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Innenbeschichtung einer Kunststoffspritze mittels Plasma (Bild: IKV)

Die Plasmatechnologie verbucht in den letzten Jahren ein großes Wachstum in den Bereichen der Medizintechnik. Instrumente sterilisieren sowie Implantate, Spritzen oder Verpackungen beschichten sind nur einige Anwendungsbeispiele. Unter den Begriff Plasmamedizin fallen mittlerweile alle Anwendungen von Plasmen für therapeutische Zwecke. Entsprechende Geräte sind seit einigen Jahren als Plasma-Medizinprodukte zugelassen und auf dem Markt erhältlich. In diesem Rahmen wird derzeit bei Spritzen, (Insulin-) Kartuschen und Packmitteln angestrebt, den Glaskörper durch Kunststoff zu substituieren, was jedoch aufgrund der verständlicherweise zurückhaltenden Einstellung gegenüber neuen Materialien bei Pharmaverpackungen nur langsam voran geht. Denn laut Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) gehören Verpackungsfehler und mechanische Defekte immer noch zu den am häufigsten gemeldeten Qualitätsmängeln, die unter Verwendung von Kunststoffen weitgehend vermieden werden können.

Allerdings besitzen Kunststoffe im Vergleich zu Glas deutlich geringere Barriereeigenschaften gegen eintretenden Sauerstoff, was zu einer verringerten Haltbarkeit und zu einer Konzentrationsreduzierung des Medikaments führen kann. Hier bietet die plasmagestützte chemische Gasphasenabscheidung (engl.: plasma enhanced chemical vapour deposition, PECVD) eine mögliche Lösung, mit der bei niedrigen Drücken eine dünne Beschichtung auf den Kunststoff aufgebracht wird. Diese meist glasähnlichen Funktionsschichten bieten eine hervorragende Barrierewirkung und die Möglichkeit, die Oberflächentopographie in gewissen Bereichen einzustellen. Die Einkapselung im Kunststoff und ein mehrlagiger Schichtaufbau mit „Pufferschichten“ schützt die Schicht vor Bruch durch Erschütterung. Aufgrund der äußerst geringen Dicke der Beschichtung von meist wenigen zehn Nanometern bleibt das Kunststoffprodukt zudem recyclebar. Im Folgenden sind einige Problemstellungen, welche durch den Einsatz einer Kunststoffspritze in Kombination mit einer dünnen Funktionsschicht adressiert werden können, kurz dargestellt:

  • Vermeidung von mechanischen Defekten bei der Herstellung und dem Transport durch den Einsatz von Kunststoff als Substratmaterial.
  • Verzicht auf Silikonölschmierung und Additivierung des Kunststoffs mit Silikonölen, welche zu einer Denaturierung des Proteins in Medikamenten führen können.
  • Verbesserung der chemischen Verträglichkeit der mit dem Medikament in Kontakt stehenden Materialien und Reduzierung der Partikelbildung durch Reibung bei der Dosierung oder Erschütterung beim Transport. Somit kann die Delamination in Glasspritzen aufgrund des medialen Kontaktes verhindert werden.
  • Reduzierung der Reibung und des Stick-Slip-Effekts (Ruck-Gleiten) bei Spritzen und Insulinkartuschen durch den Einsatz reibungsmindernder Schichten.
  • Vermeidung von Wolframpartikeln und -oxiden bei der Ausformung des Nadelkanals in Glasspritzen. Untersuchungen zu diesen Wolfram-Rückständen in Fertigspritzen zeigten, dass es auch hierbei zur Proteinaggregation kommt.

Kleiner Reaktor mit großer Wirkung

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Prüfung der Eindrückkraft und entsprechende Kraft-Weg-Diagramme beschichteter Spritzen aus COC (Bildquelle: IKV)

Das Institut für Kunststoffverarbeitung in Aachen (IKV) beschäftigt sich seit mehreren Jahrzehnten mit der Abscheidung plasmapolymerer Funktionsschichten im PECVD-Niederdruckverfahren und der zugehörigen Anlagenentwicklung und -steuerung.

Aufbauend auf Anlagen zur kombinierten Beschichtung von PET-Flaschen, welche sowohl mit Mikrowellen- als auch Radiofrequenz-Anregung arbeiten, wurde am IKV im Rahmen einer Prozessentwicklung eine Radiofrequenz-Anlage zur Innenbeschichtung von kleinen Hohlkörpern, wie beispielsweise Spritzen oder Kartuschen, entwickelt und in Betrieb genommen.

Vorteilhaft bei diesem Design ist die vergleichsweise einfache Energieeinkopplung über kapazitiv angeregte Radiofrequenz-Strahlung und die Tatsache, dass lediglich der Innenraum der Spritze abgepumpt wird. Die zur Plasmapolymerisation notwendigen Prozessgase werden über eine perforierte höhenverstellbare Gaslanze eingeleitet, sodass Hohlkörper mit beliebiger Höhe sowie Innendurchmessern d ≥ 5 mm funktionalisierbar sind. Diese Eigenschaften ermöglichen eine Skalierung des Anlagenkonzepts auf industriellen Maßstab für hohe Losgrößen und geringere Zykluszeiten.

Während große Aspektverhältnisse, Hinterschnitte und geringe Innendurchmesser üblicherweise ein Problem bei der Ausrüstung mit plasmapolymeren Dünnschichten darstellen, können in diesem Reaktor 1 ml-Kunststoffspritzen mit einer Funktionsschicht ausgerüstet werden. Im Inneren der Spritzen, welche einen Innendurchmesser von nur etwa 6 mm aufweisen, wurden erste Erfolge hinsichtlich einer Reibminderung ohne Silikonöl erzielt. Zur Prüfung der notwendigen Eindrückkraft in den Spritzenkörper aus Cycloolefin-Copolymer (COC) wurde ein Adapter für Universalprüfmaschinen eingesetzt, der eine kontrollierte und reproduzierbare Reibungsprüfung erlaubt. Die entsprechenden Kraft-Weg-Diagramme sind im nebenstehenden Bild aufgezeigt, hier in Abhängigkeit des Prozessparameters „Mikrowellenleistung“. Hieraus wird das Potential plasmapolymerisierter Schichten zur Reibungsminderung offensichtlich. Es wird deutlich, dass die Eindrückkraft durch Parametervariationen in weiten Grenzen eingestellt werden kann. Die benötigte Eindrückkraft der Probe mit 300 W Leistung liegt unterhalb der unbeschichteten Referenzprobe. Der Stick-Slip-Effekt wird deutlich reduziert. Wenn darüber hinaus die Qualität der Permeationssperrwirkung der aufgebrachten Schichten von Interesse ist, kann die Analyse um eine Messung der Sauerstofftransmissionsrate erweitert werden. Damit kann die Barrierewirkung für verschiedenste Hohlkörper geprüft werden.

Plasmen auf dem Vormarsch in der Medizintechnik

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COC-Spritze und zwei beispielhafte Funktionsschichten (Feldemissions-Rasterelektronenmikroskop)(Bildquelle: IKV)

Durch die Entwicklung dieses Laborreaktors zur Innenbeschichtung von dünnen Hohlkörpern, insbesondere vorgefüllten Fertigspritzen, erfolgen in Zusammenarbeit mit Industriepartnern Validierungen weiterer Schichtsysteme mit medizinischen Anforderungen. Neben der Reibungsminderung und Barrierewirkung stehen unter anderem die chemische Beständigkeit gegen die Inhaltsstoffe der Medikamente, die Transparenz des Schichtsystems und eine hohe Adhäsion der Schicht am Kunststoff im Vordergrund. Möglicherweise wird dadurch nicht nur eine Alternative zu Glas als Verpackungsmaterial gefunden, sondern auch der Einsatz von massentauglichen kostengünstigeren Kunststoffen wie Polypropylen (PP) oder Polyethylenterephthalat (PET) für medizinisch anspruchsvolle Anwendungen ermöglicht.

Über die genannten und weitere innovative Forschungsthemen und ihre Anwendung in der Industrie wird im Rahmen einer Fachtagung am 6. und 7. Juni 2018 in Aachen berichtet. Ein wichtiger Schwerpunkt der Fachtagung werden Beiträge sein, in welchen praktische Anwendungsgebiete aus Plasma- und Oberflächentechnik vorgestellt werden. Insbesondere Plasmen in der Medizintechnik und das Plasmasterilisieren von Medizinprodukten werden diskutiert. Weiterhin wird der Wandel der Verpackungen in Bezug auf die neue EU-Verpackungsordnung sowie aktuelle Problemstellungen zu den Themen Barriereanwendungen für rigide Verpackungen und Folien, Wechselwirkungen mit organischen Oberflächen und Prozesssteuerung sowie -entwicklung thematisiert.

 

 

ist wissenschaftlicher Direktor und Leiter des Zentrums für Kunststoffanalyse und -prüfung an der RWTH Aachen  

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter Plasma- und Oberflächentechnik an der RWTH Aachen

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Institut für Kunststoffverarbeitung (IKV)an der RWTH Aachen

Seffenter Weg 201
52074 Aachen
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