeitet. Damit die elektrisch leitenden Füllstoffe wirksam sein können, müssen diese ein sich kontaktierendes Netzwerk im Compound ausbilden. Dies ist der Grund dafür, dass elektrisch leitende Füllstoffe auch erst ab einer bestimmten Konzentration sprunghaft wirksam werden. Wird diese Konzentration im Compound weiter erhöht, so steigt auch die Leitfähigkeit. Bei der Produktentwicklung von Polymercompounds mit hohen Leitfähigkeiten ergeben sich dadurch einige Herausforderungen. Die Füllstoffe haben einen erheblichen Einfluss auf die physikalisch-mechanischen Eigenschaften der Compounds. Es reduziert sich die Elastizität bei gleichzeitiger Zunahme der Härte und Steifigkeit. Zusätzlich steigt die Viskosität deutlich an, was insbesondere im Bereich des Spritzgusses problematisch werden kann.

Diagramm mit blauer und roter Kurve.
Bild 1: Spannungs-Dehnungs-Diagramme zweier Nefa MB EL-Typen. Der Diagrammverlauf zeigt sehr gut das Potenzial der mechanischen Eigenschaften, welche trotz der hohen Füllgrade erreicht werden. (Bild: Caparol)

TPE-Ruß-Compounds an der Schnittstelle zur Farbenindustrie

Nefa MB EL-Produkte sind spezielle hochgefüllte Rußcompounds auf TPE-Basis. Im TPE enthaltene Weichmacheröle ermöglichen einen mehrstufigen Herstellprozess dieser Compounds, bei dem konventionelle Verarbeitungsverfahren der Farbenindustrie wie Butterflymischer oder 3-Walzen-Reibstühle zum Einsatz kommen [1]. Durch die Vordispergierung des Rußes und höhere Verweilzeiten im Mischprozess hat diese Compoundklasse eine ausgezeichnete Qualität hinsichtlich der Rußdispergierung. Außerdem lassen sich durch die spezielle Herstellung Füllgrade realisieren, die bis zu 50 % über dem Niveau konventionell einstufig im Doppelschneckenextruder hergestellter Vergleichsprodukte liegen.

Diagramm mit mehreren Kurven.
Bild 2: Schirmdämpfung von Compound-Typen im Vergleich zu Aluminiumfolie und PP in Abhängigkeit von der Plattendicke. (Bild: KUZ)

Das besondere Eigenschaftsprofil der TPE-Rußcompounds

Die Kombination aus sehr hohen Füllgraden mit speziellen für Leitfähigkeitsanwendungen konzeptionierten Rußen zusammen mit einer guten Dispergierqualität führt zu einem besonderen Eigenschaftsprofil der Nefa MB EL-Rußcompounds. Ein wichtiges Produktmerkmal dieser Werkstoffe sind die sehr niedrigen spezifischen Oberflächen- und Durchgangswiderstände im Bereich von 0,1 – bis 5 Ωcm. Gleichzeitig zeigen die Materialien aber trotzdem eine hohe Duktilität und Elastizität. Reißdehnungen von 400 % und Härten im Bereich von Shore A 80 bis Shore D 50 sind in Kombination mit den guten elektrischen Eigenschaften realisierbar (Bild 1). Ein weiterer interessanter Aspekt der Compounds ist, dass diese Materialien durchaus ein relevantes Schirmdämpfungsverhalten im Bereich von 1 bis 6 GHz besitzen. In Bild 2 ist das Schirmdämpfungsverhalten zweier Compounds im Vergleich zum reinem PP und einer Aluminiumfolie dargestellt. Bei einer Schichtdicke von  2 mm zeigt das Nefa MB EL 21845 durchgängig ein Schirmdämpfungsverhalten von wenigstens 40 dB. Damit liegt das Material in einem Eigenschaftsbereich, das für viele Bauteile, bei denen eine elektromagnetische Abschirmung gefordert ist, durchaus interessant sein kann [2].

Diagramm: Wahre Viskositätsfunktionen von einem PP-Homopolymer im Vergleich zu den rußgefüllten Compounds Nefa MB EL 23381 und 21845.
Bild 3: Wahre Viskositätsfunktionen von einem PP-Homopolymer im Vergleich zu den rußgefüllten Compounds Nefa MB EL 23381 und 21845. (Bild: KUZ)

Aufgrund der mechanischen Eigenschaften, die dem Spektrum der thermoplastischen Elastomere zuzuordnen sind, ist ein potenzielles Anwendungsfeld dieser Materialien in Dichtungen für elektromagnetisch abschirmende Gehäuse zu suchen. Insbesondere für diese Anwendungsbereiche sind form- und stoffschlüssige Konstruktionen erforderlich, um im Kontaktbereich von Gehäusebauteilen keine Lücken in der Abschirmung zu erhalten. Üblicherweise werden heute solche Dichtungen mittels flexibler Drahtgeflechte realisiert, wobei diese Dichtungen aufwendig in das Bauteil eingeklebt werden müssen. Eine wirtschaftlich interessante Alternative wäre das direkte Herstellen abschirmender Gehäuse im Mehrkomponentenspritzguss.

Diagramm mit drei grauen Balken und oben rechts sind drei Fließspiralen abgebildet.
Bild 4: Gegenüberstellung der Fließweglängen der Compounds aus Bild 3 im Vergleich zu einem PP Homopolymer in einer Fließspirale von 2 mm Dicke bei gleichen Spritzgießbedingungen. Die Ergebnisse korrespondieren mit denen in Bild 3 und verdeutlichen den starken Einfluss der Viskosität auf den erreichbaren Füllgrad. (Bild: KUZ)

Deshalb machen Prozessdesign und die Prozessführung den Unterschied

Die Potenziale der hochgefüllten Rußcompounds kommen aber nur dann zum Tragen, wenn deren Verarbeitung beherrscht wird. Um den Einsatz der Compoundwerkstoffe bei der Produktentwicklung zu ermöglichen, bedarf es deshalb belastbarer Aussagen zur Fließfähigkeit der Compounds in spritzgießrelevanten Schergeschwindigkeitsbereichen (104 bis 105 s-1). Diese Daten liefern sogenannte Fließkurven, welche im Laborbetrieb mittels Hochdruck-Kapillar-Rheometern oder praxisnah direkt an der Spritzgießmaschine mittels eines Spritzgieß-Rheometers bestimmt werden können. Bild 3 zeigt am Beispiel eines PP-Homopolymers und zweier hochgefüllter Compounds den Einfluss von Füllstoffen und Rezeptur auf die Viskosität der Materialien und damit auch mittelbar auf den Formfüllprozess. Die Viskosität der hochgefüllten Compounds ist im gesamten Schergeschwindigkeitsbereich deutlich höher als die des reinen Polypropylens. Es ergibt sich also anhand des Verlaufes der Fließkurven, dass die Compounds im Spritzgießprozess schwerer verarbeitbar sind. Um über diese rein qualitative Aussage hinweg für die Produktentwicklung auch nutzbare Aussagen zu treffen, sollten auf Grundlage solcher Fließkurven Formfüllsimulationen durchgeführt werden. Mittels dieser lassen sich Werkzeug- und Formteilgeometrien gezielt im Vorfeld auslegen und anpassen, sodass auch Materialien mit einem komplexen Fließverhalten vollständig im Werkzeug abgeformt werden können. Einen besonderen Benefit liefern hier die Fließkurven aus Spritzgieß-Rheometern, da die dort gemessenen Viskositätskennwerte unter realen Prozessbedingungen ermittelt werden. Insbesondere bei diesen hochgefüllten Compounds ist es also sinnvoll, wenn die Viskositätskennwerte bereits zu Beginn der Produktentwicklung vorliegen und in die Dimensionierung und Auslegung der Werkzeuge einbezogen werden. Soll mit bereits bestehenden Werkzeugen gearbeitet werden, so bietet sich zur Prozessoptimierung die praxisnahe Methode zum Bestimmen der Fließweglängen im Prüfspiralenwerkzeug an. Die Wanddicken können in diesem Werkzeug variiert werden, sodass sich Aussagen zur generellen Verarbeitbarkeit der Compounds und die realisierbaren Fließweg-Wanddicken-Verhältnisse ermitteln lassen. Diese Methode ist insbesondere für das Screening von Materialrezepturen und Additiven geeignet. Bei bestehenden Werkzeugen ist der Einsatz von Prozesshilfsmitteln oftmals eine letzte Möglichkeit, um schwerfließende Compounds im Herstellprozess zu nutzen. Die Ermittlung eines geeigneten Prozessadditives und das Optimieren von Prozessparametern kann auf diese Weise mit einem überschaubaren Aufwand mit dem Ziel erfolgen, unter gleichen Prozessbedingungen eine signifikante Verlängerung des Fließweges zu erreichen.

Diagramm mit grüner und gelber Kurve.
Bild 5: Schälwiderstand in Abhängigkeit vom Traversenweg. Ermittlung der Schälwiderstände (Trockenschälprüfung) nach DIN EN 1464:2010-06 [Prüfung nach DIN EN 1464, Abschnitt 7.1]. (Bild: KUZ)

Sind 2K-Verbindungen möglich?

Mit dem Fokus, die rußgefüllten Compounds als Dichtungsmaterial einzusetzen, ist deren Kombination mit chemisch kompatiblen, thermoplastischen Materialien naheliegend. Es geht darum, im Mehrkomponentenspritzguss eine stoffschlüssige Verbindung zu generieren. Dabei ist es der Regelfall, dass das Dichtungsmaterial an den Vorspritzling angespritzt wird. Verarbeitungstechnisch liegt die Herausforderung darin, die zwischen den Komponenten bestehenden Unterschiede bezüglich der erforderlichen Schmelze- und Werkzeugtemperaturen in Kombination mit der festzulegenden Verzögerungszeit zwischen dem Einspritzen der ersten Komponente zum Einspritzen der zweiten Komponente prozesstechnisch in Einklang zu bringen. Die Generierung einer stoffschlüssigen Verbindung setzt das Anschmelzen der ersten Komponente im Kontaktflächenbereich voraus. Um die verarbeitungstechnische Kompatibilität zu prüfen, bieten sich Vorversuche mit den entsprechenden Prüfkörpern für Rollschälversuche an.

Zwei schwarze Plastikstreifen: Abrissverhalten der angespritzten Rußcompounds von PP.
Bild 6: Abrissverhalten der angespritzten Rußcompounds von PP im Rollenschälversuch. (Bild: KUZ)
Zwei schwarze Plastikstreifen. Abrissverhalten der angespritzten Rußcompounds PA6 (unten) im Rollenschälversuch.
Bild 7: Abrissverhalten der angespritzten Rußcompounds von PA6 im Rollenschälversuch. (Bild: KUZ)

Im Ergebnis der Prüfung werden bei der 2K-Verbindung von PP mit dem hochgefüllten Rußcompound die Proben zerstört und es kommt zum Abriss der Weichkomponente der Kategorie D (siehe Bild 5 oben). Bei 2K-Verbindung von PA6 mit dem Spezialcompound tritt ein Bruchbild der Kategorie B auf, dargestellt in Bild 5 unten. Auf der Grundkomponente aus PA6 zeigen sich 1 bis 50 % Rückstände des Compounds. Hier bedarf es weiterer Modifikationen des Materials, um die Haftfestigkeit beispielsweise einer Dichtung auf dem PA6 zu gewährleisten. Vieles ist machbar! Die Verarbeitung hochgefüllter Rußcompounds im Spritzgussprozess ist mit den richtig gewählten Maßnahmen und Optimierungen realistisch und möglich. Es lohnt sich, bereits frühzeitig im Produktentwicklungsprozess die Stoffkennwerte wie die Viskosität zu ermitteln und in die Auslegung einzubeziehen. Nur ein gutes Zusammenspiel von Material- und Verfahrensentwicklung führt zu optimalen Ergebnissen.

Literatur

[1]     M. Hübner, N. Pönisch: Practical material characterisation of SEBS-based carbon black compounds – processing properties. TPE MAGAZINE INTERNATIONAL (2022) 03, S. 26-30]
[2]     Bewertung der Schirmeigenschaften,
ISBN 978-3-322-82991-7, https://www.springer.com/de/book/9783322829924

Quelle: Caparol, KUZ

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