110902_CO2-haltiger Schaumstoff

CO2 als alternativer Rohstoff – damit lässt sich das zunehmend knappe Erdöl in der Kunststoffproduktion ersetzen. (Bild: Covestro)

Herr Gürtler, Frau Stange und Frau Hilken, wie lange arbeiten Sie bereits an dieser Technologie bei Covestro?

Gürtler Seit 2008 haben wir das Projekt betreut, es dann in die Pilotierung gebracht und dabei unterstützt, dass 2016 die industrielle Produktion begonnen wurde. Und die Entwicklung endet nicht – wir gehen immer neuen Anwendungen nach.

Stange Ich habe parallel zum Aufbau der industriellen Produktion die Markteinführung der neuen Technologie vorangetrieben und die Vermarktung der neuen Produkte aufgebaut.

Hilken 2016 war ich zunächst in der Produktforschung für Anwendungen von Cardyon im Bereich Polyurethan-Weichschaumstoffe tätig – und habe zuletzt als Cardyon Venture Managerin übernommen.

Worin lag Ihre persönliche Motivation für dieses Projekt?

Gürtler Ich finde es faszinierend, einen Beitrag dazu zu leisten, die chemische Industrie kontinuierlich weiterzuentwickeln – vor allem durch alternative Rohstoffe wie CO2. Kohlendioxid als Rohstoff zu verwenden und dadurch zunehmend auf Erdöl in der Kunststoffherstellung verzichten zu können, war lange ein Traum der Wissenschaft. Die Möglichkeit, diesen Forschungsdurchbruch zur wirtschaftlich profitablen Nutzung von Kohlendioxid anstelle des endlichen Erdöls zu erzielen und damit viele weitere Gebiete der Forschung und die Entwicklung der chemischen Industrie zu beeinflussen, war eine starke persönliche Motivation. Hinzu kommt der große Beitrag, der mithilfe dieses Verfahrens zu mehr Nachhaltigkeit und der Ausrichtung auf eine Kreislaufwirtschaft – der Zukunft der chemischen Industrie – geleistet werden kann.

Frau Stange, welche Rolle spielt die Nominierung für den Zukunftspreis für Sie und hat dies spürbare Auswirkungen für Sie nachdem nun einige Monate vergangen sind?

Stange Die Nominierung für den Deutschen Zukunftspreis hat deutlich gemacht, dass ich mich beruflich dem richtigen Thema verschrieben habe: der Umstellung der eingefahrenen linearen Produktions- und Konsummuster auf eine Kreislaufwirtschaft. Dazu zählt auch meine frühere Aufgabe, eine innovative Technologie zur Nutzung von CO2 am Markt zu etablieren und die entsprechenden neuen Produkte zu vertreiben. Die ersten Schritte dazu sind uns erfolgreich gelungen und haben auch zu der Nominierung geführt. Das hat dazu beigetragen, dass nun mehr Menschen hierzulande sich mit dem Thema vertraut gemacht haben und ein Umdenken auch innerhalb der Gesellschaft eingesetzt hat.

Frau Hilken, eine Frage zur Technik: Worin lag die größte Hürde zum Erreichen des Ziels, die Chemie zu beherrschen?

Hilken CO2 in der Kunststoffproduktion zu nutzen ist ein schwieriges und anspruchsvolles Unterfangen. Als Endprodukt der Verbrennung ist CO2 extrem reaktionsträge. Deshalb braucht es eigentlich viel Energie, um das Gas zur Reaktion zu bringen. Die notwendige Energie aufzubringen, wäre jedoch ökologisch und wirtschaftlich ineffizient. Eine Hürde, an der bisher weltweit alle Versuche zur Nutzbarmachung von CO2 scheiterten. In akribischer Suche haben wir den passenden Katalysator entdeckt, der die gewünschte Reaktion mit CO2 so steuert, ohne dabei zu viel Energie zu benötigen.

Können Sie kurz die chemische Reaktion schildern, die die Aktivierung durch den Katalysator auslösen kann?

Covestro_CO2_2016-056-1

Kohlendioxid als neuer Rohstoff: In dieser Produktionsanlage in Dormagen baut Covestro bis zu 20 Prozent CO2 in eine wichtige Kunststoff-Komponente ein.Bildquelle: Covestro

Gürtler Ein spezieller neuer Katalysator senkt die Aktivierungsenergie, um das Gemisch aus CO2 und dem auf Erdöl basierenden Reaktionspartner Propylenoxid (einem energiereichen Epoxid auf Erdölbasis) zur Reaktion zu bringen. Anschließend sorgt der Energiereichtum des Propylenoxids dafür, dass die Reaktion ohne zusätzliche Energiezufuhr von außen ablaufen kann. Die genauen Reaktionsbedingungen unterliegen der Geheimhaltung. Die eingesparte externe Energie macht das Verfahren besonders ressourcen-und klimaschonend. Der so entstandene neue Kunststoffbaustein namens Cardyon hat einen CO2-Anteil von bis zu 20 Prozent.

Welche Rohstoffe kommen infrage? Einfach Luft oder könnte dies mit einer „Müllverbrennung“ gekoppelt werden? Wie kann dies in der Praxis in Zukunft technisch umgesetzt werden?

Stange Das neue Material kommt aus einer speziellen Produktionsanlage, die Covestro dafür eigens am Standort Dormagen bei Köln errichtet hat und seit 2016 betreibt. Das für die Herstellung benötigte CO2 stammt aus dem Abgasstrom einer benachbarten Chemieanlage. Die zugrunde liegende innovative Technologie hat Covestro zusammen mit Partnern entwickelt. Darüber hinaus erforscht ein Konsortium von 14 Partnern aus sieben Ländern seit Oktober 2017 unter Führung von Covestro, wie sich Hüttengase aus der Stahlindustrie, darunter CO2, besonders effizient und nachhaltig zur Produktion von Kunststoffen verwenden lassen – um den traditionellen Rohstoff Erdöl einzusparen. Die industrielle Symbiose eines Stahlwerks und einer Chemieanlage wird in der südfranzösischen Hafenstadt Fos nahe Marseille evaluiert.

Frau Hilken, wie schätzen Sie das mittelfristige Marktpotenzial (bis 5 Jahre) der Technologie?

Hilken Falls die entsprechende Nachfrage am Markt besteht, käme für Covestro längerfristig auch der Bau einer Großanlage in Betracht. Außerdem kann sich das Unternehmen vorstellen, die CO2-Technologie anderen Herstellern in Lizenz zur Verfügung zu stellen.

Können mit der Technologie auch andere Kunststoffe hergestellt werden? Welche?

Gürtler  CO2 als alternativer Rohstoff – damit lässt sich das zunehmend knappe Erdöl in der Kunststoffproduktion ersetzen. Das innovative Polyol wurde zunächst für den Einsatz in Matratzen aus Polyurethan-Weichschaum konzipiert. Mittlerweile wird Cardyon auch als Komponente in Bindemitteln für Sportböden verwendet. Ein Verfahren zur Herstellung von Cardyon-basierten thermoplastischen Polyurethanen (TPU) für die Textilindustrie – zum Beispiel in Socken und Funktionstextilien – steht kurz vor der Marktreife. Zahlreiche weitere Anwendungen sind zudem in der Entwicklung.

Was sind die nächsten größeren Ziele der Forschung bei Covestro?

Stange Seit Dezember 2018 habe ich die Projektleitung für die CO2-Polyole an meine Nachfolgerin Persefoni Hilken abgegeben. Natürlich verfolge ich auch weiterhin gespannt, wie sich das neue Produkt am Markt entwickelt. Das Ziel ist es nach wie vor, das Anwendungsspektrum zu verbreitern: Neben den Rohstoffen für Matratzen und den Komponenten in Bindemittel für Sportböden bin ich gespannt, welche neuen Produkte unter der Regie meiner Nachfolgerin auf den Markt gebracht werden.

Weichschaumblock

Ein Block weicher Polyurethan-Schaumblock - eine Komponente ist mit CO2 hergestellt.Bildquelle: Covestro

Was würden Sie sich von der Politik wünschen, um die Kreislaufführung von Kunststoffen zu fördern?

Gürtler Der Kern einer nachhaltigen chemischen Industrie ist erneuerbarer Kohlenstoff. Hierfür steht die Etablierung einer Kreislaufwirtschaft an erster Stelle. Mit der Einführung unseres strategischen Programms zur nachhaltigen Transformation all unserer Prozesse von linearen zu zirkulären Verfahren sind wir auf dem richtigen Weg. Aber Alternativen zum Erdöl und anderen fossilen Brennstoffen zu finden ist nicht nur Thema der chemischen Industrie – auch Politik, Wissenschaft und Gesellschaft sind gefordert. Wir benötigen einen massiven Ausbau von erneuerbaren Energien zu wettbewerbsfähigen Preisen. In einer Zeit endlicher Ressourcen ist die Entwicklung von Technologien für die Rohstoff- und Energiewende unabdingbar, aber bedarf einer gemeinsamen Entschlossenheit und gegenseitiger Unterstützung verschiedener Partner. Notwendig sind unter anderem belastbare politische Rahmenbedingungen, die einen signifikanten Ausbau erneuerbarer Energien zu Preisen vorantreibt, die Wettbewerbsfähigkeit zulassen.

Was entgegnen Sie Aktivisten, die eine No-Plastic-Strategie verfolgen?

Hilken Kunststoffe sind ein wertvoller Rohstoff. Am Ende des Produktlebens können sie sehr präzise wieder in den Kreislauf zurückgeführt werden – als alternative Rohstoffquellen für den wichtigen Kohlenstoff. Das hilft, fossile Rohstoffe einzusparen. Ein wichtiger Beitrag auf dem Weg zu einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft. Covestro selbst stellt Hochleistungspolymere her, die in besonders langlebigen und nachhaltigen Anwendungen und Produkten verwendet werden. Unser Unternehmen arbeitet seit Jahren eng mit den Verbänden der Kunststoff- und Chemiebranche zusammen, um Kunststoffabfall in der Umwelt zu vermeiden (zum Beispiel Alliance to End Plastic Waste, Operation Clean Sweep).

Covestro_CO2_2018-163-6

Anstoß auf weltweit erstem Hockeyplatz mit einem Unterboden, der CO2 enthält: Nationalspieler Niklas Wellen, Olympiasieger Oskar Deecke und Torwart Luis Beckmann.Bildquelle: Covestro

Frau Stange, wenn Sie in vielen Jahren auf Ihre Laufbahn zurückblicken, was möchten Sie technologisch erreicht haben?

Stange Ich freue mich darüber, einen Beitrag zu einer nachhaltigeren Ausrichtung der chemischen Industrie geleistet zu haben und in einem Unternehmen zu arbeiten, das beim Thema Kreislaufwirtschaft eine führende Rolle einnehmen will. Am Ende sind es Innovationen bei Materialien und Technologien, die einen Wertbeitrag für die Gesellschaft bringen. Zukünftig werden wir als Rohstoffhersteller nicht nur die Frage nach den Materialeigenschaften beantworten müssen. Es werden Fragen zur Herkunft, also welche Rohstoffe eingesetzt werden, und zur Entsorgung eine deutlich größere Rolle spielen – wie das Material wieder zurück in den Kreislauf gebracht werden kann. Diesen Wandel von Covestro und der chemischen Industrie ein Stück weit begleitet zu haben und voranbringen zu können, ist eine tolle Errungenschaft, auf die ich gern am Ende meiner Laufbahn zurückblicken können möchte.

ist Redakteurin Plastverarbeiter. etwina.gandert@huethig.de

Sie möchten gerne weiterlesen?

Unternehmen

COVESTRO AG

Kaiser-Wilhelm-Allee 60
51373 Leverkusen
Germany