Um eine wirtschaftliche Fertigung von Kleinserien oder Einzelstücken sicherzustellen, wird auf eine hohe Fertigungstiefe von über 80 Prozent wertgelegt. So betreibt man in Villingen-Schwenningen auch eine eigene Spritzerei mit zehn Mono- und Mehr-Komponentenmaschinen, darunter vier Arburg-Modelle und sechs Modelle von Sumitomo (SHI) Demag.
Zusätzliche Freiheitsgrade
Im Jahr 2006 hatte Herbert Hengstler, Teamleiter Kunststoffe, bereits verschiedenste Versuche unternommen, die Abformung von Oberflächen, Kanten und Konturen einer Streulinse aus PMMA zu verbessern. Trotz hoher Werkzeugwand-Temperaturen, extrem langer Zykluszeiten von 480 Sekunden und langsamen Einspritzens war es nicht geglückt, alle Wandbereiche des optischen Teiles sauber abzuformen und so in der fertigen Untersuchungsleuchte die gewünschte, präzise Fokussierung des LED-Lichts zu erreichen.
Auf der Fakuma 2006 kam Herbert Hengstler, zum ersten Mal mit der Wechseltemperierung in Kontakt. Joachim Stadach, Geschäftsführer der Industrievertretung Durotherm, Pforzheim, und Single Temperiertechnik, Hochdorf, damals das Wechsel-Temperiersystem ATT (Alternating Temperature Technology) vor. Die dynamische Temperierung über den langen Zyklus hinweg bietet zusätzliche Freiheitsgrade in der Prozessgestaltung und eröffnet damit eine Möglichkeit, die Oberflächenabformung und das Erstarrungsverhalten des Kunststoffs zu beeinflussen.
Um erste Erfahrungen mit der dynamischen Temperierung zu sammeln, nutzte man vier Wochen lang ein Wechsel-Temperiersystem als Leihgerät. Die damals langen Zykluszeiten von 12 Minuten erforderten einige Tage Anlaufphase, bis sich mit der dynamischen Temperierung erste sichtbare Erfolge einstellten. Anfang 2007 entschloss man sich dann ein Komplettsystem zu kaufen.
Dickwandige Fokussierlinse aus Plexiglas
Pilotprodukt war eine dickwandige, kegelstumpfähnliche Fokussierlinse aus PMMA (Plexiglas von Degussa Röhm). Das Produkt mit einer komplizierten Geometrie wird in einem Einfach-Kaltkanal-Werkzeug auf einer Spritzgieß-Maschine System 80/420-310 von Sumitomo Demag gefertigt. Durch einen Aufsatztrockner von Fasti gelangt das Plexiglas-Granulat in die Spezial-Plastifiziereinheit für PMMA. Waldmann nutzt zur Verarbeitung von PMMA einen eigenen Plastifizierzylinder mit Spezial-Schneckengeometrie, um mögliche Verunreinigungen durch Materialwechsel zu verhindern. Für Polyamid 6 und andere Kunststoffe dient ein separater Standardzylinder, der sich auf den Spritzgieß-Maschinen einfach wechseln lässt. Das Temperatur-Wechselsystem mit Wasser als Umlaufmedium verfügt über einen Heiz- und einen Kühlkreislauf mit hydraulischer Kreislauf-Umschalteinrichtung.
Das System hält in zwei getrennten Kreisläufen Wasser in unterschiedlichen Vorlauftemperaturniveaus vor, kann im Wechsel aktiv heizen und kühlen und so eine Temperaturänderung von 70°C in den Werkzeugeinsätzen innerhalb von 10 Sekunden erreichen. Die Vorlauf-Temperaturen in den beiden Kreisen betragen 105°C und 30°C. Ob kaltes oder warmes Medium in den Werkzeugkreislauf gefördert werden soll, meldet die Maschinensteuerung prozessabhängig an die Ventilsteuerung. Die hochdynamische Temperaturführung ermöglicht beim Einspritzen eine Werkzeugwand-Temperatur in nahezu derselben Höhe, welche die spannungsarme Füllung des Formnests begünstigt.
In der Nachdruckphase schaltet die Maschine das System auf den kühleren Kreislauf um und erreicht so eine schnellere Abkühlung des Bauteils auf die Entformungstemperatur. Bereits während der Entformung schaltet die Maschine auf den warmen Kreislauf um, damit das Werkzeug rechtzeitig zum Einspritzen wieder eine optimale Wandtemperatur aufweist.
Am Gerät lässt sich der Temperaturverlauf gut verfolgen: Neben den beiden Soll-Temperaturen von 30 und 105°C wird auch die aktuelle Rücklauf-Temperatur angezeigt: Sie läuft bei 105°C Vorlauf-Temperatur auf bis zu 97°C hoch und bei 30°C Vorlauf-Temperatur im Kühlzeitraum auf bis zu 33°C herunter. Das System kann direkt an der Maschine positioniert werden, was kurze Schlauchwege zum Werkzeug mit sich bringt und so die Wärmeverluste gering hält.
Der Entnahmeroboter Demag Robot DR 631 entnimmt das Fertigteil am Anguss aus dem Werkzeug, führt es in ein temperiertes Bad mit destilliertem Wasser, wo es mehrere Minuten lang weiter abkühlen kann, und legt es auf einem Förderband ab, von wo es zu einer abschließenden Sichtkontrolle gelangt. Nach der Positiv-Prüfung wird es in einen Kleinladungsträger mit nestbaren Einsätzen abgelegt und zur Bearbeitung und Montage weitertransportiert.
Neben der erreichten optischen Qualität bietet das Wechsel-Temperiersystem auch die Möglichkeit die Zykluszeit zu verkürzen. Status bei Beginn der Versuche war eine Zykluszeit von 720 Sekunden. Hier arbeitete man mit einer konstant temperierten Werkzeugwand-Temperatur. Die Empfehlungen der Rohstoffhersteller lauteten auf 80°C, aber um eine bessere Abformgenauigkeit zu erreichen, hob man die Temperatur auf 105 bis 110°C an. Um Lunker in der Optik sicher auszuschließen, wurde zudem extrem langsam eingespritzt.
Bis heute ist das Werkzeug beim Einspritzen auf 105°C temperiert, aber dank der Wechseltemperierung folgt eine intensive Kühlphase mit nur 30°C Wandtemperatur. So wurde die Zykluszeit in einem ersten Schritt auf 480 Sekunden gekürzt. Optimierungen am Einspritzprofil, an der Temperaturführung und am Mengenstrom haben weitere Einsparungen möglich gemacht, sodass die Zykluszeit im vollautomatischen Gesamtbetrieb inzwischen nur noch 316 Sekunden beträgt.
Verzugsempfindlicher Griff aus technischem Kunststoff
Heute wird die Wechseltemperierung auch beim Fertigen eines zylindrischen Griffes einer Untersuchungsleuchte eingesetzt. Dieser nimmt die Leuchtenelektronik auf und wird mit einem Schalter ausgestattet. Das Teil aus flammhemmendem Ultramid PA6-GF50 wird nach der Bestückung mit der Elektronik durch einen feuchtigkeitsdichten Zweikomponenten-Deckel mit angespritzter Dichtlippe verschlossen. Daher muss er verzugsfrei hergestellt werden. Um bereits in der Herstellung die Verzugsgefährdung zu reduzieren, wurde eine besondere Kühlung der zylindrischen Kerne vorgesehen. „Bei der Linse hat uns das System einige Probleme gelöst, bei einem zweiten Teil nutzen wir die gemachten Erfahrungen und kühlen gezielt die Kerne“, so Herbert Hengstler. Neben der Verbesserung der Dimensionstoleranz hat man auch hier die Zykluszeit von 72 auf 57 Sekunden verkürzt. Zudem wird das Material weniger stark belastet.
Vorteile mit gezielt temperierbaren Einsätzen
Segmentierte Werkzeuge mit gezielt temperierten Einsätzen sind bei der Wechseltemperierung prinzipiell von großem Vorteil. Optimal ausgelegte Werkzeugeinsätze und entsprechend hohe Leistung des Wechseltemperieraggregats sind Voraussetzungen, um mit einer Flüssigkeitstemperierung schnellstmöglich von Kalt auf Warm und umgekehrt zu wechseln. Dennoch bringt auch die Temperierung einer ganzen Werkzeugseite Vorteile, wie sich bei der Fokussierlinse gezeigt hat. Die Wechseltemperierung ist ein hochdynamischer Prozess, der geregelt werden muss. „Wesentlich ist, dass im Moment des Einspritzens und beim Entformen von Zyklus zu Zyklus reproduzierbar dieselbe Temperatur herrscht“, erklärt Joachim Stadach.
Da das Temperiermedium mit 3 bis 4 m/s durch die Kanäle im Werkzeug strömt und der Abstand des Gerätes vom Werkzeug nur zwei Meter beträgt, dauert es weniger als 1 Sekunde, bis das jeweils anders temperierte Medium im Werkzeug ankommt.
Als klarer Vorteil hatsich die Nachrüstbarkeit jedes Werkzeugs für die Wechseltemperierung herausgestellt. Schließlich hat man so die Probleme beim optischen Teil in den Griff bekommen – ohne Umbauten am Werkzeug. Bei einem neuen Projekt würde man nicht mehr die komplette Werkzeugplatte temperieren, sondern nur noch Werkzeugeinsätze an den kritischen Stellen.