Das Gewicht bewegter Massen bei gleichzeitigem Erhalt der mechanischen Eigenschaften zu reduzieren, ist eines der Zukunftsziele im Automobil- und Luftfahrtbereich. Kohlefaserverstärkte Kunststoffe (CFK) bieten hier, aufgrund ihrer hervorragenden gewichtsbezogenen Steifigkeiten, ein enormes Potential. Allerdings ist die Wirtschaftlichkeit von CFK aktuell wegen des teuren Materialgrundpreises im Vergleich zu Stahlwerkstoffen noch begrenzt. Für konsequentes Umsetzen des Leichtbaus im Automobilbau muss die gesamte Herstellungskette, unter Berücksichtigung der ökologischen und wirtschaftlichen Bedeutung, sowohl in technischer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht erheblich verbessert werden.
Faserverstärkte Kunststoffe selbst zeichnen sich durch eine hohe Korrosionsbeständigkeit aus. Die meisten Matrixwerkstoffe sind gegenüber Witterungs- und chemischen Einflüssen resistent und werden gezielt für entsprechende Anforderungen ausgewählt. Die Kombination mit metallischen Werkstoffen ist aufgrund elektrochemischer Korrosion herausfordernd, denn aufgrund des hohen Kohlenstoffanteils besteht die Gefahr, dass kontaktierende Metalle angegriffen werden. Dadurch wird das Bauteil optisch beeinträchtigt und korrodierte Kontaktstellen führen zu einer Sicherheitsbeeinträchtigung durch die verbauten Teile. Daher macht die im automobilen Leichtbau gängige Multimaterial-Mischbauweise das Versiegeln von bearbeiteten Kanten mit korrosionshemmenden Dichtmitteln, wie zum Beispiel Schutzlackierungen zum Vermeiden der Kontaktkorrosion, notwendig. Gleichzeitig wird ein Eindringen von Fremdstoffen an den Fräskanten verhindert.
Gemeinsam entwickelt
Im Rahmenprogramm „Produktionsanlagen für Wachstumsmärkte – intelligent einfach und effizient“ des BMBF entwickelten die Firmen AUDI, Ingolstadt, Homag, Schopfloch, Krautzberger, Eltville, Carl Zeiss Automated Inspection, Öhringen, und IST Metz, Nürtigen, gemeinsam mit dem Fraunhofer IPA, Stuttgart, ein modulares Anlagenkonzept zur integrierten und industriellen Komplettbearbeitung von CFK-Bauteilen. Das Projekt „Intelligente Komplettbearbeitung und Versiegelung von CFK-Bauteilen für die Großserie (CFKComplete)“ wurde vom 01.01.2016 bis 31.12.2018 vom Bundesministerium für Forschung und Bildung unter dem Kennzeichen 02P14A086 gefördert und vom Projektträger Karlsruhe (PTKA-PFT) betreut.
Durch die Integration der vier Prozessmodule Bearbeiten, Reinigen, Messen und Versiegeln in eine einzige Maschine wird eine hauptzeitparallele Komplettbearbeitung realisiert. Hinsichtlich dieser innovativen Funktionsintegration und wird eine höhere Prozesssicherheit erzielt. Weiterhin soll der automatisierte Prozess um bis zu 50 Prozent wirtschaftlicher sein. Die CFK-Bearbeitung erfordert einerseits Maschinen in der Präzisionsklasse von Werkzeugmaschinen für die Metallbearbeitung. Andererseits bedingen die meist großen Bauteile Bearbeitungsmaschinen aus der Holz- oder Kunststoffbearbeitung. Keine dieser Maschinengattungen ist jedoch auf die Besonderheiten dieser Materialklasse ausgelegt. Ausgehend vom Stand der Technik wurden die Anforderungen an den Prozess mit Hinblick auf vielerlei Qualitätsaspekte festgelegt. Ein Bearbeitungszentrum von Homag wurde so umgebaut und ausgestattet, dass sie alle Kriterien für die Integration der erforderlichen Bearbeitungsschritte erfüllt.
Standard nicht übertragbar
Die hohen Anforderungen an die Bearbeitungsgenauigkeit und Kantenqualität machten den Fräsprozess anspruchsvoll. Die Bearbeitungsqualität ist signifikant davon abhängig, wie zuverlässig das Bauteil fixiert werden kann. Aus diesem Grund wurde der Aufspannsituation in diesem Projekt besonderes Augenmerk gewidmet und unterschiedliche Spannkonzepte entwickelt und bewertet. Das Auswählen und Auslegen der Bearbeitungswerkzeuge wurde von zahlreichen Prozessparametern bestimmt. Sie mussten so optimiert werden, dass die geeignetste Konfiguration für das Bearbeiten des vorliegenden Materials gefunden wurde. Nach dem spanenden Bearbeiten sind in Hinblick auf die nachfolgenden Prozessschritte – insbesondere das Versiegeln – Faserüberstände abrasiv zu beseitigen. Hierzu wurden spezielle Bürsten entwickelt und erprobt. Die Bürsttechnologie wurde in ein Aggregat integriert und mit geeigneter Lufttechnik zur Oberflächenreinigung kombiniert. Denn die bei der Zerspanung entstehenden feinen CFK-Stäube sind für den Menschen gesundheitsschädlich und wirken auf die Maschine verschleißfördernd. Deshalb wurde der Arbeitsbereich vollständig gekapselt, sodass es möglich ist, die entstehenden CFK-Stäube gezielt einer Absauganlage zuzuführen.
Prozess optisch überwachen
In der nachfolgenden Qualitätskontrolle werden die gefrästen Bauteilkanten automatisiert auf Delamination und Faserüberstände beurteilt. Das Messmodul arbeitet inline und durch den Einsatz optischer Verfahren berührungslos. Zum Erfassen der Kantenqualität wird ein von Zeiss AI entwickelter Sensorkopf eingesetzt, der auf dem Prinzip der Streifenprojektion basiert und in der Lage ist, schnell flächige 3D-Daten aufzunehmen. Das Messmodul liefert relevante Informationen über eventuell notwendige Nachbearbeitungen. Dadurch wird die produzierte Qualität abgesichert und dokumentiert. Durch das ständige Überwachen des Bearbeitungsprozesses werden Probleme wie beispielsweise ein frühzeitiges Abnutzen des Fräsers und die daraus resultierende, schlechtere Kantenqualität bereits in der Entstehungsphase erkannt und rechtzeitig Abstellmaßnahmen eingeleitet.
Die Abteilung Beschichtungssystem- und Lackiertechnik des Fraunhofer IPA entwickelte und erprobte zusammen mit IST Metz und Krautzberger geeignete Lacksysteme, Applikationsverfahren und UV LED Techniken für das Versiegeln. Die Bearbeitungskante wird in der Maschine versiegelt. Deshalb war es einerseits notwendig, dass keinerlei Lacknebel die Maschine verschmutzt, und andererseits das Lackhärten schnell und ohne Temperatureintrag vonstattengeht. Die Technologieauswahl fiel auf innovativen oversprayfreien Lackauftrag und auf UV-Härtung mittels LED.
Umfangreiches Anforderungsprofil
Geeignete Lacke mussten in Hinsicht auf die erzielbare Kantenabdeckung und Schichtdicke, auf ihr Standvermögen auf der Kante, auf ihre Vernetzbarkeit mittels geeigneter UV-LED-Technik sowie auf ihre Lackhaftung und KTL-Tauglichkeit getestet und bewertet werden. Der Lack soll weiterhin minimale Faserüberstände sicher abdecken können. Zum Einsatz kommen lösemittelfreie UV-Lacksysteme, die auch die Anforderungen hinsichtlich Explosionsschutz erfüllen, die Ökobilanz optimal gestalten und keine Abdunstzeiten besitzen.
Der Lackauftrag erfolgt mit einem piezo-gesteuerten Mikrodosiersystem, bei dem die Applikation mittels kontaktloser Dosierung freifliegender Materialtropfen erfolgt. Diese werden auf der Bauteilkante oversprayfrei abgeschieden und zu einer zusammenhängenden Linie mit einer Breite von 1 bis 1,5 mm verbunden. Für das Abdecken breiterer Kanten sind mehrere Linien nötig. Dieses System wurde am Fraunhofer IPA bereits in anderen Projekten eingesetzt, um Mehrfarbenbeschichtungen ohne Maskieraufwände zu ermöglichen. Die Piezosteuerung erlaubt es, über eine angepasste Öffnungs- und Schließbewegung die unterschiedlichen Materialeigenschaften auszugleichen. Die Forschungseinrichtung verfügt über numerische Simulationsmöglichkeiten und eine umfangreiche Kenntnis der Wechselwirkungen zwischen Materialeigenschaften (Oberflächenspannung, Rheologie) und dem Prozess.
In den Versuchen am IPA wurden die Parameter den jeweiligen Lacken angepasst und mittels einer Hochgeschwindigkeitskamera die Tropfenablösung kontrolliert. Parallel dazu entwickelte die Firma IST ein Aggregat zur UV-LED-Härtung der Lacke. Alle Ergebnisse der Laborversuche konnten schließlich auf die Demonstratormaschine übertragen werden.
Exaktes Führen notwendig
Für die Kantenversiegelung in der Maschine zeigte sich schnell, dass ein freies Führen des Versiegelungsaggregats aufgrund der hohen Anforderung an die Bauteillage nicht zielführend ist. Schon geringe Abweichungen beim Aufspannen und Verzug führen dazu, dass ein reproduzierbares Versiegeln nicht gelingt.
Zum Ausgleich von Lage- und Formtoleranzen wurde der konstruktive Aufbau des Versiegelungsaggregats dahingehend geändert, dass dieses mit einer Führungsrolle entlang der Kante zwangsgeführt wird. Die grundlegende Bahnführung basiert auf der offline programmierten Bahn, das exakte Führen entlang der Kante wird durch eine berührend und federnd mitlaufende Führungsrolle sichergestellt. Das Aushärten des Lackes erfolgt im anschließenden Prozessschritt über einen „Lichtfinger“. Der von IST Metz entwickelte LED Spot verfügt über eine an die Wellenlänge des Lackes angepasste LED und wird von der Maschine an der Kante entlanggeführt.
Funktionalitäten erzeugt
Es ist möglich, die Kantenversiegelung in der Bearbeitungsmaschine durchzuführen. Der Ansatz ist hochflexibel, denn die Lackmenge wird abhängig zur Bahngeschwindigkeit ausgebracht und ein an die jeweilige Aufgabenstellung angepasstes Lacksystem eingesetzt. Insgesamt konnte mit Abschluss des Projekts das Potenzial des Gesamtprozesses aufgezeigt werden. Mit den entwickelten modularen und einwechselbaren Aggregaten sind automatisierte Prozesse möglich. Die Fräsmaschine wird auf intelligente Weise als Führungsmaschine genutzt. Die Aggregate spiegeln die geforderten Funktionalitäten wieder. Die gewonnenen Erkenntnisse lassen sich zudem auf weitere Anwendungen wie die Versiegelung von Aluminiumkanten im Automobil und Branchen wie Luftfahrt, Sportgeräte oder effiziente Möbelherstellung übertragen.