Die Automobilindustrie war schon immer ein dankbarer Abnehmer neuer Werkstoffe, die leichter, steifer und besser zu formen sind. Mit der Elektromobilität dreht sich das Materialkarussell noch schneller, denn neben weiterer Gewichtseinsparung kommen nun erhöhte Anforderungen an die thermischen und elektrischen Eigenschaften hinzu. Ein Material wie gemacht für die Elektromobilität ist Polyphenylensulfid (PPS). Das Material ist ein alter Bekannter. Es wurde bereits 1888 erstmals synthetisiert, doch es dauerte bis in die 1970er Jahre, bis es sich großtechnisch herstellen ließ.
Heute gilt PPS als Rolls Royce unter den Kunststoffen: Es bietet Eigenschaften, die andere Kunststoffe, aber auch Metalle, nicht erreichen. So hat es einen eingebauten Flammschutz, ganz ohne Additive. Der Schmelzpunkt liegt bei sehr hohen 280°C. Dafür sorgt ein Atom an dem aromatischen Teil der Polymerkette, das das Verbrennen des Kunststoffs verhindert. Die elektrische Leitfähigkeit lässt sich über Additive variieren, der spezifische Volumenwiderstand kann zwischen 1 und 1015 Ohm betragen. Die Eigenschaften reichen damit von vollständig isolierend über „antistatisch“ für den Schutz vor elektrischen Entladungen bis „leitfähig“ für elektromagnetische Abschirmung. Sogar bei der thermischen Leitfähigkeit gibt es Spielräume − was auf den ersten Blick verblüfft, denn eigentlich ist PPS thermisch isolierend. Es lässt sich aber so modifizieren, dass es sich zum Einsatz in Wärmesenken etwa für Elektronikbausteine oder LED-Technik eignet. Auch Tribologie und Stabilität lassen sich in weiten Bereichen maßschneidern. Gleichzeitig überwindet PPS die Nachteile einfacher Polymere, wie etwa geringe Festigkeit, hohe Wärmeausdehnung und begrenzte Beständigkeit gegenüber Wasser oder Lösemitteln.
Ideale Voraussetzungen also für Elektrofahrzeuge. Dort kommt Torelina – so lautet der Markenname aller PPS-Kunststoffe von Toray – bereits in zahlreichen Komponenten zum Einsatz. Zum Beispiel in Elektromotoren, wo PPS zum Umgießen von Stator und Rotor verwendet wird, um den Wicklungspaketen Form zu geben. Auch Elektrofahrzeuge werden heiß, etwa im Bereich der Leistungselektronik. Sie brauchen deshalb Kunststoffe für Gehäuse, die sich bei Hitze nicht verziehen. Aus PPS wurden auch schon Pumpen für die Wasserkühlung von Batterien gefertigt.
Optimal isolierte Stromschienen
Eine wichtige Komponente im Stromkreislauf von E-Fahrzeugen sind die Stromschienen, die den Strom vom Konverter zum Motor leiten. Sie bestehen aus Kupfer und werden zur Isolation und Formgebung mit PPS umspritzt. Während Autos mit Verbrennungsmotor mit einem 12-V-Bordnetz ausgerüstet sind, wird es in Hybridautos 48 Volt sein, bei höheren Leistungen auch höhere Spannungen von einigen 100 Volt, gleichzeitig steigen die Stromstärken und somit auch die Temperaturen in den stromführenden Komponenten. Hinzu kommt, dass die Stromschienen immer kompakter konstruiert werden. Die Isolierung darf deshalb nicht nachlassen in Folge der Erwärmung auf Temperaturen, die bis zu 170°C betragen können.
Die entscheidende Größe zur Beurteilung der Isolierung ist der Comparative Tracking Index, kurz CTI. Bei einem standardisierten Test wird gemessen, wie ein Material bei Hitze verkohlt und dadurch die Leitfähigkeit ansteigt, wodurch Strom durch den Isolator fließt und diesen noch mehr erhitzt – bis zum Totalausfall. Üblich in heutigen Fahrzeugen ist eine CTI-Stufe von 3 oder 4 (≥ 175 Volt). Für kompakte Powermodule in künftigen Elektroautos mit hoher Leistung reicht das allerdings nicht aus, dort wird CTI-Stufe 0 gefordert, was einem CTI von ≥ 600 Volt entspricht. In Modulen, die dies erfüllen, können die Stromschienen enger zusammenrücken.
Toray ist es erstmals gelungen, PPS so zu modifizieren, dass es CTI-Stufe 0 (≥ 600 Volt) erfüllt. Dazu wird dem PPS ein funktionales Füllmittel zugegeben, das Hitze absorbiert und wegleitet, um die Degenerierung des Kunststoffs zu vermeiden. Dies geschieht mit einer Toray-eigenen Technologie namens Nanoalloy. Dabei werden zwei Polymere mechanisch vermischt, wobei der massemäßig größere Anteil die Matrix bildet, in die sich nanometerkleine Partikel des massemäßig geringeren Polymers oder eines anderen, zum Beispiel mineralischen Materials, anlagern. Die gezielte Steuerung der Partikelgröße im Nanometerbereich verhindert, dass sich die beiden Phasen beim Spritzgießen wieder entmischen. Der große Vorteil von Nanoalloy ist, dass sich damit Eigenschaften kombinieren lassen, die andere Werkstoffe nicht bieten können − zum Beispiel Elastizität und Temperaturfestigkeit. Die Entwickler des Unternehmens haben zwei Varianten des Materials mit CTI-Stufe 0 entwickelt, eines mit hoher Biegesteifigkeit und ein weiteres mit einer verbesserten Dehnfähigkeit.
Abgasrückführungsrohr aus einem Teil
Neben einer höheren Elastizität erreicht Nanoalloy in verschiedenen Polymeren (zum Beispiel PA, PPS) eine sehr hohe Schlagzähigkeit, weshalb es unter anderem auch für Crash-Elemente im Fahrzeug eingesetzt wird. Toray hat mit dieser Technologie ein Abgasrückführungsrohr entwickelt, das statt wie bisher aus zwei Teilen aus unterschiedlichen Werkstoffen nur noch aus einem Teil besteht. Das Rohr ist gleichzeitig formstabil und elastisch, um den Bewegungsausgleich des Motors abbilden zu können. In E-Fahrzeugen für die Stromschienen besteht die Matrix aus PPS, das Partnermaterial ist ein anderes Polymer.
Trotz dieser vielen Vorteile ist der Erfolg von PPS kein Selbstläufer. Die Entwicklungsabteilungen großer Unternehmen kennen die Vorzüge, doch bevor sie ein bewährtes Material durch PPS ersetzen, ist viel Überzeugungsarbeit notwendig. Aus diesem Grund hat Toray kürzlich in Neufahrn bei München sein Automotive Center Europe (AMCEU) eröffnet. Neben einem Technikum für mechanische und analytische Untersuchungen ist dort ein Schauraum untergebracht, in dem das Unternehmen die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten von Kunststoffen und anderen Materialien wie Kohlenstofffasern, Folien und Chemikalien für Automobile zeigt. Das Automotive Center Europe dient der Bündelung der unternehmenseigenen Kompetenzen und der Kollaboration mit den Kunden.