Für die Digitalisierung einer Produktion sind Prozess- beziehungsweise Maschinendaten die grundlegende Voraussetzung. Dazu kann man oft auf bereits vorhandene Messgrößen in einem bestehenden Produktionsprozess zurückgreifen oder die Messgrößen bedarfsgerecht durch zusätzliche Sensoren erweitern. Neben der Erfassung der erforderlichen Messdaten durch die Sensoren ist eine erweiterte Auswertung dieser Daten sowie die Art und Weise, wie diese Daten als Information dem Nutzer verfügbar gemacht werden, eine zentrale Aufgabe der Digitalisierungsstrategie. Zusätzlich zum ‚lokalen‘ Nutzen für den Maschinenprozess und in direkter Kommunikation mit der Peripherie, erfolgt eine Einbindung der erfassten Daten in die Infrastruktur des gesamten Produktionsstandortes und zukünftig eine Einbindung in die gesamte vernetzte Wertschöpfungskette.
Die hier skizzierte Entwicklung (Industrie 4.0) treibt auch die kunststoffverarbeitende Industrie um. Trotz teilweise offener Fragen bezüglich der Datennutzung, der Datenhoheit und Datensicherheit ist klar, dass durch die Digitalisierung ein Mehrwert entsteht, der zu ergänzenden und neuen Geschäftsmodellen führen kann. Betrachtet man diese Entwicklung ganzheitlich und langfristig, so stehen Begriffe wie ‚digitaler Zwilling‘ des Gesamtprozesses bis zum Recycling im Vordergrund.
Geht man nun wieder gedanklich einen Schritt zurück, so können durch die gezielte Nutzung bereits vorhandener ‚eigener‘ Daten die kunststoffverarbeitenden Betriebe direkt profitieren. Gleichzeitig wird der Grundstein zur Einbindung der lokalen Einheit in eine übergeordnete Datenstruktur gelegt.
Welche Messdaten wie genau und wozu erfassen?
Auf den Compoundierprozess bezogen werden bereits eine Vielzahl von Maschinendaten wie zum Beispiel die Drehzahl, Temperaturen, die Leistungsaufnahme, die Auslastung und andere Prozessgrößen erfasst, grafisch aufbereitet, dargestellt und zur Prozessverfolgung eingesetzt. Weiterhin lassen sich diese Daten auch über eine Schnittstelle auslesen und einer übergeordneten Netzwerkstruktur zuführen.
Um aus den sensorisch erfassten Kenngrößen einen tieferen, weitergehenden Nutzen (im Sinne von Industrie 4.0) ziehen zu können, müssen die jeweiligen Kenngrößen oft genauer gemessen werden als es bislang der Fall war. Wird beispielsweise die Kenngröße ‚Auslastung‘ teilweise nicht mehr aus den relativ ungenauen Frequenzumrichterdaten berechnet, sondern durch eine ‚vollwertige‘ Drehmomentmessung, dann lassen sich diese Messdaten direkt zur Überwachung/Regelung mit Blick auf Schwankungen im Prozess nutzen.
Hebt man die zeitliche Auflösung der erfassten Sensordaten zusätzlich an, können auch sehr lokale Ereignisse im Extrusionsprozess erkannt werden. Gepaart mit Sensorik – zum Beispiel zur Schwingungsüberwachung – können somit künftig auch Betriebszustände identifiziert werden, die im Bereich kritischer Resonanzen liegen. Durch Verschiebung der Resonanzlagen, gekoppelt mit hochauflösenden Drehmomentmessungen, soll zukünftig auf den Verschleißzustand der Anlage geschlossen werden oder es können Einzelereignisse detektiert werden, die die Maschine/Anlage schädigen. Auf diese Art und Weise kann eine Zustandsüberwachung realisiert werden. Durch Abgleich und Bewertung von auftretenden Änderungen über der Zeitachse können Material- beziehungsweise Chargenschwankungen frühzeitig erkannt und wenn möglich, sogar automatisiert ausgeregelt werden.
Gerade bei häufigen Produktwechseln auf einer Anlage kann ein Abgleich bereits abgelegter Daten mit den Daten aus der aktuellen Produktion Fehlchargen vermeiden beziehungsweise einen schnelleren Übergang vom Einrichten in die Produktion ermöglichen. Auf diese Art und Weise werden Produktionsaufträge nicht nur schneller umgesetzt, sondern auch die Reproduzierbarkeit rezepturgleicher Folgeaufträge verbessert.
Stellt man diese lokal erfassten Messdaten nun einer übergeordneten Datenstruktur zur Verfügung und korreliert diese mit anderen Messdaten, zum Beispiel mit Daten aus vorangeschalteten Verarbeitungsschritten der Prozesskette, dann lässt sich der Prozess im Rahmen der prozesstechnischen Möglichkeiten an Schwankungen der Ausgangsmaterialien automatisiert anpassen. Die Grundlage dafür bildet dabei die Verfügbarkeit und Bündelung sensorisch erfasster Kenngrößen.
Sensoren erkennen und optimieren Maschinenzustand
Im Rahmen des Projekts Improcess 4.0 hat das Fraunhofer LBF ein intelligentes Überwachungs- und Optimierungssystem für Doppelschneckenextruder entwickelt (großes Bild oben). Es besteht aus intelligenten Sensoren mit integrierter Sensordatenvorverarbeitung (Bild 2) sowie einem multifunktionalen Edge Router zur Datenaufbereitung zur Einbindung der Daten in das Firmennetz und zur Prozessrückwirkung.
Neben den vorhandenen Maschinendaten aus der SPS werden hochfrequente Schwingungsdaten aus Beschleunigungs- und Drehmomentsensoren zur Erkennung ungünstiger Maschinenzustände eines Extruders (beispielsweise ein Anlaufen der Extruderwellen) verwendet. Während der Drehmomentsensor zwischen Motor und Getriebeeingang fest montiert ist, sind die Beschleunigungssensoren über die Extruderlänge am Gehäuse verteilt. Weil die Schwingungsdaten mit einer hohen Abtastfrequenz erfasst werden müssen, ist auf dem intelligenten Sensorknoten eine Signalvorverarbeitung umgesetzt, die eine Reduktion der Messdaten ermöglicht und somit die Menge des Datenverkehrs begrenzt.
Zur Datenvorverarbeitung werden verschiedene Verfahren eingesetzt, um einen Zusammenhang zwischen dynamischer Signatur und Maschinenzustand zu ermitteln. Bild 3 zeigt beispielhaft das Ergebnis des vorverarbeiteten Drehmomentsignals. Dargestellt ist die Veränderung der Schwingungssignatur über die Zeit bei einer Änderung der Dosierung. In Abhängigkeit von der Dosierung ist eine Verschiebung einer Extruderresonanz zu erkennen. Über die Aggregation mehrerer solcher Zusammenhänge soll das Überwachungssystem lernen, zwischen normalen und ungünstigen Maschinenzuständen zu unterscheiden.
Über einen multifunktionalen Edge Router werden die vor-ausgewerteten Sensordaten gesammelt und verarbeitet. Sie können einerseits über einen Datenpool als Information zur Verfügung gestellt werden. Zur Identifikation von Schädigungen beziehungsweise ungünstigen Betriebszuständen werden die Daten anderseits mit ermittelten Datenkollektiven abgeglichen. Über Optimierungsalgorithmen wird eine direkte zustandsbasierte Rückwirkung auf die Prozesssteuerung mit dem Ziel ausgeübt, einen optimalen Betrieb zu ermöglichen, kritische Systemzustände zu vermeiden und den Verschleiß zum Beispiel der Extruderwellen zu vermindern Dabei wird zunächst auf Drehzahl und Dosierung zurückgewirkt.
Über standardisierte Schnittstellen soll eine einfache, nachträgliche Integration in bestehende Unternehmensnetzwerke ermöglichet werden (Retro-fitting). Eine flexible Anpassung auf verschiedene Produktions- oder Arbeitsprozesse ist über den modularen Aufbau der entwickelten Sensorknoten möglich. Je nach definierter Anforderung, können auch vorangegangene oder folgende Prozesse in die Betrachtung integriert werden.
Aufbau der IT-Systemarchitektur
Die in den Produktions- oder Arbeitsprozess integrierten intelligenten Sensoren sind über einen modularen Hardware-Aufbau als Sensorknoten flexibel anpassbar. Die Sensorknoten bestehen aus mehreren Hardware-Modulen wie Sensor-Modulen, einem Mikrocontroller-Modul mit Funkschnittstelle sowie einem Modul für die Energieversorgung. Die Module lassen sich anwendungsspezifisch auswählen und mittels Stecktechnik kombinieren. Die Sensorknoten sind über 6LoWPAN als ein Mesh-Funknetzwerk organisiert (6LoWPAN ist ein Kommunikationsprotokoll zur drahtlosen und energieeffizienten Übertragung von Daten in einem Wireless Personal Area Network).
Weil jeder Sensorknoten über eine eigene IPv6-Adresse verfügt, kann er über offene Standards eine direkte Verbindung mit einem multifunktionalen Edge Router, der Maschinensteuerung oder mit beispielsweise Cloud-Diensten über das Internet herstellen (Bild 4). Web-basiertes Steuern und Regeln ist schon lange Stand der Technik. Deshalb bietet sich der Einsatz von 6LoWPAN-Sensorknoten an, um vorhandene Technologien einzusetzen, und gleichzeitig die Vorteile des kabellosen Sensornetzwerks zu nutzen. Die auf den Knoten notwendige Datenvorverarbeitung lässt sich mittels eines Mikrocontrollers realisieren. Der Strombedarf bei maximaler Rechenleistung von derzeitig auf dem Markt verfügbaren energieeffizienten 32-Bit-Mikrocontrollern liegt unterhalb von 150 μA/MHz. Im Schlafmodus sinkt der Strombedarf auf wenige Nanoampere. Auch der Einsatz energiesparender Sensorprinzipien wie zum Beispiel MEMS-Beschleunigungssensoren, die mit wenigen Mikroampere arbeiten, macht die drahtlose und energieautarke Langzeiterfassung von Messdaten zunehmend praktikabel. Für die Energieversorgung der Sensorknoten eignen sich Batterien oder im Langzeitbetrieb auch der Einsatz von Energy-Harvesting Prinzipien, bei denen elektrische Energie aus beispielsweise Vibrationen gewonnen wird.