Die Medizin der Zukunft wird zunehmend biologische Wirkstoffe mit Implantat-Hardware verknüpfen. So werden zum Beispiel resorbierbare Gitterstrukturen speziell für diesen Zweck entwickelt. Yves-Alain Ratron, Director Global Research bei Tornier, Saint-Ismier/Frankreich, erklärt, man könne eigentlich jedes orthopädische Implantat als ein Gerüst für den Gewebeaufbau ansehen, das Muskel- oder Skelettfunktionen ersetzt oder ergänzt. Im Gegensatz zu Dauerlösungen, beispielsweise aus Titan, sollen resorbierbare Elemente die Zellaktivität unterstützen, um Heilungsprozesse zu erleichtern und zu beschleunigen. Spezielle Kunststoffe könnten hier zum Einsatz kommen. So werden bei der Reparatur von Sehnen im Wesentlichen gewebeähnliche, flexible Produkte eingesetzt, die bereits am Anfang des Heilungsprozesses mechanisch belastbar sind. Beschichtungen oder spezielle Behandlungen unterstützen das Anhaften der Zellen, um die Einbindung, das Wachstum von Gewebe und die Regeneration anzuregen. Während des Heilungsprozesses werden diese Zellträger schrittweise abgebaut. Besonders großer Forschungsaufwand wird in Richtung Knorpelersatz betrieben, betont Ratron.
Rückmeldung an den Arzt
Intelligente Implantate sollen sich dem Patienten anpassen und je nach Situation regelnd eingreifen. Auch soll der behandelnde Arzt die Möglichkeit haben, bestimmte Werte des Implantats auszulesen. Aufzeichnungen über Belastung, Bewegung und Abnutzung könnten dazu beitragen, unerwünschte Zwischenfälle zu vermeiden. Darüber hinaus könnten sie dem Arzt oder Patienten helfen, sein Implantat besser zu überwachen und rechtzeitig mit Reha-Maßnahmen oder anderen Aktivtäten gegenzusteuern. Solche „Ersatzteile“ werden in Zukunft weitaus geringere Abmessungen und Baugrößen bei höherer Komplexität und Funktionalität aufweisen, als heutige Modelle. Durch eine optimale Anpassung an die menschliche Physiologie sollen strapazierende Folgeoperationen vermieden werden.
Doch wie bei Smartphones ist eine Prognose der technischen Möglichkeiten ein riskantes Unterfangen, so Forscher Ratron. Außerdem bleibt eine Frage offen: Ist die Technik ausgereift genug, um sie in allen Implantaten zu angemessenen Kosten einzusetzen? Ratron ist sich sicher: „Wie für viele andere Technologien auch, wird ein Markt dafür entstehen, sobald die Kosten-Nutzen-Relation eindeutig positiv ausfällt.“
Implantate mit eingebauter Biofeedback-Funktion gibt es bereits heute. Der Auftragsfertiger und -entwickler Valtronic entwickelte die so genannte eDisc, ein Wirbelsäulenimplantat mit über 100 Komponenten. Voll gepackt mit Mikroelektronik ermöglicht das weniger als zwei Kubikzentimeter große Implantat dem Arzt, Heilungsfortschritte eines Patienten nach einer Operation zu überwachen und zu kontrollieren.
Das zweite Beispiel ist ein Mikrochip in der Mundhöhle von Patienten, deren Speichelproduktion durch die Erkrankung Xersostomia beeinträchtigt ist. Das Zahnimplantat erkennt fehlenden Speichel und stimuliert seine Produktion. Der Chip ist mit einer speziell gefertigten Schraube fest in die Mundhöhle eingesetzt.
Antibakterielle Oberflächen lösen
weniger Infektionen aus
Zahlreiche Neuentwicklungen in der Orthopädie lassen aufhorchen. „An dieser Stelle sind“, laut Dr. Urs Schneider, Abteilungsleiter Orthopädie und Bewegungssysteme am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart, „Individualknie-Endoprothesen mit allem für und wider, Wegwerf-Instrumente wie Hüftraspeln, intelligente Halter und ihre Fortentwicklung für das personalsparende und auch teils schonende Operieren zu nennen. Ebenso wie komplexe Hüftpfannen-Oberflächen durch additives Manufacturing aus Titanlegierungen.“ So vielfältig sich die Entwicklungslandschaft darstellt, so unterschiedlich schätzt Mediziner Schneider die Zuwachsraten für die Orthopädietechnik ein. Seiner Meinung nach hängt die Höhe stark vom Produkt ab und kann dann zwischen 4,5 bis über 15 Prozent jährlich betragen.
So führt eine optimierte Oberflächengestaltung zu besserem Einwachsverhalten. Nach Ansicht von Forscher Ratron ein Resultat der Nanotechnik-Welle. Darüber hinaus werden Oberflächenbeschichtungen heutzutage als Träger biologisch aktiver Moleküle genutzt. Ratron ergänzt: „Vermutlich eine der interessantesten Entwicklungen auf diesem Gebiet sind antibakterielle Beschichtungen, bei denen die Abgabe von Medikamenten eingestellt werden kann, um das Infektionsrisiko zu bekämpfen.“ Dabei spielen Bio-Materialien eine große Rolle, weil sie Patienten und Medizinern neue Behandlungsmöglichkeiten eröffnen. Angefangen bei Metallen und Polymeren, aus denen Schrauben, Nägel und künstliche Implantate gefertigt werden, bis zu neueren Bio-Materialien wie bio-resorbierbare PLGAs (Polymere der Milch- und Glykolsäure), pyrolytischem Kohlenstoff oder aus menschlichem Gewebe gewonnene Hilfsmittel, reicht die Palette, die dem Techniker heutzutage zur Verfügung steht. So ermöglicht eine breitere Materialauswahl bessere elastizitätsangepasste Prothesen. „Leichtbau in der Orthopädietechnik schafft Komfort, Simulations-Know-how erleichtert das Implantat-Design und seine Entwicklung“, resümiert IPA-Forscher Schneider.
NEUE TECHNOLOGIEN
Implantat-Technik
Unauffällig intelligent – so könnte die Zukunft der Orthopädietechnik beschrieben werden. Intelligente Implantate versprechen viel Potenzial – für Patienten, Mediziner und Produzenten. So soll die neue Technik eine Rückmeldung an den Arzt über den Zustand des Patienten geben können oder mittels gekoppelten biologischen Wirkstoffen besser vom menschlichen Körper angenommen werden. Die Strukturen der Implantate werden immer komplexer, die Funktionen immer vielfältiger.