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Eine biologisch abbaubare (biobasierter Kunststoff mit Sonnenblumenschalen) Kaffeekapsel, die Konsumenten auf dem hauseigenen Kompost entsorgen können. (Bild: Golden Compound)

Genau in dieser Phase bricht nun eine weltweite Pandemie aus, deren weitreichende Folgen für die Weltbevölkerung noch gar nicht abzuschätzen sind. Und plötzlich macht der Einsatz von Kunststoff wieder Sinn. Zahlreiche Kunststoffindustrien stellen ihre Produktion auf Masken und Gesichtsvisiere um, die in Millionenstückzahl produziert werden, um den Covid-19-Virus einzudämmen. In der Medizintechnik wäre eine erfolgreiche Bekämpfung ohne Plastik ausgeschlossen.

Natürlich kann nun im Umkehrschluss der Kunststoff nicht wieder heiliggesprochen werden. Die momentane Lage zeigt aber, dass die Diskussion um Kunststoff vielschichtiger und tiefgründiger geführt werden muss, denn Kunststoff hat und wird eine Daseinsberechtigung haben.

Kunststoffe werden in den Medien leider oft mit dem eher negativ behafteten Begriff Plastik abgewertet. Personen des öffentlichen Lebens werben in zahlreichen Spots und Anzeigen sogar mit dem Slogan „planet or plastic“. Doch ist es tatsächlich die richtige Fragestellung, dass wir uns entscheiden müssen, den Planeten zu erhalten oder mit Plastik leben zu wollen? Die Diskussion, die jetzt durch zahlreiche Aktivitäten losgetreten wird, ist durchaus berechtigt und sinnvoll, doch ist es eine Tatsache, dass Kunststoff benötigt wird – ob das nun gefällt oder nicht. Die Pandemie hat dies eindrücklich verdeutlicht.

Aus diesem Grund startet das Kunststoff-Institut Lüdenscheid die Initiative „Plastic and Planet (PaP)“. Die Initiative, bestehend aus Rohstoff- und Maschinenherstellern, Kunststoffverarbeitern, Kreislaufwirtschaft und Umweltorganisationen will die Wertschöpfungskette ganzheitlich und nachhaltig betrachten. Ziel der Initiative ist es, regionale Akteure zu verbinden und gemeinsam mit diesen innerhalb des Innovationsnetzwerkes dazu beizutragen, den Transfer zwischen Grundlagenforschung, angewandter Forschung, Wirtschaft und Öffentlichkeit zu verstärken und somit besser nutzbar zu machen. Das Kunststoff-Institut ist Koordinator sowie Antenne zugleich, und ist zentrale Anlaufstelle für Unternehmen, Entwickler und Entsorger, die Verfahren an Pilotanlagen testen wollen bevor diese in der Serie umgesetzt werden. Die mit der Initiative entwickelten Projekte erhalten das Gütesiegel „PaP tested“. Kunststoffe sollen sinnvoll eingesetzt und die Umwelt nachhaltig geschützt werden. Und dies auf allen Ebenen: Zu Wasser, zu Land und in der Luft.

Die öffentliche Wahrnehmung

Durch die massive mediale Präsenz und das generelle Verschmähen von Kunststoffen hat sich in den Köpfen der Menschen und besonders der Jugendlichen verfestigt, dass Kunststoff grundsätzlich schlecht ist und unter anderem für das Verenden von Meerestieren, für das Verschmutzen der Weltmeere und für das Entstehen von Mikroplastik, das sich im Wasser, im Boden und in der Luft nachweisen lässt verantwortlich ist. An den deutschen Hochschulen sind Einschreibezahlen für die Kunststofftechnik zwischen 30 und 50 Prozent eingebrochen. Junge Menschen wollen nicht Teil des Problems sein und kehren sich von der Kunststofftechnik ab. Kann dieser Trend nicht zeitnah unterbrochen werden, wird der Fachkräftemangel in der Kunststofftechnik verheerend. Es gibt viele Aufgaben in der Kunststoffindustrie zu lösen und Jugendliche oder Absolventen könnten oder sollten sich als Teil der Lösung sehen. Hier ist sicherlich eine gebündelte Kampagne der Verbands- oder Branchenvertreter notwendig, um dies medial zu unterstützen.

Verpackungen im Zentrum der Kritik

Unsinnig versus notwendig

Unsinnige im Vergleich zu notwendigen Verpackungen. (Bildquelle: Kunststoff-Institut)

Unbestritten gibt es Anwendungen, bei denen der Einsatz von Kunststoff nicht ersichtlich und auch sinnlos ist: Jeder von uns erlebt heutzutage immer noch täglich, dass Blendverpackungen im Lebensmittelbereich, aufwendige Verpackungen für Batterien oder andere elektronische Geräte, die Einkaufsplastiktüte oder Einwegverpackungen offensichtlich überflüssig sind. Was mit der Verbannung der Plastiktüte begonnen hat, greift nun fast unkontrolliert um sich und stellt den Einsatz von Kunststoffen generell in Frage. Aber sind nicht alle froh, dass die Einwegspritze beim Arzt in einer keimfreien Blisterverpackung ist und definitiv keine Krankheitserreger übertragen werden können? Eine Lösung an dieser Stelle kann sein, dass Kunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen eingesetzt oder biobasierte Kunststoffe verwendet werden. Diese sind umweltfreundlich und eine Entscheidung zwischen Planet oder Plastik ist nicht notwendig.

Marine Littering

Der World Wildlife Found (WWF) hat in zahlreichen Studien und Analysen festgestellt, dass einige wenige Einflussgrößen für die Vermüllung der Weltmeere verantwortlich sind und die Haupteinleitungsquellen in die Weltmeere in Asien zu sehen sind. Somit ist dieses Problem existent und sollte auch von der Kunststoffwelt nicht ignoriert werden. Mikroplastik (Teile <5 mm) stehen dort im Vordergrund und in der Grafik ist die Unterscheidung in Mikro- und Makroplastik sehr gut aufgeschlüsselt.

Es müssen Wege gefunden werden, um das Vermüllen der Weltmeere einzudämmen, die vorhandenen Verschmutzungen zu beseitigen und nachhaltige Lösungen für die Kreislaufwirtschaft zu sichern und zwar weltweit. Dies beginnt bereits in Südeuropa, wo ebenfalls Kunststoffverpackungen auf den Müllhalden landen und von dort unkontrolliert in die Meere geleitet werden. Diese Situation ist zu erkennen, anzunehmen und als Chance zu sehen, um das gut funktionierende Sammelsystem Deutschlands weltweit zu etablieren und auch zu vermarkten.

Mikroplastik

Unterscheidung von Makro- und Mikroplastik (Bildquelle: Polyproblem, Veröffentlichung der Röchling Stiftung)

Das Einbringen von Mikroplastik in die Weltmeere ist qualitativ und quantitativ die größte Herausforderung, sein Ursprung aber weniger in technischen Bauteilen begründet. Wird berücksichtigt, dass der Reifenabrieb mit 60 oder gar 70 % bei der Einbringung von Mikroplastik zu Buche schlägt, stellt sich schon die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der derzeitig auf europäischer Ebene diskutierten Maßnahmen. Im September 2019 hat das Kunststoff-Institut Lüdenscheid mit einigen Partnern die „Studie zu den Auswirkungen möglicher Legislativmaßnahmen der Europäischen Union in Bezug auf kunststoffverarbeitende Unternehmen und weitere betroffene Gewerbe“ beauftragt. Hintergrund dieser Betrachtung war zu verdeutlichen, wie mögliche Auswirkungen auf das Herstellen, den Vertrieb, den Einsatz und das Entsorgen von Kunststofferzeugnissen zu bewerten sind.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die vorgesehenen Gesetzesänderungen zwar vorrangig in Richtung der Verpackungs- und Konsumgüterindustrie (Take-away-Verpackungen, Tüten, Folien, Becher, Verschlüsse, Deckel, Tabakprodukte, Feuchttücher, Luftballons, und andere) gedacht sind, aber den gesamten Umgang mit Kunststoffen verändern werden.

Im Folgenden sind vier Handlungsempfehlungen dargestellt, die für Unternehmen ausgesprochen werden können, die sich eigentlich gar nicht im Fokus der Maßnahmen sehen, aber dennoch die Auswirkungen spüren werden oder bereits bemerken.

Mit einer Stimme sprechen

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Polybeutel werden zukünftig vermieden und die Geräteverpackung wird aus Graspapier bestehen. (Bildquelle: Bild KIMW, Beispiel der Fa. Gigaset Communications, Bocholt)

Die Kunststoffindustrie schafft es leider derzeit nicht, mit einer Stimme an die Politik und Öffentlichkeit zu gehen, um mit klarem Bekenntnis in der Vergangenheit vielleicht Fehlentwicklungen gerade in der Verpackungsindustrie gehabt zu haben und diese nun zu beseitigen. Parallel müssen positive und deutlich machende sowie medial gut aufbereitet Beispiele der Bevölkerung klarmachen, dass eine plastikfreie Welt nicht nur unsinnig, sondern auch fahrlässig wäre. In Funk und Fernsehen und natürlich über das Internet sowie auf allen Social Media Channels müssen diese Botschaften gestreut werden.

Während dies sicherlich eher eine Aufgabe der Verbände und NGOs ist, sollten sich aber auch die Unternehmen selbst gut aufstellen. Die Bevölkerung hat mittlerweile ein sehr feines Gespür für Umwelt und Nachhaltigkeit entwickelt, ist erst einmal grundsätzlich skeptisch und will überzeugt werden. Der Einsatz von Regranulaten oder Rezyklaten ist kein Makel mehr, sondern durchaus ein Verkaufsargument. Darüber hinaus sollte die Verpackung auch von technischen Produkten überdacht werden, wie das Beispiel von Gigaset zeigt.

Nachhaltige Verpackungen

Hier wurde nicht nur eine alternative Umverpackung geschaffen, sondern auch auf die Polybeutel und Folien verzichtet. Das Recyceldesign der Verkaufsverpackung kommt beim Endkunden gut an, wird entsprechend angenommen und gibt ihm das Gefühl, etwas Gutes für die Umwelt getan zu haben.

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Eine biologisch abbaubare (biobasierter Kunststoff mit Sonnenblumenschalen) Kaffeekapsel, die Konsumenten auf dem hauseigenen Kompost entsorgen können. (Bildquelle: Golden Compound)

Ein ganz aktuelles Beispiel aus dem Consumerbereich ist auch sicherlich die Kaffeekapsel von Golden Compound aus Ladbergen in Deutschland. Die Kaffeekapsel für Automaten, die zu Hause kompostierbar ist. Während lange Zeit diese Materialien nicht die ausreichenden mechanischen und chemischen Eigenschaften vorweisen konnten, zeigt nun diese Kapsel, dass auch Einweg und Umwelt miteinander in Einklang zu bringen sind.

Design for Recycling

Ein weiterer Aspekt der zunehmend auch umgesetzt werden wird, ist sicherlich das Thema Rücknahmeverordnung. Während diese Verordnung in der Vergangenheit zwar existiert hat, aber kaum durchgehend angewandt wurde, sollten sich die Unternehmen hier auf eine lückenlose Umsetzung einstellen. Das heißt natürlich auch, dass die Logistik vorhanden sein muss, aber auch die Demontagekonzepte oder auch der Einsatz von Mehrkomponententeilen ganz anders bedacht werden muss. Eine frühzeitige Berücksichtigung schon in der Entwicklungsphase von neuen Produkten sollte somit schnellstens eingeführt werden.

CO2-Bilanz

Und damit ist auch schon der nächste Punkt genannt: Die Ökobilanz des Produktes an sich wird zunehmend gefordert werden und dies nicht nur in der Automobilindustrie mit der Zero-CO2-Bilanz, sondern auch in anderen Branchen. Es kann durchaus sein, dass der Druck des Endkunden letztlich dafür sorgen wird, dass für jedes Produkt ein Gütesiegel oder ein Label gefordert wird, der eine unabhängige Einstufung des Produktes widerspiegelt. Das Kunststoff-Institut bereitet hierzu eine Entwicklung eines Lastenheftes vor, welches von einem unabhängigen Gremium inklusive der Umweltverbände und auch der Kreislaufwirtschaft begutachtet werden wird und somit auch die neutrale Vergabe eines Testats gewährleistet wäre.

Die Corona-Krise hat sicherlich momentan vieles verdrängt und Themen wie Klimawandel und -ziele sowie auch die Kunststoffe etwas aus dem Rampenlicht genommen. Sobald wieder etwas Normalität eingekehrt ist, werden die Kunststoffe wieder vermehrt in die Diskussion kommen. Daher sollte diese Zwischenzeit sinnvoll genutzt werden.

Gemeinsam in die Zukunft

Fragen nach möglichen Veränderungen in der Herstellung und ein Umdenken beim Umgang mit Kunststoff sollten im Vordergrund stehen. Was können wir kurzfristig und vor allem nachhaltig verbessern? Der Kunststoff selbst darf nicht als Übeltäter gesehen werden, sondern lediglich der falsche Umgang und das Fehlverhalten, oftmals sogar das eigene, mit diesem eigentlich so wertvollen Rohstoff. Gemeinschaftlich sollte die Kunststoffbranche daran arbeiten, unsere Gesellschaft an ein „Planet and Plastic“ heranzuführen. Der richtige Umgang mit Kunststoff muss erlernt werden. Aufklärung ist gefragt, insbesondere seitens der Kunststoffindustrie. Nicht zu vergessen ist dabei vor allem die globale Zusammenarbeit. Unterstützung ist notwendig, besonders in den Ländern, in denen Mülltrennung, Recycling und Umweltschutz generell noch nicht so allgegenwärtig sind wie hier in Deutschland. Es gilt, ein Umdenken in den Köpfen der Menschen zu bewirken.

ist Geschäftsführer des Kunststoff-Institut Lüdenscheid, KIMW-Management in Lüdenscheid.

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Kunststoff-Institut Lüdenscheid für die mittelständische Wirtschaft NRW GmbH K.I.M.W.

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