Spritzgießzelle mit sieben Peripheriegeräten.

SKZ-Spritzgießzelle mit sieben Peripheriegeräten und zyklusbasierter Datenerfassung. (Bild: SKZ)

Im Rahmen der Arbeitsgruppe „Diginject“ trifft sich seit 2019 regelmäßig ein Industriekonsortium am SKZ, Würzburg, um gemeinsam die Möglichkeiten digitaler Technologien sowie deren Herausforderungen im Spritzgießprozess zu erforschen. Mit Hilfe der über 20 Unternehmen im Konsortium ist im Technikum des SKZ eine Spritzgießzelle entstanden, in der eine Spritzgießmaschine von Krauss Maffei Technologies mit insgesamt sieben Peripheriegeräten vernetzt ist. Dazu zählen eine Trocknungsanlage von Motan und Moretto, Temperiergeräte von Technotrans sowie Inline-Messysteme, wie eine Thermografie-Kamera, Waage und ein Bilderverarbeitungssystem von Ziemann & Urban. Diese sind über die Kommunikationsstandards OPC UA oder MQTT vernetzt und ermöglichen eine automatisierte, zyklusbezogene Datenerfassung über die komplette Prozesskette. Bewusst wurde eine heterogene Gerätelandschaft, also unterschiedliche Hersteller und Schnittstellen gewählt, da dies in vielen Industriebetrieben der Normalfall ist. Zusätzlich sind eine Vielzahl von Verarbeitern beteiligt, die das Projekt aus Sicht der Anwender begleiten. Die Spritzgießzelle dient den Unternehmen auch dazu, neue Technologien und Produkte in einer Testumgebung zu erproben und ein umfassendes Datenabbild des Prozesses zu erzeugen. Regelmäßige Treffen des Konsortiums gewährleisten den Austausch zu aktuellen Themengebieten, während speziellere Themen wie etwa IT-Security und Netzwerkstrukturen oder der Material- und Materialdatenfluss in Unterarbeitskreisen von den jeweiligen Experten unternehmensübergreifend diskutiert werden.

Wie werden die Daten kommuniziert?

Die OPC Unified Architecture (OPC UA) ist ein industrieller Standard für den Datenaustausch. In den verschiedenen Companion Specifications ist definiert, wie ein Gerät mit einem anderen zu kommunizieren hat. Die Euromap und die OPC-Foundation legen diese Companion Specifications gemeinsam für die Kunststoffindustrie fest, beispielsweise auch die Euromap77 (OPC 40077), die den Datenaustausch von Spritzgießmaschine zu MES (Manufacturing Execution System) beschreibt oder die Euromap82.1 (OPC 40082-1) für die Kommunikation von Temperiergeräten mit den Spritzgießmaschinen. Diese Spezifikationen sind in den letzten drei bis vier Jahren veröffentlicht worden und haben sich in der Industrie bisher nur teilweise durchgesetzt. Ein Ziel der Spritzgießzelle ist es, die verschiedenen Standards einzusetzen und aufzuzeigen, wie die Kommunikation in einer heterogenen Gerätelandschaft mit teilweise proprietären Lösungen über diesen Standard funktioniert.

Schematische Darstellung des Aufbaus der IIoT Spritzgießzelle.
Abb. 1: Schematische Darstellung des Aufbaus der IIoT Spritzgießzelle. (Bild: SKZ)

Alle Datenquellen sind mit einer Middleware verbunden (siehe Abb. 1). Die Middleware (Connectware der Firma Cybus) als zentrale Instanz hat die Aufgabe, die Daten in ein einheitliches Format zu bringen und weitere Applikationen wie Dashboards, Datenbanken oder Python-basierte Anwendungen per MQTT zu bedienen. Um eine zyklusbasierte Zuordnung aller Datenpunkte zu gewährleisten, wird der Machine Cycle Counter der Spritzgießmaschine (verfügbar über Euromap77) als eineindeutige Zyklus-ID herangezogen. Das Auslesen der ID sowie deren Weitergabe an die Peripheriegeräte erfolgt über die Middleware. Zudem vergibt die Middleware einen Zeitstempel für jeden Datenpunkt, sodass auch darüber die Zuordnung eines Datenpunkts zum jeweiligen Spritzgusszyklus möglich ist. Nicht für alle Geräte sind Companion Specifications vorhanden, weshalb teilweise proprietäre OPC-UA-Server oder MQTT als Protokoll eingesetzt werden. In der Spritzgießzelle ist beispielsweise ein Bildverarbeitungssystem von Ziemann & Urban verbaut. Nach dem Entformen des Bauteils positioniert das Handlingsystem dieses vor der Kamera (siehe Abb. 2). Über ein Triggersignal von der Maschine an die Software löst diese an der Kamera die Bilderfassung aus. Die Bildverarbeitungssoftware prüft anschließend das Bauteil auf dessen Maßhaltigkeit. Um die Maße des Bauteils zyklusbezogen in der Datenbank zu speichern, ist ein OPC-UA-Server in der Software inte-griert. Dieser erhält über die Middleware die Zyklus-ID der Maschine und fusioniert anschließend die ID mit den Maßen des Bauteils. Somit kennt die Bildverarbeitungssoftware die Zyklus-ID und kann diese etwa in die Benamung der Bilddateien einbeziehen. ID und Maße werden gemeinsam als Datenpaket wieder an die Middleware geschickt und gesammelt in einer Datenbank abgelegt.

Vorrichtung und Kamera.
Abb. 2: Integriertes Bildverarbeitungssystem von Ziemann & Urban. (Bild: SKZ)

Spritzgießzelle als Werkzeug für die Forschung

Für die Forschung und Entwicklung sowie die Bildung am SKZ stellt der Aufbau der Spritzgießzelle einen echten Gewinn dar. Zum einen können während statistischer Versuchsreihen an der Spritzgießmaschine detaillierte Daten über den ganzen Prozess aufgezeichnet werden, sodass mühseliges Zusammentragen und Zuordnen der Daten aus verschiedenen Quellen nicht mehr notwendig sind. Zum anderen bildet dieser Datenpool die Basis, um neuartige KI-Ansätze zu erproben und zu erforschen. Für Unternehmen, welche sich im Bereich KI-Softwareentwicklung bewegen, jedoch keine eigene Produktion besitzen, sind diese umfassenden Datensätze besonders wertvoll. Denn produzierende Unternehmen stellen diese sensiblen Daten meist nicht zur Verfügung. Im Rahmen des am SKZ laufenden Forschungsprojektes Probayes (IGF-Vorhaben Nr. 21815 N) werden die generierten Datensätze im Sinne des Open Data Ansatzes deshalb der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt, sodass KI-Unternehmen diese nutzen können. Im Forschungsvorhaben entwickelt das SKZ mit dem Fraunhofer IPA Bayes’sche Netze zur Überwachung und Fehleranalyse des Spritzgießprozesses. Bayes’sche Netze ermöglichen es, Expertenwissen in einer topologischen Struktur zu verankern, indem die dem Prozess eigenen Parameter wie Einstellgrößen, Prozessparameter, Qualitätsmerkmale miteinander in einer netzartigen Struktur in Relation gesetzt werden. Diese Struktur ist somit unabhängig vom Typ der Spritzgießmaschine oder des Werkzeugs, sodass eine Übertragung zwischen Maschinen prinzipiell möglich wird. Die Quantifizierung des Bayes’schen Netzes, das heißt die Bestimmung der Stärke der Relationen zwischen den Prozessparametern, erfolgt über in Versuchsreihen erhobene Prozessdaten. Schlussendlich liegt ein Bayes’sches Netz vor, welches Qualitätsmerkmale überwacht und optimale Einstellgrößen empfiehlt, sollte die Qualität vom Soll abweichen. Dies erfolgt bei Bayes’schen Netzen auf nachvollziehbare Art, denn die einzelnen Knoten des Netzes repräsentieren physikalische, für Experten verständliche Größen statt abstrakter Gewichte wie bei neuronalen Netzen.

Forschungsprojekt Probayes

Das Vorhaben 21815 N der Forschungsvereinigung Fördergemeinschaft für das SKZ wurde über die Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschung e.V. (AIF) im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung und -entwicklung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestags gefördert.

Was ist für die Zukunft geplant?

SKZ-QR-Code.
Abb. 3: Link zu den veröffentlichen Prozessdaten aus dem Forschungsprojekt „Probayes“. (Bild: SKZ)

Ende 2022 soll die neue Modellfabrik im SKZ in Betrieb genommen werden. Neben der Kompetenzbündelung auf den Gebieten Schweißen, Kleben und Additiver Fertigung entsteht auch ein modernes vernetztes Spritzgießtechnikum. Dieses steht dann für weitere Forschungsvorhaben, beispielsweise zur Untersuchung von KI bei Rezyklateinsatz, bereit. Das SKZ plant auch Weiterbildungsangebote zur Digitalisierung in der Kunststoffverarbeitung. Zudem steht die Spritzgießzelle für die Nutzung durch Industriepartner zur Verfügung, um ein umfassendes Datenabbild des Prozesses inklusive Werkzeug und Material zu generieren und innovative Technologien und Schnittstellen umfassend zu testen.

Quelle: SKZ

K 2022: Halle 10, Stand G09

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