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Eine Wärmequelle verbindet das thermoplastische FVK-Tape stoffschlüssig direkt im Prozess. (Bild: alle Fraunhofer IPT)

Der elektrische Antriebsstrang ist grundlegend anders aufgebaut als der eines Verbrennungsmotors. Besteht ein Pkw mit Verbrennungsmotor aus 1.400 beweglichen Teilen, so sind es bei einem Elektroantrieb nur 210. Ein Achtzylindermotor hat 1.200 Teile, die montiert werden müssen, ein Elektromotor lediglich 17. Dadurch werden bestehende Produktionssysteme überflüssig und neue Produktionslinien erforderlich.

Beim Automobilbau spielt auch die Verarbeitung von Faserverbundkunststoffen (FVK) eine immer größere Rolle. Noch vor zehn Jahren wurde diesen ein hohes Potenzial für den Einsatz für Karosserieteile zugesprochen. Ersetzt werden heute jedoch vor allem metallische Innenbauteile durch funktionsintegrierte Hybridbauteile aus thermoplastischen FVK. Gleichzeitig entstehen neue Produkte, für die sich Metall als Werkstoff nicht eignet. Ein Beispiel sind Unterböden für das induktive Laden von batteriebetriebenen Autos, bei denen aufgrund der magnetischen und elektrischen Leitfähigkeit von Metall ein alternativer Werkstoff gefragt ist. Dieser Anwendungsfall wurde bereits 2015 vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT im Rahmen der Fraunhofer Systemforschung Elektromobilität 2 (FSEMII) erforscht. Die Verarbeitung von thermoplastischen Tapes hat sich hier als wirtschaftliche Lösung gezeigt. Auch für Batteriegehäuse bieten FVK neue Wege, um die thermischen und elektrischen Anforderungen zu erfüllen.

Wasserstoff-Drucktanks aus FVK

Der Vorteil von Faserverbundkunststoffen ist, dass sie ein geringes Gewicht mit hohen Steifigkeitseigenschaften bei guter Dämpfung und chemischer Beständigkeit kombinieren. Das Potenzial, Gewicht zu reduzieren, ist dabei enorm: Ein Bauteil aus kohlefaserverstärktem Kunststoff ist im Vergleich zu einem Bauteil aus Stahl bei gleicher Steifigkeit und Festigkeit bis zu 75 Prozent leichter. Bei dem Einsatz von Aluminium werden bis zu 60 Prozent Gewichtseinsparung erreicht. Wasserstoff-Drucktanks für mit Brennstoffzellen angetriebene Fahrzeuge werden daher bereits aus Faserverbundkunststoff gefertigt und stellen eine Schlüsseltechnologie für eine effiziente Speicherung und den Transport von Wasserstoff dar. Gegenüber metallischen Behältern weisen sie einen höheren Korrosionswiderstand, Bruchsicherheit und gesteigerte Lebensdauer bei geringerem Gewicht auf.

Um die alternativen Antriebstechnologien gegenüber den klassischen Verbrennungsmotoren wettbewerbsfähig zu machen, müssen sich FVK-Komponenten wie Drucktanks oder Batteriegehäuse in hoher Stückzahl effizient fertigen lassen. Die hohen Material- und Fertigungskosten, die besonders durch das Testen von Komponenten und Einfahren von Prozessen entstehen, sind − wie bei vielen FVK-Anwendungen in der Automobilindustrie − die größten Hürden für die Massenfertigung der Komponenten. Für eine wirtschaftliche Produktion und einen flächendeckenden Einsatz von FVK-Komponenten muss die Produktionstechnik optimiert oder neu entwickelt werden.

Verkürzte Fertigungszeiten

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Am Fraunhofer IPT gewickelter FVK-Drucktank

Das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT in Aachen hat langjährige Erfahrungen zur Fertigungstechnik von thermoplastischen Faserverbundkunststoffen und entwickelt sowohl Anlagen für last- und verschnittoptimierte Halbzeuge aus FVK als auch für rotationssymmetrische FVK-Komponenten wie Drucktanks. Durch den Einsatz faserverstärkter Thermoplasten lässt sich die Fertigungszeit der Bauteile verkürzen, da diese Polymergruppe im Gegensatz zu Duroplasten ohne anschließende Aushärtungsschritte verarbeitet werden kann. Hierfür werden die thermoplastischen FVK-Halbzeuge direkt während der Fertigung stoffschlüssig miteinander verbunden. Die vom Fraunhofer IPT entwickelte Prepro Technologie ermöglicht ein Verschweißen der Tapes nahezu ohne Lufteinschlüssen. Um die Produktion noch effizienter zu gestalten, werden im Sinne der Industrie 4.0 während des Fertigungsprozesses Daten erhoben und in Echtzeit ausgewertet. So lassen sich Rückschlüsse auf die Bauteilqualität ziehen und der Prozess bereits während der Fertigung optimieren. Das reduziert den Ausschuss und damit Kosten. Im Forschungsprojekt Amblifibre, das von der Europäischen Union gefördert wurde, hat das Fraunhofer IPT gemeinsam mit einem Projektkonsortium aus der Automobilindustrie und der Öl- und Gasindustrie eine Hochgeschwindigkeits-Infrarot-Wärmebildkamera für die automatisierte Fertigung von Drucktanks und Rohren entwickelt und in den Tape-Wickelprozess integriert. Mit der Kamera kann die Temperaturverteilung während des Prozesses mit Frequenzen von bis zu 1.000 Hertz erfasst werden. Die Kameradaten werden mit Simulations- und weiteren Prozessdaten aggregiert und mithilfe eines integrierten Überwachungssystems ausgewertet. So können Rückschlüsse auf die Qualität des FVK-Bauteils wie der Konsolidierungsqualität des Materials geschlossen und der Prozess angepasst werden.

Recyclingfähigkeit im Visier

Nicht nur mit der Fertigung der Drucktanks, sondern auch mit der Recyclingfähigkeit des thermoplastischen Materials werden sich die Aachener Forscher in den kommenden Jahren beschäftigen, um die Wertschöpfungskette im Sinne einer ökologischen Fertigung zu gestalten. Entlang des alternativen Antriebsstrangs, ob batteriebetrieben, auf Wasserstoffbasis oder auf Basis eines Schwungradspeichers, greift das Institut auf über 75 Jahre Know-how zum konventionellen Antriebsstrang zurück und kombiniert dieses mit seinem Wissen zur Fertigung von Faserverbundbauteilen und zur vernetzten, adaptiven Produktion. Damit kann der Weg zu einer wirtschaftlichen Fertigung von FVK- Komponenten geebnet und die Etablierung alternativer Antriebstechnologien gefördert werden.

 

 

ist Gruppenleiterin Faserverbundtechnik beim Fraunhofer-Institut IPT in Aachen.

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