Der Hybridspritzguss auf der Basis von thermoplastischen UD-Tape-Verstärkungen ist eine Technologie zur Herstellung komplex geformter Composite/-Verbundbauteile [01, 02, 03]. Diese großserientaugliche Technologie etabliert sich derzeit am Markt [04, 05]. Thermoplastische UD-Tapes sind unidirektionale, faserverstärkte, folienähnliche Halbzeuge, wobei die Verstärkungsfasern zum Beispiel aus Glas-, Natur- oder Kohlenstofffasern bestehen. Die Tapes werden aus endlos auf Spule gewickelten Fasern in einem kontinuierlichen Schmelzeimprägnierverfahren an der Pilotanlage UD500 des Fraunhofer PAZ hergestellt. Diese verstärkten Tapes haben einen sehr hohen Faseranteil von bis circa 70 Masseprozent, bei einer Foliendicke zwischen 200 und 400 µm. Der digitale Zwilling ermöglicht es nun, Materialinformationen entlang der Prozesskette ganzheitlich zu erfassen und zu analysieren, um optimierte Fertigungsparameter zu wählen. Die Nutzung der Daten soll die automatische Erkennung von Fehlern mit anschließender Qualitätsklassifizierung ermöglichen, die als Input für eine adaptive Prozesssteuerung dient. Schließlich können adaptiv optimierte Prozessparameter abgeleitet werden, die die Reproduzierbarkeit und Qualität erhöhen, die Zahl der Ausschussteile verringern und damit zu einer effizienteren Produktion beitragen.
Herstellung von UD-Tapes im Schmelzeimprägnierverfahren
Ein Zugmechanismus am Ende der Prozesslinie zieht die Faser-Rovings von den Abspulgattern über einen Spreizer. Hier wird aus der Gesamtheit der Rovings ein lückenloser Faserteppich erzeugt und der Imprägnierung zugeführt. Ein Extruder versorgt die Benetzungseinheit mit thermoplastischer Schmelze, um die geführten Fasern mit der Schmelze zu imprägnieren. Das UD-Tape geht dann in einen Kalander, der die Oberflächenqualität des Tapes weiter verbessert und schließlich die Tapedicke kalibriert. Das UD-Tape wird zur Weiterverarbeitung auf Hülsen gewickelt. Das System protokolliert mehr als 40 Parameter während dieses Prozesses, einschließlich der Werkzeugtemperaturen, Drücke und Abzugskräfte an mehreren Zwischenpositionen. Entlang der gesamten Prozesskette kann jeder einzelne Prozessschritt zu Materialfehlern führen und die Fertigungsqualität verändern. Oft ist jedoch unklar, wie sich die Defekte während der Fertigung entwickeln und die Eigenschaften des fertigen Bauteils beeinflussen. Um nachteilige Auswirkungen zu vermeiden, wurden fehlerhafte Teile daher bisher ausgeschleust. Die Verringerung der Fehlerhäufigkeit und/oder -schwere durch Anpassung der Prozessparameter sowie die Fähigkeit, zwischen tolerierbaren und kritischen Fehlern zu unterscheiden, tragen daher zu einer zeit- und kosteneffizienten Fertigung bei. Beides kann durch die Nutzung der Vorteile vergleichbarer Daten in einem digitalen Zwilling erreicht werden. Dabei wurden verschiedene multimodale Methoden zur Inline-Qualitätsüberwachung mittels zerstörungsfreier Verfahren (Thermografie, Laser-Profilometrie) im Rahmen eines kooperativen Forschungsprojektes erprobt und erfolgreich demonstriert [06, 07].
Merkmalerkennung in UD-Tapes
Bei Bauteilen aus thermoplastischen Kunststoffen sind die Abhängigkeiten zwischen Prozess und Materialmerkmalen, wie zum Beispiel Faserorientierung, Dickenverteilungen, Delaminationswahrscheinlichkeiten et cetera entscheidend für die Eigenschaften des Endprodukts. Die Lokalisierung dieser Eigenschaften erklärt den Bedarf an detaillierteren Informationen im digitalen Zwilling des Fertigungsprozesses. Um sie zu analysieren, wird die zerstörungsfreie Prüfung (ZFP) in den Prozess integriert, mit einer entsprechend hohen Auflösung erlaubt sie die engmaschige Erfassung von Mikrostrukturinformationen des Materials. Es werden Qualität und Güte der UD-Tapes mit Inline-Messsystemen erfasst und als Zusatzinformation zu den realen Tapes bereitgestellt. Der digitale Zwilling beinhaltet Informationen wie Tapedicke und Graustufenwerte aus der Thermografie in Korrelation zu Faservolumengehalt und Materialeigenschaften.
Auf diese Weise wird die Qualität von Zwischenstufen des Produkts nachgewiesen, während die Entwicklung von Merkmalen und Fehlern von UD-Tapes über Laminataufbauten bis hin zum fertigen Bauteil überwacht, dokumentiert und archiviert werden kann. Entlang der UD500 wird ein Laser-Dickenprüfsystem (Brennflecklaser, Laserlinienscan) eingesetzt sowie – ein Thermografiesystem mit Anregung durch einen In-frarotstrahler, siehe Bild 2. Die aufgezeichneten und gespeicherten Ergebnisse der Dicken- und Grauwerte werden zusätzlich online dargestellt. Das Fertigungssystem UD500 ist mit den folgenden zwei Prüfsystemen ausgestattet:
- Thermografiesystem mit
- Ungekühlte Bolometerkamera Infratec Variocamr(r) head 820 S/15 mm
- Linieninfrarotquelle Optron IRD S750SM + Ansteuerung - Dickenmesssystem (Keyence Laser-Sensoren) mit
- 2 x Laser Linien Prüfkopf LJ-X8400, Steuergerät LJX800A
Beide Systeme sind an einem flexiblen Gestell befestigt, das die Anpassung an das Fertigungssystem und das Sichtfeld ermöglicht. Das Laser-Dickenmesssystem ermöglicht eine Zeitreihenanalyse der mittleren Dicke sowie eine Dickenprofilanalyse. Für eine Zeitreihenanalyse wurde das Messfeld in fünf Regionen in Bezug auf die Tapebreite unterteilt (Bild 3).
Die Verarbeitungsdaten der Maschineneinheiten werden über eine Dataxplorer-Schnittstelle erfasst und in einer SQL-Datenbank gespeichert. Innerhalb einer 30-minütigen Datenerfassungszeit während der Fertigungsversuche werden circa 4 GB Daten von den Inspektionssystemen gespeichert, einschließlich der Bearbeitungsdaten. Die Synchronisation aller Datenquellen erfolgt über einen Zeitstempel und die Auswertung der entsprechenden Metadatensätze durch das Datenmanagementsystem (Bild 4). Die Daten der Inspektionssysteme wurden mittels Inkrementalgebersignale ortsrichtig akquiriert, wodurch eine zukünftige Sensordatenfusion ermöglicht wird. Alle sensorischen Daten werden im Diconde-Format übertragen. Zur Übertragung der Sensordaten von den Sensoren zum Diconde-Server werden Software und Hardware der Firma Visus genutzt.
Effiziente und präzise Qualitätskontrolle
Zur Validierung der Fähigkeit zur Merkmalserkennung wurden künstliche Defekte verwendet. Auf diese Weise wurde das Fehlererkennungsvermögen der verschiedenen Prüfsysteme durch eine Korrelationsanalyse bewertet. Bild 5 zeigt Aufnahmen einer Fehlstelle im UD-Tape, das von beiden Systemen eindeutig erkannt werden konnte. Durch den Einsatz eines Inline-Inspektionssystems mit morphologischer Auswertung durch die Thermografieprüfung und die Dickenprofilmessung sowie automatisierte Bildverarbeitung und Merkmalserkennung wurde ein leistungsfähiges Werkzeug im Rahmen des digitalen Zwillings für eine effiziente und präzise Qualitätskontrolle des kontinuierlichen UD-Tape-Produktionsprozesses entwickelt, die eine wichtige Voraussetzung für den Einsatz ressourceneffizienter UD-Tapes in zukünftigen Leichtbauanwendungen ist.
- Der digitale Zwilling ermöglicht die Qualitätssicherung und Überwachung der hergestellten UD-Tapes und darüber hinaus einen vollständigen Nachweis der Tapequalität (Merkmalskarte). Die Qualitätsdaten stehen für eine komplette UD-Taperolle von Anfang bis Ende zur Verfügung. Die umfassenden digitalen Qualitätsdaten sind mit dem realen Produkt verknüpft und beinhalten Dickeninformationen und Fasergehalt.
- Der digitale Zwilling trägt zu einem kosten- und damit zeitsparenden Qualitätssicherungsprozess bei.
- Darüber hinaus kann auf Qualitätsschwankungen schneller und effektiver reagiert werden. Entsprechend den gespeicherten Korrelationen der Qualitätsparameter und der einzustellenden Prozessparameter.
Quelle: Fraunhofer IMWS, Fraunhofer IZFP
Literatur
[01] A. Stock, P. Egger: Organobleche verlassen Hochpreissegment. In: MM Composite World (2011), 12-15
[02] P. Michel: Chancen thermoplastischer Composite im automotiven Strukturbau, 17. Fachtagung Fortschritte in der Kunststofftechnik, 24. - 25. Juni 2015, Osnabrück
[03] M. Zscheyge, P. Michel, I. Jahn, „Bauteile in thermoplastischer UD-Endlosfaserverstärkung für die Automobilindustrie“, 4. Leichtbau Tagung der Fraunhofer Allianz Leichtbau 2015, 11. -12. Februar 2015, Oberhausen
[04] S. Baumgärtner: Beitrag zur Konsolidierung von thermoplastischen Hochleistungsfaserverbundwerkstoffen, Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie, Diss., 2017
[05] B. Hangs: Gestaltabweichungen dünnwandiger, lokal verstärkter CF/PPS Gelegelaminate, Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie, Diss., 2016
[06] D. Koster et al., Inlinetauglichkeit von zerstörungsfreien Prüfmethoden für den digitalen Zwilling von thermoplastischen Carbonfaser-Tapes, DGZfP Jahrestagung 2021, https://jahrestagung.dgzfp.de/portals/jt2021/bb176/inhalt/23.pdf
[07] J. Oswald et al., Automatische Prüfung von Carbonfaser-Tape-Gelegen zur Überführung in den digitalen Zwilling, DGZfP Jahrestagung 2022, https://jt2022.dgzfp.de/Portals/jt2022/bb/Mi.1.A.4.pdf
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