Die Entwicklung einer Überschallrakete ist kein leichtes Unterfangen. Für ein Studentenprojekt kommt erschwerend hinzu, dass der Zugang zu industriellen Fertigungsmethoden eingeschränkt ist und nur begrenzte finanzielle Mittel vorhanden sind. Deswegen greifen die Studierenden bei der Konstruktion ihrer Prototypen oft auf kosteneffiziente 3D-Druck-Technologien zurück – sowohl mit den hauseigenen Fused Deposition Modeling-Druckern (FDM), als auch durch gesponserte Selektives Lasersintern-Druckteile (SLS). Für das Team liegt der Hauptvorteil dieser additiven Fertigung in der grossen Flexibilität während der Designphase.
„Der 3D-Druck erlaubt es uns, bei der Entwicklung von Ideen äusserst kreativ zu sein und neue Funktionen schnell zu integrieren“, erklärt Michael Kerschbaum, Physikstudent und technischer Leiter. So konnte beispielsweise eine Halterung eines neuen Bordcomputers rasch designt, 3D-gedruckt und nur wenige Tage vor einem Testlauf in die Rakete verbaut werden.
3D-Druckteile befinden sich bei ARIS in der Regel im Inneren der Raketen, denn dort sind die Materialanforderungen vergleichsweise gering. Komponenten an der Aussenseite des Flugkörpers hingegen müssen aerodynamisch optimiert werden: Sie beeinflussen den Luftwiderstand und müssen gleichzeitig robust genug sein, um den extremen Kräften beim Start standzuhalten. Bei solchen Anwendungen stoßen FDM-Drucker schnell an ihre Grenzen, weshalb sich Team Euler nach Sponsoren im Bereich des selektiven Lasersinterns umschaute. Als einziger Schweizer Hersteller von SLS-3D-Druckern war mit Sintratec ein passender Ansprechpartner gefunden. Das Unternehmen produzierte die benötigten Bauteile kostenfrei auf dem Sintratec S2 System. Bei den aus stabilem Nylon (Sintratec PA12) gesinterten Parts handelt es sich um sogenannte Launch Lugs. „Dies ist ein ganz entscheidender Teil für den Flug der Rakete – wenn die Launch Lug in den ersten Augenblicken nicht hält, kann die Rakete nicht sicher von der Abschussschiene starten“, betont Kerschbaum.
Nach über Neun Monaten Entwicklung, Herstellung und Testing war das Team im Juli 2020 dann bereit für den Jungfernflug. In den Schweizer Bergen nahe Luzern musste sich die Rakete mit den Sintratec-Teilen unter Beweis stellen – mit Erfolg: Der Start verlief fehlerfrei und die Launch Lugs hielten den Belastungen problemlos stand. Kerschbaum haben die Materialeigenschaften der SLS-Komponenten überzeugt: «Die Sintratec Technologie ermöglicht eine hohe Flexibilität in der Herstellung bei gleichzeitig geringem Gewicht – beides Vorteile, welche für den Aerospace-Bereich wichtig sind. Ich kann mir viele Anwendungen vorstellen, wo solche Teile bei der Herstellung von Raketen oder Raketentriebwerken zum Zuge kommen könnten.»
Für den ersten Überschallflug ihrer Rakete müssen die Studierenden nun einen geeigneteren Ort mit mehr freiem Luftraum als die kleine Schweiz finden. Doch auch wenn man sich bei ARIS bis zum Durchbrechen der Schallmauer vorerst gedulden muss, bleiben die Ambitionen hoch. „Bis 2029 erhoffen wir uns zudem als erstes Studententeam etwas in die Umlaufbahn – Rakete, Satellit oder Rover – der Erde zu schicken“, sagt Kerschbaum.
Die ARIS ist ein Studentenverein, der sich für mehr Aerospace-Themen an Schweizer Akademien einsetzt. Dieser Bereich sei in den Curricula der Universitäten und Hochschulen unterrepräsentiert. Der Verein bietet deshalb mehr als 120 Studentinnen und Studenten in der Deutschschweiz die Möglichkeit, Raketen und Raketenmotoren zu entwickeln, zu konstruieren und zu testen. Ein konkretes Ziel von ARIS ist es, den jährlich stattfindenden Spaceport America Cup zu gewinnen. Dieser Wettbewerb zieht jedes Jahr mehrere hundert Studententeams aus aller Welt in die Wüste New Mexikos, um dort in verschiedenen Kategorien Raketen gegeneinander antreten zu lassen. (jhn)