Zeichnung Plasmadüser, Plasmaflamme, Mischkammer, Schmelze und Rotor.

Bild 1: Versuchsaufbau zur Funktionalisierung in der diskontinuierlichen Aufbereitung. (Bild: IKV)

Das werkstoffliche Recycling von Kunststoffen stellt Verwerter und Verarbeiter noch immer vor große Herausforderungen. Während sich die Menge an Kunststoffabfällen in Deutschland zwischen 1994 und 2019 von 1,40 auf 6,24 Mio. t mehr als vervierfacht hat, stieg nur die absolute Menge der werkstofflich recycelten Kunststoffe. Der relative Anteil sank hingegen von 89 % (1,25 Mio. t) auf 47 % (2,91 Mio. t) zugunsten der energetischen Verwertung [LSH20, URL22]. Die sortenreine Trennung der beiden Massenkunststoffe Polyethylen (PE) und Polypropylen (PP) ist aufgrund der ähnlichen Dichten äußerst aufwendig, weshalb beispielsweise PE-Rezyklate in der Regel aus Mischungen der beiden Kunststoffe bestehen. Um gute mechanische Eigenschaften zu erreichen, müssen bei der Aufbereitung von PP/PE-Rezyklaten Kompatibilisatoren eingesetzt werden, bei denen es sich meist um (Propf-)Copolymere handelt. Diese weisen kompatible Gruppen für beide Blendpartner auf, was zu einer feineren Phasenmorphologie führt [VDT+18]. Die Notwendigkeit von kostenintensiven Kompatibilisatoren führt zu einer geringeren Wettbewerbsfähigkeit der Rezyklate. Am Institut für Kunststoffverarbeitung (IKV) wurde daher eine alternative Methode zur Steigerung der Kompatibilität von Polyolefinen untersucht mit dem Ziel, die Verträglichkeit von PP und PE sowie von nicht sortenreinen Post-Consumer-Rezyklaten (PCR) ohne den Einsatz von Kompatibilisatoren im Aufbereitungsprozess zu verbessern. Um die Verträglichkeit der beiden Phasen zu steigern, wurde eine Plasmadüse zur Funktionalisierung der Schmelze in den Aufbereitungsprozess integriert. Die Plasmabehandlung von Kunststoffen bietet grundsätzlich die Möglichkeit, funktionelle Gruppen in die Polymerkette einzubauen. Bisher sind keine umfangreichen Untersuchungen publiziert, welche die Beeinflussung der Haftfestigkeit an den Grenzflächen der Phasen innerhalb des Polymerblends mithilfe von Plasmen beschreiben. Daher wurden die Interaktionen und Wechselwirkungen zwischen Atmosphärendruckplasmen und Kunststoffschmelzen systematisch analysiert. So soll die Materialverträglichkeit beeinflusst und die Kerbschlagzähigkeit durch die Funktionalisierung verbessert werden.

Tabelle: Kneter- und Plasmaparameter
Kneter- und Plasmaparameter (Bild: IKV)

Funktionalisierung von Kunststoffschmelzen

Zur Bewertung der bisher kaum erforschten Funktionalisierung im Schmelzezustand wurden Versuche an wenigen Gramm verschiedener Polyolefinschmelzen durchgeführt. Nach einer Behandlung der unbewegten schmelzeflüssigen Oberfläche bei 180 °C waren unterschiedliche funktionelle Gruppen mittels Fourier-transformierter Infrarotspektroskopie (FTIR) nachweisbar [WSH+22]. Die Anzahl funktioneller Gruppen wurde anhand des Carbonylindexes (CI) bewertet [BSA+13], der das Verhältnis der Signal-Intensität der Carbonylgruppe (ν=1718 cm-1) zur Signal-Intensität des Grundpolymers (νPE=720 cm-1, νPP=1456 cm-1) beschreibt:

CIPE= I1718/I720
CIPP=I1718/I1456

Gegenüber einer Funktionalisierung der festen Kunststoffe konnte der CI durch eine Funktionalisierung der Schmelze gesteigert werden (Bild 2). Eine Ursache hierfür ist die amorphe Struktur der Polymere im Schmelzezustand, die die Molekülketten leichter angreifbar macht [OTE+99]. Eine Steigerung des Carbonyl-Indexes, wie er nach Extrusionsvorgängen beschrieben ist [Lan21], konnte durch das bloße Aufschmelzen ohne Plasmabehandlung und mechanische Belastung nicht festgestellt werden. Die FTIR ist folglich ebenfalls geeignet, die Bildung funktioneller Gruppen nach einer Oberflächenbehandlung von schmelzeflüssigen Kunststoffen nachzuweisen. Bei einer ständigen Durchmischung, wie sie bei der kontinuierlichen und diskontinuierlichen Aufbereitung auftritt, entstehen permanent neue Oberflächen, wodurch die funktionellen Gruppen in das Kernmaterial getragen werden. Aus diesem Grund wurde im nächsten Schritt in Versuchen im Laborkneter die Funktionalisierung von schmelzeflüssigen bewegten Polyolefinen untersucht. Dafür wurden Blends aus 93 % PE-HD (M80064) und 7 % PP (571P) der Firma Sabic, Riad, Saudi-Arabien, in einem Brabender-Laborkneter mit einem Mischkammervolumen von ca. 50 cm³ durchmischt. Der Anteil an PE entspricht in etwa der Reinheit von PE-PCR [KRK+21]. Eine Skizze des Versuchsaufbaus ist in Bild 1 dargestellt.

Zwei Grafiken mit je zwei vertikalen Balken. Carbonylindex als Maß der Funktionalisierung von PE und PP.
Bild 2: Carbonylindex als Maß der Funktionalisierung von PE und PP. (Bild: IKV)

Einflussgrößen bestimmen

Zur Bestimmung relevanter Einflussgrößen wurde die Mischdauer von 1 min bis 30 min variiert sowie unterschiedliche Plasmakonfigurationen verwendet. Zwei unterschiedliche Atmosphärendruckplasmaanlagen vom Typ RS-2712 des Unternehmens Plasma-treat, Steinhagen, mit einer Rotationsdüse sowie vom Typ Plasmabeam der Firma Diener Electronic, Ebhausen, mit Runddüse wurden sowohl mit Druckluft als auch mit reinem Stickstoff betrieben. Die Rotationsdüse führt durch die Bewegung der Plasmaflamme zu einer größeren Wirkfläche und wird daher als Unterscheidungsmerkmal zum Plasmasystem mit Runddüse verwendet. Alle weiteren Prozessparameter sind in der Tabelle zusammengefasst.
Die funktionalisierten Blends wurden anschließend in einer variothermen Presse bei 190 °C zu Platten verpresst und unter Druck abgekühlt. In Absprache mit verarbeitenden Unternehmen wurde die Kerbschlagzähigkeit als geeigneter Indikator der Kompatibilität identifiziert. Für Kerbschlagversuche nach Charpy wurden den Platten normgerechte Probekörper mit dem Querschnitt 10 x 4 mm² entnommen und mit einem 0,5 J Schlagpendel geprüft. Dabei zeigte sich, dass die Kerbschlagzähigkeit nach einer Plasmabehandlung im Vergleich zu einer nicht behandelten, jedoch identisch gemischten Probe um bis zu 14 % ansteigt, wie in Bild 3 zu sehen ist. Wird Stickstoff 5.0 als Plasmagas verwendet, steigt die mittlere Kerbschlagzähigkeit um weitere circa 4 % an. Aufgrund der nur geringen Steigerung und der deutlich höheren Kosten wird die Verwendung von Stickstoff hier jedoch zunächst nicht weiterverfolgt. Der Einfluss der Plasmabehandlung auf die Schmelzeeigenschaften ist vergleichsweise gering und wurde bereits in anderen Publikationen beschrieben [HDW+22,WSH+22].

Grafik mit drei vertikalen grünen Balken. Kerbschlagzähigkeit unterschiedlich behandelter Proben.
Bild 3: Kerbschlagzähigkeit unterschiedlich behandelter Proben. (Bild: IKV)

Als Referenz wurden ebenfalls Versuche mit einem Kompatibilisator (Admer RA102, Mitsui Chemicals Europe, Düsseldorf) sowie mit und ohne Plasmabehandlung durchgeführt, um zu evaluieren, ob sich durch eine Plasmabehandlung die Menge an Kompatibilisator reduzieren lässt. Hierbei ist einerseits zu erkennen, dass der Effekt einer Zugabe von 0,5 Gew.-% Kompatibilisator ähnlich ausgeprägt ist wie der einer Plasmabehandlung (Bild 4). Eine Bewertung der Wirtschaftlichkeit muss daher immer in Verbindung mit den geforderten Eigenschaften und der dadurch bedingten Menge an Kompatibilisator getroffen werden. Darüber hinaus wird ebenfalls deutlich, dass der Effekt der Plasmabehandlung bei Zugabe des Kompatibilisators gegenläufig ist, da die mittlere Kerbschlagzähigkeit unter die Werte der unbehandelten Probe fällt. Es wird deshalb darauf geschlossen, dass die Bildung funktioneller Gruppen in den Polyolefinen die Anbindung des Kompatibilisators behindert. Eine weitere mögliche Begründung liegt in der Beschaffenheit des Kompatibilisators. Blends von Polyolefinen profitieren stärker von der Polymerkomponente als von dem gepfropften Maleinsäureanhydrid (MAH). Gleichzeitig interagiert das MAH stärker mit dem Plasma, sodass der geschädigte Kompatibilisator innerhalb der funktionalisierten Polyolefine Schwachstellen verursacht.

Zwei Grafiken mit je zwei vertikalen Balken. Kerbschlagzähigkeit eines PE-PP-Blends mit und ohne Kompatibilisator bzw. Plasmabehandlung.
Bild 4: Kerbschlagzähigkeit eines PE-PP-Blends mit und ohne Kompatibilisator bzw. Plasmabehandlung. (Bild: IKV)

Verhalten bei Rezyklaten

Um die Anwendbarkeit auf Rezyklate zu untersuchen, wurde Systalen LD-C12201 der Systec Plastics Eisfeld verwendet, welches ebenfalls für 15 min gemischt beziehungsweise plasmabehandelt wurde. Die Verunreinigung durch Fremdstoffe kann – ähnlich wie die abbaugefährdeten Kompatibilisatoren im PE/PP-Blend – ein Grund dafür sein, dass bei diesem PE-PCR keine Verbesserung der mittleren Kerbschlagzähigkeit durch eine Behandlung mit Atmosphärendruckplasma erreicht werden kann (Bild 5). Lediglich die Streuung der Kerbschlagzähigkeiten fällt etwas geringer aus.

Zwei Grafiken mit je zwei vertikalen Balken. Kerbschlagzähigkeit von virgin PE-PP-Blend verglichen mit Polyethylenrezyklat.
Bild 5: Kerbschlagzähigkeit von virgin PE-PP-Blend verglichen mit Polyethylenrezyklat. (Bild: IKV)

Die kontinuierliche Verarbeitung spielt in der Aufbereitung von Kunststoffabfällen eine deutlich größere Rolle als die Aufbereitung in Knetern. Aus diesem Grund wurde die Funktionalisierung am Laborkneter auf die Verarbeitung im Doppelschneckenextruder übertragen. Dafür wurde eine Plasmarotationsdüse im Entgasungsschacht eines 26-mm-Doppelschneckenex-truders der Firma Coperion platziert, um dort die Schmelzeoberfläche zu funktionalisieren. Aufgrund des – im Gegensatz zum Laborkneter – nur einmaligen Passierens der Plasmadüse ist mit einer deutlich geringeren Funktionalisierung der Schmelze zu rechnen. Kerbschlagversuche bei einem Durchsatz von 1,5 kg/h ergaben nur eine nicht signifikante Steigerung. Bei einem höheren Durchsatz von 5 kg/h konnte keine Steigerung erzielt werden, sodass auch bei wirtschaftlichen Durchsätzen (circa 15 kg/h auf diesem DSE) keine Steigerung der mittleren Kerbschlagzähigkeit mittels Plasmabehandlung unter den hier gewählten Parametern zu erwarten ist.

Fazit

Die Behandlung mit Atmosphärendruckplasma von Polyolefinen im Schmelzezustand ermöglicht höhere Funktionalisierungsgrade (gemessen am mittels FTIR bestimmten Carbonyl-Index) als die Behandlung im festen Zustand. Diese Erkenntnis birgt viel Potenzial für die Verbesserung der Schlagzähigkeit von PE/PP-Blends. Anhand von Versuchen im Laborkneter konnte gezeigt werden, dass eine Steigerung der mittleren Kerbschlagzähigkeit von circa 14 % erreicht werden kann. Aufgrund der geringen Verweilzeit war eine Übertragung auf den Doppelschneckenextruder bisher nicht zielführend. Verfahrenstechnische und konstruktive Anpassungen der Aufbereitung im Doppelschneckenextruder sind notwendig, um eine wirtschaftliche Funktionalisierung von Polyolefinblends zu realisieren. Hierzu zählt beispielsweise die Verwendung weiterer Prozessgase wie Sauerstoff. Die Untersuchung der Phasenmorphologie mittels Lichtmikroskopie und anderer Eigenschaften kann ebenfalls Aufschluss über die Wirksamkeit unterschiedlicher Parameter geben.

Dank

Das IGF-Forschungsvorhaben 21519 N der Forschungsvereinigung Kunststoffverarbeitung wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung und -entwicklung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Allen Institutionen gilt unser Dank.

Literatur

[BSA+13] Benítez, A.; Sánchez, J. J.; Arnal, M. L.; Müller, A. J.; Rodríguez, O.; Morales, G.: Abiotic degradation of LDPE and LLDPE formulated with a pro-oxidant additive. Polymer Degradation and Stability 98 (2013), 2 S. 490-501
[HDW+22] Hopmann, Ch.; Dahlmann, R.; Wiesel, C.; Wang, Ch.; Schön, M.: Functionalisation of polyolefin melts by means of atmospheric pressure plasma. Umdruck zum 31. Internationalen Kunststofftechnischen Kolloquium. Aachen, 2022
[KRK+21] Knappe, F.; Reinhardt, J.; Kauertz, B.; Oetjen-Dehne, R.; Buschow, N.; Ritthoff, M.; Wilts, H.; Lehmann, M.: Technische Potenzialanalyse zur Steigerung des Kunststoffrecyclings und des Rezyklateinsatzes. Umweltbundesamt, Abschlussbericht Forschungskennzahl 3716 33 325 0, 2021
[Lan21] Langwieser, J.: Ermittlung des Einflusses multipler Recycling Kreisläufe und die Beurteilung von Rezyklat und Produkteigenschaften am Beispiel von Inhouse Recycling. Johannes Keppler Universität Linz, Masterarbeit, 2021
[LSH20] Lindner, Ch.; Schmitt, J.; Hein, J.: Stoffstrombild Kunststoffe in Deutschland 2019. Conversion Market & Strategy GmbH, Studie, 2020
[OTE+99] Olde Riekerink, M.B.; Terlingen, J.G.A.; Engbers, G.H.M.; Feijen, J.: Selective Etching of Semicrystalline Polymers: CF4 Gas Plasma Treatment of Poly(ethylene). Langmuir 15 (1999), S. 4847-4856.
[URL22] N.N.: Kunststoffabfälle. URL: https://www.umweltbundesamt.de/daten/ressourcen-abfall/verwertung-entsorgung-ausgewaehlter-abfallarten/kunststoffabfaelle#kunststoffe-produktion-verwendung-und-verwertung, 12.12.2022
[VDT+18] Vervoort, S.; den Doelder, J.; Tocha, E.; Genoyer, J.; Walton, K.L.; Hu, Y.; Munro, J.; Jeltsch, K.: Compatibilization of Polypropylene-Polyethylene Blends. Polymer Engineering & Science 58 (2018) 4, S. 460-465
[WSH+22] Wang, C.; Schön, M.; Horn, T.; Facklam, M.; Dahlmann, R.; Hopmann, Ch.; He, G.: Usage of atmosphere pressure plasma for rapid polyethylene functionalisation exhibiting only minor ageing. European Polymer Journal 181 (2022)

Quelle: IKV

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