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Digitalisierung, additive Fertigung sowie ein flexibles Agieren in der Coronakrise sind aktuelle Trends im Werkzeug- und Formenbau. (Bild: Messe Stuttgart)

Als Schlüsselbranche in der Kunststoffwertschöpfungskette ist der Werkzeugbau stark von der Coronakrise betroffen. Der Schutz der Mitarbeiter, die Umstellung der innerbetrieblichen Abläufe mit Social-Distancing-Maßnahmen und HomeOffice-Arbeitsplätzen bei gleichzeitiger Sicherstellung von Lieferketten – diesen Herausforderungen hatten sich fast alle von „Plastverarbeiter“ befragten Hersteller und Dienstleister zu stellen. Noch nicht absehbar ist der wirtschaftliche Schaden, der den einzelnen Unternehmen durch die Lahmlegung ganzer Endkundenmärkte infolge des öffentlichen Pandemie-Krisenmanagements entsteht.

Neue Geschäftsgelegenheiten in der Krise

Aber auch derjenige, der Positives in der Misere sucht, kann fündig werden. So erhellt die Krise etwa den Sinn von Investititionen in Smart Services: „Die bereits im vergangenen Jahr angestrebten und umgesetzten digitalen Lösungen für Prozesse und vor allem für den Kundensupport via Augmented Reality kommen nun zum Tragen und erleichtern den Arbeitsalltag“, berichtet beispielweise Sigrid Sommer, Geschäftsführerin von Günther Heisskanaltechnik, Frankenberg. Verschiedene Unternehmen sammeln zudem neue Erfahrungen mit Projekten im Medizintechnikbereich. „Wir konnten den einen oder anderen neuen Auftrag abschließen, auch für Werkzeuge, die nicht unbedingt zu unseren gewohnten Produkten gehören, wie beispielsweise ein Werkzeug für Schutzmasken“, erklärt Mario Haidlmair, CEO des Werkzeugbauers Haidlmair, Nußbach, Österreich. Dieses Werkzeug bieten die Österreicher nun gemeinsam mit einem deutschen Partner als Lizenzgeber für viele andere Länder an.

Auch der Heißkanalspezialist Ewikon, Frankenberg, ist Partner in mehreren Projekten zur Herstellung von Schutz- und Medizinausrüstungen. „Diese Projekte werden priorisiert und extrem schnell bearbeitet“, sagt Ewikon-CEO Dr. Stefan Eimeke. Dabei dürfte dem Unternehmen, das ausschließlich an dem nordhessischen Standort produziert, die dort praktizierte hohe Fertigungstiefe zugutekommen. Ein Aspekt, den auch Witosa Heißkanalsysteme, ebenfalls Frankenberg, ins Feld führt. „Auf Grund der hohen Fertigungstiefe an unserem Produktionsstandort in Deutschland sind wir weitestgehend unabhängig von externen Zulieferern“, betont Stephan Ochse, Vertriebsleiter national bei Witosa. „Einige wenige Komponenten beziehen wir ebenfalls innerhalb Deutschlands und vergeben zeitweise Lohnarbeiten innerhalb der Region, sodass wir jederzeit lieferfähig und Unterbrechungen unserer Lieferketten nicht zu erwarten sind“, hebt Ochse den Flexibilitätsgewinn dank Local Sourcing hervor.

Weitere Geschäftsgelegenheiten bringt der dank Corona-Krise boomende Onlinehandel, zumindest für die Haidlmair-Gruppe, die ein starkes Standbein im Gebinde- und Containerbereich hat. „Das Segment Lager- und Logistikcontainer hat momentan natürlich ein besonders großes Potenzial“, berichtet Mario Haidlmair. Der Bereich Getränkelogistik des Unternehmens erhält zudem Rückenwind durch die Priorisierung des Mehrwegprinzips im Zuge der Plastikmülldebatte. Mehrwegglasflaschen benötigen sichere Gebinde, für deren Fertigung Haidlmair Werkzeuge baut.

Abhängigkeit von Automotive reduzieren

Ganz unabhängig von der Corona-Krise forcieren viele Unternehmen die Diversifizierung ihrer Kundengruppen, um neue Absatzmärkte zu erschließen und die unterschiedlich große Abhängigkeit von der derzeit labilen Automobilindustrie zu reduzieren. Als attraktive Zielbranchen werden unter anderem Medizintechnik, Elektrotechnik, Logistik sowie der Consumer-Bereich genannt. Manche Unternehmen führt die Diversifizierungsstrategie zu neuen Tätigkeitsfeldern abseits des angestammten Geschäfts. So ist Nonnenmann, Winterbach, als etablierter Hersteller von Normalien und Sonderteilen für den Formenbau und das Kunststoffspritzgießen seit einem Jahr auch im Bereich Stanzwerkzeugbau unterwegs. „Dabei konzentrieren wir uns als verlängerte Werkbank auf die Herstellung von kundenspezifischen Scheid-, Stanz- und Umformstempeln sowie den dazugehörigen Matrizen aus HSS, Hartmetall bis hin zu Bauteilen mit sehr hohen Ansprüchen an die Standzeit aus technischer Keramik“, erläutert Geschäftsführer Volker Nonnenmann. Bestenlehrer, Herzogenaurach, fokussiert sich zwar weiterhin erfolgreich auf das Hochglanzpolieren von komplexen Spritzgießwerkzeugen. „Neue Märkte“, hebt Geschäftsführer Marcel Bestenlehrer jedoch hervor, „sind für uns jenseits des Werkzeug- und Formenbaus zu finden.“ Immer wieder hätten Kunden, beispielsweise aus der Medizintechnik, einen Bedarf an Polierarbeit. „Gerade diese Kunden sind für uns sehr spannend, da wir hier auch nach 40 Jahren immer etwas Neues lernen.“

Digitalisierung ist Trumpf

Des Weiteren arbeiten die Unternehmen intensiv an der Digitalisierung ihrer Prozesse und Produkte. Fassnacht Werkzeug- und Formenbau, Bobingen, zum Beispiel unterzieht derzeit seine komplette Verwaltung einer Modernisierung. Diese reicht „vom Tausch der gesamten Serveranlage über die Umstellung auf ein neues ERP-System bis hin zur Digitalisierung der Buchhaltung“, wie Geschäftsführer Wolfgang Faßnacht berichtet. Die Digitalisierung von Fertigungs- und Geschäftsprozessen ist in der Regel mit strategischen Zielen verknüpft, so auch bei Ewikon: Ziel der Maßnahmen sei es, „die bei uns vorherrschende Einzelteilfertigung noch wirtschaftlicher und schneller zu machen und damit unsere Wettbewerbsfähigkeit zu sichern“, sagt Eimeke. Produktseitig entwickelt Ewikon Lösungen, die die Anwender dabei unterstützen, den Spritzgießprozess über die Heißkanaltechnik digital zu überwachen und zu managen. „Diese Anforderung gewinnt aufgrund immer komplexerer Spritzgießanwendungen sowie zunehmender Globalisierung und Vernetzung der Produktion verstärkt an Bedeutung“, so Eimeke. Auf die Digitalisierung der Regeltechnik fokussiert sich auch Günther Heisskanaltechnik. „Hierzu werden neue Schnittstellen geschaffen und neue digitale Produkte entwickelt“, erläutert Geschäftsführerin Sommer. Bei Witosa liegt ein Fokus darin, Produkte „immer smarter“ zu machen, sodass weniger Anwenderwissen vorausgesetzt wird und möglichst viele Prozesse im Hintergrund oder selbsterklärend ablaufen. Angelernte Mitarbeiter, die als Folge des Fachkräftemangels in zunehmender Anzahl in der Kunststoffverarbeitung tätig sind, benötigten Produkte, die möglichst einfach in der Anwendung sind, begründet Stephan Ochse diesen Trend.

Abgesehen von der Digitalisierung sieht Ewikon einen weiteren Trend in der „voranschreitenden Miniaturisierung“, weshalb das Unternehmen die Heißkanaltechnik für sehr kleine Schussgewichte sukzessive erweitert. Günther wiederum baut sein Portfolio von Heißkanaldüsen auf Basis der von dem Unternehmen entwickelten, energieeffizienten Dickschichtheizung weiter aus. Die Dickschichttechnologie ermögliche weitere Produkte, „sodass neue Märkte im Bereich von gedruckter Elektronik und Sensorik zunehmend in den Fokus rücken“, sagt Günther-Geschäftsführerin Sommer.


Digitalisierung rückt in den Fokus“ – Interview mit VDWF-Geschäftsführer Ralf Dürrwächter

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Additive Fertigung auf dem Vormarsch

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Die additive Fertigung von Prototypen und Komponenten ist auch im Werkzeug- und Formenbau auf dem Vormarsch. (Bildquelle: Injex)

Auch bezüglich ihrer Produktionsmethoden blicken die Werkzeug- und Formenbauer sowie deren Zulieferer nach vorne. Vor allem generative Fertigungsverfahren halten zunehmend Einzug in die Werkstätten. Dies betrifft nicht nur den Kunststoff-3D-Druck für den Prototypenbau, sondern auch die additive Fertigung von Werkzeugkomponenten aus Metall. Noch stehen den zweifelsfreien Vorteilen dieser Verfahren – Realisierung beliebig komplexer Strukturen etwa bei der konturnahen Kühlung, leichte Funktionsintegration – gewisse Nachteile gegenüber, wie zum Beispiel vergleichsweise hohe Kosten, begrenzte Materialauswahl und unzureichende Oberflächenqualität. Gerade in puncto Qualität bahnt sich aber ein Wandel an: „Wir bekommen nun immer öfter additiv gefertigte Formeinsätze, Schieber oder Kerne zum Polieren“, sagt Marcel Bestenlehrer, „und hier stellen wir eine deutliche Qualitätssteigerung fest.“ Dank neuer Werkstoffe und Anlagen könnten Bauteile nun in so hoher Güte additiv gefertigt werden, dass sie sich „nahezu bedenkenlos“ hochglanzpolieren lassen, berichtet der Dienstleister. Früher war dies nicht möglich, weil beim Polieren immer wieder Fehlstellen freigelegt wurden.

Werkzeugbau Siegfried Hofmann, Lichtenfels, setzt additive Fertigungsverfahren bereits seit langem in der Serienfertigung ein. „Für unsere Spritzgusswerkzeuge nutzen wir häufig den Metall-3D-Druck, um zum Beispiel den Verzug zu reduzieren oder um Zykluszeiten signifikant zu verringern“, erklärt Geschäftsführer Stefan Hofmann. Ähnlich klingt es bei Fassnacht Werkzeug-Formenbau: „Wir sind bereits seit 2008 in der additiven Fertigung tätig und stellen Bauteile auf unserer eigenen Anlage her. Dies sind hauptsächlich Einsätze mit konturnaher Kühlung zur Verzugsoptimierung, Zykluszeitreduzierung, gekühlte Vorkammerbuchsen sowie Einsätze zur rationelleren Fertigung“, erläutert Wolfgang Faßnacht, weist aber auch auf Grenzen hin: „Die Nachfrage hat sich seit Anschaffung unserer Anlage eigentlich nicht verändert.“

Auch Haidlmair verfügt über einen Metall-3D-Drucker, mit dem bereits einige Werkzeugkomponenten gefertigt wurden. „Die Technologie zeichnet sich vor allem bei kühlungskritischen Bereichen aus, da hier viele Geometrien möglich sind, die mit herkömmlichen Fertigungsmethoden nicht machbar sind“, erklärt Mario Haidlmair. So könne man in diesen Bereichen „besser und zielgerichteter“ kühlen, was sich laut Haidlmair wiederum auf Zykluszeit und Produktqualität positiv auswirkt. Für den Prototypenbau hat das auf große Werkzeuge spezialisierte Unternehmen „einen der größten 3D-Kunststoffdrucker im FDM-Verfahren“ in Betrieb. „Dadurch lassen sich Optimierungen am Produkt aus Werkzeugbausicht besser analysieren und gemeinsam mit dem Kunden besprechen, noch bevor das Werkzeug überhaupt in der Fertigung ist“, berichtet der CEO.

Neue Werkzeugsysteme mittels AF

Mitunter öffnen generative Fertigungsverfahren den Weg zur Realisierung ganz neuer Werkzeugsysteme. Ein Beispiel liefert Werkzeugbau Siegfried Hofmann. Zusammen mit Projektpartnern hat das Lichtenfelser Unternehmen ein Werkzeugkonzept entwickelt, mit dem Partikelschäume energieeffizient und mit verkürzten Zykluszeiten zu filigranen Bauteilen verarbeitet werden können. Dabei werden die Werkzeuge mitsamt Kavitätenstrukturen und integrierten Wasserdampfdüsen komplett im CAD-Modell entworfen und mittels selektivem Laserschmelzververfahren ohne spanende Nachbearbeitung gefertigt.

Selbst bei so komplexen, vielkomponentigen Produkten wie Heißkanalsystemen gewinnt die additive Fertigung (AF) an Bedeutung. „Sicherlich sind wir noch weit entfernt von der 3D-gedruckten Heißkanaldüse“, schränkt Siegfried Sommer zwar ein, „sind die Heißkanaldüsen doch zu komplexe Baugruppen aus Teilen verschiedenster Materialien.“ Für den Aufbau einiger Komponenten seien jedoch hybride Materialverbunde interessant, die durch AF generiert werden können, so die Geschäftsführerin von Günther weiter. Und: „Hinsichtlich der Balancierung von Heißkanalsystemen kann die additive Fertigung neue Möglichkeiten für eine noch schonendere Schmelzeführung eröffnen.“

Ewikon nutzt schon seit Jahren die Lasersintertechnik für die Entwicklung neuer Heißkanalkomponenten aus Stahl und stellt bereits verschiedene Bauteile seiner Heißkanalsysteme mittels additiver Fertigung in Kleinserie her. „Trotz der erforderlichen Nacharbeiten kann durch dieses Fertigungsverfahren bei manchen Bauteilen ein Mehrwert erzeugt werden“, merkt Stefan Eimeke an, „der die Leistungsfähigkeit unserer Systeme erhöht und somit die Heißkanaltechnik weiter vorantreibt.“ Gleichzeitig verweist der Ewikon-Geschäftsführer auf die eingeschränkte Materialvielfalt sowie die hohen Kosten, die eine Umsetzung oft erschwerten.

Bei hohen Stückzahlen punkten die „Klassiker“

Eine klare Linie zwischen den Möglichkeiten und Grenzen generativer Verfahren zieht der Normalienhersteller Hasco Hasenclever, Lüdenscheid: „In der Herstellung von Bauteilen, die kurzfristig benötigt werden, und bei Stückzahlen, die ein bestimmtes Mengenspektrum nicht überschreiten, ist die additive Fertigung mittlerweile ein etabliertes Verfahren,“ stellt André Brandt, Executive Vice President, Mould Base Technology bei Hasco, fest. „Bei hohem und sehr hohem Produktionsvolumen sind jedoch die klassisch hergestellten Spritzgießwerkzeuge mit Blick auf Ausbringung, Qualität und Kosten die beste und zuverlässigste Lösung.“ Punktuell spielt sogar die Corona-Krise den „Klassikern“ in die Karten. So unterstützt Hasco derzeit einen Kunden, der bisher Gesichtsmasken im 3D-Druckverfahren hergestellt hat. Im Zuge der Pandemie stiegen die benötigten Stückzahlen aber so stark an, dass ein konventionelles Werkzeug zur Massenherstellung benötigt wurde. „Hierfür konnten wir schnell ab Lager alle benötigten Standardkomponenten wie Platten und Zubehörteile liefern“, so Brandt.

ist Chefredakteur Plastverarbeiter. ralf.mayer@huethig.de

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