Plattform Corvi IM mit vielen Schläuchen: Entnahme der 128 spritzgegossenen medizinischen Komponenten aus dem Werkzeug.

Plattform Corvi IM: Entnahme der 128 spritzgegossenen medizinischen Komponenten aus dem Werkzeug. (Bild: MA Micro Automation)

Als das Projekt Corvi IM im Dezember 2022 startete, war klar, dass die vereinbarte Lieferzeit ambitioniert sein würde, schließlich gab es letzte Ausläufer der Corona-Pandemie, beginnende aktuelle Krisen und fortdauernde Lieferengpässe im Halbleiterbereich. „Der zeitliche Rahmen war mehr als herausfordernd“, erinnert sich Daniel Leinert, Senior Account Manager Medical Devices. Trotzdem gelang es MA Micro Automation, St. Leon-Rot, und dem Anwender RKT (Rodinger Kunststoff-Technik) im Januar 2024 die ersten drei Automationen für einen globalen OEM im Bereich Diabetes Care in Betrieb zu nehmen. Der Schlüssel lag in strategischer Planung bei den Zukaufteilen und sehr partnerschaftlicher Zusammenarbeit.

Optisch „on the fly“ prüfen

Die Basis für Corvi IM bildet die von MA Micro Automation (MA) selbst entwickelte Linearachse, die auf die Teileentnahme von 128 Kavitäten skaliert wurde. Als einziger Anbieter in Europa stellt das Unternehmen seine Hochgeschwindigkeitsachsen nach dem Transrapid-Magnet-Prinzip selbst her. Wenn das Werkzeug öffnet, entnimmt der Greifer mit einer Wiederholgenauigkeit von +/-0,02 mm seitlich die 128 gefertigten Produkte – je nach Form entweder Hubs (Nadelträger) oder die dazugehörigen Caps und Container (innere und äußere Schutzkappe). Angeordnet sind diese in Reihen oder in kreisförmigen Clustern mit jeweils vier beziehungsweise acht Nestern.

Eine komplette Reinraum-Fertigungszelle in einer Halle: Corvi IM entnimmt 128 Hubs, Caps und Container pro Zyklus.
Die komplette Reinraum-Fertigungszelle: Corvi IM entnimmt 128 Hubs, Caps und Container pro Zyklus. (Bild: MA Micro Automation)
Maschinenhalle mit vielen Schläuchen. Links das EOAT (End-of-Arm-Tool) mit den produktberühren-den Aufnahmen „Kolosseum“.
Links das EOAT (End-of-Arm-Tool) mit den produktberühren-den Aufnahmen „Kolosseum“. (Bild: MA Micro Automation)

Das Entnahmehandling fährt durch eine Sensorbrücke, auf der Laser-Lichttaster angebracht sind. Diese überwachen, ob alle Bauteile entnommen wurden. Schon vorher haben Sensoren das Spaltmaß zwischen Entnahmegreifer und Spritzgießwerkzeug überprüft. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass die Übergabe vollständig erfolgt ist. Dies geschieht aus Vorsicht, denn würde nur ein Artikel in dem Multikavitäten-Werkzeug verbleiben, könnte es zu massiven Beschädigungen kommen. Es folgt on the fly die optische 100-Prozent-Prüfung der Hubs. Damit in einem separaten Produktionsschritt die Nadel eingeklebt werden kann, muss im Kunststoffteil eine entsprechend dimensionierte Öffnung vorhanden sein. Dies wird per hochdynamischer Bildverarbeitung ebenso sichergestellt wie allgemeine technische Parameter. Fehlt die Öffnung – etwa, weil im Werkzeug ein Kern gebrochen ist – wird die Kavität geblockt, sodass keine NIO-Teile ausgegeben werden. Für die Entwicklung solcher (und noch viel anspruchsvollerer) Prüfaufgaben beschäftigt MA 15 eigene Bildverarbeitungsspezialisten. Kunden können dadurch die gesamte Automation mit Inline-Kontrollen aus einer Hand beziehen; zudem sind Hard- und Software optimal aufeinander abgestimmt und arbeiten Hand in Hand. Zusätzliche Qualitätschecks lassen sich bei Corvi IM ebenfalls vornehmen: entweder händisch im QM-Labor des Kunden durch eine Probenentnahme oder automatisiert, indem nach einer festgelegten Anzahl von Produkten (beispielsweise einigen Tausend) Teile ausgeschleust werden.

Effiziente Automation für den Reinraum

Um möglichst wenig Reinraumfläche zu beanspruchen, schließt sich an Entnahme und Prüfung ein Steilförderer an, der Hubs, Caps und Container als Schüttgut zu einem Big Bag mit Kapazität für mehrere Stunden Produktion bringt. Die gesamte Fertigungszelle inklusive eines Arburg Allrounders 720 H als Spritzgießmaschine findet auf einer Grundfläche von 7,60 x 5,50 m Platz, wobei für die Techniker auf eine gute Zugänglichkeit der Maschine geachtet wurde. Da als Material Polypropylen (PP) verarbeitet wird, das sich stark statisch auflädt, bedurfte es zusätzlich einer ESD-Konfiguration (electrostatical dis-charge). Andernfalls würden die gefertigten Bauteile tatsächlich die Wände des Bunkers oder der Big Bags empor „wandern“. Beim Endanwender läuft die Corvi IM in einem Reinraum der Klasse 7 – wobei die Komponenten der Linearachse bis Klasse 5 kompatibel wären. MA ist auf den medizintechnischen Sektor spezialisiert und achtet bei seinen Automationen auf eine möglichst partikelarme Auslegung der Systeme. Ein weiterer Fokus liegt auf den wirtschaftlichen Faktoren. Schnelligkeit, Langlebigkeit und geringer Verbrauch definieren, ob sich die Anschaffung einer hochwertigen Automation für den Endkunden lohnt. Beim vorliegenden Projekt beträgt die Zykluszeit je nach Artikel zwischen 5,9 und 6,5 s, wobei die Kühlzeit des Spritzgießvorgangs der limitierende Faktor ist. Die Automation könnte noch schneller arbeiten – auch weil der Greifer mit Transrapid-Geschwindigkeit ins Werkzeug fährt. Gleichzeitig verbraucht die eingesetzte Lineartechnologie bis zu 30 % weniger Energie als riemengetriebene Systeme und ist extrem verschleiß- und wartungsarm. Bei den Factory und Site Acceptance Tests (FAT/SAT) über Acht-Stunden-Läufe lag die Verfügbarkeit der Automationen bei 98 bis 100 %.

Ablage der 128 Container: Von hier gelangen sie per Steilförderer zu den Big Bags.
Ablage der 128 Container: Von hier gelangen sie per Steilförderer zu den Big Bags. (Bild: MA Micro Automation)

So konnte der Projektzeitplan eingehalten werden

Für den Erfolg eines neuen Produktes ist oft die Zeit entscheidend, bis es auf den Markt kommt. In einem guten Jahr eine komplette Fertigungsanlage für den anspruchsvollen Medical-Bereich zu realisieren, braucht eigentlich optimale Bedingungen – die in diesem Fall durch Pandemie, internationale Krisen und Lieferengpässe nicht gegeben waren. Zudem arbeiteten beide Unternehmen erstmals zusammen, man musste sich also auch aufeinander einstellen. Dem anfänglichen Kennenlernen folgten schnell weitere Treffen und die Erkenntnis, dass Chemie und Voraussetzungen stimmten. Daniel Leinert: „Es war während der gesamten Dauer ein extrem guter und partnerschaftlicher Umgang, der dann auch zum Gesamterfolg des Projektes führte.“

Der Kippgreifer (violette Platte) holt die medizinischen Einweg-Artikel in Doppelschritten aus dem EOAT.
Der Kippgreifer (violette Platte) holt die medizinischen Einweg-Artikel in Doppelschritten aus dem EOAT. (Bild: MA Micro Automation)

Wegen des herausfordernden Zeitplans arbeitete das Automatisierungsunternehmen mit Tools wie dem digitalen Zwilling, mit dem sich die Automation weiterentwickeln und testen lässt, auch wenn man in der Realität noch auf Hardwarekomponenten warten muss. Die Schwierigkeiten auf dem Halbleitermarkt umging das Team durch strategische Planung und einen standardisierten Baukasten. Immer wieder benötigte Langläufer-Bauteile wurden rechtzeitig und in größeren Stückzahlen bestellt. Durch einen ersten Testaufbau konnte der Kunde sein Werkzeug schneller qualifizieren, als es mit der endgültig fertigen Anlage möglich gewesen wäre. Schnelligkeit ist auch der Grund für die Wahl des Untergestells: Eine Stahlschweiß-Konstruktion lässt sich fixer realisieren und bringt bei der Wiederinbetriebnahme vor Ort zeitliche Vorteile mit sich. Drei der Komplettanlagen sind inzwischen bei RKT eingetroffen. Das Unternehmen arbeitet für einen großen globalen Player im Bereich Diabetes Care und betreibt Fertigungsstätten auf mehreren Kontinenten – was sich für MA mit seinen Niederlassungen in Singapur und den USA gut trifft. In Kürze werden drei weitere Corvi IM ausgeliefert, die dann ebenfalls dem Minimax-Prinzip folgen: minimaler Platz- und Energiebedarf bei maximaler Teileausbeute. Gepaart mit Langlebigkeit, auf die alle Automationen von MA ausgelegt sind, lässt sich so effizient und nachhaltig produzieren.

Quelle: MA Micro Automation

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