Vier Glasschälchen mit vier verschiedenen Ausgangsstoffen. Aus den Holzreststoffen lässt sich Bernsteinsäure gewinnen, als Ausgangsstoff für weitere Produkte.

Aus den Holzreststoffen lässt sich Bernsteinsäure gewinnen, als Ausgangsstoff für weitere Produkte. (Bild: Lisa Lanzinger)

Im Jahr 2017 produzierte die EU 60 Mio. t Holzabfälle, was in etwa der gesamten Kunststoffproduktion in der EU in 2021 entspricht [1]. Um das enorme Potenzial von Holzreststoffen zu nutzen, müssen Prozesse mit hohen Umwandlungsgraden erforscht und entwickelt werden. Die Technische Hochschule Rosenheim arbeitet daher gemeinsam mit den Projektpartnern Fricke und Mallah sowie Master Builders Solutions Deutschland an einem innovativen Verfahren zur Herstellung von Bernsteinsäure aus Holzreststoffen. Ein modifizierter Doppelschneckenextruder soll mithilfe von Mikrowellenstrahlung kontinuierlich Bernsteinsäure mit hoher Ausbeute produzieren. Diese Plattformchemikalie bildet gemeinsam mit 1,4- Butandiol die Monomere des Biopolymers Polybutylensuccinat (PBS).

Biobasierte Alternativen zu fossilen Rohstoffen schaffen

Ein Stück Holz zwischen zwei Schnecken eines Extruders
Die TH Rosenheim und Partner versuchen mit einem neuen Forschungsansatz die Möglichkeiten ungenutzter lignocellulosischer Biomasse besser verwertbar zu machen. (Bild: Lisa Lanzinger)

Von allen weltweit abgebauten fossilen Rohstoffen werden circa 4 % als Rohstoffe für die Kunststoffproduktion verwendet. Es wird geschätzt, dass die jährliche Kunststoffproduktion und -verarbeitung bis 2050 mehr als 20 % des Erdöls verbrauchen könnte, was dann wiederum zu etwa 15 % der jährlichen Kohlenstoffemissionen führt [2]. Die Substitution von erdölbasierten Kunststoffen durch biobasierte Alternativen hat das Potenzial, die CO2-Emissionen der europäischen Kunststoffproduktion deutlich zu reduzieren und eine neue Wertschöpfungskette in Europa zu etablieren. Der globale Markt für bioabbaubare Kunststoffe war im Jahr 2021 etwa 4,1 Mrd. US-Dollar und soll bis 2030 auf 10 Mrd. US-Dollar mit einer jährlichen Wachstumsrate von etwa 10 % steigen [3]. Das Biopolymer PBS bietet durch seine mechanischen Eigenschaften eine große Chance zur Substitution von Polyolefinen. Seine mechanischen Eigenschaften sind vergleichbar zu Low-Density-Polyethylen (LDPE) und Polypropylen (PP) und ermöglichen so den Einsatz in vielen unterschiedlichen Branchen.

Zu den drei wichtigsten Anwendungsgebieten zählen Verpackungen (Beutel, Behälter, Lebensmittelverpackungen), Textilien (Fasern für Bekleidung, Schuhe) und Landwirtschaft (Mulch-Folien) [4]. Es ist biologisch abbau- und kompostierbar. Im Gegensatz zu konventionellen Kunststoffen, welche mehrere Jahre brauchen, um zu zersetzen, kann PBS innerhalb von Monaten oder sogar Wochen abgebaut werden. Forscher konnten zeigen, dass PBS in etwa 100 Tagen bis zu 80 % abbaut, wenn es dem Meerumfeld ausgesetzt wird [5]. Dies bedeutet, dass es keine langfristigen Umweltauswirkungen hat und nicht zur Verschmutzung von Ozeanen und Landschaften beiträgt. Insgesamt bietet PBS mehrere Vorteile gegenüber konventionellen Kunststoffen und kann in einer Vielzahl von Anwendungen eingesetzt werden.

Biobasierte Bernsteinsäure wird derzeit hauptsächlich durch Biotechnologieprozesse mithilfe von Mikroorganismen hergestellt [6, 7]. Sowohl wilde Bakterienstämme als auch gentechnisch veränderte Stämme können nachhaltiges Rohmaterial wie Zuckerrüben oder Maisstärke zu Bernsteinsäure verarbeiten [8, 9]. Allerdings beeinträchtigen hohe Rohstoffpreise, geringe Ausbeute sowie die Co-Produktion von Nebenprodukten mit geringem Wert die Wettbewerbsfähigkeit dieser Produktionsmethode. Biologisch gewonnene Bernsteinsäure ist im Vergleich zu petrochemisch gewonnener Bernsteinsäure noch immer nicht konkurrenzfähig. Deshalb muss an neuen Verfahren für die Herstellung von biobasierter Bernsteinsäure geforscht werden, welche mit den aktuellen Marktpreisen von petrochemischer Bernsteinsäure mithalten können. Ein vielversprechender Ansatz kann die Herstellung von biobasierter Bernsteinsäure aus lignocellulosischer Biomasse wie Holzreststoffe sein. In dem vom BMBF geförderten Forschungsprojekt Woporex der TH Rosenheim sollen mithilfe von Wasser, Mikrowellenstrahlung und Säurekatalysatoren die chemischen Strukturen des Holzes (Cellulose, Hemicellulose und Lignin) in die Plattformchemikalie Bernsteinsäure abgebaut werden.

Für den Versuchsaufbau wird ein Doppelschneckenextruder als kontinuierlicher Reaktor umgerüstet und Mikrowellengeneratoren integriert. Durch die Strahlungsenergie werden Holzstrukturen noch effektiver aufgespalten und die Ausbeute von Bernsteinsäure weiter erhöht. Die verwendete Mikrowellenstrahlung erhitzt das im System enthaltene Wasser und erzeugt Dampfdruck, welcher für die chemische Reaktion benötigt wird. Dieser Dampfdruck wird innerhalb des Doppelschneckenextruders konstant gehalten, während Holzreststoffe kontinuierlich in den Druckprozess eingebracht werden. Das Forschungsprojekt Polarex des Freistaates Bayern fördert dazu die Weiterentwicklung eines patentierten Gerätes der TH Rosenheim, welches Materialien kontinuierlich in einen Druckprozess fördern kann. Durch die beiden Forschungsprojekte soll es erstmals möglich sein, Bernsteinsäure aus Holzreststoffen in einem Doppelschneckenextruder kontinuierlich und mit hoher Ausbeute zu produzieren.

Vier Personen nebeneinander
(v.l.): Adrian Krey, Wissenschaftlicher Mitarbeiter neben Prof. Dr. rer. nat. Dirk Muscat, Vitus Zenz, Doktorand im Zentrum Forschung, Entwicklung und Transfer und Prof. Dr.-Ing. Nicole Strübbe. (Bild: Lisa Lanzinger)
Zitat

Bernsteinsäure ist nicht nur ein wichtiger Baustein für die Herstellung von Biopolymeren, sondern auch ein bedeutendes Zwischenprodukt in der Pharmaindustrie. Der hier neu entwickelte Weg ist biobasiert und somit nachhaltig, jedoch wesentlich kostengünstiger als die Fermentation aus Kohlehydraten.

Prof. Dr. rer. nat. Dirk Muscat, TH Rosenheim

Wo lagen die technischen Herausforderungen?

Das entwickelte Verfahren verwendet einen modifizierten ZSK 25 Doppelschneckenextruder als Basis für den Versuchsaufbau. Um den Prozessdruck aus statischen Mikrowellenreaktoren in den Doppelschneckenextruder zu integrieren, musste eine Vorrichtung entwickelt werden, welche kontinuierlich Holzreststoffe unter Prozessdruck in die Maschine fördert. Dazu wurde eine neuartige Druckschleuse entwickelt, welche Gasdrücke bis 15 bar standhalten und dabei fortlaufend Material in den Prozess einbringen kann (Patent Nr. EP4130532). Die Mikrowellenstrahlung erforderte zusätzliche Modifikationen am Doppelschneckenextruder. Unter anderem wurde die Gesamtlänge des Extruders von 42D auf 80D (D=Schneckendurchmesser) erhöht, um eine lange chemische Reaktionszone und damit Verweilzeit zu erhalten.

Zusätzlich wurde die Anzahl der Entgasungsöffnungen für die Integration von Mikrowellengeneratoren angepasst. Dies soll eine stetige Abbaureaktion von Holzreststoffen innerhalb der Reaktionszone ermöglichen. Die Cellulose- und Hemicellulose-Moleküle werden dabei überwiegend in Wasser gelöst, was zusätzlich Oxidation verhindert. In dieser Reaktionszone sollen die Holzbestandteile innerhalb weniger Minuten mithilfe von Wasser, Säurekatalysatoren und Mikrowellenstrahlung in Bernsteinsäure abgebaut werden, wie im Bild oben ersichtlich. Durch die Verlängerung des Doppelschneckenextruders und der Verwendung von Mikrowellenstrahlung soll es möglich sein, die Reaktionszeiten von Batch-Reaktoren der Verweilzeit im Extruder anzupassen.

Schaubild: Abbaureaktion in einem Doppelschneckenextruder.
Abbaureaktion in einem Doppelschneckenextruder. (Bild: TH Rosenheim)

Verfahren mit Potenzial?

Eine Hand hält ein Glasgefäß. Eine Zweite Hand schüttet von einem Glasgefäß Holzreste in das untere Gefäß.
(Bild: Lisa Lanzinger)

Durch die Fokussierung des Verfahrens auf holzartige Biomasse ist eine Übertragung des Prozesses auf andere europäische Länder beziehungsweise deren lokale Biomasse gut realisierbar. Die hohe Verfügbarkeit des Rohstoffs Holz in Europa ist ein immenser Vorteil gegenüber anderen Prozessen, welche Nutzpflanzen wie Zuckerrohr oder Maispflanzen verarbeiten. So können für die Produktion lokale Holzrohstoffe verarbeitet werden, teure Verschiffungs- und Transportkosten entfallen. Eine europäische, großtechnische Produktion von Biopolymeren in Bioraffinerien als neue Wertschöpfungskette könnte damit ermöglicht werden.

Dank

Das Projekt Woporex mit dem Förderkennzeichen 031B1334B wird im Rahmen des Forschungsprogrammes KMU-Innovativ: Bioökonomie vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Das Projekt Polarex mit dem Förderkennzeichen VAL-2209-0006 wird durch das bayerische Programm zur Förderung der Validierung von Forschungsergebnissen und Erfindungen des Freistaates Bayern unterstützt. Allen Institutionen und den beteiligten Firmen Fricke und Mallah sowie Master Builders Solutions Deutschland gilt unser Dank.

Drei Männer und eine Frau stehen vor einem silbernen Kasten. Forschung an der TH Rosenheim: (v. l.) Vitus Zenz, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Prof. Dr.-Ing. Nicole Strübbe, Prof. Dr. rer. nat. Dirk Muscat und Adrian Krey, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, nehmen den Versuchsaufbau unter die Lupe.
Forschung an der TH Rosenheim: (v. l.) Vitus Zenz, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Prof. Dr.-Ing. Nicole Strübbe, Prof. Dr. rer. nat. Dirk Muscat und Adrian Krey, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, nehmen den Versuchsaufbau unter die Lupe. (Bild: Lisa Lanzinger)

Literatur

[1]   Cordis, “Absorbing the Potential of Wood Waste in EU Regions and Industrial Bio-based Ecosystems | BioReg Project | Fact Sheet | H2020 | CORDIS | European Commission,” https://cordis.europa.eu/project/id/727958.

[2]   Zheng, J. and Suh, S., “Strategies to reduce the global carbon footprint of plastics,” Nat. Clim. Chang. 9(5):374–378, 2019, doi:10.1038/s41558-019-0459-z.

[3]   Gand View Research, “Biodegradable Plastic Market Size & Trends Report, 2030,” January 23, 2023.

[4]   Barletta, M., Aversa, C., Ayyoob, M., Gisario, A. et al., “Poly(butylene succinate) (PBS): Materials, processing, and industrial applications,” Progress in Polymer Science 132:101579, 2022, doi:10.1016/j.progpolymsci.2022.101579.

[5]   Liu, B., Guan, T., Wu, G., Fu, Y. et al., “Biodegradation Behavior of Degradable Mulch with Poly (Butylene Adipate-co-Terephthalate) (PBAT) and Poly (Butylene Succinate) (PBS) in Simulation Marine Environment,” Polymers 14(8):1515, 2022, doi:10.3390/polym14081515.

[6]   Alcantara, J., Mondala, A., Hughey, L., and Shields, S., “Direct Succinic Acid Production from Minimally Pretreated Biomass Using Sequential Solid-State and Slurry Fermentation with Mixed Fungal Cultures,” Fermentation 3(3):30, 2017, doi:10.3390/fermentation3030030.

[7]   Lu, J., Li, J., Gao, H., Zhou, D. et al., “Recent progress on bio-succinic acid production from lignocellulosic biomass,” World J Microbiol Biotechnol 37(1):16, 2021, doi:10.1007/s11274-020-02979-z.

[8]   Zheng, P., Fang, L., Xu, Y., Dong, J.-J. et al., “Succinic acid production from corn stover by simultaneous saccharification and fermentation using Actinobacillus succinogenes,” Bioresource Technology 101(20):7889–7894, 2010, doi:10.1016/j.biortech.2010.05.016.

INTERVIEW – Nachgefragt bei der TH Rosenheim

Mann mit kurzen grauen Haaren: Prof. Dr. rer. nat. Dirk Muscat, Fakultät für Ingenieurwissenschaften
Prof. Dr. rer. nat. Dirk Muscat, Fakultät für Ingenieurwissenschaften (Bild: Lisa Lanzinger)

Auf diese Art und Weise wird das erste Mal Bernsteinsäure gewonnen. Wo hatte die Idee ihren Ursprung?

Muscat: Ursprünglich kommt die Idee, Holz in einem Doppelschneckenextruder in Chemikalien umzuwandeln, in Zusammenarbeit mit einem Forschungsinstitut in Neuseeland. Unser Doktorand Herr Zenz war damals in seinem Praxissemester dort und wir haben das Thema anschließend gemeinsam weiterentwickelt und auf die Bernsteinsäure übertragen.

 

Frau mit längerem, gelocktem, mittelblondem Haar: Prof. Dr.-Ing. Nicole Strübbe, Fakultät für Ingenieurwissenschaften
Prof. Dr.-Ing. Nicole Strübbe, Fakultät für Ingenieurwissenschaften (Bild: Lisa Lanzinger)

Welche Quellen stehen für die Holzreststoffe zur Verfügung und hat sich im Zuge des Forschungsprojekts eine Sorte als besonders geeignet herauskristallisiert?

Strübbe: Grundsätzlich stehen als Rohstoffquelle alle Holzreststoffe in der EU zur Verfügung, welche derzeit durch thermisches Recycling oder Pellets/Hackschnitzel Verwendung finden. Da wir in unserem Prozess jedoch Hölzer mit hohen Feuchtigkeitsgehältern verwenden können, ist auch ungetrocknetes Frischholz für uns interessant, welches meist etwas günstiger als getrocknetes Restholz wie beispielsweise Sägespäne ist. Die unterschiedlichen Baumsorten gilt es im Laufe des Forschungsprojektes genauer zu untersuchen. Es sollen jedoch nur europäische Holzarten betrachtet werden, da aus ökologischer und ökonomischer Sicht der Rohstoff zum Beispiel nicht aus Asien importiert werden sollte.

Mann mit kurzen braunen Haar und Brille: Vitus Zenz, Doktorand im Zentrum Forschung, Entwicklung und Transfer
Vitus Zenz, Doktorand im Zentrum Forschung, Entwicklung und Transfer (Bild: Lisa Lanzinger)

In welchem Verhältnis werden Wasser und Sägespäne dem Extruder zur Lignin-Gewinnung zugeführt?

Zenz: Im Verhältnis der Zuführung in den Doppelschneckenextruder hat das Wasser einen höheren Anteil, da für die Reaktion eine große Menge benötigt wird, um das Holz in die flüssige Phase zu überführen. In unseren Vorversuchen hat sich gezeigt, dass höhere Anteile an Sägespänen zu Rückständen führen, welche nicht in Chemikalien umgewandelt werden können.

Welche Mengen an Holzreststoffen sind notwendig, um 1 kg Bernsteinsäure zu erhalten?

Strübbe: Wenn es uns gelingt, die Ergebnisse unserer Vorversuche auf die neue Versuchsanlage zu übertragen, sollten für die Produktion von 1 kg Bernsteinsäure ungefähr 2-3 kg Holzreststoffe notwendig sein.

Bernsteinsäure ist bei Raumtemperatur fest. In welchem Aggregatzustand verlässt diese den Extruder?

Muscat: Die Bernsteinsäure, welche wir mit unserem Prozess produzieren möchten, liegt direkt nach der Umwandlung in flüssiger Phase vor und ist gelöst in Wasser. Durch ein spezielles Trennverfahren am Ende des Prozesses soll die flüssige Bernsteinsäure aus dem Wasser gefiltert und in seine kristalline Pulverform überführt werden.

Der Prozess scheint energieintensiv: Warum ist es dennoch sinnvoll, biologisch basierte Bernsteinsäure zu gewinnen?

Strübbe: Durch ein spezielles verfahrenstechnisches Anlagendesign mit Wärmerückgewinnung durch Wärmetauscher hoffen wir, einen Gesamtwirkungsgrad der Anlage von über 80 % zu erreichen. Dieses Anlagendesign werden wir bereits in der Laboranlage umsetzen, um die Machbarkeit dieser Methode zu beweisen. Dadurch kann im Scale-up viel Prozessenergie eingespart werden, was die Wirtschaftlichkeit des Prozesses weiter erhöht.

Quelle: Technische Hochschule Rosenheim

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