Medizinproduktehersteller sind dafür verantwortlich, dass auch Komponenten, die nicht in-house produziert werden, alle relevanten ISO-Richtlinien einhalten. Zu diesem Zweck müssen sie prüfen und sicherstellen, dass die Qualitätsmanagementsysteme ihrer Zulieferer alle notwendigen Anforderungen erfüllen. Dies ist umso dringlicher, da zwei entscheidende Normen vor kurzem überarbeitet wurden: Bis zum September 2018 müssen Zulieferer die Konformität ihrer Prozesse mit der neuen EN ISO 9001 und bis zum März 2019 mit der revidierten EN ISO 13485 hergestellt haben.
Frist für Zertifizierung einhalten
Erhält ein Komponentenhersteller die Zertifizierung nicht rechtzeitig, muss der OEM zumindest kurzfristig den Zulieferer wechseln. Besteht diese Option nicht, darf er sein Produkt im ungünstigsten Fall nicht in Verkehr bringen. FMI, der Chicagoer Spezialist für komplexe Silikonteile, hat daher umgehend die notwendigen Maßnahmen ergriffen: Das Unternehmen hat bereits im Januar 2017 eine Gap-Analyse durchgeführt und plant die Überprüfung auf Einhaltung der EN ISO 13485 für April 2018. Um den steigenden Qualitätsansprüchen gerecht zu werden, hat das Unternehmen beispielsweise sein Risikomanagement für die Produktrealisierung sowie sein CAPA-Programm optimiert.
„Für OEMs ist es nicht immer einfach, sicherzustellen, dass Zulieferteile mit den ISO-Normen übereinstimmen“, erklärt Leo Gelera, Quality Manager bei FMI. „Im Optimalfall sind die Qualitätsmanagementsysteme der Zulieferer effizient genug, um Risiken zu erkennen und Mängel sowie Defekte zu verhindern.“ Wie effektiv die internen Prozesse sind, lässt sich für den Medizinproduktehersteller beispielsweise an Faktoren wie der Zertifizierung nach ISO-Standards, dem Risikomanagement für die Produktrealisierung, dem Einsatz eines Corrective and Preventive Actions (CAPA)-Programms sowie der Bedeutung von Qualität im Rahmen der Firmenkultur erkennen.
Zertifizierung nach überarbeiteten Standards essentiell
Da sowohl die Norm EN ISO 9001, die die Mindestanforderungen an QM-Systeme festlegt, als auch die Richtlinie EN ISO 13485 vor kurzem überarbeitet wurden, hat es aktuell für OEMs Priorität, dass die Zulieferer die Deadlines für die Zertifizierung nach diesen revidierten Normen einhalten. „Das wesentliche Ziel der neuen Standards ist es, das Risikomanagement bei Zulieferern der Medizinbranche zu verbessern“, so Gelera. „Dies geschieht unter anderem dadurch, dass ein stärkerer Fokus auf die Kontrollnotwendigkeit während der gesamten Zuliefer-Prozesskette gelegt wird.“
Um den Zertifizierungsprozess innerhalb der Deadline erfolgreich abzuschließen, kann der Zulieferer einen externen Berater engagieren oder auf interne Personalressourcen zurückgreifen. Wird letztere Herangehensweise gewählt, sollte die für die Zertifizierung zuständige, benannte Stelle kontaktiert werden. Sie berät über das optimale Vorgehen und stellt die Checklisten zur Verfügung, die auch für die spätere Evaluation genutzt werden. Zudem sollte der für das Projekt zuständige Qualitätsmanager eine Schulung zu den Anforderungen der neuen Standards besuchen und sich als leitender Revisor zertifizieren lassen. Ist dies geschehen, ist im nächsten Schritt eine Lückenanalyse durchzuführen. Dabei werden die Anforderungen der neuen Richtlinien mit den aktuellen Prozessen beim Zulieferer verglichen und Schritte für die Anpassung abgeleitet.
Drängende Deadline
„Die Unternehmen sollten dabei nicht trödeln. Die Kontrollgremien sehen zwischen Veröffentlichung des Standards und Ablauf der Deadline genau die Zeit vor, die für eine erfolgreiche Zertifizierung notwendig ist“, betont Gelera. FMI beispielsweise hat bereits im Januar 2017 eine Gap-Analyse durchgeführt und die Bereiche identifiziert, in denen Änderungen vorgenommen werden müssen. „Die wesentlichen Elemente der ISO 13485:2016 sind meiner Ansicht nach neben der genaueren Zuliefererkontrolle vor allem das Trainings- und das CAPA-Programm“, so der Qualitätsmanager. „In diesen Bereichen machen wir große Fortschritte. Zum Beispiel haben wir unser Trainingsprogramm neu definiert und um eine besonders solide Überprüfung ergänzt. So können wir sicherstellen, dass die Trainingsprogramme für unsere Beschäftigten effektiv sind.“ FMI hat sich mit der zertifizierenden Stelle bereits auf einen Evaluationstermin im April 2018 geeinigt. Auch wenn nicht alle Unternehmen der Zulieferindustrie so zügig arbeiten, sollte zumindest die Lückenanalyse möglichst bald durchgeführt sowie ein genauer Plan für das Upgrade ausgearbeitet worden sein.
„Für einen OEM kann es schwerwiegende Konsequenzen haben, wenn er Komponenten von einem Unternehmen bezieht, dessen Qualitätsmanagementsystem nicht nach ISO 13485:2016 zertifiziert ist“, so Gelera. „Diese Zertifizierung ist eine wesentliche Voraussetzung, um ein Medizinprodukt in der Europäischen Union auf den Markt bringen zu dürfen. Entsprechend gehört sie bei vielen OEMs zu den Standard-Anforderungen an Zulieferer.“ Wird die Deadline nicht eingehalten, muss der Medizinproduktehersteller in seiner Fertigung so lange auf den Einsatz dieser Komponenten verzichten, bis das Versäumnis nachgeholt ist. Da OEMs meist für ein bestimmtes Bauteil auch nur einen Zulieferer haben, besteht das Risiko, dass bestehende Aufträge nicht erfüllt werden können. Hat der Medizinproduktehersteller also den Eindruck, sein Zulieferer sei zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht weit genug im Zertifizierungsprozess fortgeschritten, sollte der OEM zumindest dessen Aktions- und Zeitplan für die Anpassungen einfordern, um einen genaueren Überblick zu erhalten und rechtzeitig Maßnahmen ergreifen zu können.
Nachgehakt: Interview mit Leo Gelera zum Qualitätsmanagement in der Medizintechnik-Zulieferindustrie
Die ISO-Zertifizierung ist nur ein Faktor, der OEMs Auskunft darüber gibt, wie gut das Qualitätsmanagement beim Zulieferer ist. Wie sieht es beispielsweise mit der Implementierung von Risikomanagementprozessen in der Produktrealisierung aus?
„In den relevanten ISO-Standards wird von den Zulieferern gefordert, dass im Bereich Produktrealisierung Risikomanagementprozesse implementiert sind. Wie genau diese Prozesse auszusehen haben, ist jedoch bewusst vage gehalten. Dadurch haben die Unternehmen mehr Gestaltungsspielraum und können die jeweils wirkungsvollsten Maßnahmen ergreifen. Dies ist natürlich mit einem kontinuierlichen Lernprozess verbunden, der jedoch auch etwas beschleunigt werden kann – beispielsweise durch den Vergleich mit dem Vorgehen ähnlicher Zulieferer. Typische Fragestellungen sind: Welche Risikomanagement-Werkzeuge werden genutzt? Werden während des gesamten Produktionsprozesses Risikomanagement-Praktiken eingesetzt? Wie effizient sind diese?
Die Antworten auf diese Fragen bieten auch OEMs Hinweise für ihre Beurteilung der Prozesse beim Zulieferer. FMI beispielsweise hat verschiedene Verfahren über die gesamte Produktrealisierung hinweg eingebunden, darunter unterschiedliche Failure Mode and Effects Analyses (FMEAs), teilespezifische Kontrollpläne und Arbeitsanweisungen, Fehlererkennung in jedem Prozess, Maßkontrollen sowie Prüfungen bei Erstbemusterung (FAQL/ First Article Qualification Inspections) und endgültiger Losfreigabe (Final Lot Release Inspections). Zu empfehlen ist besonders die Implementierung von Prozess-FMEAs. Ihr Vorteil ist, dass potentielle Fehlerquellen vor der eigentlichen Fertigung identifiziert und damit möglichst früh in der Prozesskette Gegenmaßnahmen ergriffen werden können. So lässt sich verhindern, dass ein mangelhaftes Produkt ausgeliefert wird.“
Welche Bedeutung messen Sie CAPA-Programmen zu?
„Ein effizientes CAPA-System zu haben, ist letztlich für jedes Unternehmen und jede Organisation essentiell. CAPA werden in der Regel ausgelöst, wenn es intern oder außerhalb des Unternehmens zu einem Fehler kommt. Ihr Zweck ist es, die Ursache, den Umfang und die Auswirkungen des Vorkommnisses zu verstehen. Mit ihrer Hilfe können im optimalen Fall auftretende Fehler korrigiert und Maßnahmen festgelegt werden, die ein erneutes Auftreten des Mangels oder Defektes in Zukunft verhindern. Im Anschluss sollte außerdem die Effektivität der Gegenmaßnahme überprüft werden. Unterbleibt eine derartige Analyse inklusive der abgeleiteten Maßnahmen, besteht die Gefahr, dass sich der Fehler laufend wiederholt.“
Welche Rolle muss Ihrer Ansicht nach die Qualität im Rahmen der Unternehmenskultur spielen?
„Das Ziel eines Zulieferers muss es letztlich sein, die Zusammenarbeit für den OEM so unkompliziert und low maintenance wie möglich zu gestalten. Am besten sollte er gar nicht auf dem Radar des Medizintechnikherstellers erscheinen, weil seine Qualitätsperformance tadellos ist. Genau hier ist die ‚Qualitätskultur‘ beim Zulieferer entscheidend. Jeder Mitarbeiter muss begreifen, welche zentrale Rolle er für die Qualität insgesamt spielt und welche weitreichenden Konsequenzen es haben kann, wenn nur ein Bauteil fehlerhaft ist. In der Branche werden viele Komponenten hergestellt, die später dazu beitragen, dass Menschenleben gerettet oder erhalten werden. Die Mitarbeiter sollten genau darüber informiert werden, welche Bedeutung dieses Bauteil hat und wie viel davon abhängt, dass es richtig funktioniert. Das hebt auch die Wertschätzung für die eigene Arbeit.“