Im Jahr 2019 wurde innerhalb von 10 Monaten, ausgehend von einem leeren Blatt Papier, eine mobile Leichtbau-Spritzgießmaschine bis zum Prototyp einer produzierenden Anlage umgesetzt. So konnte auf dem Science Campus der K-Messe am Stand des Instituts für Leichtbau und Kunststofftechnik (ILK) der TU Dresden Robin (Robotised Injection Moulding) der Weltöffentlichkeit vorgestellt werden. Die Erfinder waren von der durchweg positiven Resonanz der Besucher begeistert. Wenige Wochen später wurde eine Expertenjury in Berlin von der Idee überzeugt, die Technologie im Rahmen des Exist-Programms, mit dem das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz den Transfer aus der Wissenschaft in die Gründung neuer Unternehmen fördert, weiter zu verfolgen. Mit diesem doppelten Rückenwind wurde im März 2020 das Gründungsprojekt gestartet und schon wenige Monate später das Unternehmen Anybrid ins Leben gerufen. Zwischenzeitlich wird die Technologie des mobilen Spritzgießens am Markt eingesetzt. Deshalb soll erneut die Plattform der K-Messe genutzt werden, um die zweite Generation zu präsentieren.
So ist das System aufgebaut
Robin besteht im Wesentlichen aus einem C-Bügel Schließsystem, in dem Carbonfasern als lasttragende Komponente eingesetzt werden, einem kompakten Formwerkzeug sowie einem Kolbeninjektionssystem. Durch diese einzigartige Kombination der Komponenten ergibt sich das geringe Gesamtgewicht von unter 150 kg. Dies ermöglicht es, dass das System sehr gut mit Automatisierungssystemen kombiniert und dadurch mobilisiert werden kann, wie wir das von klassischen Schweiß- und Fügezangen seit vielen Jahren kennen.
Nach wochenlangen Tests der Tragfähigkeit des Leichtbau C-Bügels in einer Vielzahl von mechanischen Prüfungen, wie auch zur Analyse der Langzeitfestigkeit, konnte die Auslegung der Compositestruktur validiert werden. Im Gegensatz zu stationären Spritzgießsystemen sind die Lastanforderungen einer Spritzgießmaschine, die frei im Raum bewegt und gedreht werden kann, jedoch deutlich komplexer. Deshalb wurden auf Basis der Analysen und Auslegung sowohl die Gesamtsteifigkeit als auch die Steifigkeit quer zur Belastung signifikant verbessert. Dadurch konnte wiederum die Schließkraft mit bis zu 10 t nahezu verdoppelt und deutlich höhere Verfahrgeschwindigkeiten erreicht werden. Wird die Anlagentechnik mit klassischer 6-Achs-Industrierobotik kombiniert, so muss neben der Masse auch der Schwerpunkt der Maschine berücksichtigt werden. Durch eine Neuentwicklung der Schnittstelle zwischen Injektionssystem, Werkzeug und Schließsystem konnte die Anbindungsposition zum Roboter besser gestaltet werden, was zu einer günstigeren Lage des Schwerpunkts, einer geringeren Masse der Gesamtanlage und zu einer deutlich verbesserten Bewegungsfreiheit des Roboters führte. Um weiteres Gewicht einzusparen, befindet sich der charakteristische rote Aluminium-Führungsbügel künftig nur noch auf einer Seite des C-Bügels. Alles in allem konnte die Anlagentechnik in ihrer zweiten Generation in wichtigen Eigenschaften verbessert und in Summe um über 10 % leichter ausgeführt werden. Ergänzt wird die neue Anlagentechnik mit einer maßgeschneiderten Steuerung, die nicht nur den Spritzgießzyklus überwacht, sondern auch die Bewegung der Automatisierung mit einbindet.
Welche Reaktionen Robin auf der K ausgelöst hat
Mein erster Gedanke beim Anblick von Robin in Aktion: „Unglaublich! Aufbringen der zweiten Komponente, dort wo es erforderlich ist.“ Michael Stegelmann, Geschäftsführer von Anybrid, berichtet in unserem Gespräch auf der K von den zahlreichen Reaktionen zur „fliegenden Spritzgießmaschine“ Robin: „So etwas habe ich ja noch nie gesehen" oder „Warum hat das vorher noch niemand gemacht?“ waren die häufigsten Aussagen. Endlich konnte das Anybrid Team die weltweit erste mobile Spritzgießmaschine live vorführen. Die Variabilität der Anlagentechnik überzeugte dabei die Besucher schnell und sorgte für zahlreiche Denkanstöße, was man damit wohl so alles machen könnte.
Nachdem seit der Gründung vor 2 Jahren das Vorstellen der Technologie nahezu ausschließlich in der digitalen Welt stattgefunden hat, kam die K 2022 genau zum richtigen Zeitpunkt. Der Stand wurde gezielt aufgesucht, um sich live einen Eindruck von dem neuartigen Anlagenprinzip zu verschaffen. „Die Anwendungsmöglichkeiten bei uns wären riesig“, attestierten zum Beispiel internationale Besucher eines Großkonzerns der Elektronikbranche. „Das sehr gute Feedback der Besucher sowie neue Kontakte zu innovativen Unternehmen aus der Kunststoffindustrie zeigt uns, dass sich der ganze Aufwand gelohnt hat", zieht Stegelmann ein erstes Messefazit.
Wofür Robin geeignet ist
Die Beweglichkeit von Robin ist überall dort interessant, wo lokal an- oder überspritzt werden muss, schafft jedoch auch neue Anwendungsgebiete, wo das Spritzgießen bislang nicht zum Einsatz kam. In verschiedenen Pilotprojekten konnten mit Anwendern vollkommen neuartige Produktionsszenarien, die sich durch eine Mobilisierung der Spritzgießanlagentechnik ergeben, demonstriert werden. Besonders vielversprechend dabei ist die Integration in Extrusions- oder Pultrusionslinien. Gemeinsam mit der Innovationsgruppe von Rehau Industries konnte erfolgreich die Inline-Funktionalisierung eines Extrusionsprofils mit dem System realisiert werden. So können sonst notwendige, oftmals manuelle und nachgelagerte Montageschritte von Funktionselementen direkt in der Linie unter Nutzung der Prozesswärme durchgeführt werden. In den umfangreichen Untersuchungen zur Materialkompatibilität gemeinsam mit Rehau wurden verschiedene Materialien wie ASA, ABS, PVC, PP, TPE oder auch TPU sowohl in Mono- als auch in Multimaterialsystemen erfolgreich erprobt.
Deshalb sind harmonische Prozesse wichtig
Da zur Integration des Systems in kontinuierliche Fertigungslinien die Flexibilität der 6-Achs-Robotik oft nicht notwendig ist, wurde ein kompaktes 3-Achs-Linearsystem konzipiert. Aufgrund der geringen Masse der Maschinentechnik kann hier auf Elemente mit geringen zulässigen Maximallasten und kleinere Antriebe zurückgegriffen werden. Dies hat sowohl energetische als auch wirtschaftliche Vorteile und die durch bewegte Massen ausgelösten Schwingungen sind reduziert. Ein oder mehrere der Systeme bewegen sich dabei auf einer Achse in Produktionsrichtung. Entscheidend ist es, die Prozessgeschwindigkeit der Extrusion mit dem Zyklus des Spritzgießens zu harmonisieren. So ergibt sich das Prozessfenster aus notwendiger Abkühldauer des Formteils, Laufgeschwindigkeit des Profils sowie dem gewünschten Abstand der Funktionselemente. Um das Prozessfenster zu erweitern und auch Abzugsgeschwindigkeiten größer als 15 m/min abzudecken, können neben der Parallelisierung mehrerer Systeme auch Mehrkavitätenwerkzeuge zum Einsatz kommen. Die Integration des Robin-Systems in andere Prozesse ist dabei keineswegs auf die klassische Kunststoffverarbeitung begrenzt. So führen auch Kombinationen mit klassischer Holz- oder Metallverarbeitung zu vielfältigen neuen Anwendungsgebieten der Spritzgießtechnik wie etwa im Möbel- und Baubereich. Darüber hinaus ergeben sich auch Potenziale beim Verarbeiten thermoplastischer Composite. Dabei ist das Anspritzen von sogenannten Organoblechen oder Compositeprofilen in den letzten 10 bis 15 Jahren bis zum Serieneinsatz etwa in der Automobilindustrie geführt worden. Außerhalb dieser Industrie scheitert es jedoch oftmals an der geringeren Stückzahl sowie den hohen Werkzeug- und Anlagenkosten. Gerade hier können durch den Einsatz von Robin Prozesse auch für kleinere Stückzahlen wirtschaftlich umgesetzt werden, indem zum Beispiel lokale Funktionalisierungen auf Compositestrukturen sequenziell aufgebracht werden. Ein Beispiel dafür wurde in der Anwendung eines Composite-Hohlprofils mit Inometa, Herford, und Mitsui Chemicals Europe, Düsseldorf, aufgezeigt. Im nächsten Schritt sollen hier nun die Maschinentechnik des laserbasierten Tapewickelns in einer hybriden Fertigungszelle mit Robin gekoppelt werden, um das gesamte Potenzial durch die Synergie der Technologien ausschöpfen zu können.
Neue Wege aufzeigen
Die zweite Generation des Robotised Injection Moulding wird erstmals auf der K-Messe 2022 live vorgestellt. Neben der Anlagentechnik steht die Vielseitigkeit der Einsatzfelder im Fokus der Präsentation. Neben Robin werden dabei die aktuellen Projekte mit Beteiligung des ILK vorgestellt. Übergeordnetes Thema ist der Neutralleichtbau. Durch diese neue Denkweise sollen Wege aufgezeigt werden, wie auch der Leichtbau dazu beitragen kann, die natürlichen Ressourcen zu schonen, die Umwelt zu schützen und eine Kreislaufwirtschaft aufzubauen.
Quelle: Anybrid
K 2022: Halle 7, Stand SC06