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Surgical guide gefertigt aus dem Polyetherimid Ultem. (Bild: Kumovis)

Der Siegeszug der additiven Fertigung macht heute vor kaum einer Branche Halt. Dabei ist sie stets als eine ergänzende Technologie zu sehen, denn nicht jedes Produkt passt mit Blick auf seine Anforderungen zur additiven Fertigung. Und auch die Wirtschaftlichkeit muss stets hinterfragt werden. Um die richtigen Applikationen zu identifizieren und gegebenenfalls Design-Anpassungen umsetzen zu können, wird diverses Know-how benötigt. Damit einher geht sowohl das Einführen neuer als auch das erweiterte Nutzen einiger etablierter Werkstoffe – gerade in hochregulierten Industrien wie der Medizintechnik.

Grundsätzlich ist hier zunächst zu beachten, dass die verwendeten Werkstoffe nach ISO 10993 geprüft sein müssen. Damit wird unter anderem festgelegt, welche Art und Dauer von Kontakt diese mit Patienten haben dürfen. Ein weiteres Merkmal, das bei den meisten Anwendungen entscheidend ist, sind die mechanischen Eigenschaften. Diese sind jedoch in der Regel abhängig von der Qualität der verwendeten 3D-Drucker sowie dem Prozess-Know-how der Bediener. Bevor sich ein Medizinprodukt aus dem 3D-Drucker realisieren lässt, beziehungsweise die Marktreife erlangt, sind vor allem Schritte wie Prozessplanung und Machbarkeitsstudien zu beachten. Wie verhält sich das Design zu den Kennwerten der angestrebten Applikation? Lässt es sich mit dem Produktionsprozess vereinbaren? Und welches ist das Material der Wahl, wenn es um Faktoren wie Ökonomie und Ökologie geht? Fragen, die es im Vorfeld zu klären gilt.

PEEK für Dauerimplantate

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Im 3D-Druck gefertigte Kranioplastik aus PEEK. (Bildquelle: Kumovis)

Ein teilkristallines Material, das für die Medizin bereits qualifiziert ist und damit häufig zum Einsatz kommt, ist Polyetheretherketon, kurz PEEK. Der Werkstoff wird sowohl den Biokompatibilitäts- als auch mechanischen Anforderungen der Medizintechnik gerecht. PEEK findet damit zum Beispiel Anwendung in der Neuro- und Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie.

Seit einiger Zeit wird der Werkstoff in Filamentform für die additive Fertigung von Implantaten von den Herstellern Evonik, Marl, und Solvay, Rheinberg, angeboten. Entsprechend verarbeitet weist dieses auch in Form 3D-gedruckter Medizinprodukte eine hohe Beständigkeit auf, etwa gegenüber Reinigungsfluiden oder Sterilisationsverfahren. Im Vergleich zu metallischen Werkstoffen ist es darüber hinaus deutlich leichter und weist mechanische Kennwerte auf, die denen menschlicher Knochen ähneln. Auch in verschiedenen Farben ist der Werkstoff mittlerweile in Filamentform erhältlich, was ihn beispielsweise interessant macht für die Größenkennzeichnung von Medizinprodukten.

Chemikalienresistenz als Auswahlkriterium

Ähnlich verhält es sich mit Polyphenylsulfon (PPSU). Wie PEEK ist der Werkstoff biokompatibel, hitzebeständig und widerstandsfähig gegenüber Desinfektionsmittel und Sterilisationsverfahren. Seine guten mechanischen Eigenschaften spielen beim Verarbeiten zu Medizinprodukten eine ebenso große Rolle wie die Tatsache, dass PPSU die branchenweit hohen Anforderungen in Sachen Festigkeit und Zähigkeit erfüllt. Anwendungen sind vor allem medizinische Geräte, die wiederaufbereitet werden müssen. Dazu zählen zum Beispiel Instrumente, wie sie in der Traumachirurgie zum Einsatz kommen.

Aber auch dem jeweiligen Anwendungsfall angepasste Halbzeuge werden aus PPSU gefertigt: Das jüngste Beispiel ist eine Folie des Chemikalienherstellers Solvay, die zum Fertigen tausender Gesichtsschutzschilde verwendet wird, um Klinikpersonal vor Infektionen mit dem Coronavirus zu schützen. Nicht zuletzt durch seine hohe Resistenz gegen Desinfektionsmittel hat sich der Werkstoff dafür bewährt. Wie PEEK kann auch PPSU eingefärbt werden. Darüber hinaus lässt es sich mit Füllstoffen modifizieren, um beispielsweise durch die Zugabe von Röntgenkontrastmittel gezielt sichtbar für bildgebende Verfahren zu werden.

Kunststoff für die Strahlentherapie

Polyetherimide (PEI) wie der bräunlich transparente Kunststoff Ultem von Sabic, Riyadh, Saudi-Arabien, zeichnen sich durch ihre hohe Resistenz gegen energiereiche Strahlung besonders für den Einsatz in der damit verbundenen Therapie aus. Diese Werkstoffe sind wärmeformbeständig, haben eine hohe Festigkeit und kommen bei individualisierten wie standardisierten Produkten, etwa als medizinische Instrumente, zum Einsatz.

Wohl auch aufgrund seiner hervorragenden flammhemmenden und mechanischen Eigenschaften wird PEI auch in der Luft- und Raumfahrt sowie der Automobil- und Rüstungsindustrie genutzt. Für den Langzeitkontakt mit dem menschlichen Körper ist der Werkstoff allerdings nicht geeignet.

Biologisch abbaubare Polymere

Wie ihr Name vermuten lässt, ist ein Vorteil biologisch abbaubarer Polymere, dass sie, zum Beispiel in Form medizinischer Produkte, nicht von Dauer sind und so den regenerativen körpereigenen Materialien des Menschen nach und nach weichen können. Zu den aktuellen Anwendungen gehören Implantate in der Gefäßchirurgie und Orthopädie. Auch bei der Entwicklung biologischer Ersatzstoffe für Gewebekonstruktionen kommt diese Art von Polymeren zum Einsatz.

Durch verschiedene Modifikationen kann auch die Abbaugeschwindigkeit beeinflusst werden, sodass für die jeweilige Applikation stets ein geeigneter Werkstoff verfügbar ist. Darüber hinaus können diese Materialien zur kontrollierten Abgabe von Medikamenten im Körper oder als resorbierbares Nahtmaterial verwendet werden.

Temperaturmanagement als kritischer Faktor

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Das Themperaturmanagement im Druckraum ist wichtig beim Verarbeiten von Hochleistungspolymeren. (Bildquelle: Kumovis)

Alle bisher genannten Polymere haben eines gemein: Zur Verarbeitung im 3D-Druck benötigen sie ein außergewöhnlich genaues Temperaturmanagement während des Verarbeitens. Nur so lassen sich damit Produkte erzeugen, die qualitativ für den Einsatz im oder am Patienten geeignet sind. Gerade die Hochleistungskunststoffe benötigen hohe und homogen verteilte Umgebungstemperaturen, teilweise von mehr als 200 °C. Um dies zu gewährleisten, wird eine präzise Kontrolle und Regelung der Temperaturen im 3D-Drucker benötigt. Daraus ergibt sich ein guter Verbund der einzelnen abgelegten Stränge und Schichten, sodass die Kunststoffe die mechanischen Kennwerte erreichen, wie sie aus dem Spritzgießen oder bei der spanenden Verarbeitung bekannt sind. Bei bioresorbierbaren Werkstoffen verhält es sich allerdings anders: Hier ist das Ziel, dem System Wärme zu entziehen, um eine verfrühte Degradation während der Verarbeitung zu verhindern.

Neben den hohen Anforderungen an die Temperaturführung spielt auch die Partikelbelastung im 3D-Drucker sowie in dessen Umgebung eine Rolle. Gerade für die Implantatherstellung wird das Aufstellen des Druckers in einem Reinraum empfohlen. Die Integration von Reinraumtechnologie direkt in den Drucker bringt zusätzlich die Sicherheit, keine Partikel, die beispielsweise durch Abrieb im Drucker entstehen können, zwischen einzelne Schichten einzubringen.

Um beim 3D-Druck den Prozess stets im Auge zu behalten und diesen branchengerecht zu dokumentieren, ist zudem ein entsprechendes Monitoringsystem hilfreich, laut Kumovis, München. Dieses sollte bereits bei der Machbarkeitsstudie des jeweiligen Medizinprodukts genutzt werden, um mit den Daten den Prozess besser planen und später entsprechend optimieren zu können. Passen Design und Material zusammen, ist der große Vorteil bei der Verarbeitung, zum Beispiel mit dem Fused-Layer-Manufacturing-Verfahren, dass die Zeit von der Prototypenerstellung hin zum reproduzierbaren Endprodukt im Vergleich zu herkömmlichen Produktionsverfahren enorm reduziert werden kann.

Partner mit interdisziplinärer Expertise

Sei es ein Dauerimplantat aus PEEK oder ein Instrument aus PEI, die Wahl des Materials ist also entscheidend, wenn es um das branchengerechte wie wirtschaftliche Verarbeiten medizinischer Polymere geht. Welches das passende ist, hängt von der Art der Anwendung ab. Es muss sowohl deren Anforderungsprofil als auch den Leistungskennwerten des 3D-Druckers entsprechen.

Die Temperatur und wie diese den Materialien und Anwendungsfällen angepasst werden kann, spielt in diesem Kontext eine maßgebliche Rolle – nicht nur für das Erreichen der gewünschten mechanischen Eigenschaften, sondern auch für die Reproduzierbarkeit des Prozesses. Hierzu ist Know-how im Umgang mit der Technologie sowie fundiertes Wissen um die angeführten Werkstoffe gefragt. Bei der Wahl des 3D-Druck-Partners ist bestenfalls von der Machbarkeitsstudie über mögliche Produktdesign-Anpassungen bis zur Prozessplanung die nötige Expertise mit Fokus auf medizinische Anwendungen vorhanden. So lässt sich gewährleisten, dass nicht nur ein Prototyp, sondern auch ein Medizinprodukt mit dem 3D-Drucker validiert gefertigt werden kann.

ist Mitgründer und Geschäftsführer bei Kumovis in München.

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