Immer wieder ist zu beobachten, wie Probleme dadurch entstehen, dass nacheinander anstatt miteinander gearbeitet wird: Der Formteilkonstrukteur entwirft ein CAD-Design des Formteils und schließt dieses Design ab, bevor der Werkzeugbauer das Werkzeug entwirft, die Lage von Kühlkanälen optimiert, Auswerfer platziert und weitere Schritte unternimmt. Zum Zeitpunkt des Formteil-Geometriedesigns stehen viele Aspekte des Werkzeugs noch nicht fest. Wo liegen zum Beispiel die Kühlkanäle? Das ist wichtig für die Thermik, die wiederum ausschlaggebend für die Formteilqualität ist.
Nach Abschluss des Werkzeugdesigns wiederholt sich das Spiel: Das Werkzeug wird gebaut und in die Bemusterung gegeben. Nun liegt es beim Maschineneinrichter und der Messtechnik. Der Maschineneinrichter übersetzt Simulationsergebnisse in geeignete Maschineneinstellungen und führt eine Bemusterung durch. Der Messtechniker stellt Qualitätsprobleme fest. Dann herrscht große Frustration und es muss eine Lösung her. Im günstigsten Fall lassen sich diese Probleme durch Änderungen an den Maschineneinstellungen auffangen. Oft ist das aber nicht möglich und es werden teure Korrekturen im Stahl notwendig. Bei der Bemusterung wundern sich die Mitarbeiter, „was sich das Engineering wieder ausgedacht hat“. Und im Engineering ärgern sich die Kollegen, weil an der Maschine wieder Änderungen vorgenommen wurden, die nicht abgesprochen waren.
Wenn das Werkzeug optimiert wird, steht die Geometrie des Formteils schon unveränderlich fest. Und wenn die Parameter entworfen werden, ist das Werkzeugdesign bereits finalisiert. Mit jedem Schritt nimmt der Gestaltungsspielraum ab, und es werden zu keinem Zeitpunkt alle Designdimensionen gleichzeitig optimiert.
Integrierter Designprozess durch crossfunktionale Zusammenarbeit
Der Schlüssel zur Problemlösung – so die Erfahrung aus zahlreichen Kundenprojekten – liegt darin, bereits in der Designphase funktionsübergreifend zusammenzuarbeiten. Formteil, Werkzeug und Spritzgießparameter sollten iterativ und gemeinsam bestimmt werden, unterstützt durch Simulationsergebnisse. Die funktionalen Silos Formteil-Engineering, Simulation, Werkzeugdesign und Werkzeugbau, Maschineneinrichtung und Messtechnik müssen dazu aufgebrochen werden. Stattdessen sollten crossfunktionale Teams ein Projekt von Anfang bis Ende begleiten. Wer wird in späteren Projektphasen den Werkzeugbau, die Maschineneinrichtung und die Ergebnismessungen federführend betreuen? Diese Personen sollten schon in der Designphase mit am Tisch sitzen.
Typische Schritte eines besser integrierten Prozesses, der die Kraft frühzeitiger Abstimmung effizient nutzt, sind:
Schritt 1: Anforderungsdefinition
Der Formteilkonstrukteur einigt sich mit dem Anwender, dem Werkzeugbauer, dem Maschineneinrichter und dem Messtechniker darauf, welche qualitativen und zeitlichen Anforderungen bestehen. Gemeinsam mit dem Messtechniker wird festgelegt, wie die Qualität gemessen werden soll.
Schritt 2: Iteratives Design von Formteil, Werkzeug und Parametern
CAD-Design: Der Formteilkonstrukteur designt das Formteil im CAD und legt die besprochenen Qualitätsmaße an. Das geht beispielsweise mit VG Metrology von Volume Graphics schnell und intuitiv.
Simulation: Das CAD-Design wird an eine Kunststoffspritzgieß-Simulation übertragen. Hier werden in Zusammenarbeit mit dem Werkzeugbauer die wichtigsten Eigenschaften der Fertigung bestimmt (Lage von Kühlkanälen, notwendige Schließkraft, Druck- und Temperaturprofile, Nachdruck). Dabei werden auch sinnvolle Annahmen über die Prozessparameter getroffen. Das Ergebnis wird simuliert – hierbei werden dieselben abgesprochenen Qualitätsmaße, die schon im CAD angelegt wurden, zur Bewertung des Ergebnisses herangezogen.
Automatisierte Variantenprüfung: Simulativ wird nicht nur eine Variante, sondern automatisiert ein kompletter Versuchsplan geprüft und hinsichtlich der Qualitätsmaße ausgewertet. Das Aufsetzen eines Versuchsplans, das Durchrechnen der Varianten und das variantenübergreifende Auswerten der Ergebnisse lässt sich mit Hilfe von Varimos von Simcon automatisieren. Voraussetzung für die Variantenrechnung ist insbesondere, dass die Simulationen schnell genug ablaufen und sich gut parallelisieren lassen. Denn 20 Rechnungen nacheinander auszuführen würde zu lange dauern. Bei einer parallelen Durchführung hingegen ist der Zeitverlust minimal im Verhältnis zum Erkenntnisgewinn. Das multi-Instanz-fähige Cadmould von Simcon ist zum Beispiel hierauf optimiert – bei paralleler Rechnung nutzt jede Simulation nur einen Prozessorkern, sodass man auf einem mächtigen Rechner viele Simulationen effizient und parallel durchführen kann.
Simulative Optimierung: Die Variantenrechnungen werden mit Hilfe der vereinbarten Qualitätsmaße bewertet. Idealerweise lernt die Software hieraus, welche Designvariablen welchen Einfluss auf die vereinbarten Qualitätsmaße haben und macht einen Vorschlag für sinnvolle Designentscheidungen, die die Beteiligten dann gemeinsam diskutieren und gegebenenfalls abändern können. Dieser Schritt lässt sich zum Beispiel mit Varimos automatisieren.
Gemeinsames Design Review: In diesem Meeting wird das Formteil-, Werkzeug- und Parameter-Design besprochen und entschieden, was getan werden soll. Dabei sollten alle Parteien repräsentiert sein (Formteilkonstrukteur, Werkzeugbauer, Maschineneinrichter, sowie Verantwortliche für Messtechnik und Qualitätsmanagement), damit alle Perspektiven schon in der Designphase in die Entscheidungsfindung einfließen. Zunächst werden dabei die Ergebnisse der Simulationen besprochen. Das Team entscheidet gemeinsam, ob das Design so passt, oder ob noch weitere Änderungen simulativ ausprobiert werden sollten. Erst wenn eine Lösung gefunden wurde, mit der alle Parteien zufrieden sind, wird das Werkzeug gebaut. Der Vorteil dieser Design Reviews ist, dass noch alle Optionen auf dem Tisch liegen. Insbesondere sollte hier auch die Formteilgeometrie noch nicht „final eingefroren“ sein. Denn oft sind zum Beispiel subtile Änderungen von Wanddicken in einzelnen Bereichen des Formteils der größte Verbesserungshebel. Es ist viel billiger und schneller, das Formteil zu ändern, wenn das „nur“ eine digitale Änderung bedeutet. Denn Bits und Bytes lassen sich schneller und günstiger anpassen als Stahl.
Die Simulation ermöglicht es, bereits in der Designphase abzuschätzen, was auf der Maschine passieren wird. Durch die Visualisierung der Ergebnisse wird es leichter, das mit dem Maschineneinrichter zu besprechen. Und durch die Variantenrechnung wird es möglich, mehr als nur eine Option zu besprechen und besser informiert gemeinsam zu entscheiden. Denn so wird sofort sichtbar, was passiert, wenn man etwas am Design ändert.
Schritt 3: Werkzeugbau, Schritt 4: Bemusterung, Qualitätsmessung
Das gebaute Werkzeug wird auf der Maschine mit den vereinbarten Parametern ausprobiert. Die Ergebnisse werden anhand derselben Qualitätsmaße beurteilt, die ganz zu Anfang im ersten Schritt gemeinsam beschlossen wurden. Idealerweise werden zusätzlich zur visuellen Inspektion auch automatisierte Systeme eingesetzt wie etwa Industrial CT. Hierbei werden die Bauteile zerstörungsfrei durchleuchtet und die Maße automatisiert mit den bereits in der Designphase festgelegten Qualitätsmerkmalen verglichen. So lassen sich die Maßhaltigkeit und viele weitere Qualitätsmerkmale, wie etwa Faserorientierungen, automatisiert quantifizieren. Mit VG Metrology lassen sich beispielsweise dieselben Messpläne verwenden, die beim CAD-Design angelegt und in der Simulation verwendet wurden.
Sollte es noch Qualitätsprobleme geben, wird die Simulation genutzt, um systematisch und effizient herauszufinden, wie man die Parameter so justieren kann, dass das Ergebnis weiter verbessert wird. Zudem werden die Realergebnisse systematisch an den Werkzeugbauer und den Formteilkonstrukteur zurückgemeldet. Es wird gemeinsam besprochen, welche Probleme noch beobachtet wurden, und wie diese adressiert wurden. Dies stellt sicher, dass das Engineering mit der Zeit systematisch dazulernt und die simulative Optimierung für spätere Bauteile immer präziser und zielgerichteter eingesetzt wird.
Software soll integrierte Arbeitsweise unterstützen
Dieser Prozess wird umso schlagkräftiger, je besser die digitalen Werkzeuge miteinander kommunizieren. Deshalb haben Simcon und Volume Graphics ihre Produkte kompatibel gemacht, sodass man bereits in der CAD-Phase Qualitätsmaße anlegen kann, entweder als PMI-Maße oder mittels der Software VG Metrology. Diese werden in Varimos automatisiert als Qualitätsmerkmale übernommen und in der Variantenrechnung ausgewertet. Durch eine automatisierte Anpassung der Designvariablen werden die Qualitätsmerkmale optimiert. Dieselben Merkmale werden später mittels Industrial CT in der Realität vermessen und mit den Zielwerten vergliechen.
Diese digitale Durchgängigkeit und Kompatibilität ermöglicht es, entlang der gesamten Prozesskette mit einem einheitlichen Verständnis von Qualität zu arbeiten. So wird sichergestellt, dass alle Prozessbeteiligten die Qualität mit denselben Kennzahlen messen. Stille Post-Effekte werden so minimiert, alle ziehen am selben Strang. Es wird zudem einfacher für das Engineering, Realergebnisse mit ihren Plänen zu vergleichen. Dadurch können sie besser dazulernen aus Änderungen und Abweichungen.
Wie loslegen?
Wer aktuell noch nicht auf diese Art arbeitet, stellt sich die Frage, wie man am besten loslegt. Erfahrungsgemäß ist die beste Strategie nicht, alles auf einen Schlag für alle Projekte einzuführen, sondern die neuen Arbeitsweisen Projekt für Projekt einzuführen. Zunächst sollte ein erstes crossfunktionales Team zusammengestellt werden – für eines der laufenden Projekte. In der nachfolgenden Retrospektive muss dann geprüft werden, was gut funktioniert hat und was nicht. Auf Basis dieser Erfahrungen lässt sich die Arbeitsweise anpassen. Danach kann die Vorgehensweise Schritt für Schritt auf immer mehr Projekte skaliert werden.