Die großen Trends in der Automobilbranche sind Leichtbau, Elektromobilität und das autonome Fahren. Elektro(E)-Motoren werden mit dem Verbrennungsmotor konkurrieren. Um eine möglichst hohe Reichweite zu erzielen, muss der Pkw leicht sein. Viele der heute als Standard verbauten Komponenten im Motorraum und Interieur wird es künftig nicht mehr geben. Im Gegenzug besteht Bedarf an ganz neuen Bauteilen aus Kunststoff.
Innovative Werkstoffe für E-Motoren
Der Einsatz von faserverstärkten und metallgefüllten Kunststoffen kann die Effizienz von E-Motoren erheblich steigern. Ein Konzept zur Serienfertigung von Leichtbaukomponenten für elektrische Ein-Achs-Antriebsstränge wurde im BMBF-Forschungsprojekt Prolemo (Produktionstechnologien für effiziente Leichtbaumotoren) erarbeitet. Die Projektpartner Arburg, Aumann, Index-Werke Hahn & Tessky und Wittenstein Cyber Motor bilden dabei die gesamte Wertschöpfungskette zur Herstellung von Elektroantrieben ab. Als Forschungspartner kommen die Karlsruher Institute für Produktionstechnik (wbk) und Fahrzeugsystemtechnik (Fast) hinzu.
Ein hydraulischer Zwei-Komponenten-Allrounder 520 S produzierte während der Technologie-Tage Rotorscheiben für den Elektroantrieb. Zunächst entsteht die Innenkontur aus glasfaserverstärktem PA6 als Verbindung zur Welle. Zum Herstellen der angespritzten Rotorsegmente wird als Basismaterial ein Soft Magnetic Composite (SMC) eingesetzt, das aus dem Matrixwerkstoff PA6 besteht und mit einer Permalloy-Legierung hoch gefüllt ist. Verglichen mit dem ursprünglichen Antrieb mit Stahlhohlwelle lässt sich mit dem metallgefüllten Kunststoffbauteil das Gewicht um 20 Prozent senken und die Massenträgheit um rund 14 Prozent reduzieren.
Ein zweites Exponat, ein hydraulischer Allrounder 370 S, fertigte aus einem ferritgebundenen, magnetischen Compound exemplarisch einen Rotor mit acht Polen. Durch ein Magnetfeld wurde das Compound im Werkzeug ausgerichtet. Ein solcher Rotor kann im Automobil zum Beispiel in Antrieben für Außenspiegel und Klimaanlage oder in Sensoren für Fensterheber, ABS und Schiebetür eingesetzt werden.
„Intelligente“ Oberflächen im Interieur
Einfache Drehknöpfe werden im Interieur künftig nicht das Design dominieren. Stattdessen treten interaktive Displays und im Film-Insert-Moulding (FIM) hergestellte „intelligente“ Oberflächen in den Vordergrund. Touchfolien kommen bislang vor allem auf ebenen Oberflächen zum Einsatz. Sie lassen sich aber auch in 3D für gekrümmte Bauteile herstellen und damit völlig neue Produkt- und Designmöglichkeiten umsetzen. Der Kunststoffverarbeiter Hoefer & Sohn, Fürth, fertigt inzwischen mit drei Turnkey-Anlagen 3D-Touchpanels. Jede Fertigungszelle besteht aus einem hybriden Allrounder 630 H mit Reinraummodul, einem Sechs-Achs-Roboter sowie Bearbeitungs-, Prüf- und Laserstationen. Die Anlagen sind an einen Reinraum angedockt. Dort laufen alle vor- und nachgelagerten Schritte ab, um elektrostatische Aufladung und Verschmutzung der Folien und Bauteile zu vermeiden. Je zwei vorbehandelte leitfähige Folie (Poly TC mit Metal-Mesh-Strukturen) werden in einem automatisierten Prozess mit den gespritzten Panels aus PMMA verbunden. Dabei übernimmt der Sechs-Achs-Roboter das gesamte Handling. In der Laserstation wird der Anguss abgetrennt und jedes Bauteil elektrisch funktionsgeprüft. Im Bedienbereich erfolgen die Finalisierung und optische Qualitätskontrolle der Touchpanels und die Verpackung für den Überseetransport.
Individuelle Turnkey-Lösungen
Der Trend hält an, die Wertschöpfung rund um den Spritzgießprozess weiter zu steigern. Ziel ist, zusätzliche Funktionen in die Bauteile zu integrieren, eine hohe Teilequalität sicherzustellen, effizienter zu produzieren und damit Produkte wie deren Herstellung attraktiver zu machen. Das bedeutet, dass sich über die Automation immer mehr und aufwendigere Arbeitsschritte im Spritzgießprozess realisieren lassen sowie Materialfluss und Logistik vereinfacht werden. Zudem steigen Individualität und Variantenvielfalt der Produkte. Daraus leitet sich für die Automation der Anspruch ab, mit hoher Flexibilität auf die sich schnell ändernden Anforderungen reagieren zu können. Entsprechend steigt der Anspruch an die Mensch-Maschine-Schnittstelle. Der Verarbeiter erwartet eine einheitliche Steuerungsphilosophie über den gesamten Prozess hinweg, statt in einer Fertigungszelle mehrere Bediensprachen benutzen zu müssen.
Der Spritzgießmaschinenhersteller bietet schlüsselfertige Anlagen und konzipiert zusammen mit den Kunststoffverarbeitern individuelle Lösungen, die Teilequalität, Prozesssicherheit, Verfügbarkeit, Produktivität und Wirtschaftlichkeit der Fertigungsprozesse steigern. Wichtig ist die ganzheitliche Betrachtung: angefangen vom Produktdesign über die Werkzeug- und Verfahrenstechnik bis hin zum Konfigurieren der Fertigungszelle samt Funktionstests und Datenbereitstellung.
Turnkey-Anlage für vier Produktvarianten
Ein Beispiel ist eine komplett von Arburg projektierte, realisierte und in Betrieb genommene Turnkey-Anlage für ein slowakisches Werk von Leoni, Nürnberg. Die Fertigungszelle rund um einen hydraulischen Allrounder 820 S produziert dort vier verschiedene Varianten von Gehäusen aus PA6-GF10 mit bis zu 40 eingelegten Schrauben. Die Gehäuse werden zu sogenannten „Main Fuse Boxen“ montiert, die für die Strom- und Leistungsversorgung in Fahrzeugen sorgen. Ein lineares Robot-System Multilift V und zwei Sechs-Achs-Roboter arbeiten „Hand in Hand“. Sie übernehmen das Teilehandling, die Vor- und Nachbereitung sowie das Prüfen der Bauteile. Die Vollautomation sorgt für konstant kurze Zykluszeiten und hohe Prozesssicherheit. Beim Werkzeugwechsel werden nur der Greifer und die Aufnahmeplatten für die Schrauben gewechselt. Die Zuführteile und fertigen Gehäuse werden zu 100 Prozent mit einem Kamerasystem geprüft. Die Programmierung erfolgt vollständig über die Selogica-Steuerung. Das Programm ist im Arburg Leitrechnersystem (ALS) gespeichert und wird mit jedem Fertigungsauftrag automatisch geladen.
Scada-System für 100 Prozent Rückverfolgbarkeit
Für das Überwachen und Koordinieren von Prozessen in einer Fertigungszelle bietet der Maschinenhersteller seit kurzem ein neues Scada-System: Das Arburg Turnkey Control Module (ATCM) sammelt teilespezifische Daten von unterschiedlichen Stationen im Fertigungsprozess, führt sie mit denen aus der Qualitätsprüfung zusammen und leitet die Datensätze an ein auswertendes System weiter.
Jedes ATCM erhält eine anlagenspezifische Oberfläche. Voraussetzung zum Implementieren ist eine neue Fertigungszelle rund um einen Allrounder mit OPC UA Schnittstelle. Ein HMI-Terminal (Human Machine Interface) mit Touch-Panel visualisiert die wichtigen Funktionen der kompletten Turnkey-Anlage. Für die Maschine und die Automation werden Zustände, Störungen, Alarme und Bedienereingaben übersichtlich angezeigt. Die relevanten Daten zu Spritzgießmaschine, Automation und Peripherie, wie zum Beispiel Laser, Scanner, Bildverarbeitungssysteme und Messgeräte, liefern die entsprechenden Elemente der Turnkey-Anlage. Die Kommunikation erfolgt bevorzugt über OPC UA, bei einigen Peripheriegeräten über proprietäre TCP/IP-Schnittstellen. Ein großer Vorteil ist eine hundertprozentige und lückenlose Rückverfolgbarkeit einzelner Teile oder montierter Baugruppen – vom Spritzgießprozess über die Qualitätssicherung bis zum Ausschleusen aus der Fertigungszelle – wie sie verstärkt in der Automobilindustrie und anderen sicherheitsrelevanten Bereichen gefordert wird. Dazu erhält jedes Teil zunächst über die beim Spritzgießen vergebenen Schussnummern im ATCM automatisch eine eigene Nummer (ID). Dann erfolgt eine Kennzeichnung zum Beispiel mit einem DM- oder QR-Code. Die einzelnen Datensätze werden in festgelegten Intervallen einem auswertenden System wie zum Beispiel dem ALS bereitgestellt. Damit ist nachweisbar, welche Qualitätsparameter mit welchen Messgeräten geprüft wurden. Neben dem Sammeln und Verknüpfen von Daten lässt sich das ATCM auch dazu nutzen, nicht zyklische Produktionsabläufe einzuleiten. Ein Beispiel dafür ist etwa das Ausschleusen von Teilen zur Qualitätskontrolle.
Variantenvielfalt steigt, Fertigungslose werden kleiner
In Zukunft werden im Automobilbau vermehrt innovative Bauteile aus Kunststoff eingesetzt. Zum einen, um zum Beispiel mehr Gestaltungsspielraum im Interieur zu ermöglichen und zum anderen, um damit effiziente Leichtbaulösungen zu realisieren. Mit zunehmender Individualisierung und steigender Zahl an Produktvarianten sinken die zu fertigenden Stückzahlen pro Auftrag. Hier sind kundenspezifische und automatisierte Turnkey-Anlagen sowie Verfahren gefragt, die eine flexible und wirtschaftliche Fertigung bis hin zu Losgröße eins sowie eine hundertprozentige Rückverfolgbarkeit ermöglichen.