Welches Unternehmen kann schon von sich behaupten, dass ein Nobelpreisträger bzw. dessen Mitarbeiter die Masterminds für die eigene Geschäftstätigkeit sind? Das 2006 von Wissenschaftlern der Johannes Kepler Universität in Linz an der Donau gegründete Unternehmen Plastic Elec-tronic kann dies. Es spinnt die Ideen der Nobelpreisträger des Jahres 2000 für Chemie Alan J. Heeger, Alan G. MacDiarmid und Hideki Shirakawa für die Entdeckung von leitenden Polymeren weiter und betreibt die Umsetzung der Forschung in konkrete Anwendungen. Eine Anwendung, die es bereits bis zur Serienreife geschafft hat, sind Spritzgussteile mit patentierter Touchskin-Funktion.
Hybridisierung von Verbundbauteilen
Seit der Mensch Gerätschaften produziert, gilt: Die jeweils verfügbaren Rohstoffe und die Bearbeitungstechnik stecken den Rahmen für deren Formgebung ab. Dies gilt ohne Ausnahme auch für das Kunststoffzeitalter. Doch die Kunststoffwerkstoffe werden aktuell als langjährige Impulsgeber für die Weiterentwicklung des Produktdesigns zunehmend von den Entwicklungen auf dem Gebiet der Elektronik abgelöst – iPhone und iPad sei Dank. Eine „Hybridisierung“ greift um sich. Elektrische und elektronische Baugruppen und mechanisch funktionelle bzw. tragende Strukturen greifen immer stärker ineinander und werden zu Verbundbauteilen. Jüngste Beispiele sind die Kombination von Folien und leitenden Strukturen sowie die Erfindung der gedruckten Elektronik. In beiden Fällen wurde damit der Weg zur engeren Integration von Elektronik und mechanischen Komponenten bereitet und neue Anwendungsfelder erschlossen. Anwendungen gedruckter Elektronik sind beispielsweise RFID-Transponder, die zur Identifikation und Informationsspeicherung in der Warenlogistik weit verbreitet sind.
Noch weiter geht die Integration von Sensortechnik und Kunststofffolie. Dabei handelt es sich um so genannte kapazitive Sensoren, deren Funktionsprinzip auf der physikalischen Größe der elektrischen Kapazität aufbaut. Unter elektrischer Kapazität versteht man das Verhältnis zwischen elektrischer Spannung und dem elektrischen Fluss – eine physikalische Größe aus der Elektrostatik. Sie definiert die Wechselwirkung des Kraftfeldes zwischen zwei Raumpunkten, zum Beispiel zwischen der positiven und der negativen Elektrode. Der elektrische Fluss kann durch die angelegte Spannung und die Anzahl der elektrischen Flusslinien und damit des aktiven Kraftfeldes verändert werden. Die Sensorfunktion nutzt die Möglichkeit zur Vergrößerung des Kraftfeldes (des elektrischen Flusses) durch die Annäherung eines aktivierenden und gleichzeitig leitenden Objekts, zum Beispiel eines Fingers. Dieser Effekt lässt sich zum Aufbau eines Betätigungselements nutzen. Da sich die Flusslinien nur zwischen Fingerkuppe und Sensorfläche aufbauen können, wächst die Empfindlichkeit theoretisch mit seinem Durchmesser, ist in der Praxis aber vom Fingerkuppendurchmesser standardmäßig mit 7 mm limitiert. Derartig dimensionierte kapazitive Sensoren müssen aber nicht unmittelbar berührt werden, sondern funktionieren, abhängig von der eingestellten Sensibilität, ebenso aus der Distanz (aus rund 10 mm Fingerentfernung), auch bei einer Einbettung in eine 10 mm dicke Deckschicht. Die Ausnahme bilden Näherungssensoren, die zur Erfassung aktivierender Elemente in größerer Entfernung grundsätzlich größere Sensorflächen benötigen. Für Schieberegler verwendet man gerade oder im Bogen verlaufende Anordnungen mehrerer kapazitiver Sensoren hintereinander.
In Kombination mit Sensorfolien
Für alle kapazitiven Sensoren gilt, dass sie für eine optimale Funktion dicht, ohne Luftspalt, in die Außenhülle (Gehäuse) eingebaut sein sollten. In optimaler Weise kann das durch die Integration in einem Kunststoff-Spritzgussteil gewährleistet werden. Dazu eignet sich besonders die Folien-Hinterspritztechnik, wie sie aus der Oberflächenveredelung von Kunststoffbauteilen bekannt ist. In Kombination mit der Sensorfolie entstehen so genannte Touchskin-Komponenten. Da die Sensorfolien, ebenso wie Dekorfolien, in einem weiten Bereich dreidimensional geformt werden können, bieten sie gute Voraussetzungen für die Integration von Bedienelementen in Freiformflächen, wie das in Fahr- oder Flugzeugen, aber vermehrt auch bei Haushaltsgeräten der Fall ist.
Die Überführung der Touchskin-Technologie in die Serienanwendung ist das Ergebnis eines Kooperationsprojekts unter Federführung des oberösterreichischen Unternehmen Plastic Electronic aus Linz/Donau mit dem Werkzeugbauer und Spezialisten für den Folien-Verbundspritzguss, Schöfer aus Schwertberg sowie dem Folienhersteller Hueck-Folien aus Baumgartenberg, beide aus Österreich, und dem Folienkonfektionierer Serigraph aus den USA.
Der Ausgangspunkt ist eine mehrlagige Compound-Folie, wie sie in ähnlicher Spezifikation auch in der Verpackungsindustrie eingesetzt wird. Aus diesem Anwendungsgebiet stammen nicht nur das Ausgangsmaterial, sondern auch zentrale Elemente der Folienkonfektionierung, wie das mehrstufige Rolle-zu-Rolle-Verfahren mit seriellen Arbeitsschritten, wie Bedrucken und Metallisieren in mehreren Durchläufen. Dabei wird auf die Trägerfolie eine metallische Schicht in Form von Sensoren und Leiterbahnen aufgebracht. Daran schließen die Produktionsschritte des Tiefziehens und Bescheidens an, an deren Ende Sensorfolien-Inserts vorliegen, die in der Spritzgießmaschine weiterverarbeitet werden können. Bemerkenswert ist, dass bei der Folienkonfektionierung aktuell bereits Tiefziehverhältnisse von bis zu 200 Prozent realisiert werden können, ohne dass sich die Metallschicht ablöst oder unterbrochen wird.
Spritzgussteile mit hochwertigen Oberflächen
Die Produktionstechnik, sowie die Werkzeuge für das Hinterspritzen der Sensorfolien stammen von Schöfer, deren Spezialgebiet die Herstellung von Spritzgussteilen mit hochwertigen Oberflächen ist. Im konkreten Kooperationsprojekt beschränkte man sich nicht nur auf das einfache Hinterspritzen einer Folie, sondern ging noch einen Schritt weiter. Die Touchskin-Formteile sollten sowohl Funktionalität (Sensorik) als auch Oberflächendesign in sich vereinen. Das Ziel war, die Bedienoberfläche universell gestalten zu können, ohne Kompromisse bei der Funktionsintegration der Sensorik eingehen zu müssen. Die Lösung ist ein Sandwich-Bauteil mit Dekor- und Sensorfolie an den Außenseiten und einer tragenden Kunststoffstruktur im Kern. Dieses Sandwich sollte möglichst ohne weitere Sondertechnologien und unter Großserienbedingungen herstellbar sein. Auch diese Forderung konnte von Schöfer realisiert werden. Die anwendungstechnische Lösung ist die Integration des automatisierten Einlegens sowie Fixierens von zwei Folien während eines Spritzzyklus und die entsprechende Schmelzeführung zur prozesssicheren Ausformung eines Sandwichteils im Spritzgießwerkzeug. Entsprechende Formteile und Anwendungsbeispiele wurden erstmals im Zuge der K 2010 auf dem Messestand des Spritzgießmaschinenherstellers Engel einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt.
Die Vorteile des neuartigen Formteilkonzepts sind in der Tat etwas Besonderes. Dazu Gerald Schöfer, Geschäftsführer von Schöfer: „Ganz wesentlich ist das Einsparpotenzial mit diesen neuen Bauteilen. So ersetzt die Sensorfolie die ansonsten erforderlichen Taster und Potenziometer und die damit zusammenhängenden Montagevorgänge. Ein ganz wesentliches Rationalisierungspotenzial ergibt sich aus der Kombination von Dekor- und Funktionsfolie. So kann bei der Sensorfolie mit einer Universalversion das Auslangen gefunden werden, während auf der Berührungsseite mit unterschiedlichen Dekoren individualisiert werden kann. Der auf das konkrete Fertigprodukt abgestimmte Funktionsumfang lässt sich über die Controller-Software definieren. Ein wesentlicher Vorteil des Verfahrens ist die Flexibilität. Über die Variation der Dekorfolien ist eine Individualisierung der Formteile ab Losgröße eins von Schuss zu Schuss möglich. Als weitere Steigerung der Individualität können anstelle von Folien auch Holzfurniere verarbeitet und auf Wunsch zusätzlich auch mit PUR-Gießlack beschichtet werden, der dem Fertigteil ein Klavierlackfinish gibt. In Summe aller Aspekte steht nun eine Fertigungstechnik zur Verfügung, mit der sich auch Ausstattungsteile für Automobile im Topsegment in Serientechnologie herstellen lassen.“
Robustheit der Bauteile
Ein ganz wesentlicher Aspekt ist die Robustheit der Bauteile. Die Einbettung in einem kompakten Spritzgussteil schützt die Sensoren vor mechanischer Beanspruchung, Umwelteinflüssen, wie Oxidation bzw. Korrosion auslösende Feuchtigkeit. Bei Verwendung von Glasklar-Kunststoffen für die Trägerkomponenten können zusätzlich optische Bauteile integriert werden, wie zum Beispiel Linsen, die für bestimmte Funktionen erforderlich sind. Nicht zu vergessen: die Durchleuchtbarkeit der Bauteile. Bedienpaneele im Nachtsichtdesign sind ohne weitere Sondertechnologien darstellbar. Es bedarf lediglich der Verwendung eines lichtdurchlässigen Kunststoffs und einer Dekorfolie mit den entsprechenden Lichtdurchlässen.
Dass das in 20 Jahren Spezialisierung erarbeitete Expertensystem von der Entwicklung über den Werkzeugbau bis zur Produktion von Formteilen mit brillanten Oberflächen einen entscheidenden Beitrag zum Erfolg des Touchskin-Entwicklungsprojekts darstellte, bestätigt auch der Geschäftsführer des Projektinitiators Plastic Electronic, Philipp Weissel: „Wir, als junges Technologieunternehmen sehen unseren Schwerpunkt im Transfer von Grundlagenforschung in wirtschaftliche Anwendungen. Funktionierende Kooperationen mit erfahrenen Partnern, die in der Lage sind, unsere wissenschaftlichen Ansätze produzierbar zu machen, sind für uns ein ganz wesentlicher Erfolgsfaktor. Mit dem Team der Firma Schöfer haben wir diesen kongenialen Partner gefunden. Nicht zuletzt die Resonanz auf der K 2010 und die Aussicht auf erste konkrete Serienanwendungen sind ein Beweis für die Richtigkeit dieses Weges, über dessen weiteren Verlauf wir zu gegebener Zeit wieder berichten werden.“
Neue Technologien
Funktion und Dekor vereint
Ein wesentliches Rationalisierungspotenzial bei der Touchskin-Technologie ergibt sich aus der Kombination von Dekor- und Funktionsfolie. So können bei der Sensorfolie mit einer Universalversion die Funktionen eingebracht werden, während auf der Berührungsseite mit unterschiedlichen Dekoren individualisiert werden kann. Der auf das konkrete Fertigprodukt abgestimmte Funktionsumfang lässt sich dabei über eine Controller-Software definieren.