Ein Tag in der Digitalstadt Darmstadt

Ein Tag in der Digitalstadt Darmstadt. (Bild: Digitalstadt Darmstadt)

Kommunale Pionierarbeit in Sachen städtischer Digitalisierung zu leisten, ist ein Mammutprojekt. Denn wer sich die komplexe Aufgaben- und Organisationsstrukturen einer Großstadt vergegenwärtigt, sieht vor dem inneren Auge schnell einen lebendigen und pulsierenden Ausschnitt der modernen Gesellschaft mit all ihren sozialen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Belangen, um nur einige zu nennen. Die Digitalisierung dieser Bereiche zu managen, ist der zentrale Geschäftsbereich der Digitalstadt Darmstadt, eine hundertprozentige Tochter der Wissenschaftsstadt Darmstadt. Infolge des Bitkom-Gewinns gegründet, koordiniert das siebenköpfige Team der Digitalstadt Darmstadt seit November 2017 eine große Menge unterschiedlich mächtiger, stets bereichsübergreifender und interdisziplinärer Digitalisierungsprojekte. Deren gemeinsames Credo neben digital: Greifbaren Bürgerinnen und Bürgern Nutzen im urbanen Ökosystem gestalten.

80 Projekte in 13 Bereichen

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Zu Beginn des neuen Trends in der Stadtentwicklung steht das Formulieren einer Digitalisierungsstrategie. (Bildquelle: Digitalstadt Darmstadt)

Also. Nicht am Reißbrett, sondern anhand der realen Bedürfnisse der Darmstädter Bürger galt es, beim Digitalisieren zu agieren und so wurde zum Auftakt des neuen Trends in der Stadtentwicklung eine Digitalisierungsstrategie formuliert. Deren Kernziele beinhaltet Attribute, anhand derer sämtliche Digitalisierungsvorhaben und -projekte regelmäßig durch den eigens gegründeten Ethik- und Technologiebeirat evaluiert werden: Die Cyber-Sicherheit muss gewahrt werden, auch mit Bezug zur lokalen Industrie und Wirtschaft sowie den städtischen IT-Infrastrukturen. Die Projekte müssen ferner nachhaltig sein, zukunftsgerichtet und einen Mehrwert für die Städter generieren, was letztendlich auch einen partizipativen Ansatz der Darmstädter Digitalisierung bedingt.

Schnell entwickelte sich entlang dieser Konzeption die Stadt zu einem lebendigen und innovativen Experimentierraum für Smart-City-Technologien, die heute in insgesamt 13 Bereichen (Mobilität, Energie, Umwelt, Verwaltung, Bildung, Kultur, Gesundheit, Gesellschaft, Öffentliche Sicherheit, IT-Infrastruktur, Industrie 4.0, Handel & Tourismus, Cybersicherheit) entwickelt und erprobt werden. Digitaltreiber aus den ansässigen Forschungseinrichtungen und den stadteigenen Betrieben, der Verwaltung sowie der Darmstädter Wirtschaft brachten dazu Projektskizzen und -konzepte ein und arbeiten seitdem in agilen Teams zusammen und zwar der regulären Tätigkeit on top.

Die Projektleitung obliegt den jeweils umsetzenden Organisationseinheiten, beispielsweise entwickelt das Darmstädter Nahversorgungsunternehmen Heag mobilo die Multimodalitäts-App für mobile Endgeräte. Die App wird ermöglichen, dass Fahrten im ÖPNV mit verschiedenen Verkehrsmitteln von den Fahrgästen geplant und ad hoc bedarfsgerecht organisiert werden können.

Grüne Welle per App

Gleichzeitig setzt das Verkehrs- und Tiefbauamt Konzepte zur intelligenten Verkehrssteuerung in Darmstadt um, und in Kooperation mit TU-eigenen Arbeitsgruppen wird parallel dazu auch intelligente Beleuchtungssensorik für Fahrradschnellwege Richtung Frankfurt entwickelt. Eine weitere App für Autofahrer, frei verfügbar in den App-Stores, schlägt dem Pkw-Führer innerhalb der City grüne Ampelwellen vor, wodurch die Abgaswerte signifikant gesenkt werden können.

Neben diesen koordiniert Digitalstadt Darmstadt derzeit 80, parallel laufende Digitalisierungsprojekte unterschiedlichster Art und Größe: Von Handy-Apps über Webportale bis hin zu einer städtischen Datenplattform, in der Daten aus den verschiedenen Systemkomponenten der Darmstädter Infrastruktur und Umwelt miteinander vernetzt werden. Open Access gerecht werden diese eines Tages zur Verfügung stehen.

Auf einen Blick

Verschiedene Digitalisierungsprojekte

Ein Beispiel aus dem Umwelt/Mobilitätsbereich: Daten aus dem ÖPNV sowie dem Mobilitätsamt werden mit Daten aus stadtweiten Umwelt- und Luftgütemessungen in einem Hochleistungsrechner verschaltet, um durch intelligente und teilautonome Verkehrssteuerung, die sogar das tägliche ein- und auspendelnde Pkw-Aufkommen einschließt, Klima- und Atemluftverschmutzung in dem urbanen Ökosystem zu reduzieren. Wohn- und Lebensraum gewinnen so an Qualität.

LoRaWAN Abdeckung

Lo-Ra-WAN (Long Range Wide Area Network) ist ein kostengünstiges, energiesparendes und reichweitenstarkes Funknetz in der Stadt. (Bildquelle: Digitalstadt Darmstadt)

Ein Beispiel aus dem Bereich Industrie 4.0: Das Internet der Dinge (Internet of Things, IoT) ermöglicht das smarte Dasein, Ampeln werden beispielsweise eines Tages mit Fahrzeugen automatisch interagieren, Apps öffnen die Tür ins Haus und bestellen Ware in den leeren Kühlschrank. Und so weiter und so fort. Um Utopien wie diese zu realisieren, bedarf es zu allererst drahtloser Netzwerke. Das Lo-Ra-WAN (Long Range Wide Area Network) ist ein kostengünstiges, energiesparendes und reichweitenstarkes Funknetz, das speziell für Anwendungen im Bereich des IoT konzipiert wurde. In Darmstadt ist Lo-Ra-WAN bereits flächendeckend durch das regionale Energieunternehmen Entega installiert. Rund 25 Funkeinheiten, von Entega betrieben, kommen so in den Digitalstadt-Projekten zum Einsatz: Das Funknetz ermöglicht hier batterieschonende Ortungsdienste, dort sensorgeführte Messungen von Füllständen (beispielsweise Müllcontainer), Umweltdaten werden automatisiert erfasst und verrechnet (Ozon und Feinstaubbelastung), aber auch zahlreiche Anwendungen in der Objekt- und Gebäudesicherheit oder der Landwirtschaft sind denkbar. Genau dies hat die Darmstädter Industrie für sich als Vorteil erkannt und viele der lokalen Unternehmen nutzen das Netzwerk, um ihre eigenen Produktions- und Wertschöpfungsketten zu optimieren.

Das Beispiel aus dem Bereich Cybersecurity: Ob am Arbeitsplatz oder am heimischen PC, die Möglichkeiten einem Internetbetrug zu erliegen, lauern quasi in jeder Rechneranwendung. Gemeinsam mit einem lokalen Internet Start-up hat die Digitalstadt Darmstadt deswegen die jetzt auch bundesweit verfügbare Internet Security Kampagne „Bleib wachsam Darmstadt!“ gestartet. Das kostenlose und frei verfügbare Webportal informiert die User nach Anmeldung, wie man sich vor sogenannten Phishing-Attacken schützt. Das Portal gibt es als weiteren Service für alle Unternehmen, die ihre Mitarbeiter und sich selbst auch im Firmennetzwerk vor Internetbetrug schützen wollen.

Ein Beispiel aus dem Bereich Bildung: Das Haus der digitalen Medienbildung ist ein Projekt des städtischen Sozialdezernats mit Mitteln der Digitalstadt Darmstadt. Das Haus hat den Auftrag, Kinder, Jugendliche, Eltern sowie interessierte Lehrkräfte zum souveränen Handeln in der digitalen Welt anzuleiten. Die Medienbildung ist darüber hinaus, auch in dem hessischen Institut für Medienpädagogik und Kommunikation (MuK) fest verankert.

Stresstest für die Digitalisierung: Corona

Auch Darmstadt wurde mit dem plötzlichen Einbruch der Corona-Pandemie nahezu zum Stillstand gebracht. Während einige Einrichtungen oder Wirtschaftszweige schnell im Home-Office weiter agieren konnten, gab und gibt es Bereiche, die von dem Lockdown besonders hart getroffen wurden, so wie etwa der stationäre Handel der Stadt. Getreu dem Motto „Wir sind wieder für Sie da!“ beschleunigte die Digitalstadt Darmstadt kurzerhand ihre Entwicklung an der innovativen Präsentationsplattform Digitales Schaufenster. Shops und Läden aus der Darmstädter City konnten ab dem 20. April ihre aktuellen Öffnungszeiten, Bestelloptionen, Services, Angebote und Produkte ohne weitere Kosten online präsentieren. Je nach Ausstattung der Händler gibt es zudem die Funktion im zugehörigen Online-Shop in Ruhe im Sortiment zu stöbern und zu bestellen, ganz ohne lange www-Adress-Suchen oder störende Werbung: Gerade für die zumeist sehr kleinen Boutiquen und Geschäfte ein kostenloser Service der Stadt. Ursprünglich sollte das Projekt des Digitalen Schaufensters für den regionalen Handel mehrere Monate Umsetzungsphase noch vor sich haben – Covid-19 verkürzte diese rasant und das Portal konnte innerhalb einer Woche online gehen. Nahezu 200 Läden präsentieren sich nun in dem Digitalen Schaufenster und erhielten so einen ganz besonderen „Local Support“.

Auch die Schulen wurden durch die Pandemie aus den gewohnten Bahnen geworfen. Zum Glück hatte die Digitalstadt bereits 2019 gemeinsam mit dem Schulelternbeirat eine digitale Plattform in ihr Portfolio aufgenommen, die zunächst als Kommunikationsplattform für Eltern, Lehrkräfte, Schüler und Beiräte angedacht war. Als freitags die Schulen schließen mussten, war bereits am nächsten Montag und nach kurzer Absprache der Digitalstadt mit dem Software-Anbieter, eine ausgeweitete Plattform am Start, mit der virtuelle Klassenräume realisiert wurden.

Online-Unterricht möglich

Nach ungebremst großer Nachfrage seitens der Bildungsträger entwickelte die Digitalstadt gemeinsam mit dem stadteigenen IT-Dienstleister C+C kurzerhand ein weiteres, kostenfreies Web-Angebot für die virtuelle Lehre: Die Open-Source-Anwendungen Big-Blue-Button und Moodle wurden per Server-Server-Integration zusammengeführt, um Web-Videokonferenzen zu realisieren, die die Realität eines Klassenzimmers virtuell noch besser abbildeten. Eine ganze Darmstädter Schulklasse kann nun mit ihrem Lehrer online interagieren, Whiteboard, audiovisueller Echtzeitaustausch inklusive. Die Rückmeldungen seitens der Anwender, die mittlerweile auch durch große und kleine Vereine sowie die Darmstädter Diakonie aufgestockt sind, ist durchweg positiv: Die Usability-Freundlichkeit sowie der Service seitens der Digitalstadt beim Einrichten des Systems nach datenschutzkonformen Rahmenbedingungen helfen in der derzeitig hochdynamischen Phase schnell, kompetent und auch nachhaltig: Viele der unter Corona erstmals mit der Digitalisierung konfrontierten Organisationen wollen die Services der Digitalstadt Darmstadt auch nach Corona weiterführen.

Und so zeigt sich, dass gerade in pandemischen Zeiten die kommunale Digitalisierung als Multiakteurs- und breites Querschnittsthema schnell und effektiv Abhilfe leisten kann und somit mehr ist, als der erste Schritt in die (noch) utopische Smart City Darmstadt. Die Wissenschafts- und Digitalstadt steht hier weithin sichtbar als positives Beispiel – wenngleich der Wunsch nach Rückkehr zur analogen Normalität derzeit überwiegt.

 

ist Pressesprecherin der Digitalstadt Darmstadt in Darmstadt.

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