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Virtuelles Teamwork über drei Standorte: Online-Support und Skype ermöglichen es Helvoet, trotz Covid-19-Restriktionen den für die Prozessoptimierung eng gesetzten Zeitplan einzuhalten. (Bild: Helvoet)

Das Bild ruckelt ein wenig, ist anfangs nicht ganz scharf. Das Spritzgießteil muss in die Kamera gehalten werden – mehrfach gedreht und gewendet, damit sich alle Beteiligten in dem Skype-Chat die Bilder am eigenen Computer-Bildschirm anschauen können. An drei Orte in zwei Ländern Europas werden die Bilder verschlüsselt und somit datensicher übertragen: nach Schwertberg in Österreich sowie Houten und Tilburg in den Niederlanden. Schwertberg ist der Hauptsitz der Engel Austria. Dort sitzt Franz Hinterreiter, zu dieser Zeit Geschäftsführer der Engel Benelux, mit seinen Kollegen aus der Anwendungstechnik am Bildschirm und diskutiert gemeinsam über die technischen Details, die sie von ihrem Auftraggeber aus Tilburg übermittelt bekommen. Dessen Kollegen Ton Boekelder, Teamleiter Kundenschulung bei Engel Benelux, und Bas de Bruin, Vertriebsingenieur des Maschinenbauanbieters, verfolgen die Übertragung zeitgleich aus ihren Homeoffices in den Niederlanden, unweit der Engel Niederlassung in Houten. „Jeroen, kannst du an dieser Stelle noch einmal heranzoomen bitte?“

Online-Service – digitales Neuland

Jeroen Molenschot ist kein Kameramann oder gar ein Influencer, sondern Manager Development der Helvoet Rubber & Plastic Technologies, die sich auf Hochpräzisionsspritzgießteile für unter anderem die Medizintechnik und Diagnostik fokussiert. Und er betritt mit seinen Kollegen Neuland – digitalisiertes Neuland sozusagen. Deshalb verlangen die ersten Schritte im Umgang mit der Kamera ein wenig Übung. Gemeinsam mit seinen Ansprechpartnern beim Maschinenbaulieferanten führt er eine Werkzeug- und Prozessoptimierung für ein Diagnostikprodukt durch. Ein Lab-on-a-Chip-Artikel, der höchste Anforderungen an die Präzision und Konstanz des Spritzgießprozesses stellt. Helvoet ist Mitglied der Flow Alliance, einem Zusammenschluss von Experten auf dem Gebiet der Mikrofluidik.

Der Endkunde des Kunststoffverarbeiters wünscht die termingerechte Optimierung des Bauteils. Das tägliche Brot eines Kunststoffverarbeiters, der es gewohnt ist, hochkomplexe Komponenten und Baugruppen zu fertigen, bei denen es gilt, im Zusammenspiel von Werkzeug und Spritzgießmaschine an die Grenzen des technisch Machbaren zu gehen. Das Produkt wird schon seit mehreren Jahren in Tilburg entwickelt. Jetzt musste eine technische Frischzellenkur umgesetzt werden. „Der Go-Live stand bevor“, betont Jeroen Molenschot den Status Quo zum damaligen Zeitpunkt und die Bedeutung, nun den letzten und entscheidenden Schritt des Projektes umzusetzen.

„Unser Support für den Kunden endet nicht mit dem Verkauf einer Spritzgießmaschine, sondern wir verfolgen das Ziel, unseren Kunden durch technische Unterstützung und Beratung permanent zur Seite zu stehen“, betont Bas de Bruin. Das letzte persönliche Treffen hatte in großer Runde am Ende des vergangenen Jahres stattgefunden. Für einen weiteren Besuchstermin im März waren bereits frühzeitig Flüge und Hotelzimmer gebucht worden. Dann kam die Corona-Pandemie mit Kontaktsperren und Reiserestriktionen in ganz Europa.

Pandemie fordert kreative Wege und Flexibilität

Der Corona-Virus hat den vielen an diesem Prozess Beteiligten einen Strich durch die eng getakteten Termine gemacht. Der geplante Projektverlauf drohte zu kippen, und die Ergebnisfindung hätte somit auf einen unbestimmten Zeitpunkt nach hinten verschoben werden müssen.

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„Wir müssen lernen, die digitalen Wege auch zu gehen.“ – Jeroen Molenschot, Helvoet Rub-ber & Plastic Technologies (Bildquelle: Helvoet)

„Entweder das Projekt kommt zum Stillstand oder wir finden einen kreativen Weg als Alternative“, erinnert Jeroen Molenschot daran, dass in dieser Situation Flexibilität von allen Beteiligten gefragt war. Aus der Not wurde schnell eine Tugend gemacht, denn die vollelektrische Engel E-mac 75 Spritzgießmaschine, auf der die Lab-on-a-Chip-Artikel im Spritzprägeverfahren Coinmelt produziert werden, ist mit dem Internetportal E-connect.24, der Anlagen von Engel für Fernwartung und Online-Support, ausgerüstet. Das heißt, dass die Techniker sowohl von Schwertberg als auch Houten  in Echtzeit die Daten heranziehen können, um die Spritzgießprozesse maschinenseitig zu optimieren. Werkzeugdaten wurden zuvor per Mail ausgetauscht. Daten, die wichtige technische Erkenntnisse liefern und über die Machbarkeit und Qualität des Produkts entscheiden, aber letztlich alleine doch nicht ausreichend sind, um maschinenseitig das Optimum herauszuholen. Denn das Gespritzte muss in derselben Qualität und Präzision wiederholbar sein – viele tausend Schuss. Darauf sind die vollelektrischen Spritzgießmaschinen ausgelegt.

Um die Ergebnisse der einzelnen Optimierungsschritte zurück zu übermitteln, greift Jeroen Molenschot zur Kamera und sendet Livebilder aus der Reinraumfertigung von den Testversuchen. Per Skype-Konferenz wird diskutiert, welche Parameter weiter verändert werden müssen. „Entscheidend für die Teilequalität beim Spritzprägen ist, den Prägespalt, den Füllgrad und die Prägegeschwindigkeit miteinander zu korrelieren und das in Kombination mit der Kniehebelgeometrie der Maschine, die für die Kraftübertragung verantwortlich ist“, erklärt Franz Hinterreiter. Der technische Anspruch ist hoch, denn die Oberflächenstruktur des ansonsten absolut plan zu fertigenden Bauteils hat es in sich. Sehr filigrane Mikrostrukturen mussten im Werkzeug tiefer angelegt werden als im Verhältnis zum Durchmesser dieser.

Verfügbarkeit per Internet sichergestellt

Der Spritzgießmaschinenhersteller beschäftigt sich seit Jahren mit smarten Lösungen für den Spritzgießprozess. Unter dem Produktnamen Inject 4.0 bietet er eine ganze Reihe von digitalen Lösungen für die Bereiche Smart Machine, Smart Service und Smart Production an, die den Weg der digitalen Transformation der Verarbeiter zur Smart Factory mitgestalten. Ein wichtiger Bestandteil der Produktfamilie ist das Online-Support- und Fernwartungstool E‑connect.24. Damit kann sich der Servicemitarbeiter des Maschinenanbieters von extern auf die jeweilige Spritzgießmaschine aufschalten, um in allen Supportfällen ohne Zeitverlust reagieren zu können. Vor der Aufnahme der Tätigkeit, muss der Auftraggeber immer erst seine Zustimmung zu diesem Online-Zugriff geben. Die ausgelesenen Daten werden für die Übertragung sicher verschlüsselt. Weil es sich gerade beim Handling von Daten um ein sehr sensibles Thema handelt, hat sich der Online-Service durch die TÜV-Informationstechnik (TÜVIT) zertifizieren lassen.

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Reinraumproduktion bei Helvoet in den Niederlanden. Das Unternehmen hat sich auf Präzisi-onsspritzgießprodukte spezialisiert und setzt dafür auf vollelektrische Engel E-mac Spritz-gießmaschinen. (Bildquelle: Helvoet)

Mit Hilfe des digitalen Service werden die Bildschirmseiten der Maschinensteuerung über das Internet auf einen auch mehrere tausend Kilometer entfernten Rechner übertragen. Da der Datenzugriff in Echtzeit erfolgt, wird jederzeit der aktuelle Maschinenzustand abgebildet. So sehen sowohl die Maschinenbediener vor Ort im Betrieb als auch der externe Support dieselben Einstellungen und Produktionsdaten, können sich beraten und gegenseitig anleiten. Bei Bedarf lässt sich die Fertigungszelle sogar aus der Entfernung steuern.

Darüber hinaus bietet diese Technologie einen weiteren Nutzen. Auf Wunsch wird der Anwender im Servicefall per E-Mail über eine Störung oder eine Wartung informiert. Gleichzeitig wird die Information im Hause des Maschinenbauers verarbeitet und parallel notwendige Maßnahmen für den Kunden eingeleitet. Mit diesem Spektrum an Möglichkeiten sichert der Service eine sehr hohe Anlagenverfügbarkeit und das nicht nur in Zeiten von Corona.

Corona lässt umdenken

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Reinraumproduktion bei Helvoet in den Niederlanden. Das Unternehmen hat sich auf Präzisi-onsspritzgießprodukte spezialisiert und setzt dafür auf vollelektrische Engel E-mac Spritz-gießmaschinen. (Bildquelle: Helvoet)

Für Jeroen Molenschot und dessen Team stellt dieses Projekt sicherlich einen Präzedenzfall für die künftige Zusammenarbeit dar, wie er einräumt: „Ohne die Corona-Krise hätten wir diesem Verfahren sicherlich nicht zugestimmt. Da hätte ich gesteigerten Wert darauf gelegt, dass uns ein Mitarbeiter aus dem Engel Stammwerk in Österreich vor Ort in Tilburg besucht.“ Gleichzeitig fordert er mehr Flexibilität von allen Beteiligten in so einem Prozess ein: „Wir als Entwickler müssen lernen, diese neuen Technologien, die ja bereits alle vorhanden sind, auch zu nutzen. Alleine, um effektiver und somit auch kostengünstiger zu arbeiten.“

“Wir haben diese Möglichkeiten bislang noch nicht so nutzen können, wie das sicherlich möglich wäre“, spricht Franz Hinterreiter aus seiner langen Erfahrung. An dieser Stelle bedarf es auch immer der Zustimmung beider Seiten, nicht nur der des Maschinenherstellers und Serviceanbieters, sondern auch der des Anwenders und Kunden. Das Beispiel dieser zielführenden Online-Zusammenarbeit zeigt auf, welche Potenziale hier in Zukunft noch abgerufen werden können. Denn unterm Strich, und an dieser Stelle sind sich die Beteiligten alle einig, konnten nicht alleine Reisekosten in nicht unerheblichem Umfang reduziert werden. Auch der zeitliche Aspekt für die lösungsgerechte Umsetzung und die dadurch erreichbare Flexibilität in der Terminfindung für ein gemeinsames Online-Meeting sorgt bei Helvoet für ein Umdenken. „Und bei all diesen positiven Aspekten darf man den Menschen nicht außer Acht lassen“, stellt Jeroen Molenschot fest: „Auch die Belastung für jeden Mitarbeiter, ob bei Engel oder Helvoet, konnte deutlich reduziert werden.“

 

 

ist Public Relations Manager bei Engel in Schwertberg, Österreich.

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